Krankenkassenbeitragssysteme im Vergleich: Österreich, Deutschland und die Schweiz


Magisterarbeit, 2004

68 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung
1.1 Der Markt für Gesundheitsleistungen und seine besonderen Charakteristika
1.1.1 Markt und Marktversagen
1.1.2 Unsicherheit und Versicherung
1.1.3 Asymmetrische Information
1.1.4 Monopolistische Tendenzen
1.1.5 Gerechtigkeit und Umverteilung
1.1.6 Meritorische Güter und Staat

2 Krankenversicherungsverträge
2.1 Anforderungen an Krankenversicherungsverträge
Exkurs: Moral Hazard
2.2 Grundlegende Vertragsmodelle
2.2.1 Vollversicherung
2.2.2 Teilversicherung
2.3 Krankenversicherungsverträge mit Vollversicherungsschutz
2.3.1 Standardmodell
2.3.2 Vollversicherung bei zwei Gesundheitswahrscheinlichkeiten
2.3.3 Einfluss asymmetrischer Information
2.4 Krankenversicherung mit Teilversicherungsschutz
2.4.1 Optimaler Versicherungsschutz ohne Moral Hazard
2.4.2 Optimaler Versicherungsschutz mit Moral Hazard
2.4.2.1 Ex-ante Moral Hazard
2.4.2.2 Ex-post Moral Hazard
2.4.3 Fazit
2.5 Risikoselektion im Krankenversicherungswettbewerb
2.5.1 Standardvertrag
2.5.2 Standardvertrag und andere Verträge
2.5.3 Fazit Standardverträge
2.5.4 Risikostrukturausgleich
2.5.5 Opting-Out
2.6 Fazit

3 Österreich
3.1 Einleitung
3.2 Entwicklung
3.3 Systemabgrenzung
3.4 Das Beitragssystem der Gebietskrankenkassen
3.5 Analyse
3.5.1 Externe Effekte
3.5.2 Monopolistische Tendenzen
3.5.3 Gerechtigkeit und Umverteilung
3.5.4 Asymmetrische Information und Moral Hazard
3.5.5 Risikoselektion
3.6 Fazit

4 Deutschland
4.1 Einleitung
4.2 Gesundheitsstrukturreform 1993
4.3 Weitere Reformschritte
4.4 Wirtschaftliche Bedeutung
4.5 Analyse
4.5.1 Wahlfreiheit und Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung
4.5.2 Monopolistische Tendenzen
4.5.3 Gerechtigkeit und Umverteilung
4.5.4 Asymmetrische Information und Moral Hazard
4.5.5 Risikoselektion
4.6 Fazit

5 Schweiz
5.1 Gesundheitsreform 1996
5.2 Wirtschaftliche Bedeutung
5.3 Analyse
5.3.1 Externe Effekte
5.3.2 Monopolistische Tendenzen
5.3.3 Gerechtigkeit und Umverteilung
5.3.4 Asymmetrische Information und Moral Hazard
5.3.5 Risikoselektion
5.4 Fazit

6 Resümee

7 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 – Vollversicherungsgleichgewicht

Abbildung 2 – Versicherung und asymmetrische Information

Abbildung 3 – Subventionierung der schlechten Risiken

Abbildung 4 – Standardvertrag und andere Verträge

Abbildung 5 – Opting Out und Besteuerung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Problemstellung

Die menschliche Gesundheit zählt seit jeher zu den elementarsten Themenbereichen in der Entwicklung einer Gesellschaft. Insbesondere in der westlichen Welt wird die Sicherstellung derselben von einem meist staatlich orientierten Gesundheitswesen wahrgenommen.[1] Die technologischen als auch gesellschaftlichen Entwicklungen ließen die Ausgaben explosionsartig steigen. Alle betroffenen Ebenen – vom einzelnen Individuum als Leistungsempfänger, über die Ärzteschaft als Leistungserbringer, bis hin zu politischen Gremien als Leitinstanzen – fordern Reformen. Kosteneinsparungsprogramme werden weitgehend als sozial untragbar angesehen, da medizinische Leistungen für die Wiederherstellung der Gesundheit weder monetär zu bewerten noch zu beschränken seien. Demgegenüber steht eine strikte Ablehnung von Beitragserhöhungsabsichten.

