Rente mit 67 - Eine politikfeldanalytische Betrachtung der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters


Hausarbeit, 2007

24 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Sozialpolitik im modernen Wohlfahrtsstaat
2.1 Transformation zum Wettbewerbsstaat
2.2 Entwicklungslinien der deutschen Rentenpolitik
2.3 Theorien der Staatstätigkeitsforschung

3 Politikfeldanalyse am Beispiel der geplanten Anhebung des Renteneintrittsalters
3.1 Die „Rente mit 67“
3.2 Verortung innerhalb der Sozialpolitik
3.3 Verortung im Policy-Zyklus

4 Agenda-Setting der „Rente mit 67“
4.1 Sozio-ökonomische Determinanten
4.2 Institutionelles Setting
4.3 Policy-Netzwerk: Relevante Akteure und ihre Machtressourcen
4.4 Parteienwettbewerb

5 Schlussfolgerungen

Literatur

1 Einleitung

Mehr als 60.000 Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie protestierten allein am 30. Januar 2007 gegen die geplante Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters[1] – im medialen und gesellschaftlichen Diskurs meist „Rente mit 67“ genannt. Die Fronten sind verhärtet, die Argumente könnten gegensätzlicher nicht sein – von Konkordanz und Korporatismus, die die bundesdeutsche Rentenpolitik trotz ihres redistributiven Charakters stets prägten (vgl. Czada 2004: 143), ist aktuell nichts zu spüren. Von einem „Irrweg“ spricht IG-Metall-Chef Jürgen Peters, die „Rente mit 67“ sei „nicht vermittelbar“, sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach; Bundesarbeitsminister Franz Müntefering hingegen geht davon aus, dass „die Reform im März (im Bundestag, Verf.) beschlossen werde“[2].

Wie aber hat es die geplante „Rente mit 67“ trotz des offenbar hohen Konfiktpotentials und der gegensätzlichen Positionen der beteiligten Akteure auf die politische Agenda geschafft? Diese Frage soll hier politikfeldanalytisch beantwortet und das Agenda-Setting aus den verschiedenen Perspektiven der Staatstätigkeitsfoschung beleuchtet werden. Es wird sich zeigen, dass sozio-ökonomische Veränderungen Handlungsnotwendigkeiten produzieren und dass gesellschaftliche Veränderungen sowie das spezielle Setting der Großen Koalition Handlungsspielräume eröffnen.

In einem ersten Schritt sollen dazu generelle Aspekte der Transformation des modernen Wohlfahrtsstaates zusammengefasst und die Entwicklungslinien der deutschen Rentenpolitik historisch nachgezeichnet werden. Im Anschluss daran folgt die Darstellung der relevanten Schulen der Staatstätigkeitsforschung. Das dritte Kapitel befasst sich mit der inhaltlichen Darstellung der geplanten Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters sowie ihrer Verortung innerhalb der Sozialpolitik und im Policy-Zyklus. Das Agenda-Setting der „Rente mit 67“ wird in Kapitel 4 systematisch analysiert und in einem Abschlusskapitel aus der Sicht des akteurzentrierten Institutionalismus unter Berücksichtigung von Systeminteressen (vgl. Mayntz 1993) beurteilt, woraufhin Perspektiven für den weiteren Fortgang des Policy-Zyklus aufgezeigt werden können.

2 Sozialpolitik im modernen Wohlfahrtsstaat

Um das Agenda-Setting der „Rente mit 67“ politikfeldanalytisch untersuchen zu können, ist es zunächst nötig, sich generelle Aspekte der Transformation des modernen Wohlfahrtsstaates zu vergegenwärtigen und die bisherige Entwicklung der deutschen Rentenpolitik nachzuzeichnen.

2.1 Transformation zum Wettbewerbsstaat

Der Keynesianismus ermöglichte es den europäischen Wohlfahrtsstaaten nach dem zweiten Weltkrieg zunächst, trotz Schwankungen der Weltwirtschaft die nationalen Wachstumsraten relativ konstant zu halten. Dies machte auf einer normativen Ebene die Aufrechterhaltung der Postulate der sozialen Gerechtigkeit und der Verringerung sozialer Ungleichheit möglich, wodurch die Grundlage für einen sozialpolitischen „Expansionskurs“ (Schmidt 2006: 93) und eine „Reifung“ (Lütz 2004: 14) der wohlfahrtsstaatlichen Regime gegeben war. Innerhalb dieser wurden Konflikte im Allgemeinen durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens und durch Korporatismus von Regierungen und Sozialpartnern gelöst. Die Sozialleistungsquoten stiegen dabei kontinuierlich; die Renten machen in Europa mittlerweile fast 45 Prozent der Sozialausgaben aus (vgl. ebd.).

