Rezeption eines Gedenkjahres - Wie kritisch wurde die Judenpolitik Karls IV. beleuchtet?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Juden im Spätmittelalter
2.1 Die Lage der Juden im Reich vor 1348
2.1.1 Rechtliche Lage
2.1.2 Wirtschaftliche Lage
2.1.3 Gesellschaftlicher Rang
2.2 Die Judenpogrome 1349/50
2.2.1 Abfolge der Verfolgungen 1348 bis 1350
2.2.2 Erklärungsansätze für den Judenhass im Mittelalter

3. Die „Judenpolitik“ Karls IV
3.1. Politische Rahmenbedingungen und Motive
3.2. Karls Rolle in der „Judenfrage“

4. Besprechung und Kritik der zum Thema erschienenen Publikationen um das Jubiläumsjahr 1978

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

„Der rein äußerliche Anlaß, ein auftauchendes Kalenderdatum, dient dazu, ein ‚Jubiläum’ zu feiern, wobei sich zunehmend die Gefahr steigert, dass diese Feiern mit ihren Festpublikationen und groß angelegten Ausstellungen zu den Surrogaten des Geschichtsbewußseins werden.“[1] Mit diesen Worten beginnt Frantisek Graus seine Besprechung der gesamten erschienenen Literatur anlässlich des Karls-Jubiläums 1978. Schon diese ersten Zeilen lassen erahnen, dass der „Meister der sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Analyse“[2] mit dem Ertrag des Gedenkjahres anlässlich der 600. Todestages Karls IV. wohl nicht zufrieden war. Die Weiterführung der Krisen-Diskussion[3] betrachtet er als „wenig ergiebig“.[4] Am Ende seines Artikels wird Graus deutlicher: „(..) Völlig im Dunkeln tappen wir zunächst bei einigen grundlegenden Fragen der Wirtschaftsgeschichte (..). Wohl noch schlechter ist es um die Sozialgeschichte dieser Zeit bestellt.“ In den Anmerkungen moniert Graus, dass beispielsweise jedwede Stellungnahme zu den Fragekomplexen der historischen Demographie und des Schwarzen Todes fehlt.[5] Dabei ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Herrscherpersönlichkeit unbedingt von Nöten, um die Leistungen Karls umfassend einschätzen zu können. Nur wenige Historiker haben sich mit der Rolle Karls im Zusammenhang mit den Pestkatastrophen des 14. Jahrhunderts und der Dämonisierung der Juden befasst. Wolfgang von Stromer, Alfred Haverkamp oder Ruth Bork haben sich mit dem Thema Judenverfolgung beschäftigt und damit der Jubiläumsliteratur eine unverzichtbare Facette hinzugefügt. Ähnlich wie im Seminar, zu dem diese Arbeit entstanden ist, will ich versuchen, dem Thema in einem Mix aus Ereignisgeschichte und Historiographie näher zu kommen.

Nachdem im folgenden Abschnitt zunächst kurz die Situation der Juden im Reich vor den Verfolgungen von 1348 bis 1350 thematisiert wird, soll beschrieben und erklärt werden, wie und warum sich die Pogrome in den Städten im Einzelnen zugetragen haben. Im dritten Kapitel folgt eine Bewertung, ob und gegebenenfalls wie Karl IV. sich in der Frage der Judenverfolgungen und –vertreibungen schuldig gemacht hat. Hatte Karl IV. überhaupt eine Möglichkeit auf die Judenverfolgungen zu reagieren oder war es dem König unmöglich, die Juden als „landesherrliche Fremdkörper inmitten der Stadt“[6] vor der aufgebrachten Bevölkerung zu schützen beziehungsweise war es vom damaligen Standpunkt aus gesehen überhaupt seine Pflicht? Das vierte Kapitel bietet einen kritischen Überblick über die im Dunstkreis des Karls-Jubiläums erschienene Literatur zum Thema dieser Arbeit. Das Schlusskapitel stellt die Rolle Karls bei den Judenverfolgungen im Reich Mitte des 14. Jahrhunderts neben die historiographischen Bearbeitung und Bewertung im Gesamtkontext des Jubiläumsjahres von 1978. Es soll geklärt werden, ob der Mentalitätsgeschichtler Graus berechtigterweise das Fehlen der oben genannten Themenkomplexe im allgemeinen und des speziellen Themas dieser Hausarbeit anprangert oder ob es legitim war, die angesprochenen sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Themen, hier am Beispiel der Judenverfolgungen, auszuklammern oder eingeschränkter zu betrachten.

