Eine Analyse der Entwicklung und der Transformation des italienischen Parteiensystems nach Herbert Kitschelt – Level I, Level II oder Level III change?


Seminararbeit, 2003

21 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Parteiensystem nach Herbert Kitschelt
2.1 Wettbewerbsdimensionen
2.2 Level-Changes

3 Cleavages - Konfliktlinien
3.1 Katholizismus vs. Kommunismus
3.2 Norden und Süden
3.3 Neue Cleavages

4 Der Transformationsprozess zwischen 1992 und 1994
4.1 democrazia bloccata – blockierte Demokratie
4.2 Der Umbruch 1992
4.3 Das Entstehen neuer Parteien
4.3.1 Lega Nord, Forza Italia und Alleanza nazionale
4.3.2 Nachfolgeparteien der ehemaligen Staatsparteien DC, PCI und PSI
4.3.3 Kleine Parteien: „La rete“ und „i verdi“
4.4 Wahlbündnisse und Machtwechsel
4.4.2 Polo vs. Ulivo

5 Schlussfolgerungen

Literatur- und Quellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Da ich persönlich sehr viel mit Italien verbinde, und mich das Land samt seiner Einwohner schon immer fasziniert hat, habe ich mich entschlossen das italienische Parteiensystem zum Thema dieser Arbeit zu machen. Italien hat seit Ende des II. Weltkrieges bereits über fünfzig verschiedene Regierungen durchlaufen und bis heute gelang es den Politikern nicht wirklich, dieser Instabilität Herr zu werden. Doch sind es nicht nur die instabilen Regierungen, die meiner Ansicht nach Italien auf politischer Ebene zu etwas besonderem machen.

Die Thematik meiner Arbeit beschäftigt sich vorwiegend mit Ereignissen, die bereits zehn Jahre und länger zurückliegen, aber aus politikwissenschaftlichen Blickwinkeln äußerst interessant erscheinen – jene Veränderungen, die das italienische Parteiensystem in den Jahren zwischen 1992 bis 1994 durchlaufen hat.

Kommt man mit Italienern und Italienerinnen ins Gespräch über die Politik und die Parteien ihres Landes, so könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, das Desinteresse an den dortigen Geschehnissen überwiege, diesen Aspekt möchte ich später noch genauer beleuchten. Diejenigen, die sich allerdings dafür interessieren, meinen meist, dass sich im Grunde nie etwas geändert habe und bei der Durchsicht der zahlreich vorhandenen Literatur zu diesem Thema stieß ich des öfteren auf folgenden Satz aus Tomasi di Lampedusas „ Gattopardo “ :

„Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“

Diesen Satz in Hinblick auf den Transformationsprozess, der zwischen 1992 und 1994 stattgefunden hat, im Vorhinein zu interpretieren würde für mich bedeuten, dass sich nach innen sehr viel, nach außen hingegen nur sehr wenig verändert hat, die italienische Bevölkerung sieht sich nach wie vor von jenem System umgeben, dass bereits jahrzehntelang um sie war.

Italien hat in den Jahren von 1992 bis 1994 einen gravierenden Wandel durchlaufen, und um zu versuchen herauszufinden, welcher Art dieser Wandel war, möchte ich die Kriterien von Herbert Kitschelt aus seinem Artikel „ European Party Systems: Continuity and Change “ aus dem Jahr 1996 anwenden. Dafür ist es in erster Linie nötig, die cleavages, welche die italienische Gesellschaft spalten, zu definieren. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, wurde dies allerdings darauf beschränkt, die zwei wichtigsten cleavages zwischen Katholizismus und Kommunismus sowie jenes zwischen Norden und Süden zu beschreiben. Außerdem wird die italienische Problematik des postmateriellen cleavages beleuchtet und ein Versuch unternommen, ob es neue cleavages gibt, an denen sich die italienische Gesellschaft heute spaltet.

Im ersten Kapitel meiner Arbeit werde ich den Begriff der Wettbewerbsdimensionen und der level-changes nach Herbert Kitschelts Kriterien klären. Anschließend wird der Begriff „ cleavage “ definiert und die oben bereits erwähnten cleavages genauer erläutert sowie ihre Bedeutung für das italienische Parteiensystem beleuchtet.

