Die Kulturrevolution und ihre Akteure: Lin Biao, Jiang Qing und die Roten Garden


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Ursachen und Verlauf der Kulturrevolution
1.1. Die Idee der permanenten Revolution
1.2. Ausbruch der Kulturrevolution

2. Lin Biao und die VBA
2.1. Lin Biaos Rolle
2.2. Die VBA während der Kulturrevolution

3. Jiang Qing und die Viererbande
3.1. Die Schauspielerin
3.2. Madame Mao

4. Die Roten Garden
4.1. Mao wendet sich an die Jugend
4.2. Das Leben als Rotgardist am Beispiel von Maos kleiner General

Schluß

Einleitung

Die Große Proletarische Kulturrevolution war die letzte ideologische und revolutionäre Massenkampagne Mao Zedongs, deren Folgen das Land um viele Jahre zurückgeworfen haben. Sie ging einher mit gewaltigen Verlusten an Menschenleben, wirtschaftlichem Niedergang und der Zerstörung eines Großteils alter Kulturgüter. Um die Geschehnisse nachvollziehen zu können, soll hier zuerst auf die Hintergründe und Ursachen der Revolution eingegangen werden. Massenlinie und Klassenkampf gehören bis zu Maos Tod 1976 zu den wichtigsten Herrschaftsinstrumenten der KPCh, sie begründen sich auf Maos Idee der permanenten Revolution, die das Thema meines ersten Kapitels sein wird. Ich werde des Weiteren versuchen zu zeigen, inwiefern die Rolle einzelner Akteure und ihre politischen und persönlichen Ambitionen entscheidende Faktoren darstellen. M. E. hätte die Kulturrevolution ohne bestimmte Figuren in dieser Radikalität nicht stattfinden können. In dem Bewußtsein, dass noch viele andere Faktoren und Persönlichkeiten für dieses scheinbar widersinnige Unterfangen eine Rolle gespielt haben, entscheide ich mich bei meiner Arbeit für einen Ansatz, der bestimmte Biographien hervorhebt: Mao Zedong gelingt es mithilfe bestimmter Personen, der Armee und politisch gelenkter jugendlicher Rotgardisten, das Land in totales Chaos zu stürzen – ein Chaos, aus dem er gestärkt hervorgehen sollte. In meinem zweiten Kapitel werde ich mich zuerst auf Lin Biao konzentrieren, der als Verteidigungsminister, faktisches Oberhaupt der Volksbefreiungsarmee und als offizieller Nachfolger Maos eine Schlüsselposition in der Revolution innehat. Er ist auch maßgeblich verantwortlich für die gesonderte Rolle des Militärs, auf die im darauffolgenden Abschnitt näher eingegangen wird.

Eine ‚natürliche Verbündete und Kampfgefährtin’[1] findet Mao in seiner dritten Frau, Jiang Qing. Die 1914 geborene ehemalige Schauspielerin sieht in der Kulturrevolution ihre Chance, sich ihrem Mann und der Welt zu beweisen. Als Mitglied der von Mao selbst so betitelten, radikalen Viererbande treibt sie die Vernichtung der ‚vier alten’ Elemente in der chinesischen Gesellschaft – der alten Sitten, der alten Gebräuche, der alten Kultur und der alten Denkart – , mitunter oft aus privaten Motiven, schonungslos voran und wird somit zum Vorbild der Roten Garden, die sie selbst auch wie ihre persönlichen Schützlinge behandelt. Sie wird das Thema meines dritten Kapitels sein. Schlussendlich sind noch die Roten Garden zu behandeln, wohl wichtigstes und radikalstes ‚Werkzeug’ Mao Zedongs und seiner Mitstreiter. Die Zerstörung, die unter den Händen der Rotgardisten stattgefunden hat, ist als ein dunkles Kapitel der Gewaltexzesse in die Geschichte Chinas eingegangen. Die Misshandlung und Ermordung etlicher Intellektueller findet in Mao und seiner Anhängerschaft anfangs ein wohlwollendes Publikum – bis das Chaos in die Anarchie abzugleiten droht und der Vorsitzende sich genötigt fühlt, einzugreifen .In meinem letzten Kapitel wird auf den Bericht eines ehemaligen Rotgardisten gesondert eingegangen, auch um das Ausmaß der Frustration dieser jungen Leute besser aufzeigen zu können.

