Ethnic Revival und die Bedeutung der Religion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

20 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Ethnizität
1. Das Phänomen Ethnizität
2. Verschiedene Ansätze
3. Ethnische Gruppen
4. Zwei Konzeptionen
5. Die dritte Variante
6. Ethnizität als soziologische Kategorie

II. Ethnic Revivals
1. Das Ethnic revival in den USA
2. Ethnic american?
3. Die politische Konstruktion von Ethnizität als Folge sozialer Prozesse in den USA
4. Ethnisches Europa – Territorium, Gerechtigkeit und Integration
5. Ethnic Revivals in der Postmoderne

III. Religiöse Ethnizität
1. Heiligtum Ethnizität
2. Das auserwählte Volk
3. Die verlorene Funktion der Religion

IV. Religion und Ethnizität
1. Unterscheidungsmerkmale von Religionen
2. Sekten und grössere Religionen
3. Mischehen
4. Ethnizität als maskierte Religion?
5. Territorium, Religion und Ethnizität
6. Religiös heterogene Ethnien

V. Fazit

Literaturverzeichnis

I. ETHNIZITÄT

1. Das Phänomen Ethnizität

Das griechische Wort ethnos ist die Wurzel der verschiedenen Ausdrücke, die das Phänomen Ethnizität in verschiedenen Sprachen, in verschiedenen Kontexten eingrenzen. Im Griechi-schen als Gegensatz zu genos, das auf verwandtschaftliche Verhältnisse zielt, bezeichnet ethnos eher an kulturellen Faktoren orientiert die nicht-griechischen Staaten ausserhalb der polis. Dieser hier schon angedeutete Gegensatz von verwandtschaftlichen und kulturellen Un-terschieden wird bis heute diskutiert, wenn es darum geht, Ethnizität in verwandtschaftliche oder kulturelle Zusammenhänge zu rücken. Die ethymologischen Wurzeln können dabei viel-leicht als Inspiration, aber wohl nicht als schlagkräftiges Argument zur Bestimmung von Eth-nizität gesehen werden, denn dann müssten einige Worte nachträglich in ihrer Bedeutung kor-rigiert werden, weil ursprünglich etwas Anderes gemeint war. In den einschlägigen Kultur-kreisen, zwar nicht grob, anfangs aber doch unterschiedlich konnotiert, stilisiert sichEthnizität heute als ein Phänomen in den Wissenschaften, dass sehr weit und realtiv beliebig definiert werden kann.[1] Im Französischen eher als Bezeichnung für sogenannte primitive Kulturen ausserhalb Frankreichs im anthropologischen Sinne verwendet, entwickelte sich im anglopho-nen Raum, vor allem in den USA als Einwanderungsland, ein territorial nach innen gerichte-tes Verständnis von Ethnizität, das zuerst auf die weissen Einwanderergruppen dort verwen-det wurde. Aber spätestens mit dem sogenannten Ethnic Revival in den sechziger und siebzi-ger Jahren wurde Ethnizität ein populäres Konzept für die gesamte Gesellschaft. Ein Blick auf die Sowjetunion bringt nichts anderes zutage was nicht zu vermuten wäre, nämlich einen sehr isolierten Blick auf das Phänomen und einen Begriff etnos, der angesichts der Nationalitäten-politik in der Sowjetunion, die auch durch diesen Begriff geprägt war, als sehr willkürlich er-scheint.[2] Im deutschsprachigen Raum ist durch die spezielle Problematik der Auswirkungen des Nationalsozialismus eine sehr unstabile Semantik ethnischer Begriffe entstanden. Der an-gelsächsische Begriff hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten also durchgesetzt. Durch politi-sche Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien in den Mittelpunkt der Sozialwissenschaften ge-langt, wird inzwischen eine wissenschaftliche Dekonstruktion des vermeintlich zu populären Ethnizitätskonzeptes gefordert, was auch angesichts der verschiedenen Konzeptionen von Ethnizität unmöglich ist. Vielmehr sei es die Aufgabe der Wissenschaft Konzepte zu entwik-keln oder solche Positionen in der Theoriebildung zu beziehen, die einem Missbrauch von Ethnizität als wissenschaftlichem Konzept aufklärend gegenüberstehen.[3] Dazu ist es sinnvoll, das Phänomen nicht zu sehr einzugrenzen, sondern es in einem weiten interdisziplinären wissenschaftlichen Rahmen zu betrachten.[4]

2. Verschiedene Ansätze

Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Aspekte zum Verständnis von Ethnizität entwik-kelt, die die wissenschaftliche Diskussion um das Phänomen mehr oder weniger beeinflusst haben. So reden wir beispielsweise von symbolischer Ethnizität als amerikanischer Variante postraditionaler Individualisierung(Gans), politischer Ethnizität als strategische Mobilisie-rungsressource im innergesellschaftlichen Konkurrenzkampf „Ähnlicher um das Gleiche“ (Neckel), einer „New ethnicity“ als eine Reaktion auf den Verlust traditionaler kollektiver Identäten in modernen Gesellschaften(Glazer), oder von ethnic boundaries als Zugehörigkeit zu einer Gruppe über Selbstwahrnehmung und Zuschreibung durch andere, die sich im Pro-zesshaften sozialer Kontakte von Gruppen manifestiert (Barth).[5]