In diesem Spannungsfeld versucht diese Arbeit anzusetzen. Der Umfang als auch die Komplexität bedingen, den Fokus auf einen speziellen Ausschnitt zu richten, und zwar den der Krankenkassenbeitragssysteme. Dieser Teilbereich der Gesundheitsökonomie beschäftigt sich weniger mit der Finanzierung eines Gesundheitssystems als vielmehr mit der Optimierung von Anreizen, die das Individuum zu einer effizienten Leistungsinanspruchnahme bewegen sollen. Von wesentlicher Bedeutung für eine ökonomische Analyse ist die Frage, wie knappe Ressourcen durch den Einsatz geeigneter Instrumente optimalen Einsatz finden.

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zwischen „notwendiger“ und „unnotwendiger“ Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen unterschieden.[2] Während ersterer eine positive gesamtwirtschaftliche Wirkung unterstellt wird, darf für zweitere vermutet werden, dass sie zwar dem Individuum einen Nutzenzuwachs beschert, doch insgesamt die dafür aufgewendeten Mittel nicht effizient eingesetzt werden.

Badura/Hart/Schellschmidt sprechen sich für eine ordnungspolitische Neuorientierung aus, um den geänderten Rahmenbedingungen zu entsprechen.[3]

Diese Arbeit gliedert sich im Weiteren in folgende Kernbereiche: Im Anschluss an diese Problemstellung findet sich ein Überblick über die Besonderheiten des Marktes für Gesundheitsgüter.

Kapitel 2 baut auf die gewonnenen Erkenntnisse auf und versucht daraus Modelle abzuleiten, um den spezifischen Problemen im Zusammenhang mit Moral Hazard und Adverse Selection entgegnen zu können.

Die drei darauf folgenden Kapitel versuchen die Instrumente, die im zweiten Kapitel vorgestellt wurden, anhand eines Vergleiches der Länder Österreich, Deutschland und Schweiz zu identifizieren. Auf Basis dieser Länder werden die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der theoretischen Systeme vorgestellt. Während in Österreich ein starres Pflichtversicherungssystem ohne individuelle Versicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, wurden in Deutschland bereits erste Schritte zu einem marktwirtschaftlich geprägten System gesetzt. Die Ausprägung des Systems der Schweiz darf in diesem Drei-Länder-Vergleich als die progressivste gelten, da hier den Individuen bereits eine breite Palette an Versicherungsverträgen geboten wird.

Das letzte Kapitel fasst die gewonnen Informationen kurz zusammen und resümiert den Inhalt dieser Arbeit.

1.1 Der Markt für Gesundheitsleistungen und seine besonderen Charakteristika

In den westlichen Industrieländern folgt das Gesundheitswesen meist nicht marktwirtschaftlichen Grundsätzen, während dies für fast alle anderen Bereiche doch der Fall ist. Daraus wurde vielfach geschlussfolgert, dass Gesundheitsgüter besondere Güter sein müssen und somit nicht mit materiellen Produkten vergleichbar seien, wodurch sie sich systematisch einer ökonomischen Analyse entziehen.[4]

Die folgenden Ausführungen versuchen anhand einiger ausgewählter Punkte, diese speziellen Charakteristika zu finden und zu zeigen, dass auch hier ökonomische Grundsätze mit Vorteil anwendbar sind.

