Zur Schuldfrage Gretchens in Goethes Faust I


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung zum Thema

2. Erläuterung der Gestalt Gretchen
2.1 Gretchens Rolle in der Gesellschaft und Familie
2.2 Gretchens Rolle als Geliebte von Faust

3. Rekonstruktion der Fakten, die zur Schuldfrage führen
3.1 äußere Handlung
3.2 innere Handlung

4. Thesen und Antithesen zu der vorgestellten Problematik
4.1 Die juristische Problematik
4.2 Die moralische Problematik

5. Fazit: Inwiefern zeigt sich Goethes Motiv über das Irren in der Gestalt und dem Schicksal Gretchens
5.1 Erläuterung über das Motiv des Irrens
5.2 Erörterung des Entelechie – Modells

6. Literaturverzeichnis

1. Hinführung zum Thema

„ Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen, / Und hat an ihm die Liebe gar / Von oben teilgenommen, / Begegnet ihm die selige Schar/ Mit herzlichem Willkommen.“ (V. 11936 ff)[1]

Gilt dieses Goethesche Motto für jeden Menschen – egal welche und wieviel Schuld dieser auf sich geladen hat?

Die weibliche Hauptperson aus der Tragödie mit dem Titel „Faust – Der Tragödie 1. Teil“ mit dem Namen Gretchen hat juristisch gesehen große Schuld auf sich geladen. So stirbt durch ihre unwissende Beihilfe ihre Mutter, ihr Bruder wird durch ihren Verstoß gegen die moralischen Sitten der Gesellschaft von ihrem Geliebten getötet und schließlich bringt sie ihr eignes Kind um.

Doch so trivial ist die Beantwortung der Frage nach Gretchens Schuld tatsächlich nicht.

2. Erläuterung der Gestalt Gretchen

Gretchen ist eine vierzehnjährige junge Frau, die noch viele kindliche Züge aufweist. Sie ist in einem streng religiösen Elternhaus aufgewachsen und musste schon früh viel Verantwortung im Haushalt übernehmen. So erzieht sie ihre kleine Schwester fast alleine und betrachtet sich selbst als Mutterersatz. Gretchens Mutter ist eine strenge Frau bürgerlichen Standes, die Gretchen zu einem absolut gehorsamen, religiösen und genügsamen Menschen entsprechend den herrschenden Moralvorstellungen der sozialen Gesellschaft erzogen hat.

2.1 Gretchens Rolle in der Gesellschaft und Familie

Gretchen besitzt einen festen Standpunkt in ihrer Familie und der Gesellschaft. Die Familie hat keinen Ernährer mehr, da Gretchens Vater nicht mehr existiert. So ist Gretchens Mutter dafür zuständig der Famielie das Existenzminimum zu gewährleisten. Daraus resultiert, dass Gretchen schon früh viel Verantwortung im Haushalt übernehmen musste. Sie selbst ist fast noch ein Kind und dennoch für die Erziehung ihrer kleinen Schwester und Instandhaltung des Haushaltes verantwortlich.

Als genügsames, gehorsames, frommes und eifriges Mädchen erledigt sie diese Aufgaben bestmöglich. Bedingt durch diese Situation und den sozialen und materiellen Stand der Familie kam Gretchen lediglich ein Bildungsminimum zu, was wiederum einen Aufstieg Gretchens in eine höhere Bildungsschicht und damit auch in einen höheren sozialen und materiellen Stand nahezu unmöglich werden lässt.

Ihr Bruder Valentin ist Soldat und bezieht seinen Wert aus der Tugendhaftigkeit seiner Schwester. Dies zeigt, welch positives Bild das soziale Umfeld , das für Gretchen von großer Wichtigkeit ist, von ihr hat. Das normative Wertesystem, dessen Erfüllung die Gesellschaft von ihr verlangt, lebt Gretchen in vorbildlicher Art und Weise.

Diese Beschreibung von Gretchens Rolle in der Familie und der Gesellschaft beweisen auf der einen Seite Gretchens bodenständigen festen Stand als Glied des sozialen Umfelds. Zum anderen zeigt sie aber auch Gretchens enge Spannweite an Handlungsfreiheit. Die Gesellschaft gibt ihr nahezu in allen Fragen des Lebens eine klare Handlungsposition vor. Entweder Gretchen befolgt diese Vorschriften oder sie bricht die Regeln der Gesellschaft. Damit verliert sie aber nicht nur ihren eigenen sozialen Stand, sondern auch den ihrer ganzen Familie.