Im dritten Teil dieser Arbeit betrachte wird auf die wesentlichen Entwicklungen des italienischen Parteiensystems, die Zeit der „ democrazia bloccata “ – die blockierte Demokratie - eingegangen, als eine Partei von 1946 bis 1992 kontinuierlich an der Macht war, ohne das jemals ein „echter“ Machtwechsel stattfand. Dies ist nötig, um ein besseres Verständnis der großen Veränderungen, die anschließend stattfanden, zu gewährleisten. Ebendiese Veränderungen, die Transformation des Parteiensystems während der Jahre 1992 bis 1994 werden im darauf folgenden Kapitel beschrieben. Es wird versucht, die Bedeutung des Zusammenbruchs des Kommunismus, die Affäre der „ tangentopoli “ sowie die Wahlrechtsreform mit den dazugehörigen Referenden werden dahingehend analysiert, wie weit sie zum Niedergang des alten Parteiensystems beigetragen haben.

Im letzten Kapitel werden schließlich jene Parteien vorgestellt, die sich nach dem Zusammenbruch des alten Systems als neue Parteien etabliert haben. Handelt es sich wirklich um neue Parteien oder sind es nur wiedergeborene Konstruktionen mit neuen Namen, die sich nach wie vor an den alten Konfliktlinien orientieren.

Als Quellen für diese Arbeit dienten in erster Linie einzelne Artikel aus politikwissen-schaftlichen Fachzeitschriften sowie einige Fachbücher der Institutsbibliothek. Die Recherche im Internet verlief in dieser Hinsicht nicht sehr erfolgreich, allerdings ist zu diesem Thema ausreichend wissenschaftliche Fachliteratur vorhanden, so dass es keine Schwierigkeiten gab, sich der Thematik zu stellen.

2 Das Parteiensystem nach Herbert Kitschelt

Ich werde, wie bereits einleitend erwähnt, das italienische Parteiensystem nach Herbert Kitschelt untersuchen. Bei Kitschelts Analyse geht es nicht in erster Linie darum, aus welchen Gründen neue Parteien entstanden sind, sondern ob es diesen Parteien gelang, ihre Botschaft den neuen Anforderungen der Wählerschaft anzupassen. Kitschelt teilt die politischen Systeme Westeuropas in Wettbewerbsdimensionen ein, auf welche ich anschließend kurz eingehen werden. Darauffolgend werde ich die System Level ChangesLevel I, Level II und Level III change – definieren. Die Beschreibung der Wettbewerbsdimensionen und er Level-changes in diesem Kapitel wurden ausschließlich dem Text „ European Party Systems: Continuity and Change “ von Herbert Kitschelt aus dem Jahr 1996 entnommen.

2.1 Wettbewerbsdimensionen

Um ein Parteiensystem zu unterscheiden, reicht es nicht nur, die cleavages zu identifizieren, sondern man sollte feststellen, wie die bestehenden cleavages miteinander verflochten sind und sich gegenseitig überlagern. Wenn zum Beispiel zwei cleavages die selbe Gruppe gegeneinander ausspielen (religiöses Bürgertum gegen Arbeiterschaft) so spricht man von eindimensionalem Wettbewerb. Gibt es allerdings innerhalb der cleavages gespaltene Gruppen (religiöses Arbeiterschaft gegen säkulare Arbeiterschaft und religiöses Bürgertum gegen säkulares Bürgertum) so spricht man von mehrdimensionalem Wettbewerb.

Eindimensionaler Wettbewerb:

Hier reihen sich die Parteien entlang einer cleavage Linie von links nach rechts ein (meist das Klasse Cleavage). Zwar gibt es cleavages, die diese Linie überlagern, allerdings sind sie meist zu schwach, um eigene Parteien hervorzubringen.

Mehrdimensionaler Wettbewerb:

Hier wird das klassische Cleavage von einem anderen Cleavage so überlagert, dass sich auch entlang des anderen Cleavages spezifische Parteien bilden. Das einzige wirklich mehrdimensionale Parteiensystem in Europa ist laut Kitschelt das belgische, in welchen sich Parteien entlang zwei Cleavages, dem Klasse cleavage und dem linguistischen gebildet haben.

2.2 Level-Changes

Es gibt laut Kitschelt nun drei Möglichkeiten, den Wandel des Parteiensystems zu überdenken.

