Hybridität - Synkretismus - Kreolisierung


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Hybridität vs. Synkretismus vs. Kreolisierung
1. Hybridität
2. Synkretismus
3. Kreolisierung
4. Gegenüberstellung der Konzepte

Verzeichnis der Literatur

I. Einleitung

In der Vergangenheit hatten Ethnologen die Auffassung vertreten, Kulturen seien statische, in sich geschlossene Systeme. Diese Vorstellung unserer Welt als ein Kulturenmosaik ist jedoch nicht erst allein in Bezug auf heutige Gegebenheiten, sondern auch historisch fragwürdig. Das Bild von einer Welt mit klar voneinander abgrenzbaren Kulturen gilt heute ganz mehrheitlich als obsolet. Wie Studien belegen, gab es schon in vorkolonialer Zeit höchst komplexe Kontakte zwischen vermeintlich isolierten Menschengruppen.[1] Als Beispiel seien hier die !Kung San (Buschleute) in der Kalahari genannt. Die !Kung San gelten als egalitäre Jäger und Sammler, die in großer räumlicher Isolation ihre Kultur aufrechterhalten konnten. Sie werden heute gern als eine der wenigen noch intakten Gruppierungen dargestellt, die einer jahrtausendalten Lebensweise folgen. Glaubwürdigen Belegen[2] zufolge standen die !Kung San jedoch schon mit anderen Bewohnern des südlichen Afrika in Kontakt bevor sie – gedrungen durch die Ankunft der ersten weißen Siedler – ins Hochland des heutigen Südafrika und Botswana abwanderten.[3] Insbesondere seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist durch Zunahme der Kontakte mit der Außenwelt auch die Kultur der !Kung San von Wandel und Kulturkontakt bedroht.

Neue Kulturkonzepte versuchen der Durchlässigkeit von Grenzen und der internen Heterogenität von Gesellschaft gerecht zu werden. Gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung sind Phänomene der Vermischung verstärkt in den Blickwinkel, sowohl der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft, gerückt. In den letzten fünfzehn Jahren hat es verschiedene Bemühungen gegeben, die beobachtete Vermischung von Kulturen bzw. Kulturelementen theoretisch zu erfassen.

So sprach man von „Mélange“[4], „Kreolisierung“[5], „kulturellem Synkretismus“[6], „globaler Crossover-Kultur“[7] oder auch „Hybridität“[8], um die mit dem vermehrten Kulturkontakt einhergehenden Veränderungen des Bestehenden sowie die Entstehung von Neuem zu erklären. In ihrem Sammelbandbeitrag „‚Hybridität’ – die ethnographische Annäherung an ein theoretisches Konzept“ vergleicht Cordula Weißköppel die Konzepte von Hybridität, Synkretismus und Kreolisierung im Hinblick auf ihre Inhalte und Anwendungsbereiche und kommt zu dem Ergebnis, dass heute keine weit reichenden Unterschiede zwischen diesen mehr bestehen. Hier soll Weißköppels These, dass die drei vorbenannten Konzepte „nicht mehr grundlegend verschiedene Phänomene von kultureller Vermischtheit“[9] beschreiben, überprüft werden. Zunächst werden dazu die potentiell miteinander konkurrierenden Konzepte (Hybridität, Synkretismus, Kreolisierung) einzeln untersucht, ihr Bedeutungsinhalt definiert und der jeweilige Anwendungsbereich durch Beispiele verdeutlicht. Die Spezifika der drei Konzepte werden so skizziert, um in einem abschließenden Arbeitsschritt die Erkenntnisse zusammenzuführen und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Methodisch stützt sich Weißköppel bei der Gegenüberstellung der drei vorgenannten Konzepte vor allem auf die Auswertung von Einträgen in Enzyklopädien und Handbüchern, Diese Vorgehensweise ist wissenschaftlich durchaus zulässig, um sich theoretisch-abstrakten Begriffen anzunähern, da die jeweiligen Einträge in den verwendeten Enzyklopädien und Handbüchern von Fachmännern bzw. Fachfrauen verfasst worden sind. Auch den beschränkten Rahmen dieser Hausarbeit würde es sprengen, wenn auf die disziplinspezifischen Diskussionen von Primärtheorien zurückgegriffen würde. Methodisch über Weißköppel hinausgehend werden hier jedoch die aus Enzyklopädien und Handbüchern gewonnenen Erkenntnisse anhand von Sekundärliteratur verifiziert.