2.2 Gretchens Rolle als Geliebte von Faust

Gretchens Rolle als Geliebte von Faust kommt ihr mehr zufällig zu. Zu Beginn lehnt sie diese, auch aus Pflichtbewusstsein ihrer Familie und deren Stellung im sozialen Gefüge gegenüber ab. Dies wird besonders deutlich in der Szene „Straße“, in der Faust und Gretchens das erste Mal aufeinander treffen.

Faust. „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, / Meinen Arm und mein Geleit ihr anzutragen?“

Margarete. „Bin weder Fräulein, weder schön, / Kann ungeleit nach Hause gehen.“ (V.2605ff.)

(Sie macht sich los und ab.)

An dieser Reaktion Gretchens wird deutlich, dass sie sich sowohl ihres Standes, als auch ihrer weiblichen Geltungsstärke sehr wohl bewusst ist. Sie macht sich los und zeigt damit, dass sie ein anständiges Mädchen ist.

Faust, der nach dem Genuss des Zaubertrankes in allen Frauen „schöne Helenen“ (V.2604) sieht, begegnet Gretchen zufällig auf der Straße und richtet seinen enthusiastischen Liebestaumel mehr wahllos als gezielt auf sie.

Mephisto erkennt sofort, welch tugendhaftes Mädchen Gretchen ist und sagt sie sei „ein gar unschuldig Ding“. (V.2624)

Damit will er Fausts Drang nach Erfüllung von Lust und Begierde umlenken. Denn sogar Mephisto ist sich bewusst, dass er Probleme bekommen wird über Gretchens sittsame Gestalt Gewalt zu bekommen.

Gretchen spürt, dass sowohl Mephisto, als auch Faust nicht in ihre Welt gehören. Dies wird besonders in der Szene „Abend“ deutlich, als Gretchen nach Hause kommt, nachdem Faust und Mephisto in ihrem Zimmer gewesen sind. Sie spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist wenn sie sagt:

„ Es ist so schwül, so dumpfig hie, / Und ist doch eben so warm nicht drauß. / Es wird mir so,

ich weiß nicht wie- / Ich wollt, die Mutter käm nach Haus. / Mir läuft ein Schauer übern

ganzen Leib - /Bin doch ein töricht furchtsam Weib!“ (V.2753 ff.)

Dennoch ist Gretchen von der Begegnung mit Faust beeindruckt und denkt in der Szene „Abend“ neugierig über Faust nach.

„Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt, / Wer heut der Herr gewesen ist! / Er sah gewiß recht wacker aus, / Und ist aus einem edlen Haus;“ (V.2678 ff.) In diesem Ausspruch Gretchens werden bereits die gravierenden Unterschiede im Stand und Alter deutlich, die zwischen Gretchen und Faust bestehen. Mephisto lehnt sie jedoch entschieden ab. Sie spürt instinktiv, dass von ihm nichts Gutes ausgeht.

In dem Lied vom König von Thule kann man Gretchens hohe Anforderungen an die Liebe erkennen. In dem Lied geht es um einen Mann, der einer Frau über den Tod hinaus treu ist. Diesen Maßstab setzt Gretchen nun auch für ihre Beziehung zu Faust an. Sie ist bereit alles aufzugeben, was ihr bisher wichtig gewesen ist und fordert dies auch von Faust. An einer flüchtigen Liäson zu Faust ist sie nicht interessiert, was ihrem pflichtbewussten, frommen und zuverlässigen Wesen auch nicht gerecht werden würde. Gretchen besitzt ihren eigenen Stolz, den sie über ihre Familie, Arbeit und Pflichten definiert. Dies wird besonders deutlich, wenn Gretchen zu Faust sagt:

„Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken / Und nähn,

und laufen früh und spat; (...) /

Und so erzog ich’s ganz allein, (...) / Bald mußt ich’s tränken,

bald es zu mir legen, / (...) Und früh am Tag schon am Waschtrog stehn; /

Dann auf den Markt und an dem Herde sorgen, / Und immer so fort wie

Wie heut so morgen.“ (V.3111 ff.)

Gretchen zeigt Faust damit, dass sie sich für heiratenswert hält, da sie durch ihr Verantwortungsbewusstsein und die vielen Erfahrungen im Elternhaus eine gute Hausfrau und Mutter sein würde. Eine Hochzeit mit Faust wäre für Gretchen die einzig denkbare Möglichkeit den Moralvorstellungen der Gesellschaft nicht gänzlich zu widerstreben und außerdem bei Faust bleiben zu können, den sie aufrichtig liebt.

