Der mittelalterliche Investiturstreit und König Heinrichs Gang nach Canossa 1077: Der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche?


Seminararbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Ereignisschilderung
A. Die Legende von der Demütigung und Unterwerfung der weltlichen Macht durch den Papst im Zusammenhang der Ereignisse des Jahres 1077
B. Die Erklärung für den Konflikt zwischen Königtum und Papsttum
1) Das veränderte Selbstverständnis des Königtums
a) Die Abkehr von der „Imitatio Christi“ als Königsideal
b) Das neue Ideal eines absoluten Königtums
2) Das veränderte Selbstverständnis des Papsttums – Vom primus inter pares unter den Bischöfen zum absoluten Papsttum
3) Die weitere Eskalation des Konfliktes zwischen Papsttum und Königtum nach dem Canossagang
4) Die Beendigung des Konfliktes durch das Wormser Konkordat
C. Die aktuelle Deutung des Canossaganges – Canossa als Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche

III. Der Stand der mediävistischen Forschung zum Themenkompex „Canossa“
A. Die Argumentationsweise des Autors
1) Die Argumentation gegenüber dem mediävistischen Fachpublikum als Adressanten
2) Die Argumentation gegenüber dem Laienpublikum als Adressaten
B. Einordnung des Buches in den Stand der Forschung
1) Untersuchung des Canossaganges im Hinblick auf die mittelalterliche Welt vs. Die neuzeitliche Wirkungsgeschichte des Canossaganges
2) Personen- und ereignisgeschichtliche Betrachtungsweise vs. Strukturgeschichtliche Betrachtungsweise des Canossaganges
3) Innerhalb der strukturgeschichtlichen Betrachtungsweise: Sozioökonomische Faktoren vs. Ideelle Faktoren als geschichtliche Bestimmungsgrößen

IV. Die Prüfung der Canossa- Interpretationen
A. Canossa – Die Unterwerfung eines „deutschen“ Königs durch einen „römischen“
Papst?
B. Canossa – Das Ergebnis eines jeweils neuen königlichen sowie päpstlichen Amtsverständnisses im 11.Jhd.?
C. Canossa – Der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche?
1) Definitorische und methodische Mängel der These
2) Die mittelalterlichen „Ansätze“ der Trennung von Staat und Kirche: bloße organisatorische Autonomie der Kirche als Institution gegenüber dem Staat
3) Das heutige Verständnis der „Trennung von Staat und Kirche“: die grundrechtlich verbürgte Religionsfreiheit des Einzelnen gegenüber Staat und Kirche als Institutionen

V. Fazit

VI. Literaturverzeichnis

Der mittelalterliche Investiturstreit und König Heinrichs Gang nach Canossa 1077: Der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche?

I. Einleitung

Um den mittelalterlichen Investiturstreit, der in König Heinrichs Canossagang 1077 gipfelte, ranken sich zwei moderne Interpretationen: Die eine stammt aus dem Kulturkampf des 19. Jahrhunderts und sieht im Canossagang Heinrichs eine schmachvolle Unterwerfung eines „deutschen“ Königs durch einen herrschsüchtigen, ausländischen „römischen“ Papst.[1] Die andere entstammt aus der aktuellen Debatte in Deutschland um das richtige Verhältnis von Staat und Kirche, Religion und Politik in der Auseinandersetzung mit dem politischen Islamismus einerseits und dem Zusammenleben verschiedener Religionen, Konfessionen und Einstellungen zur Religion im heutigen Deutschland andererseits, das nicht immer konflikftfrei verläuft, wie etwa die Debatten um eine Lehrerin mit Kopftuch an staatlichen Schulen oder um die Einführung des Ethikunterrichts an Berliner Schulen anstelle des klassischen Religionsunterrichts zeigen.[2] In dieser aktuellen Debatte wird häufig im mittelalterlichen Investiturstreit der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche gesehen, welche heute für westliche Demokratien grundlegend sei.[3]

Passend zum 900. Todestag des Königs und Kaisers Heinrich IV. sowie zur großen Paderborner Ausstellung „Canossa 1077 – Erschütterung der Welt“ hat der Heidelberger Mediävist und Spezialist für die Salierzeit Prof. Stefan Weinfurter im März 2006 ein neues Standardwerk vorgelegt, in dem er sich ebenfalls mit diesen beiden modernen Interpretationen auseinandersetzt. Zusätzlich möchte Weinfurter in seinem Werk aus einer rein mediävistischen Sichtweise eine Erklärung für den damaligen Investiturstreit geben, indem er behauptet, ein sich im 11.Jahrhundert vollziehender grundlegender Wandel des jeweiligen Amtsverständnis des Königtums sowie des Papsttums hätten zum Investiturstreit und zum Canossagang geführt.