2. Die Juden im Spätmittelalter

Über die genauen Anfänge jüdischer Siedlungen im entstehenden Heiligen Römischen Reich lässt sich nichts Genaues sagen. Durch die Entwicklung einer starken Königsmacht war auch die Grundlage gegeben, Minderheiten im Innern des Reiches Schutz zu gewähren. Der Sage nach habe 982 ein Angehöriger der jüdischen Familie Kalonymos dem Kaiser Otto II. in einer Schlacht das Leben gerettet, was die enge Verbindung des Judentums zum ottonischen Kaisertum zeigt. Die Juden, die als Fernhändler in das Reichsgebiet kamen, siedelten sich entlang der großen Handelswege an und etablierten so gegen Ende des 10. Jahrhunderts die ersten Gemeinden.[7] Die älteste und wichtigste dieser Kaufmannskolonien ist die 917 gegründete Mainzer Judengemeinde.[8]

2.1 Die Lage der Juden im Reich vor 1348

Nachdem die jüdischen Gemeinden durch die Judenverfolgungen und Massaker im Vorfeld des Ersten Kreuzzuges im Jahr 1096[9] stark reduziert wurden, wuchs die Zahl der Juden im deutschen Reichsgebiet im 12. und 13. Jahrhundert stetig an. Während es im 11. Jahrhundert nur 13 jüdische Gemeinden gegeben hatte, stieg die Zahl im 13. Jahrhundert beträchtlich. Noch 1238 sind nur etwa 90 Siedlungsorte von Juden belegt, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kamen fast 1000 neue hinzu.[10] Besonders im Rheinland, Mitteldeutschland sowie Franken und Schwaben ist eine räumliche Konzentration festzustellen. Eckert führt drei Gründe für das Anwachsen der Judengemeinden an: Den Zuzug vieler französischer Juden nach Westdeutschland, die natürliche Vermehrung[11] und den Anstieg der Geldwirtschaft und den damit einhergehenden Bedarf nach jüdischen Kreditgebern. Gegen Ende des 13. und vor allem im 14. Jahrhundert verschlechterte sich die Lage der Juden wieder. In der Bevölkerung kamen Beschuldigungen auf, die als Legitimation für die Pogrome dienen sollten. Dabei handelte es sich vor allem um den Vorwurf der Hostienschändung und der Anschuldigung, dass Juden Ritualmorde an christlichen Kindern verübten.[12] Der sogenannten Rindfleischaufstand von 1298, benannt nach einem, den Aufstand anführenden Bürger der Stadt Röttingen an der Tauber namens Rintfleisch, bildete die erste dieser mehrmonatigen Judenhatzen im Reichsgebiet, bei der vor allem in Bayern und Franken insgesamt über 5.000 Juden ermordet wurden. Neuartig war, dass die den Röttinger Juden angelasteten Verbrechen auf alle Juden des Landes übertragen wurden. Beim sogenannten Armleder-Pogrom von 1336 bis 1338 wiederholte sich das in ähnlicher Art und Weise wiederum in Franken, Schwaben, Österreich und im Elsaß. Doch wie unten geschildert wird, bildeten diese Aufstände nur den Nährboden für die weitaus umfangreicheren und grausameren Pogrome wenige Jahre später.[13]

