Max Frisch: Montauk - Ein Spiel


Term Paper (Advanced seminar), 2006

14 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zwischen fiktionalem Vertrag und autobiografischem Pakt
2.1 Fiktionale Elemente
2.1.1 Die Konzeption des Erzählers
2.2 Autobiografische Elemente

3 Montauk als wahre Fiktion

4 Zusammenfassung

5 Literaturangaben
5.1 Primärliteratur:
5.2 Sekundärliteratur:

1 Einleitung

Bereits kurz nach dem Erscheinen von Montauk 1975 verfügte das Archiv des Suhrkamp-Verlages über mehr als 200 Rezensionen, die fast alle um ein Thema kreisten: Ist Montauk eine Erzählung oder eine Autobiografie? Ist es Fiktion oder Faktizität, Literatur oder Leben? Je nach Beantwortung dieser Frage fiel auch das Urteil der Rezensenten aus. Wer den Text als Fiktion las, war begeistert von der komplexen Erzählstruktur und den literarischen Reminiszenzen. Wer ihn als Nicht-Fiktion las, war beschämt über die Offenheit des Autors bei Themen wie Sex, Abtreibungen und Liebesbeziehungen.

Die vorliegende Hausarbeit möchte vor allem der Frage nachgehen, ob es sich bei Montauk um eine Autobiografie, eine Erzählung oder eventuell eine Mischform handelt. Dazu soll zuerst auf die Fiktionalitätskonvention und den im Vorwort mit dem Leser geschlossenen autobiografischen Pakt eingegangen werden, die sich noch vor Beginn des eigentlichen Textes gegenüberstehen und für Verwirrung sorgen. Eine Autobiografie ist immer ein Grenzgänger zwischen Wirklichkeit, literarischem Konstrukt und Fiktionalität, aber ist Montauk überhaupt als Autobiografie zu lesen?

Dieses Spannungsverhältnis zwischen literarischer Konstruktion und autobiografischer Authentizität auf der einen Seite und Erinnerung und Augenblick auf der anderen Seite soll in einer differenzierten Analyse an Hand von Zitaten belegt und näher erläutert werden. Ergänzend dazu sollen kurz die variierenden Erzähler-Positionen, Max Frischs Gesamtwerk und seine Poetologie in die Interpretation mit einbezogen werden, um abschließend zu einer Beurteilung des Textes zu gelangen.

In dieser Beurteilung soll herausgestellt werden, dass Montauk nicht als Autobiografie im ursprünglichen Sinn gelesen werden kann. Max Frisch treibt in Montauk die auch in älteren Werken bereits entfaltete Vermischung von Leben und Werk auf die Spitze, so dass es an Hand objektiver Kriterien kaum möglich ist, den Text definitiv einer Gattung zuzuordnen. Jedoch lässt sich sagen, dass das autobiografische Material, das eindeutig vorhanden ist, so bearbeitet wird, dass „Erfahrung sich in Erfindung umsetzt“[1], Leben in Fiktion transformiert wird. Deshalb vertritt die vorliegende Hausarbeit auch den Ansatz, dass Max Frisch in Montauk mit dem Leser spielt, indem er ihm wahre Fiktion präsentiert.

2 Zwischen fiktionalem Vertrag und autobiografischem Pakt

Zuerst sei darauf hingewiesen, dass – nach Philippe Lejeunes Definition einer Autobiografie[2] - bei Montauk die Namensidentität zwischen dem Autor, dem Ich- bzw. Er-Erzähler und dem Protagonisten gegeben ist, was, abseits der Nennung des Namens (z. B. S. 49, 52, 59/60, 67, 79, 121)[3], nicht zuletzt durch die Einbindung einiger literarischer Werke des Autors Max Frisch (z. B. S. 18, 43, 103, 122) oder die Erwähnung des nachprüfbaren Umfeldes des Autors und Privatmenschen Max Frisch verdeutlicht wird (z. B. S. 104, 144, 175). Weitere Merkmale nach Lejeunes Definition einer Autobiografie im engeren Sinne - die Prosaform, eine individuelle Geschichte und eine rückblickende Erzählperspektive – sind ebenfalls gegeben. Doch reicht das alleine schon aus , um Montauk als Autobiografie zu klassifizieren? In diesem Kapitel sollen sowohl die autobiografischen als auch die fiktionalen Elemente im Text benannt und bewertet werden. Dabei sollte stets präsent bleiben, dass auch in eine Autobiografie ästhetische und literarische Mittel der Text- und Erinnerungskonstruktion mit einfließen können, die nicht zwangsläufig mit der Kategorie Fiktionalität verknüpft sein müssen. Ebenso sind Lügen, Halbwahrheiten oder Täuschungen als Teile des Autorlebens auch Teile der Autobiografie.