In der folgenden Arbeit sollen zunächst anhand Weinfurters neuem Standardwerk die damaligen Ereignisse der wechselseitigen Auseinandersetzung zwischen König und Papst vor dem Hintergrund dieser drei Interpretationen rekapituliert werden. In einem zweiten Teil soll dann eine wissenschaftliche Einordnung des Buches erfolgen, einmal bezogen auf die Argumentationsweise des Autors, zum anderen bezogen auf den Stand der mediävistischen Forschung zum Thema „Canossa“. Vor diesem Hintergrund soll dann abschließend in einem dritten Teil zu diesen drei Interpretationen des Canossagangs im Rahmen des Investiturstreits Stellung bezogen und dabei der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit diese drei Interpretationen, so wie sie von Weinfurter dargestellt werden, überzeugend sind. Der Schwerpunkt soll dabei auf der Frage liegen, inwieweit im Investiturstreit und im Canossagang Heinrich des IV. der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche gesehen werden kann.

II. Ereignisschilderung

A. Die Legende von der Demütigung und Unterwerfung der weltlichen Macht durch den Papst im Zusammenhang der Ereignisse des Jahres 1077

Bereits im ersten Kapitel beschreibt der Autor die strapaziöse Reise Heinrich IV. nach Norditalien im Januar 1077, um dort mit dem Papst zu verhandeln. So wollte der König erreichen, dass der Papst ihn vom Kirchenbann befreit, der über den König verhängt wurde, weil er gegen das päpstliche Verbot, Bischöfe in ihre Ämter einzusetzen, verstoßen hat, mit der Folge, dass so seine Königswürde wieder hergestellt wäre und er nicht, so wie es von Seiten der deutschen Fürsten und des Papstes geplant war, zu einem Tribunal gegen den gebannten Heinrich in Augsburg kommt.

Bei seiner Schilderung der Ereignisse verdeutlicht Weinfurter, dass es letztlich nicht der Papst war, der Heinrich zur Buße gezwungen hat. Dies war vielmehr der eigene Entschluss des Königs, als er sah, dass seine Verhandlungsangebote, die die Vermittler des Königs dem Papst nach Canossa übermittelt hatten, unerhört blieben und der Papst weiter auf dem Bann des Königs bestand. Erst in dieser Lage beschließt der König, einen Bußgang vor den Toren der Burg Canossa zu vollziehen, indem er dort drei Tage lang barfuß und aller Reichsinsignien entkleidet betend und fastend verbringt.[4] So möchte Heinrich die Loslösung vom Kirchenbann durch den Papst erzwingen, was ihm auch nach drei Tagen des Büßens gelingt, mit der Folge, dass Heinrich wieder als rechtmäßiger König anzusehen ist – auch von den Fürsten in Deutschland.

Nach der Schilderung der eigentlichen Ereignisse im Januar 1077 konfrontiert Weinfurter diese im ersten Kapitel seines Buches direkt mit der populären Deutung des Canossa- Bußganges, die im 19. Jahrhundert vor allem vom deutschen Reichskanzler Bismarck im Kulturkampf geprägt wurde und die bis heute das gängige Canossabild bestimmt.[5] Diese sieht im Bußgang zu Canossa eine schmachvolle Demütigung und Unterwerfung der weltlichen Macht durch den Papst[6] und darüber hinaus eines „deutschen“ Königs durch einen fremd- ländischen „römischen“ Papst, der schädlichen Einfluss auf die deutsche Politik ausübt.[7] Weinfurter indes richtet sich in seiner Darstellung gegen diese populäre Meinung, indem er die allgemeine Bedeutung von Bußritualen in der mittelalterlichen Herrschaftsordnung als politisches Instrument zur Konfliktschlichtung aufzeigt sowie den Erfolg betont, den der König mit seiner Bußleistung hatte, deren Ableistung letztlich auf seine eigene Initiative zurückgeht, was beides von dieser populären Meinung ignoriert wird.[8]