1. Level I – change:

Die existierenden Parteien passen sich in Erscheinungsbild und Botschaft den Präferenzen der neuen Wählerschaft an, es ist äußerst schwer für neue Parteien, sich in diesem System zu etablieren

2. Level II – change:

Alte Parteien lösen sich auf, allerdings bleiben die ideologischen Blöcke, in welchen die Parteien gegeneinander konkurrieren dabei bestehen und es werden neue Parteien in bereits bestehenden cleavages geschaffen/gegründet. Auch hier ist es für neue Parteien schwierig, sich zu etablieren.

3. Level III – change

Wenn neu auftauchende Probleme von den existierenden Parteien nicht übernommen werden können, kann dies dazu führen, dass die alten Parteien zersplittern und schließlich ganz verschwinden und neue Parteien an ihre Stelle treten. Alte cleavages verschwinden und gleichzeitig tauchen neue Parteien innerhalb der neuen cleavages auf.

Nachdem das italienische Parteiensystem in den Jahren zwischen 1992 und 1994 grundlegende Veränderungen durchlief, möchte ich nun folgende Hypothese, aufbauend auf den Level-Changes nach Kitschelt, formulieren:

Der völlige Umbruch im italienischen Parteiensystem in den Jahren 1992 bis 1994 führte zwar zu massiven Veränderungen innerhalb und unter den Parteien, dennoch blieben die alten Konfliktlinien bestehen, es kam daher zu einem Level II change.

Um meine Hypothese zu verifizieren, werde ich in den nachfolgenden Kapiteln die wichtigsten Elemente des Transformationsprozesses im italienischen Systems charakterisieren und des weiteren die neuen Parteien, die während und teilweise auch vor der Krise der Jahre 1992 bis 1994 entstanden sind, beschreiben.

3 Cleavages - Konfliktlinien

Herbert Kitschelt geht bei seiner Analyse nach dem Begriff der cleavages als eine der Hauptstützen des Parteiensystems vor. Unter dem Begriff cleavage versteht man andauernde Bruchlinien – Interessens- und Orientierungskonflikte – innerhalb der Gesellschaft, welche zu einem offenen Konflikt beitragen könnten. Dies könnten in etwa die sozioökonomische Position, die Rasse, die Religion oder auch die Sprache sein (Kitschelt 1996, 131).

Eine besondere Rolle spielen im italienischen Parteiensystem das ideologische cleavage sowie jenes zwischen dem Norden und dem Süden des Landes.

3.1 Katholizismus vs. Kommunismus

Zahlreiche ideologische Spaltungen in der Gesellschaft waren ein fruchtbarer Grund für die vielen unterschiedlichen Parteien, die sich im italienischen System entwickelt haben.

Platziert man die Parteien passend zu ihrer ideologischen Tendenz auf einer Skala von rechts nach links, so zeigt sich die Signifikanz des ideologischen Cleavages für die italienische Politik (Koff 2000, 24). Diese, bis Ende der 90er Jahre bestehende ideologische Spaltung in die „Subkulturen“ des Katholizismus und des Kommunismus, spiegelten sich in den Parteien Democrazia Cristiana (DC) sowie Partito Comunista Italiano (PCI) wieder (Schöpfer 2002, 45). Die Feindseligkeit zwischen diesen beiden Subkulturen war in Italien größer, als in irgendeiner anderen westeuropäischen Nation.

Diese Subkulturen können in Beziehung mit der geographischen Dichotomie Italiens gesetzt werden, das Land wird in sogenannte „rote“ und „weiße“ Bereiche eingeteilt, die eine starke territoriale Verankerung aufwiesen. Der „rote Gürtel“ zieht sich über Zentralitalien (v. a. Emilia-Romagna. Umbrien, Toskana) und erhielt seinen Namen, weil die marxistische Ideologie in diesen Regionen stark dominierte (ebd. 50). Die katholische Subkultur triumphierte hingegen in der „weißen“ Region, dem Nordosten des Landes (Venetien, Trentino, Lombardei, Piemont, Ligurien).

Diese subkulturelle Spaltung trug zur extremen Polarisierung des Parteiensystems bei, indem sich die DC auf der einen Seite, und die PCI auf der anderen Seite gegenüberstanden (ebd. 51). Dieser Grundkonflikt hatte im italienischen Parteiensystem bis in die 80er Jahre hinein Bestand. Gesellschaftliche Wertvorstellungen platzierten Menschen in ihre Klasse und es war nur schwer möglich, dieser zu entkommen (Koff 2000, 19).