Max Frisch bezeichnet Montauk im Untertitel als „Eine Erzählung“, d. h. er schließt mit dem Leser einen fiktionalen Vertrag[4], was bewirkt, dass der Leser einen fiktionalen Text mit fiktionalen Figuren[5] erwartet, den er nach ästhetischen Gesetzen beurteilen kann und der keinen einklagbaren - und wenn trotzdem vorhanden, einen irrelevanten - Wahrheitswert aufweist[6]. Das bedeutet, dass in einem fiktionalen Text durchaus reale und belegbare Ereignisse und Personen vorkommen können, welche aber für den Text keine Rolle spielen, bzw. nicht zwangsläufig eine biografische Lesart nahe legen. Wenn in der folgenden Analyse von Fiktionalität die Rede sein wird, so wurde diese Definition zu Grunde gelegt.

Die Erwartung eines fiktionalen Textes wird allerdings bereits in der Vorbemerkung wieder korrigiert, wenn Frisch mit folgenden Worten einen autobiografischen Pakt mit dem Leser schließt: „Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser, […] Denn ich bin es, den ich darstelle […] So bin ich selber, Leser, der einzige Inhalt meines Buches.“ – ein Zitat aus Michel de Montaignes Vorwort zu seinen Essais[7] . Damit scheint ein nicht-fiktiver Charakter des Buches festgelegt zu werden – näheres dazu in Kapitel 2.2[8]. Autobiografischer Pakt und fiktionaler Vertrag stehen sich also noch vor Beginn des eigentlichen Textes gegenüber und erzeugen im gesamten Text eine Spannung, die Frisch dadurch verstärkt, dass er immer wieder zwischen diesen beiden Polen wechselt. Dies sei im Folgenden an Hand einiger Textpassagen belegt.

2.1 Fiktionale Elemente

Neben der Klassifizierung des Textes als „Erzählung“ gibt es noch weitere Elemente, die – teilweise erst auf den zweiten Blick - auf einen fiktionalen Text hindeuten.

Einen erster Hinweis auf eine autobiografische Lesart könnte das Schild Overlook betrachtet werden. Es verspricht einen kompletten Blick über die Insel, bzw. den Schriftsteller Max Frisch. Diese Metapher wird allerdings bald in ihr Gegenteil umgewandelt. Schnell wird deutlich, dass es sich nur um einen unwegsamen, von Gestrüpp gesäumten Weg handelt, der zu keiner Aussichtsstelle führt: „das Schild hat versprochen, was es hier nicht gibt“ (S. 50). Genauso verfährt der Text mit dem Leser. Es werden einzelne Aspekte der Hauptfigur Max Frisch gezeigt, einen biografischen Overlook gibt es jedoch nicht. Des Weiteren kann die Metapher Overlook und die mit ihr verbundene Schilderung der Landschaft als Repräsentant für die Polyfunktionalität des Textes, also seine Interpretierbarkeit auf mehreren Ebenen, gesehen werden. Sie haben neben ihrer scheinbar nicht fiktiven Wirkung (der einfachen Landschaftsbeschreibung) mehrere interpretatorische Ebenen, worin sich ihre Literarizität zeigt.

In dem Interview, bei dem Max Frisch Lynn kennen lernt, äußert er sich wie folgt: „Leben ist langweilig, ich mache Erfahrungen nur noch, wenn ich schreibe.“ (S. 12)[9]. Das bedeutet, er lebt, um zu schreiben, und dadurch Erfahrungen zu machen, welche also nicht körperlich (real), sondern nur geistig erlebt sind. Weitergeführt heißt das, Gefühle sind nur noch relevant, wenn sie literaturfähig sind: „Er hat reichlich über Eifersucht geschrieben. Schon deswegen hat er sich in den letzten Jahren jede Eifersucht versagt. […] es fiele ihm als Schriftsteller dazu nichts ein, nichts Neues.“ (S. 121). Das Leben entspringt also der Literatur, bzw. lässt sich im Hinblick auf sie steuern und ist somit unlösbar mit ihr verknüpft[10]. Genau dieser Umstand macht die klare Abgrenzung von fiktionalen und autobiografischen Elementen in Montauk so schwierig und führt dazu, dass auch die abschließende Beurteilung des Textes durchaus anfechtbar ist.

