Antipädagogik. Positionen und Kritik


Vordiplomarbeit, 1999

36 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Erziehung – Was heißt das?

2. Antipädagogik – Ursprung und Verlauf
2.1. Definition des Begriffes Antipädagogik
2.2. Geschichte der Antipädagogik
2.3. Ursprung der Antipädagogik: ROUSSEAU

3. Positionen zur Erziehung
3.1. Die antipädagogische Grundposition
3.2. Die pädagogische Einstellung

4. Unterschiede in der Menschenbildauffassung
4.1. Das Menschenbild der Pädagogik
4.2. Das Menschenbild der Antipädagogik
4.3. Kritik am antipädagogischen Menschenbild

5. Die antipädagogische Einstellung
5.1. Position von EKKEHARD v. BRAUNMÜHL
5.2. Position von ALICE MILLER
5.3. Position von HUBERTUS v. SCHOENEBECK

6. Kritik der Pädagogen
6.1. ANDREAS FLITNER: Mut zur Erziehung
6.2. OELKERS/ LEHMANN: Müssen wir erziehen?

7. Das Pädagogische an der Antipädagogik

8. Lohnt sich die Auseinandersetzung mit der Antipädagogik?

9. Abschließende Bemerkungen

10. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

„Der Mensch kann nur zum Menschen werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht“ (KANT 1803, zit. n: WEISCHEDEL 1964, S. 699).

„Es ist sehr seltsam, daß man, seit man sich mit der Erziehung der Kinder beschäftigt hat, auf keine anderen Mittel, sie zu leiten, verfallen ist als auf Wetteifer, Eifersucht, Neid, Eitelkeit, Habgier, Feigheit, also gerade die gefährlichsten Leidenschaften, die am schnellsten emporschießen und am geeignetsten sind, die Seele zu verderben“ (ROUSSEAU 1963, zit. n.: FLITNER 1985, S.47).

„Erziehung aller Art ist nichts als Verkrüppelung und Mißhandlung, Ausagieren narzißtischer Machtgelüste, Prostitution, Betrug und so fort. Erziehung verformt und verzerrt die Kindes- und Menschennatur“ (FLITNER 1985, S.48).

Diese drei Zitate zeigen, wie verschieden die Auffassung von Erziehung sein kann. Auffällig ist dabei, wie sehr sich die Auffassungen im Laufe der Jahre gewandelt haben. Während der Erziehung im ersten Zitat eine ausschließlich positive Bedeutung und eine gewisse Allmacht zugeschrieben wird, wird sie im letzten Zitat völlig negativ bewertet.

Kritische Meinungen über Erziehungstheorien und Erziehungspraktiken gab es schon immer. Es wird sie auch immer geben und das ist auch gut so. Durch die Kritik wird Erziehung immer wieder neu betrachtet und gewertet und ist somit gezwungen sich umzugestalten.

Pädagogen streiten sich seit der Begründung der Pädagogik als Wissenschaft um Zielsetzung, Methoden und Formen/Stile von Erziehung. Die Unstimmigkeiten beziehen sich dabei sowohl auf Theorien, als auch auf die Erziehungspraxis. Ziel der Bemühungen war es, eine ständige Verbesserung der Erziehung zu erreichen. Trotz der Streitigkeiten stand jedoch fest, daß Kinder und Jugendliche erzogen werden müssen (vgl. OELKERS/ LEHMANN 1990, S.18).

In den 70er Jahren entstand jedoch die Antipädagogik, eine Bewegung, die sich nicht mehr für eine Veränderung der Erziehung einsetzte, sondern die totale Aufhebung und Abschaffung von Erziehung forderte.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Strömung „Antipädagogik“. Sie geht auf verschiedene Positionen ein, befaßt sich aber auch mit der Kritik an diesen.

Zu Beginn meiner Ausführungen werde ich kurz auf den Erziehungsbegriff und auf verschiedene Erziehungsstile eingehen. Dies soll die Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Antipädagogik sein.