B. Die Erklärung für den Konflikt zwischen Königtum und Papsttum

Nichtsdestotrotz hält Weinfurter den Konflikt des Königs mit dem Papst um dessen Kirchenbann, der im Canossagang des Königs gipfelt, für ein außergewöhnliches Ereignis innerhalb der mittelalterlichen Welt.[9] Weinfurter hat daher die Absicht, in den folgenden Kapiteln seines Buches eine Erklärung dafür zu finden, wie es zum Canossagang kommen konnte, was zu ihm geführt hat und was in ihm seinen Ausdruck fand. Nach Weinfurter sind es weniger die persönlichen Animositäten zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., die in dem Canossagang Heinrichs ihren Höhepunkt fanden, sondern vor allem zwei strukturelle Faktoren, die zum Konflikt zwischen Königtum und Papsttum geführt haben: eine tiefgreifende Veränderung des königlichen Amtsverständnisses einerseits sowie eine ebenso tiefgreifende Veränderung des päpstlichen Amtsverständnisses andererseits.

1) Das veränderte Selbstverständnis des Königtums

In den folgenden Kapiteln 2, 3 und 4 beschreibt Weinfurter die Wandlung des königlichen Amtes; von dem Ideal des Sakralkönigtums unter den beiden salischen Vorgängern Heinrichs IV., Konrad II. und Heinrich III., hin zu Heinrichs neuem Amtsverständnis eines absoluten Königtums und einer Zentralisierung der königlichen Herrschaft im Reiche.

a) Die Abkehr von der „Imitatio Christi“ als Königsideal

Bei der Idee des Sakralkönigtums bemisst sich die Rechtmäßigkeit der königlichen Herrschaft nach der imitatio christi, also nach der Nachahmung einer christlich-jesuanischen Lebensweise, die der jeweilige Herrscher anzustreben hat. Eine solche Nachahmung Christi zeigt sich an drei Merkmalen: zunächst muss der Herrscher sich durch einen im christlichen Sinne tugendhaften Lebensstil auszeichnen; darüber hinaus besitzt der König nach diesem Amtsverständnis die zentrale Friedens- und Schiedsrichterfunktion im Reiche. Das bedeutet, der König sollte in der Lage sein, sämtliche Konflikte, etwa unter Fürsten oder zwischen Fürsten und Klerikern, gütlich zu regeln. Dabei soll sich der König in einzelnen Streitfragen besonders für die Interessen der armen und bedürftigen Menschen einsetzen. Schließlich ist nach diesem Amtsverständnis der König als defensor ecclesiae in besonderer Weise für den rechten Zustand der katholischen Kirche im Reiche verantwortlich. Dies bedeutet konkret, dass der König zum einen durch seine tugendhafte Lebensweise Klerikern wie christlichen Laien ein Vorbild für die eigene Lebensführung sein soll. Zum anderen besitzt der König in seiner Funktion als defensor ecclesiae das ausdrückliche Recht und die Pflicht, ordnend in die Kirchenorganisation einzugreifen. Dies umfasst einerseits das Recht zur Bischofseinsetzung wie andererseits das Recht zur Papstabsetzung, wenn das Kirchenoberhaupt sein Amt aus Sicht des Königs in unchristlicher Weise ausübt.[10]