Frisch formuliert diese Verquickung von Leben und Werk einige Seiten später noch präziser: „Ich möchte wissen, was ich, schreibend unter Kunstzwang, erfahre über mein Leben als Mann.“ (S. 24). Legt man diesen Leitgedanken dem Text zu Grunde, hat Montauk die personale Realität des Verfassers zum Gegenstand (unverschlüsselt), ist aber trotzdem ein ästhetisches Gebilde (z. B. durch Intertextualität, Reminiszenzen auf Homo faber oder Stiller etc.). „Der Gestus ist der der Fiktion“[11], da sowohl die Handlung in Montauk als auch die Rückblicke arrangiert wurden, d. h. nicht in der Form wiedergegeben wurden, wie sie zum Zeitpunkt der Erinnerung dem Autor erschienen. Jedoch ändert das nichts daran, dass das Material autobiografisch ist, wie im Vorwort versprochen. Uwe Johnson spricht hier sehr treffend von „Erzählen […] garantiert durch Wirklichkeit“[12], ähnlich Dietger Pforte, der bemerkt, dass Max Frisch stets sein Leben als literarisches Material nutzte, dieses aber in der literarischen Bearbeitung so veränderte, dass als Endprodukt eine „fiktionale Wirklichkeit“[13] entsteht – beides meines Erachtens sehr treffende Beschreibungen des Ineinanderfließens von Leben und Literatur, von Formen nicht-fiktionaler und fiktionaler Literatur.

[...]


[1] Frisch, Max: Tagebuch 1966-1971. Frankfurt am Main 1989. S. 287.

[2] Lejeune, Philippe: Der autobiographische Pakt. Frankfurt am Main 1994. S. 13-51.

[3] Die folgenden Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf: Frisch, Max: Montauk. Frankfurt am Main 1975.

[4] Assmann, Aleida: Die Legitimität der Fiktion. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kommunikation. München 1980. S. 152.

[5] In der Sekundärliteratur ist auf Grund dessen oft zu lesen, dass der Er-Erzähler Max Frisch in Montauk nicht der reale Max Frisch sei, sondern eine Kunstfigur Max Frisch, die – in weiterer Konsequenz – keine aufrichtige, sondern eine literarische und konstruierte Geschichte erzählt. Vgl. dazu Pforte, Dietger: „Montauk“ – ein von Max Frisch erfundenes Wahrnehmungsexperiment. In: Sprache im technischen Zeitalter 25 (1987). S. 350-355.

[6] Schmidt, Siegfried J.: Ist „Fiktionalität“ eine linguistische oder eine texttheoretische Kategorie? In: Gülich, Elisabeth/ Raible, Wolfgang (Hrsg.): Textsorten. Frankfurt am Main 1975. S. 64/65.

[7] Montaigne, Michel de: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt am Main 1999. S. 5.

[8] Wiederholt wird dieses Motto auf S. 197, sozusagen als Rahmung.

[9] Dies bedeutet die Umkehrung des traditionellen Erzählens, bei dem der Künstler ausdrückt, was er erlebt, hin zu einer neuen Version des Erzählens, bei der der Künstler erlebt, um sich auszudrücken. Vgl. dazu Wysling, Hans: Streifzüge. Literatur aus der deutschen Schweiz 1945-1991. Herausgegeben und eingeleitet von Hans-Rudolf Schärer und Jean-Pierre Bünter. Zürich 1996. S. 49.

[10] Hofe, Gerhard vom: Zauber ohne Zukunft. Zur autobiografischen Korrektur in Max Frischs Erzählung Montauk . In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 70 (1976). S. 374.

[11] Johnson, Uwe: Zu Montauk . In: Schmitz, Walter: Über Max Frisch II. Frankfurt am Main 1976. S. 448.

[12] Johnson. S. 449.

[13] Pforte. S. 355/356.

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Max Frisch: Montauk - Ein Spiel
College
University Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Course
Autobiographik im 20. Jahrhundert
Grade
1,3
Author
Year
2006
Pages
14
Catalog Number
V70874
ISBN (eBook)
9783638626088
File size
426 KB
Language
German
Keywords
Frisch, Montauk, Spiel, Autobiographik, Jahrhundert
Quote paper
B.A. Yvonne Hoock (Author), 2006, Max Frisch: Montauk - Ein Spiel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70874

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