II. Hybridität vs. Synkretismus vs. Kreolisierung

1. Hybridität

Als Ausgangskonzept für ihren Vergleich der drei oben benannten Konzepten wählt Weißköppel das Konstrukt der Hybridität, um mit einem offenen Konzept in der Lage zu sein, „die Gleichzeitigkeit von Formen der ethno-kulturellen Identifikation mit Formen des Kontaktes und der Vermischung im neuen Kontext theoretisch zu [er]fassen“[10]. Dabei weißt Weißköppel zutreffend darauf hin, dass einzelne Wissenschaftler (u. a. Stuart Hall, Homi K. Bhabha, Paul Gilroy) je nach eigener thematischer Schwerpunktsetzung verschiedene Lesarten von Hybridität verfolgen und damit die Theoretisierung, je nach Motivlage, unterschiedlich gewichten.

Recht verständlich skizziert Stuart Hall das Phänomen des Hybriden: „Überall entstehen kulturelle Identitäten, die nicht fixiert sind, sondern im Übergang zwischen verschiedenen Positionen schweben, die zur gleichen Zeit auf verschiedene kulturelle Traditionen zurückgreifen und die das Resultat komplizierter Kreuzungen und kultureller Verbindungen sind, die im wachsendem Maße in einer globalisierten Welt üblich werden. […] Menschen, die zu solchen Kulturen der Hybridität gehören, mussten den Traum oder die Ambition aufgeben, irgendeine ‚verlorene’ kulturelle Reinheit, einen ethnischen Absolutismus, wieder entdecken zu können. […] Sie sind die Produkte der neuen Diaspora, die durch die postkoloniale Migration geschaffen wurde. Sie mussten lernen, mindestens zwei Identitäten anzunehmen, zwei kulturelle Sprachen zu sprechen, um zwischen ihnen zu übersetzen und zu vermitteln.“[11] Ein Beispiel: Pilar Puente, eine junge New Yorkerin kubanischer Herkunft, weiß nicht genau zu sagen, wo sie hingehört. Obwohl sie Brooklyn nie wirklich als neue Heimat akzeptiert hat, muss sie sich während des lang ersehnten Besuchs auf Kuba doch eingestehen, dass ihr die alte Heimat noch um einiges fremder geworden ist: „But sooner or later I’d have to return to New York. I know now it’s where I belong – not instead of here, but more than here.”[12] Diese zögerliche, etwas unbestimmte Selbstverortung von Pilar, einer Protagonistin aus Christina Garcías Roman „Dreaming in Cuban“, ist wohl als typische Erfahrung eines kulturellen Zwischenraums, der nur eine hybride Identität, nicht jedoch eine eindeutig verortbare Identität zulässt, zu verstehen.

Der Hybriditäts-Begriff Halls besticht durch besondere Plastizität. Anzumerken ist jedoch, dass Hall – anders als beispielsweise Homi K. Bhabha – das Konzept der Hybridität eher subjektzentriert gebraucht[13], d. h. hybrider Identität „quasi als Charaktereigenschaft von Individuen“[14] versteht. Wie Weißköppel zutreffend erkennt, gelingt ein Vergleich der Konzepte besser, soweit Hybridität als Dimension[15] begriffen wird. Aus diesem Grund erscheint es hier sinnvoller, sich – wie Weißköppel – für die Beschreibung von Hybridität an die Aussagen von Homi K. Bhabha anzulehnen. Bhabha unternimmt den Versuch, Bakhtins [16] Theorie einer sprachlichen Hybridität[17] auf kulturelle „Praktiken“[18] hin zu beziehen: „Sociocultural construction of hybridity has taken place in serveral disciplines. As a linguistic process it was elaborated, among other, by Mikhail Baktin [sic! Bakhtin], who used the term to characterize the coexistence of learned and popular speech in the same goup [sic! group], or even in a single speaker, and by Homi Bhabha, who defines hybridity as a metonymy of presence and places it amidst power relations, noting differences between colonial and resistance hybridization, depending on whether the linguistic an literary mixes serve domination or subversion.”[19] In diesem Zusammenhang prägte Bhabha den Begriff des „Third spaces“ bzw. des intermediären Raumes und beschreibt diesen als einen Ort der Interaktion von Menschen, einen Ort in dem sowohl bewusst als auch unbewusst Bedeutungen zwischen den Menschen ausgehandelt werden.[20] Als eines der wenigen Beispiele für sein Konzept der Hybridität dient Bhabha der Text eines christlichen Missionars in Indien, der darüber berichtet, wie er indischen Hindus die Kommunion nahe zu bringen versucht: Er ist verwirrt, als diese, da Vegetarier, angeekelt auf die Idee reagieren, das Fleisch Christi zu essen und sein Blut zu trinken. Der englische Missionar erscheint selbst als kannibalistischer Vampir.[21] In diesem Beispiel wird eindrücklich der „Third spaces“ Bhabhas spürbar, in dem nämlich die unterschiedlichen Bedeutungsrepertoires aufeinander prallen, hier praktisch um ihre Existenz oder Durchsetzungskraft ringen.