1.1.1 Markt und Marktversagen

Gleich jedem Markt sind auch auf Gesundheitsmärkten die beiden Hauptakteure Anbieter (Ärzte, Spitäler) und Nachfrager (Patienten) anzutreffen. Ein Kernbereich der Mikroökonomie setzt sich mit diesem Wechselspiel auseinander.[5]

Freie Märkte führen über Angebot und Nachfrage zur Einstellung eines fairen Preises, doch sind auch zahlreiche Fälle von Marktversagen bekannt. So können etwa externe Effekte das einwandfreie Funktionieren eines Marktes beeinträchtigen. Manchen Gesundheitsgütern kann durchwegs dieses Attribut beigesetzt werden – so führen etwa Impfungen gegen ansteckende Krankheiten nicht nur zu einem Nutzengewinn des Geimpften, sondern auch zu einem niedrigeren Infektionsrisiko aller Individuen (positiver externer Effekt), wodurch diese weniger bereit sein werden, sich impfen zu lassen. In einem solchen Fall ist ein staatlicher Eingriff sogar mehr als gerechtfertigt, um eine flächendeckende Impfung sicher zu stellen.[6]

Neben physischen externen Effekten können auch psychische auftreten. Bei Gesundheitsfragen darf den Menschen ein gewisses Maß an Altruismus unterstellt werden.[7] Die medizinische Behandlung eines Kranken lässt indirekt auch den Nutzen seiner Mitmenschen steigen. Bei Auftreten einer Krankheit kann sich das Individuum einer äquivalenten Behandlung sicher sein.

1.1.2 Unsicherheit und Versicherung

Das Auftreten einer Krankheit ist mit hoher Unsicherheit verbunden; weder Art noch Zeitpunkt lassen sich annähernd bestimmen. Ist eine Krankheit bereits aufgetreten, so befriedigt die Behandlung das menschliche Grundbedürfnis nach Gesundheit. Dem Individuum ist zu diesem Zeitpunkt lediglich bekannt, dass es Leistungen in Anspruch nehmen wird, die anfallenden Kosten bleiben bis zur Genesung weiter unbekannt. Ohne Versicherungsschutz können diese ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen. Zu den Kosten zählen aber nicht nur die eigentlichen Behandlungskosten, sondern auch der Verdienstentgang (Opportunitätskosten) und direkte Nutzeneinbußen durch Krankheitsleid.[8] Ein risikoaverses, ökonomisch handelndes Individuum wird sich gegen ein solches Risiko versichern wollen.[9]

1.1.3 Asymmetrische Information

Die oben erwähnte Unsicherheit führt nicht zwingend zu einem Marktversagen, doch besteht bei Krankenversicherungsmärkten zusätzlich eine ausgeprägte Informationsasymmetrie.

Augenscheinlich ist diese im Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Der Arzt kennt die effiziente Behandlung, doch hat seine Behandlungswahl Einfluss auf die Nachfrage und seinen wirtschaftlichen Gewinn. Das Individuum kann die Richtigkeit seiner Entscheidung nicht überprüfen.

Wesentlicher für die Arbeit ist jedoch die Informationsasymmetrie zwischen Versicherten und Versicherern. Ersterer hat beim Abschluss eines Versicherungsvertrages Informationsvorteile bezüglich seines Erkrankungsrisikos gegenüber dem Versicherer. Dieses Wissen verhindert den Abschluss eines erstbesten Versicherungsvertrages. In diesem Fall spricht man von Moral Hazard – er wird in Kapitel 2 gesondert aufgegriffen.

1.1.4 Monopolistische Tendenzen

Krankenversicherungsmärkte weisen monopolistische Tendenzen auf, da Versicherer mit zunehmenden Skalenerträgen rechnen können. Eine große Versicherungsgesellschaft profitiert im Vergleich zu einer kleinen von sinkenden durchschnittlichen Verwaltungskosten und kann überdies durch ein weit diversifiziertes Risikoportefeuille einen besseren Risikostrukturausgleich durchführen.

