Biographiearbeit und Alphabetisierung


Seminararbeit, 2019

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Alphabetisierung und Analphabetismus – Was ist das?

3. Biographie und biographisches Lernen in der Erwachsenenbildung

4. Die Fortbildung „Biographisches Arbeiten in der Grundbildung“

5. Zusammenfassung und Ausblick

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

In den letzten zwei Jahrzehnten zeigte sich für die meisten Menschen ein Wandel in Bezug auf deren Arbeitsbedingungen. Zum einen wird in der heutigen Zeit ein Arbeitsplatz viel häufiger gewechselt, als das noch früher der Fall war und zum anderen bedeutet ein konkretes Ausbil- dungsprofil nicht mehr den einen konkreten Beruf. Als Beweis für die Eignung für einen be- stimmten Arbeitsplatz muss hingegen oftmals mit der bisherigen persönlichen Biographie ar- gumentiert werden. Zudem entstehen durch unsere gewonnene Mobilität, aber auch durch das Internet, immer neue Kontakte, denen wir über uns und unsere Werdegänge berichten können. Indem auf diese Weise unsere persönlichen Berufs- und Lebenswege kommunizierbar werden, befinden wir uns so bereits mitten im ‚biographischen Arbeiten‘. Die eigene Biographie ist demnach wichtiger denn je geworden. (vgl. Volkshochschulverbund o.J., S.1)

Um sich die eigene Biographie bewusst und für ein erfolgreiches Lernen nutzbar zu machen, ist Biographiearbeit auch ein besonders wichtiges Thema in der pädagogischen Praxis – auch in Lernprozessen in der Alphabetisierung von Erwachsenen, welche exemplarisch für die Aus- arbeitung dieser Seminararbeit gewählt wurden. Dort ist das Wissen um die Bedeutung indivi- dueller Biographie für Lernprozesse sowohl für Lehrende als auch für Lernende sehr entschei- dend, wie es auch von Elisabeth Fuchs-Brüninghoff und Monika Pfirrmann (1992) formuliert wird: „Bildungsarbeit mit Erwachsenen zu machen, heißt konfrontiert zu sein mit den lebens- geschichtlich bedingten Lernhaltungen und Lernstrategien jedes einzelnen ( Fuchs-Brüning- hoff / Pfirrmann 1992, S.9) . Diese Lernhaltungen und Lernstrategien sind den Beteiligten oft- mals unbewusst und kommen häufig erst während des Lernens zum Vorschein, wo sich dann ihre Wirkung zeigt. (vgl. Volkshochschulverbund o.J, S.1)

Für erfolgreiches Lernen in der Alphabetisierung ist allerdings nicht nur die Auseinanderset- zung mit den eigenen individuellen Lebens- und Bildungswegen unausweichlich, sondern ebenso die Beschäftigung mit Werdegängen von anderen Betroffenen. Dies haben aktuelle For- schungsergebnisse aus der Alphabetisierung ergeben, welche gleichzeitig auf die Wichtigkeit hinweisen, Betroffene direkt an diesem Wissen im Rahmen von Alphabetisierungsmaßnahmen teilhaben zu lassen. (vgl. Arnold / Lucha 2011, S. 227 ff) Weshalb dies für die Lernenden selbst, aber vor allem auch für Unterrichtende in Alphabetisierungsmaßnahmen so hohe Bedeutsam- keit hat, soll die Forschungsfrage, die für diese Seminararbeit leitend ist, klären: Inwiefern ist es für Lehrende und Lernende in Alphabetisierungskursen bedeutsam, sich mit Forschungsergebnissen zu Werdegängen von Menschen, die als Erwachsene lesen und schrei- ben lernen, auseinanderzusetzen? Anhand eines Fortbildungskonzepts mit dem Titel ‚Biogra- phisches Arbeiten in der Grundbildung – Eine Fortbildung zur Professionalisierung von Kurs- leitenden‘ (vgl. Volkshochschulverbund o.J) wird es das Ziel sein, herauszuarbeiten, wie Teil- nehmende in Alphabetisierungskursen in Hinblick auf ihre eigene Geschichte von Bildungs- und Lebenswegen anderer Menschen, die erst im Erwachsenenalter lesen und schreiben gelernt haben, sowie auch die Lehrenden von diesem Wissen profitieren können.

Auf dem Weg hin zur Beantwortung der Forschungsfrage und zu einem ersten Verständnis der Thematik werden im nächsten Kapitel zuerst die Begrifflichkeiten der Alphabetisierung, des Analphabetismus und in weiterer Folge der Literalität näher erläutert. (vgl. Kapitel 2) Die Frage, was unter Biographie und Biographiearbeit im Besonderen in der Erwachsenenbildung zu verstehen ist, soll im darauffolgenden Kapitel beantwortet werden. (vgl. Kapitel 3) Im nächs- ten Abschnitt liegt der Fokus auf dem bereits genannten Fortbildungskonzept zum biographi- schen Arbeiten für Kursleitende und dessen Bedeutung für Lehrende und Lernende in Kursan- geboten. (vgl. Kapitel 4) Abschließend werden Erkenntnisse zusammengefasst, die For- schungsfrage wird beantwortet und es wird beschrieben, wo weitere Forschung anschließen könnte. (vgl. Kapitel 5)

2. Alphabetisierung und Analphabetismus – Was ist das?

Im deutschen Duden wird der Begriff des Analphabetismus schlicht und einfach als Unfähigkeit zu schreiben und zu lesen erklärt. (vgl. Duden Online). Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich dieser Begriff hingegen sehr viel genauer erklären. Um zu verstehen, wer in Alphabetisierungs- maßnahmen was lernt, soll daher zu allererst geklärt werden, was unter dem Begriff der Alpha- betisierung und in weiterer Folge dem des Analphabetismus zu verstehen ist.