3. Ethnische Gruppen

Max Weber entwickelt einen radikalen Ansatz, indem er ethnische Gruppen als subjektiv ge-glaubte Gemeinschaften definiert.[6] Der Glaube an physische Gemeinsamkeiten, gemeinsame Traditionen, oder gemeinsame Erinnerungen an historische Ereignisse wie einmalige Migra-tionsströme sei das zentrale Element bei der Bildung ethnischer Gruppen, woraus sich eine angenommene, vermutete Identität bilde, die es erleichtert Gruppen zu bilden, die dadurch die Möglichkeiten bekommen, als Gruppe am politischen Leben aktiv teilzunehmen. Umgekehrt sei es die Politik, welche die Bildung solcher Gruppen durch ethnische Identitäten inspiriert, indem politische Teilhabe bzw. Macht in Aussicht gestellt werden. Ein einmal so entstande-nes Glaubenskonstrukt sei überlebensfähig, selbst wenn es politisch mal keine Rolle mehr spielen sollte, es sei denn, wichtige Bestandteile der gemeinsamen Identität wie die Sprache gängen verloren. Doch auch wenn eine gemeinsame Sprache, ebenso wie gemeinsame, all-tägliche, vielleicht religiöse Riten und Regeln sehr grundlegend für die Bildung einer ethni-schen Identität sein können, könnten sich Gefühle für eine gemeinsame Ethnizität auch über reine Äusserlichkeiten bilden. Dazu zählt Weber Unterschiede in der Kleidung, der Unter-bringung, in Trink- und Essgewohnheiten, der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und zwischen Sklaven und Herren. Ähnlich sieht das Cohen, der die city-men der Londoner Finanzwelt deshalb als ethnische Gruppe definiert, weil sie sich in ihren Normen, Gewohn-heiten und Umgangsformen sich derartig von der englischen Gesellschaft unterscheiden. Wenn Cohen ethnische Gruppen als Gruppe versteht, die ihre eigenen Normen hat und diese durch Symbole und Rituale ausdrückt und sich so reglementiert, stellt sich die Frage, ob jegli-che Art von Subkultur auch als ethnisch zu betrachten ist. Ein passendes Beispiel ist vielleicht die weltweite Skinheadkultur, die einem Skinhead-way of life folgt. Es ist alles vorhanden, was laut Weber und Cohen eine ethnische Gruppe ausmacht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Mitglieder der Gruppe vorwiegend Jugendliche sind, was nahelegt, dass die Identität in einem bestimmten Alter von der Mehrheit der Leute, zumindest äusserlich abge-streift wird.

Ein weiteres Merkmal ethnischer Gruppen sei weiterhin der Glaube an eine gewisse Ehre der Gruppenmitglieder, der die Gruppe vereint und abgrenzt. Der Sinn dieser ethnischen Ehre be-steht laut Weber in einer Art Massenehre, für jeden verfügbar, der ein Bedürfnis nach Ehre verspürt und zu einer jeweiligen Gruppe gehört. So sei in den USA das Ehrgefühl der armen, weissen Schichten von dem Wissen um die noch schlechtere Situation der Afroamerikaner abhängig gewesen.[7]

Besonders ethnische Identitäten, die sich an neuen, nicht ursprünglichen Orten durch Verbin-dungen zu ihren Wurzeln bilden, seien sehr ausgeprägt und absolut abhängig von diesen Ver-bindungen, die sich in verwandtschaftlichen oder andersartigen Beziehungen, geteilten politi-schen Erinnerungen, oder alten Kulten manifestieren.

In Webers Rationalisierungstheorie sind ethnische Vorstellungen als Gruppenzusammenhalt ein Zeichen für weniger Rationalität im politischen Leben wie zum Beispiel im alten Grie-chenland, wo diese noch eine grössere Rolle spielten als im alten Rom etwa, als eher religiöse Inhalte zur Unterteilung in Gruppen dienten.

