Der Raumbegriff unter wissenschaftstheoretischem Aspekt Thomas Kuhns


Seminararbeit, 2005

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aristoteles und die vorparadigmatische Zeit

3. Newton und die Entstehung eines Paradigmas

4. Normale Wissenschaft als Rätsellösen

5. Machs Kritik am absoluten Raum

6. Anomalien und Krisen

7. Einstein und die wissenschaftliche Revolution

8. Rückblick und Ausblick

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Wissenschaft ist in unserer heutigen abendländischen Gesellschaft mehr und mehr die einzig verbliebene Quelle der Wahrheit. Gott und Kirche sind seit der Aufklärung wissenschaftlich irrelevant, für den Fortschritt eher hinderlich und eventuell noch für moralische Fragen hilfreich. Metaphysik hat spätestens seit dem logischen Empirismus des Wiener Kreises ein ernsthaftes Legitimationsproblem. Selbst grundlegende Probleme der Geisteswissenschaften, die schon seit der Antike immer wieder diskutiert wurden, werden heute teilweise von neuen Wissenschaften übernommen. Die aktuelle Debatte über den menschlichen freien Willen zwischen Hirnforschern und Geisteswissenschaftlern zeigt dies sehr eindrucksvoll.

Doch wie funktioniert Wissenschaft tatsächlich? Kann und darf sie den Anspruch auf absolute Wahrheit erheben? Schafft Wissenschaft sicheres Wissen? Und wie kann man es von Nichtwissenschaften abgrenzen? Diese Fragen wurden im zwanzigsten Jahrhundert im Rahmen einer sich neu entwickelnden Wissenschaftstheorie aufgegriffen und ausführlich diskutiert.

Einer der bekanntesten und wohl auch bedeutendsten Wissenschaftstheoretiker war Thomas S. Kuhn. Sein Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ hat wesentlich zur Entwicklung einer modernen Wissenschaftstheorie beigetragen und ist heute das meist verkaufte Buch auf diesem Gebiet. Insbesondere der Begriff Paradigma

ist zu einem besonderen Schlagwort der Wissenschaftstheorie geworden. Kuhn versteht darunter „allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern“ (Kuhn, S. 10).

Wissenschaftstheoretische Betrachtungen scheinen besonders wichtig zu sein, wenn es sich nicht um spezielle Theorien handelt, sondern um ganz allgemeine und vom Naturwissenschaftler ständig intuitiv verwendete Begriffe. Diese Arbeit wird versuchen, den physikalischen Begriff des Raumes wissenschaftstheoretisch im historischen Kontext zu analysieren. Hierbei soll Kuhns Werk als Leitfaden dienen. Es wird zu klären sein, inwieweit dieser oft als selbstverständlich benutzte Begriff des Raumes tatsächlich wissenschaftlich fundiert ist. Dabei soll insbesondere auf die Integration des Raumbegriffes in Newtons Mechanik eingegangen werden. Diese wurde besonders von Ernst Mach kritisiert wurde. Ausserdem soll am Beispiel des Raumes gezeigt werden, wie eine wissenschaftliche Revolution entsteht, die von Kuhn den berühmten Begriff des Paradigmenwechsel erhalten hat. Hierbei sollen Einsteins Relativitätstheorien im Mittelpunkt stehen. Zuletzt soll ein kurzer Blick auf die Sting- und M-Theorie geworfen werden, die mit ihren verblüffenden Erkenntnissen eine völlig andere Wirklichkeit beschreiben.

Doch zunächst folgt ein Blick auf die Anfänge in der Antike, in denen es noch keine grundlegenden Forschungsleistungen gab.