Im nächsten Punkt werde ich eine Definition von Antipädagogik geben und auf Geschichte und Ursprung eingehen. Ich möchte dann kurz die antipädagogische und die pädagogische Grundposition zur Erziehung nennen. Danach werde ich das pädagogische, sowie das antipädagogische Menschenbild erläutern. Im nächsten Abschnitt sollen die Positionen einflußreicher Vertreter der Antipädagogik etwas ausführlicher herausgearbeitet werden. Zu diesen Überzeugungen werden dann die Pädagogen ihre Meinung darlegen. Anschließend wird das Pädagogische an der Antipädagogik erörtert und es stellt sich die Frage, ob es lohnenswert ist, sich mit der Antipädagogik auseinanderzusetzen. Im letzten Teil möchte ich meine persönliche Meinung zu dem Thema äußern.

Die antipädagogische Seite wird von EKKEHARD VON BRAUNMÜHL, ALICE MILLER und HUBERTUS VON SCHOENEBECK vertreten. Vertreter der Pädagogen sind ANDREAS FLITNER, JÜRGEN OELKERS und THOMAS LEHMANN.

1. Erziehung – Was heißt das?

Erziehung ist ein Alltagsbegriff, der so einer Vielzahl von Auslegungen unterliegt. In der Erziehungswissenschaft gibt es daher keine einheitliche Definition von Erziehung. Will man also Erziehung erklären, gibt man bestimmte Auffassungen wieder, die auf bestimmte Theorien und Modelle zurückgehen (vgl. KRON 1991, S.54 f.).

KRON gibt in seinem Grundlagenbuch eine Auffassung von Erziehung an, die im Zusammenhang mit dem Begriff Sozialisation zu sehen ist. Seine Definition lautet daher: „Als Erziehung werden absichtliche und planvolle Maßnahmen zielgerichteter Handlungen bezeichnet, durch die Erwachsene in den Prozeß des kindlichen Werdens einzugreifen versuchen, um Lernvorgänge zu unterstützen oder in Gang zu bringen, die im Kind zu Dispositionen und Verhaltensweisen führen, welche von den Erwachsenen als wünschenswert angesehen werden“ (FEND 1971, S.49 f., zit. n.: KRON 1991, S.55).

BREZINKA verstärkt dies und sagt: „Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern“ (BREZINKA 1974, S.95, zit. n.: KRON 1991, S.55).

KRON führt nun in seinem Buch sechs gängige „Bilder“ von Erziehung an:

„ 1. Erziehung als Ziehen
2. Erziehung als Führung
3. Erziehung als Regierung und Zucht
4. Erziehung als Wachsenlassen
5. Erziehung als Anpassen
6. Erziehung als Lebenhelfen“ (KRON 1991, S.195)

Diese sollen nun etwas näher erläutert werden.

Zu 1: Dieses Bild der Erziehung als Ziehen ruft zwei Assoziationen hervor. In der ersten wird das Kind mit einer Pflanze verglichen. Der Erzieher ist der Gärtner, der die Pflanze umsorgen, pflegen, stützen und beschneiden muß, damit sie gedeihen kann.

In der zweiten Assoziation wird das Ziehen als ein „An-die-Hand-nehmen“ verstanden, den Menschen auf den Weg der Erkenntnis bringen. Sinn der Erziehung ist es, die Menschen von ihren „Zwängen“ und von ihrer „Unwissenheit“ zu befreien. Das Ziel liegt hier darin die Menschen zur „Erkenntnis und Wahrheit, zum Gebrauch der eigenen Vernunft“ zu führen (vgl. ebd., S.195 f.).