Durch die fortschreitende Internationalisierung aber sehen sich die europäischen Nationalstaaten mittlerweile neuen Herausforderungen gegenüber gestellt. Sie befinden sich in Reformierungsprozessen und -debatten, zudem etabliert sich ein „politisches Benchmarking“ (Heinze 1999: 165). Dabei ordnen die nationalen Regierungen ihre Sozialpolitik dem „Imperativ der Herstellung internationaler Wettbewerbsfähigkeit“ (Lütz 2004: 15) unter, wodurch es zu ökonomisch orientierten Gerechtigkeitskonzepten und einer zunehmenden Differenzierung der Leistungsempfänger und der Sozialleistungen selbst kommt. Konkret folgen daraus meist Leistungskürzungen und eine Verringerung der Bezugsdauern; Zahlungen werden außerdem stärker an die individuelle Bereitschaft zur Vor- und Fürsorge gekoppelt, wie in Deutschland das Beispiel der „Riester-Rente“ zeigt. Durch diesen Trend werden „ab 2003 Teile des Sozialbudgets ernsthaft zur Disposition gestellt“ (Czada 2004: 128). Festzustellen ist aber auch, dass in der europäischen Gesellschaft die Ausrichtung auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit breit anerkannt ist (vgl. Lütz 2004: 24). Die einzelnen Wohlfahrtsstaaten reagieren dabei allerdings durchaus unterschiedlich auf den zunehmenden Wettbewerb; das nationale Institutionen-Setting scheint die Einflüsse der Weltwirtschaft zu filtern.

Im Fall der geplanten „Rente mit 67“ lohnt daher ein kurzer internationaler Vergleich: Ein Renteneintrittsalter dieser Höhe findet sich zurzeit in keinem europäischen Mitgliedsstaat, zumindest seit Dänemark die Regelgrenze im Jahr 1999 auf 65 Jahre herabgesetzt hat. Allerdings wird eine Anhebung gegenwärtig in den Niederlanden und der Schweiz diskutiert. Außerhalb der europäischen Union existiert ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren in den USA und in Norwegen (vgl. BMG 2003: 85).

2.2 Entwicklungslinien der deutschen Rentenpolitik

Das Sozialversicherungsmodell der deutschen Altersrente geht zurück auf die paternalistischen Ansätze konservativer Sozialreform in der Tradition von Lorenz von Stein. Es wurde erstmals durch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung verwirklicht, nachdem Kaiser Wilhelm I. 1881 in seiner Botschaft an den Reichstag eine Gesetzesinitiative zur Sozialversicherung angekündigt hatte. Dies ist zu verstehen als die entscheidende „Wende von der Sozialpolitik für Wenige zur Sozialpolitik für Viele“ (Schmidt 2006: 18)[3]. Daraufhin wurde 1889 die Alters- und Invalidenversicherung als dritte sozialpolitische Maßnahme – nach der Krankenversicherung 1883 und der Unfallversicherung 1884 – etabliert, welche allerdings zunächst nur als Zubrot gedacht war. Es folgte ein Jahrhundert der expansiven Sozialpolitik, in dem die Leistungen der Rentenversicherung und der Kreis der in ihr versicherten Personen beständig erhöht wurden; besondere Expansionsschübe sind in der Weimarer Republik, dem dritten Reich und der Nachkriegszeit auszumachen. Erst seit Mitte der 1970er Jahre ist in der deutschen Sozialpolitik allgemein – und in der Rentenpolitik im Speziellen – eine „Wende vom Expansions- zum Sparkurs“ (ebd.: 93) zu beobachten. Nichtsdestotrotz überwogen auch in der bundesrepublikanischen Rentenpolitik zunächst Parteienkonkordanz und Korporatismus. Erst ab Mitte der 1990er Jahre kam es zu „erheblichen rentenpolitischen Kontroversen“ (Czada 2004: 143).

Seit der Rentenreform von 1989 – die letztmals von einer großen Koalition der Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber unterstützt wurde – werden die Rentensteigerungen nicht mehr nach dem Zuwachs der Bruttoeinkommen sondern dem der Nettoeinkommen berechnet. Laut Roland Czada bewirkte diese Maßnahme, „dass zukünftige Renten langfristig auf 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoverdienstes begrenzt werden.“ (2004: 144) Außerdem erkennt man hier zum ersten Mal „die Dominanz finanzieller Konsolidierung über inhaltliche Überlegungen“ (Heinze 1999: 76). 1997 verabschiedete die konservativ-liberale Regierung dann eine Rentenreform erstmals nur mit Kanzlermehrheit. Diese Reform wurde allerdings nach dem Wahlsieg der rot-grünen Regierung im Jahr 1998 wieder rückgängig gemacht. Auch dies ist ein Novum in der deutschen Sozialpolitik der Nachkriegsära. 2000 schließlich wurde die Rentenversicherungen mit der Einführung einer privaten Komponente („Riester-Rente“) in ihren Grundprinzipien verändert. Aufgrund dieser Entwicklungen und der in der vorliegenden Arbeit besprochenen Maßahmen „befindet sich der Bismarcksche Wohlfahrtsstaat mit seiner allumfassenden, arbeitsbezogenen, gesetzlichen Sozialversicherung langfristig auf dem Rückzug“ (Czada 2004: 146).