b) Das neue Ideal eines absoluten Königtums

Obwohl Heinrich der IV. als Salier in dieser salischen Tradition des Königtums steht, vollzieht sich in seiner Regentschaft eine Abkehr von dem Ideal des Sakralkönigtums. Das zentrale Ereignis, in dem sich diese Abkehr vollzieht, ist Heinrichs Konflikt mit den Sachsen (1070 -1078), der im Sachsenkrieg seinen Höhepunkt findet. Um die reichen Erz- und Silbergruben in Thüringen und Sachsen in unmittelbaren königlichen Besitz zu nehmen, lässt er viele Burgen in der Region bauen, wie etwa die Harzburg, die er aber nicht an den lokalen sächsischen Adel verlehnt. Vielmehr unterstellt Heinrich seine Burgen der direkten Verantwortung seiner eigenen Ministerialen. Um seinen Herrschaftsanspruch weiter zu bekräftigen, nutzt Heinrich seine Burgen zudem, um die militärische Präsenz in Thüringen und Sachsen zu stärken, was neben der Nichtverlehnung an den lokalen Adel ein weiterer Affront gegen die Sachsen und vor allem gegen die sächsischen Adelsfamilien darstellt, die sich wie Unfreie behandelt fühlen. Dieses Vorgehen führt dazu, dass Heinrich zum einen nicht mehr als mildtätiger und tugendhafter Herrscher betrachtet wird, sondern als aggressiver Tyrann, der seine Kompetenzen deutlich überschritt. Zum anderen verliert der König mit dem kriegerischen Vorgehen gegen die Sachsen, das aus der Sicht seiner Gegner erst recht tyrannisch erscheint, seine Funktion als Schiedsrichter und Friedensstifter im Reiche.[11] Neben dem Sachsenkriege sind es des Weiteren die cluniazensischen Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche, die zu einer grundsätzlichen Infragestellung der königlichen Funktion als defensor ecclesiae führen. Nach Weinfurter bemisst sich nun eine legitime Königsherrschaft danach – im Gegensatz zur imitatio christi –, inwieweit es dem König gelingt, Macht zu zentralisieren, um so seine Herrschaft im Reiche wesentlich effizienter gestalten zu können, mit der Folge, dass die Fürsten sowie die Kleriker mit dem Papst an der Spitze nicht mehr in der Lage sind, politische Maßnahmen des Königs zu blockieren.[12]

[...]


[1] Stefan Weinfurter, Canossa – Die Entzauberung der Welt, 2006, S.24-26.

[2] Bernd Neumann, Canossa 1077 - Erschütterung der Welt – Rede des Kulturstaatsministers zur Eröffnung der Paderborner Ausstellung, 21.07.06, http://www.bundesregierung.de/nn_23376/Content/DE/Rede/2006/07/2006-07-21-ausstellungseroeffung-canossa-1077.html.

[3] Neumann, aaO.

[4] Stefan Weinfurter, aaO, S. 9-20.

[5] Vergleiche die deutsche Redewendung: nach Canossa gehen; einen Canossagang antreten: Sinnbildlich für einen demütigenden Bußgang, Wahrig – Deutsches Wörterbuch, Berlin 1975, S.2025.

[6] „ Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht – weder körperlich noch geistig.“ Reichskanzler Bismarck vor dem deutschen Reichstag, zitiert nach: Weinfurter, aaO, S.25.

[7] „Heinrich mit den blassen Lippen/ murmelt fromme Paternoster/ Doch im tiefen Kaiserherzen/ Heinrich knirscht er, heimlich spricht er:/ „ Du mein liebes Deutschland/ Du wirst auch dem Mann gehören/ Der die Schlange meiner Qualen / Niederschmettert mit der Steinaxt.“ Heinrich Heine, zitiert nach: Weinfurter, aaO, S.25/26.

[8] Weinfurter, aaO, 19-20.

[9] Weinfurter, aaO, S.8.

[10] Zur Imitatio Christi, Weinfurter, aaO, S. 31-39.

[11] Zum Sachsenkrieg, Weinfurter, aaO, S.55-65.

[12] Weinfurter, aaO, S.65.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der mittelalterliche Investiturstreit und König Heinrichs Gang nach Canossa 1077: Der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche?
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Proseminar: Ketzer und Verketzerungen im Mittelalter
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V70653
ISBN (eBook)
9783638616805
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit setzt sich zentral mit der Frage auseinander, ob im Investiturstreit und dem Canossagang der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche liegt. Um diese Frage zu beantworten, werden die damaligen Ereignisse sowie der Stand der mediävistischen Forschung zum Thema 'Canossa' bezogen auf diese Frage dargestellt. Dabei wird der grundlegende Unterschied aufgezeigt, der zwischen dem heutigen Verständnis der Trennung von Staat und Kirche und den mittelalterlichen Ansätzen dazu besteht.
Schlagworte
Investiturstreit, Heinrichs, Gang, Canossa, Beginn, Proseminar, Ketzer, Verketzerungen, Mittelalter, Papst Gregor, Gang nach Canossa, Canossagang, Kulturkampf, Bismarck, Kopftuch, Salier, Heinrich IV., Trennung, Verhältnis, Staat, Kirche, Aufklärung, Papsttum, Papst, Kaiser, König, Gregor VII.
Arbeit zitieren
Sebastian Dregger (Autor:in), 2006, Der mittelalterliche Investiturstreit und König Heinrichs Gang nach Canossa 1077: Der Beginn der modernen Trennung von Staat und Kirche?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70653

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