Zu 2: Dieses Bild geht davon aus, daß es in einer Gesellschaft immer erfahrene (meist ältere) und unerfahrene (meist jüngere) Menschen gibt. Diese stehen in einer gewissen sozialen Beziehung zueinander, nämlich in einer Führer- Nachfolger- Beziehung. Der Führer (der Erzieher) kennt die Erziehungsziele und Mittel und führt den Unerfahrenen zu diesen Zielen hin. Der Führer handelt dabei nach einem Auftrag, der durch bestimmte Gesetze, Verordnungen, Absprachen festgelegt ist. Dieses Bild erscheint schnell einleuchtend, da es im Alltag oft anzutreffen ist (z.B. in der Tierwelt)

(vgl. ebd., S.197 f.).

Zu 3: Diese Vorstellung von Erziehen als Regieren hat ihre Wurzeln im 17./18. Jahrhundert. J. F. HERBART (1776-1841), ein bedeutender Pädagoge dieser Zeit, sieht das Regieren als Vorstufe zur Zucht. Beide Formen dienen als Grundlage für Unterricht. Kinder sollen zunächst durch strenge Kontrolle an Ordnung und Disziplin gewöhnt werden (regieren), um so aufmerksam, ordentlich und vor allem angeregt dem Unterricht zu folgen. Es soll ein Interesse am Unterricht entstehen, das Kind soll aus eigenem Antrieb lernen. Die Zucht soll hier letztlich nicht auf die äußeren Handlungen des Kindes wirken, sondern soll die innere Einstellung, die Motivation und den Willen beeinflussen.

Die gewaltsamen Mittel zur Erreichung dieser Ordnung kann man auch in der heutigen Zeit noch finden. Diese sind z.B. der Rohrstock oder allgemein die Prügelstrafe, Liebesentzug, Ausgrenzen aus bestimmten Situationen, Demütigung des Kindes, u.a. Die Praktiken dieser Vorstellung reichen also noch bis in die Gegenwart (vgl. ebd., S.200 f.).

Zu 4: Dieses Bild der Erziehung, auch „negative Erziehung“ genannt, ist ein Kind der Aufklärung. ROUSSEAU hat die Gedanken der „negative Erziehung“ am deutlichsten geäußert und in seinem Buch „Emile“ zum Ausdruck gebracht. (nähere Ausführungen in 2.3) Seine Ansprüche an den Erzieher unterscheiden sich grundlegend von den vorangegangenen. Der Erzieher soll nicht länger „Führer, Ziehender und Regierender“ sein, er soll die „Kräfte und Motive sowie den Willen in den Kindern wecken“ (ebd., S.202). Er soll beraten helfen und unterstützen. Kinder werden als autonome Wesen angesehen, die ein Mitspracherecht in der Gestaltung ihres Lebens haben. Dieses Bild wurde in der Erziehungspraxis immer wieder aufgegriffen, z.B. durch die Reformpädagogen, von der „Antiautoritären Erziehungsbewegung“, aber auch von der Antipädagogik (vgl. ebd., S.202 f.).

Zu 5: Das Bild von Erziehung als Anpassen gründet sich auf verschiedene psychologische und soziologische Theorien, wie z. B. psychologische Lerntheorien und soziologische Rollentheorien. Erziehung dient hier der Anpassung des einzelnen Menschen an die bestehenden Wertvorstellungen, Normen, Einstellungen und sozialen Rollen. Diese Normen werden jedoch kaum kritisch hinterfragt. Als Erziehungsmittel dienen positive und negative Sanktionen (vgl. ebd., S.203 f.).

Zu 6: Diese Bild geht von einer Hilflosigkeit der Menschen aus und wird als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden. Der Erzieher stellt sich nicht „über die Kinder, sondern neben sie und in ihre Probleme hinein“ (ebd., S.206). Er will mit den Kindern und nicht für die Kinder Lösungen finden. Dies erfordert das genaue Hinhören auf die Probleme der Kinder, das Erkennen und Verstehen der Problemlage. „Hinter diesem Bild verbirgt sich die Grundidee der Humanität“ (ebd., S.205).

Ausgehend von dieser Bestimmung von Erziehung soll nun die Antipädagogik und ihre Kritik an der Erziehung erläutert werden.