Analphabetismus kann in drei Begrifflichkeiten unterteilt werden. Wenn Menschen beispiels- weise nie eine Schule besucht haben und deshalb über keine Lese- und Schreibkenntnisse ver- fügen, wird in diesem Zusammenhang gängig von primärem Analphabetismus gesprochen. Spricht man hingegen vom sekundären Analphabetismus, heißt das, dass Lese- und Schreib- kompetenzen zwar einmal erlernt wurden, in späterer Folge aber wieder verlernt wurden. Zu- letzt ist auch noch der dritte Begriff des funktionalen Analphabetismus in Verwendung, der mit der Funktion in einer Gesellschaft, die sich an der Schriftsprache orientiert, zu tun hat. Be- herrscht eine Person das Lesen und Schreiben in zu geringem Ausmaß, ist es möglich, dass diese in einer solchen Gesellschaft nicht ‚funktionieren‘ kann und somit als funktionaler Analphabet bezeichnet wird. Fälschlicherweise werden auch Personen, die in ihrer Mutter- schrift alphabetisiert wurden, oftmals als Analphabeten bezeichnet. Dies ist insofern nicht rich- tig, als diese Personen lediglich die Lateinschrift nicht beherrschen und erst erlernen müssen. Das bloße Erlernen von Buchstaben und dem sinnerfassenden und zusammenhängenden Lesen wird aber dem Begriff der Alphabetisierung keineswegs gerecht und umfasst sehr viel mehr als nur diese beiden Aspekte. (vgl. Aschemann 2011, S. 13) In Verbindung mit diesem ‚Mehr‘ nennt Aschemann (2011) die Literalität, die sich wie folgt definiert: „Der Begriff der Literalität (engl. literacy) versucht, den Aspekt der Schreib- und Lesekompetenz mit der Handlungskom- petenz zu verknüpfen. Literalität kann als Handlungskompetenz im Umgang mit Schrift und geschriebener Sprache, bestimmt von gesellschaftlichen Faktoren, definiert werden. (Kersch- hofer-Puhalo 2011, S. 91f.)“ Literalität definiert sich damit vor allem als soziale Praxis und bezieht sich nicht nur auf den Umgang mit der Schrift selbst. Denn für die ‚Funktion‘ im Alltag sind verschiedene Handlungskompetenzen, eine Differenzierungsfähigkeit und auch das Wis- sen, ob die jeweiligen Strategien situationsadäquat sind, notwendig. (vgl. ebd, 2011, S. 91.f.)

In Hinblick auf die Forschungsfrage und nach dieser ersten Auseinandersetzung mit den Be- griffen der Alphabetisierung und des Analphabetismus, soll im nächsten Kapitel sowohl ge- nauer auf die Methode des Biographischen Lernens in der Erwachsenenbildung eingegangen als auch der Begriff der Biographie zu definieren versucht werden.

3. Biographie und biographisches Lernen in der Erwachsenenbildung

Die eigene Biographie sowie biographisches Lernen als Methode haben in der Erwachsenen- bildung einen besonderen Stellenwert. Lernenden soll es durch biographische Ansätze einer- seits ermöglicht werden, sich mit der eigenen Biographie auseinanderzusetzen. Andererseits dienen sie der Bestimmung des derzeitigen persönlichen Lernstandortes, an welchem dann an- geknüpft werden kann, so dass es dadurch in weiterer Folge den Lernenden ermöglicht wird, Selbstverantwortung zu übernehmen. Durch das Lernen und Beobachten kann sich das Selbst- bild verändern und es können Freiräume, die für die nächsten Schritte von Bedeutung sein kön- nen und vorher vielleicht gar nicht gesehen wurden, eröffnet werden. Die Erkenntnis, dass „ein Lernen ohne Atmungsprozess des Erinnerns, Loslassens und Neubildens (Bertsch 2009)“ gar nicht möglich ist, wird dadurch von Lernenden und Lern-Begleitenden erfahrbar. (vgl.ebd. 2009)