4. Zwei Konzeptionen

Ethnizität wird allerdings auch als etwas Natürliches, schon immer Dagewesenes verstanden, sowohl sozialbiologisch als Merkmal von Gruppen erfolgreicher genetisch-biologischer Re-produktion ausserhalb von Zeit und Raum, als auch philosophisch-anthropologisch als für den Menschen notwendige, spezifische sozial-kulturelle Institutionen wie Sprache oder Kultur.[8] Solche strukturell angelegten, primordialistischen Konzeptionen sind sehr verdächtig, gar ge-fährlich, da sehr festgelegt und somit effektiv im Einsatz von Mobilisierung von Menschen-gruppen und unterstützen potentiell eine Propaganda von unüberwindbaren Unterschieden zwischen den Menschen.[9]

Wenn die Primordialisten sich in der Sphäre des Seins zu behaupten versuchen, verschlägt es die zweite Hauptrichtung einer Konzeptualisierung von Ethnizität in die Sphäre des Geltens, ganz in der Tradition von Max Weber. Die Konstruktivisten gehen eben nicht von einer objek-tiven Realität der Charakteristika von Ethnizität aus, sondern verstehen, wie Weber, Ethnizität als ein Konstrukt aus bestimmten Eigenschaften, an das von einer Gruppe geglaubt wird. Her-vorgehoben wird der prozesshafte bzw. situative Charakter von Ethnizität. Demnach sei Eth-nizität ein Prozess, bei dem „bewusst ethnische Merkmale wie etwa die gemeinsame Her-kunft, Abstammung, Kultur, Sprache, Tradition, Geschichte und nicht selten der gemeinsame Raum als Abgrenzungskriterien gegenüber anderen Gruppen eingesetzt werden.“[10] Es gäbe nicht das ‚Ethnos’, sondern allenfalls eine Bewegung auf ein Ethnos, auf die vorgestellte Ge-meinschaft hin.

5. Die dritte Variante

Eine dritte Variante schlägt unter anderem Heckmann vor, und zwar das genealogisch e Eth-nizitätskonzept. Dieses ergibt sich bei ihm aus der Kritik an konstruktivistischen Konzepti-onen, deren Schwachstelle die ausschliessliche Geltung ethnischer Phänomene als Glaubens-konstrukte sei. Die genealogische Position erkenne die Rolle der Imagination zwar durchaus an, verabsolutiere sie aber nicht, sondern betrachtet ethnische Phänomene auch als langlebig und zähe, die in Konfliktform auch über Generationen im kollektiven Gedächtnis bleiben. In Anlehnung an E. Francis, der seinerzeit über ethnische Gruppen als eine Variante eines Grundprinzips sozialer Organisation schrieb, seien sozial-kulturelle Wirklichkeit und Wirk-lichkeit als Konstrukt zugleich in diesen Gruppen gegeben. Aus ethnischen Charakteristika konstruierte Vorstellungen würden, einmal in die Welt gesetzt, eine relative Autonomie und Stabilität erlangen, die sich instrumenteller Manipulation zwar nicht entziehen können, aber in sich widerstandsfähig seien. Wenn ethnische Beziehungen als genealogisch, also als quasi-verwandtschaftliche Beziehungen verstanden werden, fänden, wie bei einer großen Familie, Nähe und Vertrautheit, Emotionalität, Solidarität, Opferbereitschaft, und Dauerhaftigkeit ihren Platz.[11]

[...]


[1] Vgl. Enloe, S.197

[2] Vgl. Giordano, S.58

[3] Vgl. Giordano, S.62

[4] Vgl. Fishman, S.XIIff.

[5] Vgl. Internet

[6] Vgl. Weber, S.35ff.

[7] Vgl. Weber, S.37

[8] Vgl. Heckmann, S.48

[9] Der sowjetisch-russische Begriff etnos wird so erklärt: „ETNOS – auf einem bestimmten Territorium sich historisch herausgebildete, beständige Gesamtheit von Menschen mit gemeinsamen Merkmalen, stabilen Besonderheiten der Kultur(einschliesslich der Sprache) und der psychologischen Veranlagung, im Bewusstsein ihrer Einheitlichkeit und ihrer Unterschiede zu ähnlichen Ausbildungen(...). Kennzeichen des E.: die Sprache, Volkskunst, Bräuche, Riten, Traditionen, Verhaltensnormen, Gewohnheiten, d.h. solche kulturellen Komponenten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, bilden die sogenannte ethnische Kultur.

Ethnische Besonderheiten sollten unbedingt in der praktischen Sozialarbeit beachtet werden.“ Pavlenok, D.P.: Kratki slovar po sociologii. Moskva: INFRA-M: 2001, S.250

[10] Giordano, Christian: Ethnizität: Prozesse und Diskurse im interkulturellen Vergleich. - in: Hettlage, Robert – Deger, Petra – Wagner, Susanne(Hrsg.): Kollektive Identität in Krisen. Ethnizität in Region, Nation, Europa. Opladen: Westdeutscher Verlag: 1997, S.60

[11] Vgl. Heckmann, S.52

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ethnic Revival und die Bedeutung der Religion
Hochschule
Universität Regensburg
Note
2,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V71431
ISBN (eBook)
9783638631822
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnic, Revival, Bedeutung, Religion
Arbeit zitieren
Jan Fischer (Autor:in), 2004, Ethnic Revival und die Bedeutung der Religion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71431

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