2. Antipädagogik – Ursprung und Verlauf

2.1. Definition des Begriffes Antipädagogik

Unter dem Begriff „Antipädagogik“ versteht man eine „in den letzten Jahren aufgekommene Protestströmung in der Pädagogik, welche die gegenwärtige Gesellschaft als ‚Erziehungsgesellschaft‘ abqualifiziert und ihr pädagogischen Totalitarismus vorwirft. Dieser werde von den Erwachsenen veranstaltet, weil sie die Kinder lediglich beherrschen wollen. Erziehung sei dabei bloße Manipulation. Sie entfremde die ihr unterworfenen Kinder von sich selbst und gerate nicht selten zu einem bloßen Behandlungsterror. Demgegenüber tritt die Antipädagogik für die spontane Selbstbestimmung der Kinder ein. Erziehung wird als freiheitlicher Umgang zwischen Subjekten begriffen, wobei auf ein technologisches Machenwollen verzichtet wird“ (Meyers Kl. Lexikon 1988, S.44).

2.2. Geschichte der Antipädagogik

Vorläufer dieser Erziehungskritik findet man bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA. Dies war eine Zeit, die für Proteste und Forderungen nach Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit in der Gesellschaft stand.

ILLICH eröffnete zu dieser Zeit die Debatte über das „institutionalisierte Schulwesen“ (LENZEN 1989, S.89). Es kam zu einer Forderung nach einer „Entschulung der Gesellschaft“ (ebd.). Diese Forderung richtete sich nicht gegen das Lernen, sondern gegen die Lehrinstitution Schule. Das Lernen selbst sollte gefördert werden. Die Verantwortung dafür sollte der Lernende und nicht die eigens eingerichteten Institutionen tragen.

Seit der Zeit ist das Thema des institutionellen Rahmens in vielen Beiträgen der Antipsychiatrie zu finden. MANNONI und KUPFFER untersuchten daraufhin die Abläufe in pädagogischen Einrichtungen und leiteten „von der Antipsychiatrie zur Antipädagogik“ (ebd.) weiter (vgl. ebd., S.89).

Auch die Kinderrechtsbewegung (Children`s Rights Movement) der 70er Jahre ist eine wichtige Basis der Antipädagogik. Sie entstand in Anlehnung an die Bürgerrechtsbewegung. Ihre Vertreter (z.B. HOLT) waren der Meinung, daß Kinder unterdrückt werden, da sie (wie auch andere Bevölkerungsgruppen- Frauen, Schwarze) in ihren Grundrechten beschnitten werden.

Die deutsche Antipädagogik kritisierte nicht mehr einzelne Punkte der Erziehung. Sie unterzog die gesamte Erziehung einer grundlegenden Kritik und forderte deren Abschaffung. Bedeutende Vertreter sind v. BRAUNMÜHL, MILLER, RUTSCHKY und v. SCHOENEBECK.

Pädagogen fühlten sich durch diese Meinungen herausgefordert und begannen sich in den 80er Jahren mit der Antipädagogik auseinanderzusetzen (vgl. ebd., S.89 f.).

Da sich die Antipädagogik nicht durchsetzen konnte, ist es in den vergangenen Jahren verhältnismäßig ruhig um sie geworden. Heute macht sie kaum noch von sich reden.

2.3. Ursprung der Antipädagogik: ROUSSEAU

Der Ursprung der Antipädagogik geht zurück bis auf ROUSSEAUS Idee der Erziehung als Wachsenlassen. Diese „negative Erziehung“ hat er in seinem Roman „Emile“ auf den Punkt gebracht.

