Utopie zwischen den Welten - Zur Einordnung der garantierten Grundsicherung in den sozialpolitischen Diskurs


Hausarbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

I. Grundkonzeptionen und Begrifflichkeiten
I. 1 Gemeinsamkeiten der Konzepte
I. 2 Niedrige Bezüge – „Bürgergeld“
I. 3 Hohe Bezüge – „Grundeinkommen“
I. 4 Bedürftigkeitsprüfung und „Garantiertes Grundeinkommen“

II. Einordnung des Grundeinkommens in die Sozialpolitik-Forschung
II. 1 Ziele von Sozialpolitik
II. 2 Die drei Wohlfahrtswelten Esping-Andersens
II. 3 Einordnung von Bürgergeld und Grundeinkommen in die Wohlfahrtswelten
II. 4 Weiterführende Überlegungen zur Einordnung des garantierten Grundeinkommens

III. Fazit

Verwendete Literatur

Einleitung

„Her mit dem schönen Leben – 1500 DM für alle!“ – FelS (Für eine linke Strömung) (Krebs/Rein 2000, 39)

„Das Bürgergeldsystem der FDP ist der Lösungsansatz für die Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich und für ein durchschaubares Sozialsystem.“ – FDP (FDP-Website)

„Wir brauchen kein Recht auf Arbeit. Wir brauchen ein Recht auf Einkommen.“ – Unternehmer Götz W. Werner (Werner 2006, 38)

„[…] mit der Arbeitsgesellschaft brechen und die Weichen für eine multiaktive Kulturgesellschaft stellen“ – Philosoph André Gorz (Gorz 2000, 110)

All diese Begeisterungsrufe aus verschiedenen politischen und intellektuellen Lagern nehmen Bezug auf die gleiche Idee: eine garantierte Grundsicherung, die z.B. als „Existenzgeld“, „Bürgergeld“, „Grundeinkommen“ seit längerer Zeit immer wieder durch wissenschaftliche Diskurse und zunehmend auch durch die Medien geistert.

Welche sozialpolitischen Zielsetzungen hat die Grundsicherung, kann ein Konzept tatsächlich so viele unterschiedliche Perspektiven vereinen?

Eine Schlüsselstellung bei der Beantwortung dieser Frage wird eine Übersicht über die Konzeptionen und die Frage einnehmen, ob man tatsächlich von dem Vorschlag einer Grundsicherung in verschiedenen Ausdifferenzierungen ausgehen kann oder ob es nicht doch konträre Konzepte mit sich überschneidenden Bezeichnungen sind. Nach dieser allgemeinen Vorstellung beschäftige ich mich zunächst mit dem Diskurs über grundlegende Zielsetzungen des Sozialstaates, der große Parallelen zu den Konflikten der eher liberal bzw. eher sozialistisch oder sozialdemokratisch ausgerichteten Grundsicherungs-Konzepte aufweisen. Anschließend möchte ich die Konzepte in die Theorie der Wohlfahrts-Regime nach Esping-Andersen einordnen, da sie eine gute theoretische Grundlage für die Analyse der realen Ausprägungen verschiedener sozialpolitischer Zielsetzungen gibt. In einer weiterführenden Einordnung komme ich dann schließlich auf eine Vereinigung von liberalen und sozialdemokratischen Argumentationsstrukturen im garantierten Grundeinkommen zu sprechen.

Aus Platzgründen beschränke ich mich hier auf die sozialpolitischen Zielsetzungen und Auswirkungen des Grundeinkommens. Die finanziellen Umsetzungsvorschläge im Einzelnen sowie deren realistische Perspektive stehen hier nicht zur Debatte, ebenso wenig der ausführliche philosophische Diskurs zur sozialen Gerechtigkeit und Reziprozität eines garantierten Grundeinkommens, der vor allen Dingen auf Philippe Van Parijs’ Aufsatz „ Why Surfers Should be Fed “ und der darauf folgenden Kritik fußt (vgl. Van Parijs 1991 und Van Parijs 2001).

Eine „Einführungslektüre in die wissenschaftliche Sozialpolitik“ (Opielka 2004, 14) möchte Michael Opielka mit „ Sozialpolitik. Grundlagen und vergleichende Perspektiven “ geben. Er führt selbst eine Variante des Grundeinkommens ein, sein Buch setzt sich deshalb ausführlich mit dem Themenkomplex des Grundeinkommens auseinander und favorisiert eindeutig die nicht-liberalen Zielsetzungen der Sozialpolitik. Eine aktuelle Einführung in das Themenfeld des Grundeinkommens und des Arbeitsbegriffs gibt Manfred Füllsack in „ Leben ohne zu arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens “, einen philosophisch-soziologischen Einstieg André Gorz mit „ Arbeit zwischen Misere und Utopie “. Einen Überblick über politisch gefärbte Beiträge zum Grundeinkommen findet man einerseits in Hans-Peter Krebs’ und Harald Reins (Hg.) „ Existenzgeld. Kontroversen und Positionen “, einer Sammlung von Beiträgen zur „Existenzgeld-Konferenz“ und aus der „Bewegung der Sozialhilfe- und Erwerbsloseninitiativen“ aus Deutschland und Europa. Andererseits in Guido Raddatz’ (Hg.) „ Bürgernah fördern und fordern. Konzepte für eine effiziente Arbeitsvermittlung und Grundsicherung. Beiträge zu einer gemeinsamen Tagung der Stiftung Marktwirtschaft und der Hessischen Landesregierung “, das sich zwar hauptsächlich auf die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe beschränkt, aber einen guten Überblick über die eher liberalen sozialpolitischen Argumentationsstrukturen bietet. Den Wandel in der Arbeitswelt stellen Claus Offe in „, Arbeitsgesellschaft’: Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven “ (von 1984, aber weitsichtig) und Ulrich Beck (Hg.) in „Die Zukunft von Arbeit und Demokratie “ dar. Gøsta Esping-Andersens Theorie der „ Three Worlds of Welfare Capitalism “ ist bis heute viel diskutierte Grundlage der Einordnung von Sozialstaaten