[...]


[1] Vgl. hierzu: Hannerz (1996), S. 30-43, sowie Breidenbach/Zukrigl (1998), S. 77-89.

[2] Vgl. u.a. Gupta/Ferguson (1992), S. 6-23.

[3] „Doch der Buschmann wurde erst durch westliche Beihilfe zum Buschmann: […] Das Image der Isolation und

die Realität der Armut sind Produkte der letzten zwei Jahrhunderte. […] Die Mitglieder dieses Sammler- und

Jägervolkes waren vor der Migration Viehzüchter. […] Der Eindruck, dass es sich bei den San um eine

klassenlose Gesellschaft handele, ist zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem sie als eine Unterklasse in

koloniale und nationale Gesellschaften eingegliedert wurden.“ – Vgl. Breidenbach/Zukrigl (1998), S. 79f.

[4] Rushdie (1992), S. 458.

[5] Hannerz (1996), S. 65ff.

[6] Canevacci (1992), S. 95ff.

[7] Nederveen Pieterse (1998), S. 103.

[8] Hall (1994), S. 218. u. a., Vgl. darüber hinaus Bhabha (1994).

1

[9] Weißköppel (2005), S. 334.

[10] Weißköppel (2005), S. 312.

2

[11] Hall (1994), S. 218. – Im Übrigen, das sei hier angemerkt, stellt damit das Konzept der Hybridität bzw. die

hybride Identität im Sinne Halls einen Widerspruch zu klassischen Integrationsmodellen dar, welche

Integration als einen Prozess der Angleichung von Eingewanderten an den Einwanderungskontext verstehen.

[12] García (1993), S. 257.

[13] Eben die beschriebene eigene differente Lesart von Hybridität aus Sicht Halls.

[14] Dies kritisiert Weißköppel. Vgl. Weißköppel (2005), S. 318.

[15] Weißköppel (2005), S. 318: Im Sinne einer Dimension „menschlicher Bedeutungsproduktion, die in dieser

spezifischen Bezeichnung von Menschen geschaffen, weiter ausgehandelt, somit auf verworfen werden

kann“ – Vgl. hierzu auch Werbner, Pnina (1997), S. 1- 27.

[16] Vgl. Bakhtin/Holquist (1990).

[17] Sprachliche Hybridität in dem Sinne, dass mit einem Wort gleichzeitig zwei, wenn nicht mehrere Bedeutungen

angesprochen sein können, die nur durch den jeweiligen Anwendungskontext zu einem spezifischen

Bedeutungssystem zugeordnet werden, also im Moment der Äußerung und durch das kontextuelle Reagieren

des Gegenübers.

[18] Gemeint sind zum Beispiel zwischenmenschliche Situationen des Unaussprechlichen, des Zögerns und

Innehaltens oder ein Verharren in Ambivalenz.

3

[19] García-Canclini (2001), S. 7095 – Trotz zweier Rechtsschreibfehler wird an dieser Stelle doch sehr schön

deutlich, was Bhabha als Hybridität besteht.

[20] Vgl. Bhabha(1994), S. 36f. – Aus Platzgründen kann hierauf nicht weiter eingegangen werden. Verwiesen

wird darüber hinaus auf Weißköppels Ausführungen auf den Seiten 323-330.

[21] Bhabha (1994), S. 102ff.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Hybridität - Synkretismus - Kreolisierung
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Gender und Migration
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V71043
ISBN (eBook)
9783638627290
ISBN (Buch)
9783638754880
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Um die verstärkt in den Blickwinkel gerückte beobachtete Vermischung von Kulturen bzw. Kulturelementen theoretisch zu erfassen, sprach man von Mélange, Kreolisierung, kulturellem Synkretismus, globaler Crossover-Kultur oder auch Hybridität. Hier soll die These, dass die potentiell miteinander konkurrierenden Konzepte (Hybridität, Synkretismus, Kreolisierung) nicht mehr grundlegend verschiedene Phänomene von kultureller Vermischtheit beschreiben, überprüft und verifiziert werden.
Schlagworte
Hybridität, Synkretismus, Kreolisierung, Gender, Migration, Mélange, kultureller Synkretismus, globaler Crossover-Kultur, Cordula Weißköppel, Homi Bhabha, Bochinger, Stuard Hall, Ulf Hannerz, Salman Rushdie
Arbeit zitieren
Marc Castillon (Autor:in), 2007, Hybridität - Synkretismus - Kreolisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71043

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