2.1.1 Rechtliche Lage

Im Reich des 14. Jahrhunderts gab es grundlegend verschiedene Rechtssysteme: Das erneuerte römische Recht, das kanonische Recht, später das Stadtrecht und das Feudal- oder Territorialrecht.[14] Durch die Bulle sicut judeis, die Papst Calixt II. 1120 formuliert hatte und die durch zahlreiche Päpste erneuert wurde, wurde der Schutz der Juden im autoritativen, kanonischen Recht verankert und zumindest formell von der Kirche gewährleistet. Auch weil sich diese, schon durch Papst Gregor den Großen (590 bis 609) begründete Grundeinstellung der Päpste, die die Juden als eine „mindere, aber erhaltenswerte“[15] Religionsgruppe bezeichneten, im 13. Jahrhundert unter Innozenz III., Gregor IX. und Innozenz IV. wandelte, beanspruchte Kaiser Friedrich II. 1236 die schutzherrliche Gewalt für Juden, indem er den 1157 von Friedrich Barbarossa erlassenen Freiheitsbrief an die Wormser Juden auf das gesamte Reichsgebiet ausdehnte. Dabei nutzte Friedrich II. die Gelegenheit und manifestierte die steuerliche Verpflichtung der Juden gegenüber dem Kaiser, das Judenregal, und bezeichnete die Juden als „Kammerknechte des Reiches“[16]. „Abhängigkeit und Kammerzugehörigkeit bedeutete indes für die Juden des Reiches, dass sie die Gewährung kaiserlichen Schutzes durch eine finanzielle Sonderbelastung erkaufen mussten.“[17] So mussten die Juden laut der überlieferten Steuermatrikel der kaiserlichen Kammer 1241 allein 16% aller im Bereich der Königs- und Freistädte veranschlagten Steuerleistungen tragen, obwohl der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung bei weitem geringer war. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts konnte der erst einige Jahre vorher hergestellte Status der Juden als Schutzbefohlene und Kammerknechte des Kaisers in diesem Sinne nicht mehr gewährleistet werden.[18] Stattdessen betrachtete Rudolf von Habsburg das Vermögen und die Besitzungen der Juden quasi als seine eigenen, als er 1286 erklärte, dass alles Judeneigentum an ihn übergehe, wenn sich die Juden unerlaubterweise aus dem Reich entfernten.[19]

Im Zuge des Territorialisierungsprozesses, der Herausbildung territorialer Herrschaftsgebiete, ging der Judenschutz an die jeweiligen Landesfürsten über, teilweise mit Zustimmung des Kaisers, durch die Belehnung mit Anerkennung des kaiserlichen Judenregals. Durch den Verfall des Königtums, vor allem während des Interregnums, und durch die damit einhergehende aufkeimende städtische Selbstverwaltung meldeten auch die Reichsstädte Besitzansprüche finanzieller Art an, um am Judeneigentum zu partizipieren. Durch die weitgehende autonome Rechtssprechung der Räte unterstanden auch die Juden in den Städten eher dem Stadtrat als dem Landesherren oder dem Kaiser.[20] Auf dieses Machtgerangel um Judeneigentum und Geld von Juden soll im dritten Kapitel noch näher eingegangen werden.

2.1.2 Wirtschaftliche Lage

Bereits als die ersten Juden im Frühmittelalter als Transithändler aus dem Nahen Osten ins Reich kamen, und vor allem für die Versorgung der herrschaftlichen Pfalzen sorgten, wurden sie von der ortsansässigen Bevölkerung misstrauisch betrachtet. Als fahrende Händler waren sie in einer überwiegend sesshaften ländlichen Gesellschaft fremd. Dazu kam der Vorwurf, dass sie als fahrende Händler nichts zur Gemeinschaft beitrügen, sondern es nur auf Geldvermehrung anlegten.[21] Als später der Handel in den Städten aufblühte, wurde der Kaufmann wohlwollender betrachtet. Laut Cohen hatte das allerdings zur Folge, dass die Juden als Konkurrenten angesehen und, weil sie den christlichen Eid in den aufkommenden Kaufmannsgilden nicht leisten konnten, weitgehend von den Märkten verdrängt wurden. Dadurch mussten sich die Juden im Gegensatz zur immer umfangreicher werdenden christlichen Wirtschaftsstruktur auf Geldhandel und Hausierertum beschränken.[22] Das Darlehensgeschäft wurde deshalb zur jüdischen Domäne, da es den Christen von Seiten der Kirche verboten war, Zinsen von ihren Glaubensbrüdern zu nehmen. Der jüdische Glaube erlaubte dagegen sehr wohl das Zinsgeschäft mit den Christen. Durch den allgemeinen Geldmangel waren sowohl Adel und Klerus, als auch die Stadtbürgerschaft dazu genötigt, die Kreditleistungen der Juden in Anspruch zu nehmen.[23] Da aber laut der christlichen Lehre kein Jude Macht über einen Christen haben durfte, führte die finanzielle Abhängigkeit zu einer Umkehrung der Hierarchie, was mancherorts zu Neid und teilweise virulentem Hass führte. Obwohl die meisten Juden nur kleinere Darlehen gewähren konnten, entwickelten sich durch die hohen Zinssätze[24] auch einige Großkapitalisten unter den Juden, bei denen selbst Teile von Kronschätzen verpfändet wurden.[25]