Veröffentlichungen in fachlichen Zeitschriften sind momentan nicht sonderlich aufschlussreich, was vor allem an den zum Großteil recht aktuellen Büchern zum Grundeinkommen liegen dürfte. Allerdings findet sich der Grundeinkommens-Diskurs zunehmend in populären Publikationen (vgl. z.B. Brand Eins 1/2006 und 2/2006), was vor allem Götz W. Werner geschuldet ist. Der Unternehmer verschafft dem Konzept Grundeinkommen seit etwa zwei Jahren erstaunliche Medienpräsenz, zusammengefasst in „ Ein Grund für die Zukunft: das Grundeinkommen. Interviews und Reaktionen “. Auch wenn er kein Wissenschaftler und sein Konzept wirtschaftlich sehr umstritten ist, ist er für diese Arbeit von Bedeutung, da er mit liberalen Argumenten ein sehr hohes Grundeinkommen befürwortet.

I. Grundkonzeptionen und Begrifflichkeiten

I. 1 Gemeinsamkeiten der Konzepte

Sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch der allgemeine Diskurs über das Grundeinkommen haben immer wieder mit den vielen unterschiedlichen Bezeichnungen und Konzepten zu kämpfen. Teilweise gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für das gleiche Konzept, öfter fingieren aber grundsätzlich unterschiedliche Konzepte unter dem gleichen Namen. Diese mangelnde Trennschärfe hängt vor allem mit den vielen sehr unkonkreten Realisierungskonzepten zum Grundeinkommen zusammen. Während die Geschichte der Idee weit zurückreicht und auch die philosophische Legitimation seit mehreren Jahrzehnten diskutiert wird, sind detaillierte Vorschläge – und mit ihnen klar umrissene Begrifflichkeiten – nach wie vor relativ selten. Gemeinsam ist allen Ideen die Ermöglichung des Existenzminimums für alle Bürger, das nicht in unterschiedliche Bereiche (wie z.B. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, Zusatzleistungen) gegliedert ist und somit meist steuerbasiert einen bestimmten Betrag garantiert (oder auch Prozentsatz, wie bei Friedmans „Negativer Einkommensteuer“). Durch Zusammenlegung verschiedener Bereiche der Sozialpolitik erhofft man sich Bürokratieabbau und damit einhergehend Einsparungen, die die Grundsicherung zumindest zum Teil finanzieren sollen. Allerdings unterscheiden sich schon die zusammenzulegenden Bereiche je nach Vorschlag.

Doch welche Konzepte einer garantierten Grundsicherung gibt es überhaupt?

Grob lassen sich die bisher entwickelten Konzepte in zwei Gruppen teilen, die sich durch die Höhe des garantierten Einkommens und ihre Zielsetzung unterscheiden. André Gorz schreibt zu diesem Thema: „Jedoch hat eine allgemeine Einkommensgarantie einen grundlegend anderen Sinn und eine grundlegend andere Funktion, je nachdem, ob dieses Einkommen a) ausreichend oder b) zu niedrig ist, um vor Not und Elend zu schützen.“ (Gorz 2000, 113) Es sei noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die einzige grundsätzliche Unterscheidung der beiden hier diskutierten Arten der Grundsicherung die Höhe der Bezüge ist, während die in Kapitel I. 4 (Bedürftigkeitsprüfung und „Garantiertes Grundeinkommen“) vorgestellte Grenzziehung eher als weiterführende Ausdifferenzierung gesehen werden muss.