2. Aristoteles und die vorparadigmatische Zeit

Wenn sich in der Wissenschaft ein neues Fachgebiet entwickelt, kann es natürlich noch nicht auf vorherige Leistungen aufbauen. Auch wenn es mitunter Methoden und Leistungen aus verwandten Disziplinen benutzt, reichen diese keinesfalls aus, um eine wissenschaftliche Basis zu bilden, die man als Paradigma bezeichnen könnte. Erst nach langwieriger, schwieriger Forschung bildet sich ein solches heraus. Hierzu muss eine außergewöhnlich erfolgreiche Leistung erbracht werden, die laut Kuhn zwei Eigenschaften hat: „Ihre Leistung war neuartig genug, um eine beständige Gruppe von Anhängern anzuziehen, die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten, und gleichzeitig war sie noch offen genug, um der neuen Gruppe von Fachleuten alle möglichen ungelösten Probleme zu stellen“ (Kuhn S. 25).

Doch wie funktioniert Wissenschaft vor der Entstehung eines Paradigmas? Repräsentativ für viele Entwürfe folgt eine kurze Betrachtung des aristotelischen Raumbegriffs.

Aristoteles benutzte zur Erklärung seines Raumbegriffes zunächst den verwandten Begriff des Ortes. Seiner Überlegung nach hat jeder materielle Körper eine Grenze. Diese Grenze ist sein Ort. Der Raum ist die Summe aller dieser Orte und beinhaltet somit alle Körper (vgl. Jammer S. 16).

Raum und Ort sind nicht aufgrund empirischer Tatsachen eingeführt worden, sondern als Definition. Es scheint keine zwingenden Gründe zu geben, Raum und Ort genau so zu definieren wie Aristoteles es tat. Im Gegenteil, er scheint diese Definitionen offenbar willkürlich gemacht zu haben. Laut Kuhn ist dies keineswegs untypisch: „Ein offenbar willkürliches Element, das sich aus zufälligen persönlichen und historischen Umständen zusammensetzt, ist immer ein formgebender Bestandteil der Überzeugungen, die von einer bestimmten Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit angenommen werden“ (Kuhn S. 19).

Mit dieser kurzen Definition und anderen Theorien von Aristoteles lassen sich jedoch weitere Eigenschaften des Raumes ableiten. So ist ein leerer Raum für ihn schlicht unmöglich, da es in einem leeren Raum keine Orte gibt, die zusammen einen Raum bilden könnten. Ausserdem ist der Raum kontinuierlich, da es in der aristotelischen Physik kein Vakuum gibt, zwischen zwei Orten kann also keine Lücke sein.

Orte haben für Aristoteles noch eine weitere Eigenschaft, die ebenfalls nur axiomatisch begründet ist. Jeder Ort hat ein Oben und ein Unten, so dass sich jeder Körper entweder nach oben oder unten bewegen kann. Somit wird eine Beziehung zwischen Raum und Bewegung geschaffen, welche allerdings stark vom damaligen Weltbild geprägt ist. Ein Oben und Unten kann es nämlich nur in Relation zu einem Bezugspunkt geben. Dieser Bezugspunkt ist die Erde, die damals im Mittelpunkt des Universums stand.

Diese Überzeugung würde heutzutage selbstverständlich kein Forscher mehr teilen. Umso wichtiger ist es, frühere wissenschaftliche Betrachtungen im historischen Kontext zu sehen. Ein Oben und Unten war zu damaliger Zeit weder unwissenschaftlich noch metaphysisch, sondern eine sinnvolle Festlegung basierend auf dem damaligen Weltbild. Andere Schulen als die von Aristoteles hatten andere Weltbilder und kamen somit auch zu ganz anderen Raumbegriffen. Man kann dennoch nicht sagen, dass eine dieser Schulen bevorzugt werden konnte. Sie waren alle wissenschaftlich, obwohl sie zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kamen.

Theorienvielfalt und Methodenvielfalt sind wichtige Merkmale der vorparadigmatischen Zeit. Im folgenden Abschnitt soll betrachtet werden, wie ein Paradigma diese Vielfalt auflöst und wissenschaftliches Arbeiten verändert.

3. Newton und die Entstehung eines Paradigmas

Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, ist der Raumbegriff lange Zeit vom jeweiligen Weltbild und der jeweiligen Metaphysik abhängig gewesen. Er war noch nicht Bestandteil eines allgemeingültigen Paradigmas und hatte damit für jede Forschungsschule andere Relevanz und andere Bedeutung. Wir wollen nun klären, wie der Raum in Newtons ‚Die mathematischen Prinzipien der Physik’ (kurz Principia) integriert wurde und damit Teil einer grundlegenden Forschungsleistung wurde, die lange Zeit zum ausschlaggebenden Paradigma der Mechanik wurde.