In der Szene „Garten“ werden die Unterschiede, die zwischen Gretchen und Faust herrschen noch einmal ganz deutlich. Die jugendliche Idealistin Gretchen steht dem in die Jahre gekommenen Realist Faust gegenüber. Gretchen begegnet Faust mit Liebe, für Faust ist es mehr ein strategisches Streben nach seinem Willen.[2]

Im Gespräch kristallisiert sich zusätzlich der Bildungs- und Standesunter-schied heraus, den Gretchen als sehr unangenehm und beunruhigend empfindet. Gretchen sehnt sich zwar nach einem höheren sozialen Stand, was durch die Schmuckszene klar herausgestellt wird, gibt dies jedoch nicht zu, da sie von Kind an zu Genügsamkeit und Dankbarkeit erzogen worden ist.

Durch den Verlust ihrer Unschuld vor einer möglichen Eheschließung, lädt sie in den Augen der Gesellschaft Schuld auf sich. Dadurch kann sie nicht mehr in die friedvolle, sichere Welt ihres Elternhauses zurückkehren und ihr bleibt nur noch die Rolle als Geliebte von Faust.

3. Rekonstruktion der Fakten, die zur Schuldfrage führen

Im folgenden Teil sollen die Fakten rekonstruiert werden, die zur Frage nach Gretchens Schuld geführt haben. Zunächst wird die äußere Handlung dargelegt, die auf die vorherrschenden Tatsachen eingehen, die zu einem Aufkommen der Schuldfrage überhaupt führen.

In einem weiteren Teil wird die innere Handlung rekonstruiert. Hierbei geht es um die einzelnen Stationen, die dazu führen, dass Gretchen überhaupt so handelt, wie sie es getan hat.

3.1 äußere Handlung

Wie schon erläutert ist Gretchen in einem streng religiösem Elternhaus aufgewachsen, in dem es unmöglich wäre unverheiratet die Nächte mit einem Mann zu verbringen.

Doch sowohl Gretchen, als auch Faust sehnen sich danach sich nahe zu sein. Gretchen aus Liebe und Sehnsucht, Faust mehr aus erotischer Begierde. Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, gibt Faust Gretchen einen Schlaftrunk, den sie ihrer Mutter verabreichen soll. Gretchen tut dies, ohne zu wissen, dass ihre Mutter an dem Trank sterben wird.

Gretchens Bruder Valentin ist entrüstet über ihre Ehrlosigkeit und will sich an dem Verführer rächen. Er lauert Faust auf und fordert ihn zum Kampf. Bei diesem Kampf wird Valentin durch Faust Klinge tödlich getroffen. Gretchens Bruder stirbt durch die Folgen von ihrem Handeln auf ihrer „Schwelle“ (V.3789) und beschimpft sie mit seinen letzte Worten noch als eine „Hur“ (V3730).

Dazu kommt, dass Gretchen unverheiratet schwanger ist. In der Szene „Am Brunnen“ erfährt Gretchen, dass eine ihrer Freundinnen ein uneheliches Kind erwartet. Gretchen erfährt den Spott und die Schande, die ihrer schwangeren Freundin zukommt und befürchtet das selbe für sich. Ohne es wirklich realisiert zu haben, ist Gretchen zu einer Aussetzigen geworden. Aus Angst vor dieser Erfahrung und beginnendem Wahnsinn bringt Gretchen ihr eigenes Kind um. Als Folge dessen wird Gretchen in den Kerker eingesperrt.

[...]


[1] Literaturverzeichnis: Quelle Nummer

[2] Literaturverzeichnis: Quelle Nummer 5, Seite. 62

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zur Schuldfrage Gretchens in Goethes Faust I
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Hauptseminar: Goethes Faust I
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V70393
ISBN (eBook)
9783638615778
ISBN (Buch)
9783656561644
Dateigröße
404 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Schuldfrage Gretchens aus rechtlicher und moralischer Sicht und beantwortet die Frage nach dem Zusammenhang Goethes Sichtweise vom menschlichen Irren und der Darstellung des Gretchens im Faust I. Mit vielen Belegen am Text!
Schlagworte
Schuldfrage, Gretchens, Goethes, Faust, Hauptseminar, Goethes, Faust
Arbeit zitieren
Meike Schöl (Autor:in), 2003, Zur Schuldfrage Gretchens in Goethes Faust I, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70393

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