I. 2 Niedrige Bezüge – „Bürgergeld“

So gibt es einerseits die auf Arbeitsanreize und Entlastung der Unternehmer durch niedrigere Lohnnebenkosten abzielenden Vorschläge. Das Niveau des Einkommens liegt hier relativ niedrig, d.h. definitiv unter dem sozio-kulturellen und sehr nah am oder unter dem physischen Existenzminimum.[1] Ein Arbeitsanreiz wäre somit schon durch das geringe Versorgungsniveau gegeben, des weiteren fordern alle Konzeptionen dieser Ausrichtung eine geringe Transferentzugsrate, so dass ein Grundeinkommen mit Zusatzverdienst in jedem Fall höher wäre als das reine Grundeinkommen. Der ökonomische Vorteil liegt in der Möglichkeit, den faktischen Mindestlohn abzuschaffen, der durch die heutige Sozialhilfe markiert wird,[2] und den Arbeitgebern eine freiere Lohnpolitik zu eröffnen. Somit erweitert sich der Niedriglohnsektor um Arbeitsplätze, die unter dem heutigen Sozialhilfe-Niveau bezahlt werden könnten. Norbert Berthold erklärte auf einer Tagung der „Stiftung Marktwirtschaft“:

„Tatsächlich steckt der Sozialstaat [hinter der Langzeitarbeitslosigkeit]. Mit der Höhe der Sozialhilfe und der Transferentzugsrate legt er faktisch einen Mindestlohn fest, der den Anspruchslohn bestimmt. Weil dieser vor allem für Geringqualifizierte oft über ihrer Produktivität liegt ist (Langzeit-)Arbeitslosigkeit vorprogrammiert.“ (Berthold 2002, 11)

Ein niedriges Bürgergeld würde nicht nur den faktischen Mindestlohn aufheben, sondern Löhne unter dem Existenzminimum praktisch subventionieren. Außerdem wäre eine internationale Stärkung des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“ die Folge, da Lohnnebenkosten wegfallen: die meisten Konzepte gehen von einer Verlagerung auf den Arbeitnehmer aus.

Die meisten dieser Konzepte bauen auf Milton Friedmans „Negativer Einkommensteuer“ auf (vgl. Friedman 1962). Hierbei wird der „Einkommen- (und Lohn)steuertarif um einen Negativbereich [erweitert], in dem nach Maßgabe des erzielten eigenen Einkommens ein Grundsicherungsbetrag von der Finanzbehörde monatlich ausbezahlt wird.“ (Mitschke 2000, 53) Wer also mehr als einen bestimmten Betrag verdient, zahlt Einkommensteuer eines bestimmten Prozentsatzes, wer darunter liegt „bekommt“ Einkommensteuer, also Transferzahlungen, eben dieses Prozentsatzes. Die Vorschläge beschränken sich meist auf die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, eventuell erweitert um soziale Zusatzleistungen wie das Kindergeld (zum Themenkomplex „Sozialhilfe und Arbeitslosengeld“ vgl. Raddatz 2002). Die Finanzierung ergibt sich also meist schon aus den gesparten Zuwendungen von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, die neuen Bezüge kommen entweder weiterhin aus einem versicherungsbasierten System oder, wie bei Friedman, aus der Einkommensteuer. Ein Vertreter der Konzeption dieser „Gruppe“ von Grundeinkommenskonzepten ist Joachim Mitschke, dessen „Bürgergeld“ alle Sozialleistungen bündeln soll (vgl. Mitschke 2000). An seinen Vorschlag knüpft auch das „Bürgergeld“-Konzept der FDP an:

„Ein reformiertes System von Einkommensbesteuerung und steuerfinanzierten Sozialleistungen führt durch größere Transparenz und Chancen für eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu mehr sozialer Gerechtigkeit, sichert die menschenwürdige Existenz finanziell, schafft Anreize für Erwerbsarbeit, baut Bürokratie ab und sorgt für Effizienz beim Sozialtransfer. Das Bürgergeld ist Kernstück des liberalen Sozialstaats.“ (vgl. FDP-Website)

Auch wenn andere Konzeptionen in diese Richtung je nach Ausgestaltung andere Namen tragen, soll in der vorliegenden Arbeit der Begriff des „Bürgergeldes“ für diese Art der Grundeinsicherung zugrunde gelegt werden.

[...]


[1] Während das „physische Existenzminimum“ den zum reinen Überleben nötigen Betrag bezeichnet, soll das „sozio-kulturelle Existenzminimum“ auch die Möglichkeit der Teilhabe an der Gesellschaft eröffnen (vgl. Hauser 1996, 24f.).

[2] Ich benutze hier wie die zugrunde liegende Literatur die Ausdrücke „Sozialhilfe“ und „Arbeitslosenhilfe“, ohne Berücksichtigung der Aufteilung in „Arbeitslosengeld“ und „Arbeitslosengeld II“ durch die Hartz-IV-Reformen.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Utopie zwischen den Welten - Zur Einordnung der garantierten Grundsicherung in den sozialpolitischen Diskurs
Hochschule
Universität Regensburg  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in den Vergleich westlicher Regierungssysteme
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V71235
ISBN (eBook)
9783638631327
ISBN (Buch)
9783638827058
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Grundlagen zur Idee des garantierten Grundeinkommens
Schlagworte
Utopie, Welten, Einordnung, Grundsicherung, Diskurs, Einführung, Vergleich, Regierungssysteme
Arbeit zitieren
Sophie Achinger (Autor:in), 2006, Utopie zwischen den Welten - Zur Einordnung der garantierten Grundsicherung in den sozialpolitischen Diskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71235

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