2.3 Theorien der Staatstätigkeitsforschung

Um nun das Agenda-Setting der „Rente mit 67“ beurteilen zu können, wird im Folgenden die Methodik der Politikfeldanalyse (englisch: Policy-Analysis) angewandt. Diese beschäftigt sich empirisch mit der inhaltlichen Dimension staatlichen Handelns (policy), ist also „die wissenschaftliche Untersuchung von Politikinhalten, insbesondere des Tun und Lassens von Regierungen und anderen Institutionen mit Kompetenz zur gesellschaftlich verbindlichen Regelung […], ihrer Entstehungsgeschichte und Bestimmungsfaktoren wie ihrer Konsequenzen“ (Schmidt 1995: 567). Sämtliche Einflussfaktoren auf den Politikinhalt werden dabei quantitativ als unabhängige Variablen gesehen, der Policy-Output als abhängige Variable. Für Manfred G. Schmidt lautet daher eine der zentralen Fragen der Politikfeldanalyse: „Welches sind die Gründe und Ursachen ihres (der Regierung, Anm. d. Verf.) Handelns?“ (ebd.) Um die Politikformulierung nun in einem konkreten Fall erklärbar zu machen, werden die endogenen und exogenen Einflussfaktoren sowie die auf den politischen Entscheidungsprozess einwirkenden Akteure aus den verschiedenen Perspektiven der Staatstätigkeitsforschung beleuchtet, die im Folgenden kurz dargestellt werden.

Die sozio-ökonomische Schule betrachtet strukturelle gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen und die mit ihnen einhergehenden Probleme als Determinanten, die den Handlungsrahmen für Staatstätigkeit vorgeben. Speziell für die Politikfelder Renten- und Sozialpolitik ist eine Kernaussage dieses Ansatzes von besonderer Bedeutung; nämlich die, dass in modernen hochdifferenzierten Gesellschaften traditionelle Institutionen, wie z.B. familiäre Sicherungsnetze und kirchliche oder lokale Armenfürsorge überlastet seien und somit überhaupt erst ein Bedarf an sozialstaatlicher Sicherung bestehe. (vgl. Schmidt 2006: 577f.) Die sozio-ökonomische Perspektive bestimmt so die „obere und untere Grenzen der Staatstätigkeit“ (ebd.), sagt aber zunächst noch nichts über ihren Inhalt oder die zeitliche Platzierung eines Programms aus.

Die politisch-institutionelle Theorie ist eine der ältesten und komplexesten, zudem auch eine sehr ertragreiche Perspektive der Staatstätigkeitsforschung. Sie rückt die formellen und informellen Regeln und Normen der politischen Interaktion in den Vordergrund und betont damit die entscheidungsstrukturellen Schranken staatlichen Handelns. Dabei wird die institutionelle Konfiguration eines politischen Systems selbst als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses gesehen, die dann wiederum Entscheidungsprämissen hervorbringt. Die akteurzentrierte Perspektive des Institutionalismus[4] hebt die Rolle individueller und kollektiver Akteure hervor, die Institutionen durchaus verändern können, indem sie ihre Interessen verfolgen. Die Institutionen haben aus dieser Sichtweise nicht ausschließlich determinierende Wirkung, „statt dessen ermöglichen und restringieren sie soziales Handeln“ (Schneider 2005: 83) zugleich.

Die Interessenverfolgung von Akteuren, besonders von gesellschaftlichen Gruppen und Klassen spielt auch in der Machtressourcentheorie eine entscheidende Rolle. Sie geht davon aus, dass die Richtung staatlichen Handelns vornehmlich durch die Interessen dieser Gesellschaftsklassen sowie der ihnen zur Verfügung stehenden Machtressourcen erklärt werden kann; hierzu gehören die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, aber auch der Mobilisierungs- und Organisationsgrad. Aus dieser Perspektive kann somit nun auch der konkrete Inhalt und die zeitliche Platzierung einer Staatstätigkeit erklärt werden. Für das hier zu untersuchende Feld der Sozialpolitik z.B. argumentieren verschiedene Autoren, „dass der Wohlfahrtsstaat zu großen Teilen auf die politische und gewerkschaftliche Organisationsmacht der Arbeiter zurückzuführen sei“ (ebd.: 73).

[...]


[1] Quelle: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6357216_REF2,00.html (31.1.07)

[2] Vgl.: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6360714,00.html (30.1.07)

[3] Bereits vor den 1880er Jahren waren bestimmte Berufsgruppen (z.B. Soldaten und Beamte) rudimentär sozialpolitisch abgesichert.

[4] Als Hauptvertreter gelten Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf.

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Details

Titel
Rente mit 67 - Eine politikfeldanalytische Betrachtung der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Politische Regulierung und Steuerung)
Veranstaltung
Koordinieren und Entscheiden in Organisationen und Politikfeldern
Note
1.0
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V70611
ISBN (eBook)
9783638616676
ISBN (Buch)
9783638674430
Dateigröße
1015 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rente, Eine, Betrachtung, Anhebung, Renteneintrittsalters, Koordinieren, Entscheiden, Organisationen, Politikfeldern
Arbeit zitieren
Patrick Heiser (Autor:in), 2007, Rente mit 67 - Eine politikfeldanalytische Betrachtung der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70611

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