Newton führt den Raumbegriff gleich auf den ersten Seiten der Principia ein. Diese Einführung ist jedoch für einen Wissenschaftler etwas verwunderlich:

„Zeit, Raum, Ort und Bewegung, als allen wohlbekannt, definiere ich nicht“ (Newton S. 27).

Eine Raumtheorie wird bei Newton weder auf empirischer Basis abgeleitet noch a priori definiert. Er lässt es bei der intuitiven Vorstellung eines dreidimensionalen euklidischen Raumes, welcher schon von seinen Vorgängern geprägt wurde. Allerdings differenziert er zwischen dem absoluten Raum und relativen Räumen. Für ihn ist der absolute Raum gar nicht empirisch feststellbar:

„Der absolute Raum, seiner Natur nach ohne Beziehung zu irgend etwas Äußerem, bleibt immer gleichartig und unbeweglich“ (Newton S. 28).

Der absolute Raum existiert für Newton, ohne direkt auf die Natur einzuwirken. Er ist mit menschlichen Sinnen nicht fassbar und auch für mathematische Berechnungen unbrauchbar. Er ist somit ein rein abstraktes, metaphysisches Gebilde. Deshalb führt Newton zusätzlich den relativen Raum ein:

„Ein relativer Raum ist für diesen Raum ein Maß bzw. eine beliebige bewegliche Dimension, die von unseren Sinnen durch ihre Lage zu den Körpern bestimmt wird und von den gewöhnlichen Leuten anstelle des unbeweglichen Raumes genutzt wird“ (ebd).

Der Raum nimmt in Newtons Werk eine Sonderstellung ein. Betrachtet man das ganze Werk der Principia, so besteht kein Zweifel, dass er damit ein Paradigma erstellt hat. Jahrhunderte lang beherrschte es die wissenschaftliche Arbeit durch seine außergewöhnliche Leistung und Erklärungsmacht. Ein Paradigma schafft aber noch mehr: „Menschen, deren Forschung auf gemeinsamen Paradigmata beruhen, sind denselben Regeln und Normen für die wissenschaftliche Praxis verbunden“ (Kuhn S. 26). Ein Paradigma führt also Regeln ein, die Wissenschaft von Nichtwissenschaft unterscheidet. Diese Regeln können intuitiv verwendet werden und müssen nicht immer genau formuliert sein, bei Newton sind sie jedoch teilweise direkt in der Principia definiert. Am Anfang des dritten Buches stehen einige „Regeln zur Erforschung der Natur“. Die erste Regel scheint hierbei Newtons Raumbegriff zu widersprechen:

„Man darf nicht mehr Ursachen für die in der Natur vorkommenden Dinge zulassen, als wahr sind und zur Erklärung der Erscheinungen dieser Dinge zulassen“ (Newton S. 380).

Newton benutzt den absoluten Raum nicht nur als nützlichen mathematischen Hilfsapparat, sondern schreibt ihm unabhängige Existenz zu. Doch dies scheint seiner eigenen Regel zu widersprechen. Der absolute Raum ist beziehungslos zum Äußeren, ist also weder Ursache für etwas noch zur Erklärung von Dingen notwendig. Wieso schreibt Newton ihm dennoch Realität zu? Um dies zu klären, müssen wir zunächst die Einführung von Zeit und Ort betrachten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Raumbegriff unter wissenschaftstheoretischem Aspekt Thomas Kuhns
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Philosophie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V71348
ISBN (eBook)
9783638620512
ISBN (Buch)
9783638675154
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Raumbegriff, Aspekt, Thomas, Kuhns
Arbeit zitieren
Tobias Breidenmoser (Autor:in), 2005, Der Raumbegriff unter wissenschaftstheoretischem Aspekt Thomas Kuhns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71348

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