Aus diesen Gründen darf es nicht weiter überraschen, dass Gesundheitsmärkte typische Monopolprobleme aufweisen – überhöhte Preise und verminderte Anreize zur Kostenminimierung.[10]

1.1.5 Gerechtigkeit und Umverteilung

Neben der Allokationseffizienz ist im Gesundheitswesen die Umverteilung aus Gerechtigkeitsgründen eine Maxime.

Generelle Anerkennung findet der Grundsatz, dass unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit keine Rolle beim Zugang zu medizinischen Leistungen spielen darf und nach Möglichkeit durch Transfers auszugleichen ist.[11] Auch dürfen angeborene Unterschiede nicht dazu herangezogen werden, um zwischen Individuen zu diskriminieren.

Eine weitere Umverteilung sieht einen Ausgleich zwischen hohen und niedrigen Risiken vor. Auf einem unregulierten Markt würden Versicherer den Wettbewerb ausschließlich um niedrige Risiken führen, und hohe Risiken kämen nicht in den Schutz einer Versicherung.[12] Diesem Verhalten („Cream Skimming“) widmet sich ein spezieller Teil von Kapitel 2.

1.1.6 Meritorische Güter und Staat

Im Grundverständnis vieler ist tief verankert, dass medizinische Versorgung vom Staat sicherzustellen sind. Auch die Politik erkennt diese Forderung im eigenen Interesse an, jedoch rechtfertigt sie ihren Anspruch, im Gesundheitswesen eine leitende Funktion auszuüben, mit einer zu beschränkten Sichtweise der Individuen in Bezug auf zukünftige medizinische Bedürfnisse. Dieser Paternalismus kann zwar einige Probleme lösen (externe Effekte[13] ), doch kann ein starkes Engagement eines Staates nicht zu einer ökonomisch effizienten Lösung führen, wenn die ökonomische Theorie der Politik mit ins Kalkül gezogen wird.

Das folgende Kapitel untersucht, ob geeignete Instrumente existieren, um unabhängig von staatlichen Regulatoren ein Marktgleichgewicht herbeizuführen, und ob dies nicht durch einen freien Markt erreicht werden kann.

2 Krankenversicherungsverträge

2.1 Anforderungen an Krankenversicherungsverträge

Im vorigen Kapitel wurde eine Reihe von Motiven aufgezeigt, warum sich einerseits ein Individuum gegen etwaige Krankheitsrisiken versichern will, und andererseits eine verpflichtende Mindestversorgung angebracht scheint, um eine systematische Unterversorgung auszuschließen.

Hier soll nun eine Erweiterung und Integration der Erkenntnisse über die Besonderheiten des Marktes stattfinden, um mögliche Versicherungsvertragstypen aufzuzeigen und die Anforderungen an diese gerecht zu modellieren. Dabei ist zu beachten, dass eine verpflichtende Krankenversicherung nur dann rechtzufertigen ist, wenn sie gewisse Optimalitätseigenschaften in Art und Umfang erfüllt. Dies impliziert eine Ausgestaltung, bei der sich ein risikoscheues Individuum durch Selbstselektion gegen das Risiko Krankheit versichern wird und Trittbrettfahrerverhalten unterbunden wird.[14]

Ziel des Kapitels ist es, Modelle vorzustellen, aus denen ein optimaler Versicherungsvertrag für die Versicherten und Versicherer abgeleitet werden kann.

Bevor nun aufbauend auf allgemeinen Grundsätzen der Versicherungstheorie erste einfache Modelle erstellt werden, scheint es wesentlich, auf eine Besonderheit des Risikos Krankheit näher einzugehen.

Exkurs: Moral Hazard

Das Phänomen des Moral Hazard ist in der Versicherungstheorie weitgehend bekannt[15] und kann vereinfacht ausgedrückt folgendermaßen charakterisiert werden: „Das Bestehen einer Versicherung ändert die Verhaltensanreize des Individuums und damit auch die Wahrscheinlichkeiten [… für die Leistungsinanspruchnahme ...], mit denen die Versicherungsgesellschaft rechnen muß.“[16]

Varian[17] stellt einen Trade-Off zwischen zu wenig Versicherung, kombiniert mit zu hohem Risiko für das Individuum, sowie zu viel Versicherung und daraus folgender mangelnder Sorgfalt fest.