ROUSSEAU geht von der Grundannahme aus, daß der Mensch von Natur aus gut ist, jedoch durch bestimmte gesellschaftliche Einflüsse zum Bösen erzogen werde. Sein Erziehungsziel lautet daher, Kinder nicht auf gesellschaftliche Positionen und Rollen hin zu erziehen, sondern sie zuerst „zu Menschen ‚zu machen‘“ (KRON 1991, S.202). Es ist deutlich ein Zusammenhang zwischen Erziehung und Gesellschaft zu erkennen. „Wenn aber erkannt wird, daß die gesellschaftlich markierten Ziele der Erziehung an dem Wesen des Menschen, nämlich seiner Natürlichkeit und dem Drang, das Gute zu tun, vorbeigehen, dann muß sich Erziehung in die Reservation begeben, es sei denn die Gesellschaft verändert sich im Sinne der neuen Ethik der Natur“ (ebd., S.202). Da ROUSSEAU aber selbst nicht an eine Veränderung der Gesellschaft glaubte, ließ er seinen Emile abgeschieden von der damaligen Gesellschaft aufwachsen.

Er fordert, daß die innere Entwicklung des Kindes im Mittelpunkt der Erziehung steht, und daß der Erzieher daher von Anfang an auf die Bedürfnisse und Äußerungen des Kindes zu schauen habe. Der Erzieher soll seine Erziehung an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten.

3. Positionen zur Erziehung

Im Folgenden sollen nun kurz die Positionen von drei Vertretern der Antipädagogik zum Thema Erziehung dargestellt werden. Anschließend werden sich die Pädagogen dazu äußern. Dies soll einen ersten Einblick in die Thematik der Arbeit geben. In Punkt fünf und sechs werden die Ansichten dann noch einmal ausführlich und differenzierter beschrieben.

3.1. Die antipädagogische Grundposition

BRAUNMÜHL sieht die Erziehung als ein Machtausüben der Erzieher über die Kinder. Der Erzieher zwingt dem Kind seinen Willen auf. Er unterstellt dem Kind eine „Erziehungsbedürftigkeit“ (LENZEN 1989, S.90). BRAUNMÜHL ist der Meinung, daß beim Kind keine Erziehungsbedürftigkeit, sondern eine Lernbedürftigkeit vorliegt. Lernen sei jedoch ein vom Kind selbstgesteuerter Prozeß. Im Gegensatz dazu wird Erziehung vom Erwachsenen bestimmt. Hier liegt die Macht des Erziehers über das Kind (vgl. ebd., S.90).

MILLER bezeichnet Erziehung als Manipulation. Sie geht von der Bedürfnisstruktur des Kleinkindes aus und meint, daß das Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung darauf angewiesen ist, daß es in seinem gesamten Verhalten von seiner direkten Umgebung akzeptiert wird. Dies wird aber durch Erziehung unmöglich. Das Kind lernt frühzeitig, daß es nicht so sein darf, wie es will. Es lernt, daß es nur Wünsche und Meinungen äußern darf, die das Erziehungskonzept vorsieht. Die anderen werden verdrängt und führen später dazu, daß sie als Erwachsene ihre Kinder genauso behandeln werden (vgl. ebd., S.91).

SCHOENEBECK sieht jenseits von Erziehung eine Freundschaft mit Kindern. Er lehnt es ab, für die Entwicklung und für das Wohlergehen der Kinder die Verantwortung zu übernehmen. Das Kind wisse schon selbst, was gut für es ist und es ist in der Lage, darüber Auskunft zu geben. Wenn es will, kann es den Erwachsenen anregen ihm zu helfen. Auf dieser Grundlage ist für SCHOENEBECK keine Erziehung nötig, sondern eine Freundschaft mit Kindern möglich (vgl. ebd., S.91 f.).