Allerdings verloren diese Subkulturen im Laufe der Zeit an Bindungskraft. Sowohl die Industrialisierung, die ökonomische Modernisierung als auch die Erhöhung des Lebensstandards führte zu einem partiellen Wertewandel in der italienischen Gesellschaft. Der Einfluss der Kirche wurde stark zurückgedrängt, die kommunistische Weltanschauung wurde geschwächt jedoch hemmten diese beiden Subkulturen die Dynamik des politischen Systems bis in die jüngste Vergangenheit hinein (Schöpfer 2002, 51).

3.2 Norden und Süden

Die nationale Identität der ItalienerInnen ist schwach ausgeprägt, der Lokalpatriotismus bildet ein wichtiges Element. ItalienerInnen identifizieren sich historisch und ethnisch gesehen eher mit der Region in der sie leben und geboren wurde, denn mit dem italienischen Einheitsstaat (Schöpfer 2002, 47). Dieses schwach ausgeprägte Nationalbewusstsein kann auch teilweise dafür verwendet werden, den späteren Erfolg von Berlusconis Forza Italia (FI) zu erklären. Der Begriff „Forza Italia“ bedeutet soviel wie „Vorwärts Italien!“ und wurde aus dem Fußballsport übernommen. Dieser Sport ist eines der wenigen Elemente, welches einigende Wirkung auf die italienische Bevölkerung hat (vgl. Kapitel 4.3.1).

Neben diesem regionalen Sonderbewusstsein existiert in Italien ein starker Nord-Süd-Konflikt. Zwischen dem Norden und dem Süden des Landes bestehen erhebliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede (ebd.).

Im Norden herrschte das kollektive Handeln zum Wohle der Allgemeinheit vor, was zu subnationalen Konfliktlinien mit großer Bestandskraft – bis heute – führte. Zeuge davon ist der Aufstieg der verschiedenen „leghe“, als Symbole des regionalen Stolzes, die sich von der römischen Ineffizienz abwenden und mit den hohen finanziellen Unterstützungen an den Süden nicht einverstanden waren und sind (Koff 2000, 19).

Im Gegensatz dazu herrschen im Süden des Landes bis heute andere Wertvorstellungen vor. Die Familie wird hoch geschätzt, der rechtliche Status und die Sicherheit sind wichtiger als der finanzielle Profit und man glaubt im Süden daran, dass kollektives Handeln nicht zum Vorteil des Einzelnen ist. Die dortige Politik ist deshalb auch auf besondere Begünstigungen, wie zum Beispiel Hilfe bei der Beschaffung von Arbeitsstellen ausgerichtet und die bürgerliche Tradition ist schwach ausgebildet, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass sich in Italien die sogenannte Mittelklasse nur sehr schleppend entwickelte und besonders im Süden fehlte (ebd.). Das Nord/Süd cleavage hat eine lange Tradition in der italienischen Politik und wurde bis heute nicht überwunden (Pasquino 1993, 8).

Man kann zwar heute nicht mehr unbedingt von dem hochindustrialisierten Norden und dem unterentwickelten Süden sprechen, da es auch im Süden etliche Fortschritte gegeben hat, er bleibt jedoch als Konfliktlinie, vor allem in den Köpfen der italienischen Bevölkerung, weiter bestehen und die Rolle, die er spielt, sollte nicht unterschätzt werden (Schöpfer 2002, 47).

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Eine Analyse der Entwicklung und der Transformation des italienischen Parteiensystems nach Herbert Kitschelt – Level I, Level II oder Level III change?
Hochschule
Universität Salzburg  (Politikwissenschaft und Soziologie)
Veranstaltung
Einführung in die vergleichende Politik II
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
21
Katalognummer
V71482
ISBN (eBook)
9783638635455
ISBN (Buch)
9783640865130
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Entwicklung, Transformation, Herbert, Kitschelt, Einführung, Italien, Politik, tangentopoli, 1994, cleavage, Parteiensystem
Arbeit zitieren
Regina Bianchi (Autor:in), 2003, Eine Analyse der Entwicklung und der Transformation des italienischen Parteiensystems nach Herbert Kitschelt – Level I, Level II oder Level III change?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71482

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