Diese Gedanken übertragen auf den betrachteten Markt legen folgenden Schluss nahe:

- Durch Krankheitsvorbeugung und durch seinen Lebenswandel kann das Individuum die Wahrscheinlichkeit zu erkranken beeinflussen. Diese Form entspricht der von Varian gehegten Trade-Off-Idee. In einer zeitlichen Betrachtung kann hier von „ex-ante Moral Hazard“ gesprochen werden, da Handlungen des Individuums vor Auslösen des Versicherungstatbestandes ausschlaggebend sind.
- Kann bei einer Sachgutversicherung das Individuum die Versicherungsleistung (z.B. Zeitwert) nach Auslösen des Versicherungstatbestandes nicht mehr beeinflussen, so gibt es nach einer Erkrankung durchwegs Interaktionsmöglichkeiten auf Seiten des Individuums. Ihm stehen in aller Regel mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung, um den Gesundheitszustand wieder herzustellen. Diese Form wird als „ex-post Moral Hazard“ bezeichnet, da das Individuum erst nach dem Ereignis agiert.[18]

Ziel dieses Kapitels ist es, Modelle zu konstruieren, in denen unter Berücksichtigung dieser Probleme eine optimale Versorgung nachgefragt wird und dem Individuum Anreize gesetzt sind, ökonomisch sparsam medizinische Leistungen nachzufragen.

Aus dieser Zielsetzung ergeben sich bereits die ersten Detailfragen. Inwieweit scheint es sinnvoll, die Kosten für Behandlungen vollständig vom Individuum auf einen Versicherer abzuwälzen, beziehungsweise gibt es Modelle, die durch eine Selbstbeteiligung der Patienten zu einem insgesamt besseren Ergebnis führen.

2.2 Grundlegende Vertragsmodelle

Krankenversicherungsverträge legen Rechte und Pflichten der Vertragspartner fest. Der Versicherte erwirbt mit der Zahlung einer festen Versicherungsprämie Anspruch auf (meist finanzielle) Leistung des Versicherers bei Eintritt des Versicherungsfalles. Die Zahlung kann grundsätzlich von zwei Dingen abhängig gemacht werden:

1. direkt vom Krankheits-/Gesundheitszustand und
2. von den tatsächlichen Gesundheitsausgaben.

Der erste Fall erweist sich als der problematischere von beiden, da hier bei Eintritt einer bestimmten Krankheit eine bestimmte Zahlung fällig wird. Diese Art findet in der Praxis kaum Anwendung, da oft nicht einmal die Krankheit per se eindeutig kategorisiert werden kann.

Der wesentlich häufigere und auch einfachere Fall ist der zweite. Abhängig von den tatsächlichen Ausgaben werden entweder sämtliche oder Teile davon vom Versicherer getragen – auch hier lassen sich zwei Unterteilungen feststellen.

Der Versicherte tätigt selbst alle Ausgaben und bekommt sie später vom Versicherer refundiert (z.B. Sehbehelfe) oder es findet eine direkte Abrechnung zwischen Leistungserbringer und Versicherer statt (z.B. stationäre Behandlung).[19] Beide Fälle sind in der Praxis vertreten, jedoch soll im Weiteren keine spezifische Trennung stattfinden.