3.2. Die pädagogische Einstellung

OELKERS/ LEHMANN sind der Meinung, daß wir erziehen müssen. Wir können nicht einfach nur mit Kindern leben. Man muß den Umgang mit ihnen gestalten. Die Frage, wie dieser Umgang mit Kindern aussehen soll, wird sehr schön von ANDREAS FLITNER dargestellt. Er sieht das Kind in seinem Verständnis von Erziehung nicht als Produkt oder Ergebnis der Erziehung. Er bezieht sich dabei auf die Idee des Pädagogen FRIEDRICH SCHLEIERMACHER (Vorlesungen 1826). Dieser sieht Erziehung als „behutsames Begleiten und denkendes Mitwirken“ (FLITNER 1992, S.81) an. Der Erzieher soll am Leben des Kindes teilhaben. FLITNER wandelt die Begrifflichkeit SCHLEIERMACHERS und versteht Erziehung als „behüten, gegenwirken und unterstützen“ (ebd., S.82). Behüten heißt, die Lebenswelt der Kinder auszuwählen. „Im praktischen Umgang mit Kindern erfahren, verstehen, fühlen, wie Kinder die Welt verarbeiten können, die wir Ihnen anbieten oder in die wir sie mit hereinnehmen. Und weiter: darauf Rücksicht nehmen, wie die Kinder sie verarbeiten; Erlebnisse und Eindrücke ihnen nach Möglichkeit ersparen, mit denen sie nicht fertig werden können – vor allem solche, die sie bedrohen, die ihnen Angst machen, die sie erschrecken oder auf andere Weise überfordern“ (ebd., S.84). Gegenwirken meint den „Widerstand der Erzieher gegen Einflüsse, die sie für schlecht und schädlich halten; und ihr Widerstand gegen Neigungen des Kindes, sich solchen Einflüssen zu überlassen oder sich den nötigen Anforderungen zu entziehen“ (ebd., S.98). Und unter Unterstützen versteht er letztlich: „etwas fördern, was ohnehin geschieht“ (ebd., S.116). Das Wachsen und Reifen der Kinder geschieht sowieso. Der Erzieher soll dem Kind bei dieser Entwicklung lediglich helfen.

4. Unterschiede in der Menschenbildauffassung

Der Grund für diese gegensätzlichen Meinungen über die Erziehung oder Nicht- Erziehung von Kindern, liegt in der Auffassung von grundsätzlich verschiedenen Menschenbildern. HUBERTUS v. SCHOENEBECK hat in seinem Buch: „Antipädagogik im Dialog“ das pädagogische sowie das antipädagogische Menschenbild dargestellt.

4.1. Das Menschenbild der Pädagogik

Die Grundannahme des pädagogischen Menschenbildes lautet: „Das Kind ist nicht fähig, von Geburt an das eigene Beste selbst zu spüren“ (SCHOENEBECK 1992, S.19). Aus diesem Grund trägt der Erzieher die volle Verantwortung für das Kind. Er besitzt die „Für-dich-Verantwortung“ (ebd.), da er der Meinung ist, das Kind könne noch keine Selbstverantwortung tragen. Somit entsteht für ihn die Verpflichtung, für das Kind zu entscheiden, was das Beste für es ist. So lautet der erzieherische Anspruch: „Ich weiß besser als du, was gut für dich ist“ (ebd.). Darüber hinaus treten Erzieher dem Kind mit dem Verbindlichkeitsanspruch entgegen: „Sieh ein, daß das, was ich als dein Bestes festsetze, wirklich gut für dich ist“ (ebd.). Der Erwachsene entscheidet also, was das Beste für das Kind ist und er will ihm dies auch psychisch verbindlich machen. Im Laufe der Entwicklung des Kindes wird ihm dann immer mehr Selbstverantwortung zugestanden. Dies geschieht, wenn der Erzieher es für richtig hält (vgl. ebd., S.19).

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Antipädagogik. Positionen und Kritik
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Fachbereich Erziehungswissenschaften)
Note
2,00
Autor
Jahr
1999
Seiten
36
Katalognummer
V71153
ISBN (eBook)
9783638624466
ISBN (Buch)
9783638674997
Dateigröße
698 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antipädagogik, Positionen, Kritik, Erziehung, antiautoritär
Arbeit zitieren
Magdalena Wendt (Autor:in), 1999, Antipädagogik. Positionen und Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71153

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