[...]


[1] Graus 1980, S. 71.

[2] Moraw 1980, S. 237.

[3] Gemeint ist die Krise des spätmittelalterlichen Gesellschaftssystems, in der Bürgertum, Adel und Monarchie um eine neue Ordnung rangen. Vgl. Ferdinand Seibt (Hrsg.): Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen (1978), S.16 ist der Meinung, dass der Tod Karls diese Krise endgültig auslöste. Graus hält die Bedeutung Karls in diesem Kontext für „ zweifellos überbetont“ (Graus 1980, S. 86).

[4] Graus 1980, S. 86.

[5] Vgl. ebd., S. 86/87.

[6] Haverkamp 1981, S. 85.

[7] Vgl. Cohen 2005, S. 88

[8] Vgl. Battenberg 2001, S. 15

[9] Vgl. ebd., S. 18. Weil Papst Urban II. um Unterstützung im Kampf gegen die muslimischen Seldschuken gerufen hatte, meinten die aufbrechenden Heere, auch im eigenen Land die Feinde der Christenheit bekämpfen zu müssen. Noch bevor sich das Kreuzfahrerheer sammeln konnte, wurden alle wichtigen Gemeinden des rheinisch –lothringischen Raumes vernichtet. Dabei kamen von insgesamt 20.000 Juden im Reich etwa 5.000 ums Leben, allein in Mainz starben über 1.000 Juden.

[10] Vgl. Eckert 1978, S. 123.

[11] wahrscheinlich durch die allgemein steigenden Lebensbedingungen

[12] Erstmals wurden diese Vorwürfe in Norwich 1144 verbreitet. Seit 1221 kam es auch im Heiligen Römischen Reich zu diesen Anschuldigen. 1235 kam es in Lauda, Fulda und Tauberbischofsheim zu gewalttätigen und mörderischen Aufständen gegen Juden.

[13] Vgl. Battenberg 2001, S. 25/26.

[14] Vgl. Cohen 2005, S. 46.

[15] Battenberg, S. 23.

[16] Vgl. ebd., S. 20/21.

[17] Vgl. ebd., S. 21.

[18] Ebd., S. 22.

[19] Vgl. ebd., S. 23.

[20] Vgl. Eckert, S. 123.

[21] Vgl. Cohen 2005, S. 88-90.

[22] Vgl. Graus 1991, S. 57.

[23] Vgl. Battenberg 2001¸ S. 18.

[24] laut Eckert 1978, S. 124 betrug der Zinsfuß in Österreich im Jahre 1338 173⅓ Prozent.

[25] so unter anderem des englischen Königs während des 100-jährigen Krieges, Vgl. Eckert 1978, S. 125.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Rezeption eines Gedenkjahres - Wie kritisch wurde die Judenpolitik Karls IV. beleuchtet?
Hochschule
Universität Leipzig  (GWZO Leipzig)
Veranstaltung
Hauotseminar Kaiser Karl IV.
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V71053
ISBN (eBook)
9783638627344
ISBN (Buch)
9783638674898
Dateigröße
2792 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rezeption, Gedenkjahres, Judenpolitik, Karls, Hauotseminar, Kaiser, Karl
Arbeit zitieren
Ullrich Kroemer (Autor:in), 2007, Rezeption eines Gedenkjahres - Wie kritisch wurde die Judenpolitik Karls IV. beleuchtet?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71053

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