2.2.1 Vollversicherung

Wie bereits erwähnt besteht die Möglichkeit, sämtliche Ausgaben auf den Versicherer abzuwälzen – in diesem Fall spricht man von einer Vollversicherung[20], die den einfachsten Vertragstyp darstellt. Für das Individuum haben folglich medizinische Leistungen einen Effektivpreis von Null und es wird so viel nachfragen, bis sein Grenznutzen ebenfalls auf Null gefallen ist („Sättigungsmenge“)[21]

2.2.2 Teilversicherung

Mutationen einer Vollversicherung können sich in verschiedensten Formen äußern und sind regelmäßig zu beobachten. Erstens kann die Art des in Anspruch genommenen Gesundheitsgutes beschränkt, zweitens die Person der Leistungserbringung beschränkt und drittens die Höhe der Erstattung durch den Versicherer variiert werden. Diese Formen sollen nun kurz umrissen werden.

1. Beschränkung bezüglich des globalen Leistungskataloges (z.B. stationär, ambulant, Zahnbehandlung)
Vielfach lassen sich Beschränkungen dieser Form beobachten, bei denen der Versicherer ausdrücklich bestimmte Bereiche vom Leistungsspektrum ausklammert. Auch finden sich Einschränkungen bei gewissen Behandlungsmethoden.
Eine Anreizwirkung ergibt sich daraus, dass das Individuum versuchen wird, nicht versicherte Leistungen durch versicherte zu substituieren.[22]
2. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Versicherten auf eine Gruppe von Anbietern medizinischer Leistungen zu beschränken, somit eine freie Arztwahl auszuschließen. Die zu Grunde liegende Idee ist eine sparsame Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, da hier der Patient nicht ausschließlich selbst über seine Nachfrage entscheiden kann, sondern zwingend ein Zusammenwirken mit einem Arzt erforderlich ist.[23]
3. Das mitunter umfangreichste Betätigungsfeld für Differenzierung stellt die Höhe der Versicherungsleistung dar. Es kann die Menge der in Anspruch genommenen Leistung, die Vergütung der in Anspruch genommenen Leistung sowie das Produkt aus Menge und Vergütung variiert werden.

a. Mengenbeschränkungen pro Zeiteinheit sind in Österreich und Deutschland bei Sehbehelfen anzufinden.[24]

b. Preisbeschränkungen können sich in folgenden Formen äußern:
i. Absoluter Selbstbehalt (deductible)
Der Versicherte trägt bis zum Erreichen des absoluten Selbstbehaltes sämtliche Behandlungskosten selbst; die Versicherung wird erst nach Überschreiten dieser Schwelle aktiv. Ab dann werden sämtliche Ausgaben vom Versicherer übernommen.[25] Erwartet ein Versicherter im Behandlungszeitraum die Schwelle zu überschreiten, so sind sämtliche Anreizwirkungen von vornherein unwirksam.[26]
ii. Proportionaler Selbstbehalt (coinsurance)
Die Versicherung erstattet im Gegensatz zu einer Vollversicherung nur einen prozentuellen Anteil der Ausgaben, der Rest wird vom Versicherten getragen (Selbstbeteiligungssatz).[27]
Der Effektivpreis einer Behandlung entspricht für den Versicherten exakt dem Selbstbeteiligungsatz und mit steigendem Satz wird eine stärkere Anreizwirkung zu sparsamer Inanspruchnahme wirksam.[28]
iii. Obergrenzen (benefit maximum)
Obergrenzen sind in Europa wenig verbreitet, da sie für den Fall einer existenzbedrohenden Erkrankung keinen Schutz bieten und ihre Anreizwirkung im Vergleich zu obigen Ansätzen entgegengesetzt wirkt.[29]

Bei den beiden erstgenannten Varianten ist eine Deckelung der Selbstbeteiligung nach oben hin (Out-of-Pocket-Maximum)[30] indes auch verbreitet, um extrem teure Behandlungen von vornherein nicht zu exkludieren, wie dies bei einer Obergrenze der Fall ist.

Eine Kombination aus diesen originären Strategien hin zu verschiedenen Derivatkonstrukten ist leicht vorstellbar und die Analyse der nächsten Kapitel wird deren Anwendung zeigen.