1. Ursachen und Verlauf der Kulturrevolution

1.1. Die Idee der permanenten Revolution

‚Doch eine Anarchie wollte er nicht, nur ein Chaos, das er beherrschen und das er, wenn es ihm lange genug gedauert hatt, mit einem Machtwort beenden konnte. Die Revolution sollte alle sieben oder acht Jahre die immer wieder verkrustenden Gesellschaftsformen aufbrechen, und dann sollten sich ‚Ungeheuer und Dämonen austoben’. Die Geschichte war ihm ein ewiger Zyklus von Ordnung, Versteinerung und Chaos.’[2]

Nach dem fehlgeschlagenen ‚Großen Sprung nach vorn’ wird Kritik gegen Maos radikale Linie laut. Mao zieht sich daraufhin zurück und überlässt Liu Shaoqi und Deng Xiaoping das Feld, die in den darauffolgenden Jahren einen gemäßigteren Kurs einschlagen. Unter ihnen setzt sich die Partei ein für eine liberalere Wirtschaft, auch das gesellschaftliche und politische Leben werden zunehmend weniger von Klassenkampf und Indoktrination bestimmt. Hier wird deutlich, wie weit man sich von der Politik des Großen Vorsitzenden entfernt hat, dessen Führungslinie sich auf den Gedanken der permanenten Revolution stützt. Nach Maos Auffassung ist der entscheidende Faktor einer Revolution die Kontinuität des Klassenkampfes seitens der Masse, Stillstand würde zum sofortigen Revisionismus und damit zum Scheitern der revolutionären Ziele führen. Das Wiederaufleben von privater wirtschaftlicher Initiative unter Deng Xiaoping und Liu Shaoqi scheint seine These zu belegen. Seiner Ansicht nach müssen die Massen immer und immer wieder durch politische Kampagnen mobilisiert werden, um die Durchführung der Revolution und die Fortführung des Klassenkampfes zu gewährleisten. Im Laufe dieser Entwicklung soll auch die Gesellschaft von Klassenfeinden gesäubert und das Denken der Massen kanalisiert werden.

‚Unsere Revolution gleicht einer Schlacht. Nachdem man eine erfolgreiche Schlacht geschlagen hat, stellen sich sofort neue Aufgaben. Dies lässt die Kader und Massen ständig von revolutionärer Begeisterung erfüllt sein und verringert Gefühle der Überheblichkeit. Selbst wenn man gern überheblich sein möchte – man hat gar keine Zeit dazu. Wenn neue Aufgaben auf sie zugekommen sind, werden sich alle auf die Frage konzentrieren, wie diese neuen Aufgaben zu meistern seien.’[3]

Das Volk muß also in Bewegung gehalten werden, um nicht wieder in alte und folglich schlechte Strukturen zu verfallen, und um aus eigener Kraft das Ziel, die Staatsform des Kommunismus, zu erreichen. Am Ende steht der Gedanke des neuen Menschen, der, da er sich aus eigenem ideellen Antrieb einsetzt für das Gemeinwohl, staatliche Kontrolle überflüssig machen wird.

1.2. Ausbruch der Kulturrevolution

Nach Maos Auffassung sind die konservative Haltung der Partei und die Trägheit und Schwerfälligkeit der Bürokratie an der nachlassenden Schwungkraft der chinesischen Revolution schuld: die Partei habe die Fähigkeit zu schnellen und innovativen Beschlüssen verloren[4]. Der Klassenkampf werde durch Kader unterminiert, die ‚hochtönende sozialistische Parolen’ von sich geben, in Wirklichkeit jedoch den ‚kapitalistischen Weg’ einschlagen. Hinzu kommt die Sorge des Vorsitzenden, seine Kollegen wollen ihn ‚aufs Altenteil abschieben’[5]. Er sieht seine Position schwanken und sieht sich gezwungen, zu handeln. Für den Ausbruch der Großen Proletarischen Kulturrevolution kommen jedoch noch weitere Faktoren zum Tragen, so zum Beispiel die Richtungskämpfe zwischen den Shanghaier Radikalen, zu denen auch Jing Qing zählt, und den Pekinger Kulturbürokraten. Auch persönliche politische Ambitionen, wie die Lin Biaos, der als Oberhaupt der VBA deren Rolle auf die Poltik ausdehnen will, spielen eine entscheidende Rolle.

In dieser Situation der Machtkämpfe kommt Mao ein zum großen Teil selbst verschuldeter Missstand zu Hilfe: Viele Studenten und Jugendliche sind frustriert und verärgert über eine Politik, die ihnen die angestrebte Ausbildung, bzw. den Zugang zur Partei aufgrund ‚falscher’ Herkunft verwehrt. Sie sind der Regierung überdrüssig, die sie aufs Land zwangsumsiedelt, um Getreidezuteilungen an Stadtbewohner einzusparen. ‚Jahrelang waren die jungen Leute zu revolutionärer Opferbereitschaft, sexueller Abstinenz und absolutem Gehorsam gegenüber dem Staat angehalten und in allem fortgesetzt überwacht worden (...)’[6]

Genau diese jungen Menschen sehen im Großen Vorsitzenden Mao die Erlösung, was sich selbiger geschickt zu Nutzen macht; er ruft die Jugendlichen auf, ihm zu folgen, was sie bereitwillig tun:

‚Die Welt ist euer, wie sie auch unser ist, doch letzten Endes ist sie eure Welt. Ihr jungen Menschen, frisch und aufstrebend, seid das aufblühende Leben, gleichsam die aufgehende Sonne um acht oder neun Uhr morgens. Unsere Hoffnungen ruhen auf euch’[7]

Angesichts der Tatsache, dass die Hälfte der zum damaligen Zeitpunkt 700 Millionen Chinesen Kinder und Jugendliche sind, lässt sich ermessen, aus welchem Reservoir Mao schöpfen kann. Er will alle alten bourgeoisen Elemente ausmerzen und macht diese Jugend zu seinem Werkzeug: es werden rote Armbinden an Gruppen von Schülern und Studenten verteilt; die Roten Garden, wie sie von nun an genannt werden (s. Punkt 4), haben den Auftrag, den neuen revolutionären Umsturz anzuführen.