Eine besondere Form der Differenzierung wird hier nicht weiter verfolgt – die der Beitragsrückerstattung („Bonus“) bei Nicht-Inanspruchnahme der Versicherung. In den einfachen Modellen, die im Weiteren verwendet werden, wird nur eine Zeitperiode betrachtet und den Akteuren wird vollkommen rationales Verhalten unterstellt; unter diesen Annahmen unterscheidet sich ein Bonus nicht von einem pauschalen Selbstbehalt.[31]

2.3 Krankenversicherungsverträge mit Vollversicherungsschutz

2.3.1 Standardmodell

Ehe eine ökonomische Analyse der Modelle angebracht ist, scheint es von Vorteil, anhand des Standardmodells einer Versicherung gegen Krankheitskosten auf einem Wettbewerbsmarkt erste grundlegende Einsichten zu erlangen.[32] Die restriktiven Annahmen dieses Standardmodells werden im Weiteren gelockert.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum an einer standardisierten Krankheit erkrankt, sei eine Zufallsvariable p (0 < p < 1), die von allen Marktteilnehmern beobachtet werden kann. Diese Eintrittswahrscheinlichkeit kann nicht beeinflusst werden – weder durch Vorbeugung, noch durch den allgemeinen Lebenswandel. Selbiges gilt auch für die Höhe der Behandlungskosten M, die für diese Krankheit gegeben sind.

Mit der Gegenwahrscheinlichkeit (1-p) bleibt das Individuum gesund.

Unabhängig vom tatsächlichen Gesundheitszustand wird vom Individuum eine von der Auszahlung abhängige Prämie P(Z) (Nettoprämie)[33] eingehoben, erkrankt das Individuum, so ist eine Zahlung Z vom Versicherer fällig, um die Behandlungskosten der gänzlichen Genesung zu decken.

[...]


[1] vgl. Neudeck (2002), S. 1.

[2] vgl. Kutzin (1998), S. 98.

[3] vgl. Badura/Hart/Schellschmidt (1999), S. 47.

[4] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 167.

[5] vgl. Varian (1999), S. 1 - 18.

[6] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 169 ff.

[7] vgl. Neudeck (2002), S. 12 f.

[8] vgl. Neudeck (2002), S. 8 f.

[9] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 174 f.

[10] vgl. Neudeck (2002), S. 11 f.

[11] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 180 ff.

[12] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 184 ff.

[13] vgl. S. 3.

[14] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 207.

[15] vgl. Varian (1999), S. 623 f.

[16] vgl. Arrow (1974), S. 142.

[17] vgl. Varian (1999), S. 623.

[18] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 208.

[19] vgl. Neudeck (2002), S. 34.

[20] vgl. Neudeck (2002), S. 34.

[21] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 210.

[22] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 210.

[23] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 210.

[24] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 210.

[25] vgl. Neudeck (2002), S. 34.

[26] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 211.

[27] vgl. Kutzin (1998), S. 79.

[28] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 211.

[29] vgl. Kutzin (1998), S. 79.

[30] vgl. Kutzin (1998), S. 79.

[31] vgl. Breyer/Zweifel/Kiffmann (2003), S. 212.

[32] vgl. Neudeck (2002), S. 38.

[33] Zur Bruttoprämie vgl. S. 13.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Krankenkassenbeitragssysteme im Vergleich: Österreich, Deutschland und die Schweiz
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Institut für Industrie und Fertigungswirtschaft)
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
68
Katalognummer
V70729
ISBN (eBook)
9783638616997
Dateigröße
844 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krankenkassenbeitragssysteme, Vergleich, Deutschland, Schweiz, Österreich, Informationsökonimsche Untersuchung, gesetzliche Krankenversicherung, Moral Hazard, Adverse Selection, Versicherungspflicht, Pflichtversicherung
Arbeit zitieren
MMag. Patrick Zirngast (Autor:in), 2004, Krankenkassenbeitragssysteme im Vergleich: Österreich, Deutschland und die Schweiz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70729

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