‚Praktisch gesprochen handle es sich um den Versuch, die Partei von den Zauderern und Rechnern zu säubern. Gleichzeitig müsse der Jugend mit Hilfe der in einer künstlich entfachten Revolution gewonnenen Erfahrungen der Instinkt für die einzuschlagende Richtung und für die richtige Führung so eingepflanzt werden, dass er sich von Generation zu Generation weitervererbe.’[8]

Neben Maos Vorhaben, seine innerparteilichen Widersacher zu vernichten, soll die Kulturrevolution noch einen weiteren großen Zweck erfüllen, der von dem so nur ungenau und verkürzt übersetzten Begriff bereits impliziert wird: Wörtlich ins Deutsche übertragen müsste es nämlich heißen: ‚Die Massen ändern den Auftrag: Herrschen sollen alle, denen die Produktionsmittel zukommen, damit sie Kultur haben können.’[9] Um den gebildeten Werktätigen mit sozialistischem Bewusstsein zu schaffen, ist es nötig, eine neue Kultur ins Leben zu rufen, und gleichzeitig alles Alte zu vernichten. Die neue Kultur ist aus dem Volk und für das Volk. Nach Ansicht der Shanghaier Radikalen

‚steht China noch immer unter der Diktatur einer unheilvollen, gegen die Partei und den Sozialismus gerichteten, dem Denken des Vorsitzenden Mao diametral entgegengesetzten Richtung. Diese unheilvolle Richtung erwächst aus der Kombination bourgeoiser Vorstellungen über Literatur und Kunst, moderner revisionistischer Ideen über Literatur und Kunst und der sogenannten Literatur und Kunst der dreißiger Jahre’. Lin Biao bermerkt dazu noch: ‚Falls das Proletariat die Positionen in Literatur und Kunst nicht besetzt, wird es mit Sicherheit die Bourgeoisie tun. Dieser Kampf ist unvermeidlich.’[10]

Der Stein des Anstoßes ist das Stück ‚Hai Rui wird entlassen’, verfasst von Wu Han, der mit zwei weiteren Schriftstellern eine Gruppe bildet, die das ‚Dreifamiliendorf’ genannt wird. In diesem Stück übt der Autor getarnt aber doch offensichtlich Kritik an Maos Entscheidung Peng Dehuai zu entlassen, als der ihn auf die Mängel des Großen Sprungs aufmerksam macht und ihn durch Lin Biao zu ersetzen. Radikale um Mao setzen sofort zum Gegenschlag und veröffentlichen Kritik an dem Stück in Zeitungen. Diese Kritikbewegung greift um sich – es darf keine Zuschauer geben, niemand, der nicht Stellung nimmt, jeder muss Position beziehen, je radikaler, desto richtiger.[11] Und Sündenböcke sind auch schnell gefunden: seine schlechten Erfahrungen mit arroganten Gelehrten während seiner Zeit als Bibliotheksgehilfe kann Mao nicht vergessen, auf sie projiziert er die Wut und Aggression der Roten Garden. So schafft er das Chaos mit dem er die Revolution wiederbeleben will.

[...]


[1] Spence 2001: 706

[2] Wickert 1988: 171

[3] Spence 2001:680

[4] Spence 2001:711

[5] Spence 2001:711

[6] Spence 2001:716

[7] Die Revolution geht weiter:35

[8] Barcarta 1967:121

[9] Die Revolution geht weiter:26

[10] Spence 2001:710

[11] Wickert 1988:170

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Kulturrevolution und ihre Akteure: Lin Biao, Jiang Qing und die Roten Garden
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Sinologie)
Veranstaltung
Proseminar: Landeskunde China
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V70604
ISBN (eBook)
9783638616652
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dem Proseminar sollten einführend verschiedene Aspekte der chinesischen Landeskunde erarbeitet werden. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselfiguren der Kulturrevolution neben Mao Zedong: seiner vierten Frau Jiang Qing als Mitglied der Viererbande, Lin Biao als Kopf der VBA und den Roten Garden. Kritisiert wurde an der Arbeit ihre einseitige und unkritische Behandlung von Quelltexten, vor allem in ihrer Unverhältnismäßigkeit zum Zitieren aus wissenschaftlicher Fachliteratur.
Schlagworte
Kulturrevolution, Akteure, Biao, Jiang, Qing, Roten, Garden, Proseminar, Landeskunde, China
Arbeit zitieren
Rike Pätzold (Autor:in), 2003, Die Kulturrevolution und ihre Akteure: Lin Biao, Jiang Qing und die Roten Garden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70604

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