Der Einsatz von biographischen Methoden nimmt in der Bildungspraxis stetig zu, allerdings gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Varianten, wie mit Biographien und Lebensgeschichten gearbeitet werden kann. (vgl. Rothe 2008, S. 147). Die verschiedenen Konzepte unterscheiden sich oftmals sehr, was den Inhalt und die Zielsetzungen betreffen, weshalb es auch keine ein- heitliche Definition gibt, die erklärt, was genau unter Biographie und biographischer Arbeit zu verstehen ist. (vgl. Arnold/Lucha 2011, S. 228) So wird Biographie von Susanne Braun (1996) beispielsweise als eine Mischung aus verschiedenen Erfahrungen, die Personen im Laufe ihres Lebens machen und schließlich deren individuelles Handeln sowie deren Lebensgeschichte be- einflussen, beschrieben. (vgl. ebd., S.228)

Um zu veranschaulichen, was unter biographischer Arbeit verstanden werden kann, soll an die- ser Stelle exemplarisch das Konzept von Daniela Rothe (2008) dargestellt werden, die zwischen biographischer Arbeit und pädagogischer Biographiearbeit differenziert. Laut Rothe werden, um das eigene Leben reflektieren und gestalten zu können, bestimmte Kompetenzen benötigt, genauso wie das Entwerfen einer eigenen Identität, welche immer wieder erneut überprüft wer- den muss. Diesen Vorgang bezeichnet Rothe als biographische Arbeit. Wird nun professionell pädagogisch gehandelt, unterstützt dies die biographische Arbeit, was von Rothe letztlich als pädagogische Biographiearbeit verstanden wird: Von pädagogischer Biographiearbeit ist vor allem dann die Rede, wenn durch den Einsatz ganz konkreter Methoden (z.B. sogenannter bio- graphischer Übungen) lebensgeschichtliche Erfahrungen explizit zum Gegenstand des Lernens werden, d.h. wenn Prozesse biographischer Selbstreflexion pädagogisch angeleitet, unterstützt und begleitet werden (Rothe, nach Dausien 2008)“ Mit dem Begriff der pädagogischen Biogra- phiearbeit meint Rothe somit nicht nur eine einzige Methode, sondern „vielmehr (…) die Ent- wicklung einer professionellen Haltung, die mit bestimmten Methoden verbunden ist (Rothe 2008, S. 161).“ Es stellt sich für Rothe des Weiteren die Frage, welchen Beitrag eine Orientie- rung an der Biographie zu einer Professionalisierung von pädagogischer Arbeit leisten kann. In der Praxis kennen PädagogInnen bereits die Bedeutung der Lebensgeschichten der Lernenden und wenden auch biographische Methoden an, allerdings fehlt ihnen meist das theoretisch fun- dierte Wissen. (vgl. ebd, S. 161) Um PädagogInnen dieses Wissen vermitteln zu können, wurde die Fortbildung mit dem Titel ‚Biographisches Arbeiten in der Grundbildung – Eine Fortbil- dung zur Professionalisierung von Kursleitenden‘ ins Leben gerufen, welche im folgenden Ka- pitel näher vorgestellt werden soll.

4. Die Fortbildung „Biographisches Arbeiten in der Grundbildung“

Das Ziel des Fortbildungskonzepts, das in diesem Kapitel vorgestellt wird und weiter zur Be- antwortung der Forschungsfrage hinführt, ist nicht die Vermittlung von Methoden der pädago- gischen Biographiearbeit. Daniela Rothe weist auf die Wichtigkeit theoretisch fundierten Wis- sens für PädagogInnen vor allem auch in Bezug auf die Arbeit mit funktionalen Analphabeten hin. (vgl. Rothe 2008, S. 161) Durch die Fortbildung soll den Kursleitenden daher theoretisches Hintergrundwissen zugänglich gemacht werden, welches eine weiterführende biographische Arbeit mit Kursteilnehmenden vereinfachen soll. Konkret geht es dabei um Erkenntnisse von Forschungsarbeiten, die im Rahmen des Verbundprojekts „Verbleibstudie zur biographischen Entwicklung (ehemaliger) TeilnehmerInnen an Alphabetisierungskursen“ durchgeführt wur- den. Anhand zahlreicher biographischer Interviews mit Personen, die ausreichende Lese- und Schriftsprachkompetenzen erst im Erwachsenenalter erworben haben, wird belegbar, dass die Bildungswege Betroffener von schlechteren Bedingungen geprägt sind als jene von anderen Personen. Die wesentliche Lebensveränderung und – verbesserung, die sich durch eine Teil- nahme an Alphabetisierungsangeboten ergibt, sowie auch die Beweggründe, die überhaupt erst zu einer Teilnahme führen, sind ebenfalls wichtige Erkenntnisse, die sowohl Kursleitenden wie auch Kursteilnehmenden zugänglich gemacht werden sollten, wie die ForscherInnen der Ver- bleibstudie meinen. Denn durch einen Alphabetisierungskurs ändert sich zwar vielleicht nicht das gesamte Leben der Teilnehmenden, aber mit Sicherheit ein sehr entscheidender Teil. (vgl. Volkshochschulverbund o.J., S. 3) Denn, wie es in der Sammelmappe zur Fortbildung auf den Punkt gebracht wird: „Die eigene Geschichte vor dem Hintergrund der Lebens- und Bildungs- wege Anderer zu sehen und zu reflektieren, kann helfen, auf Distanz zu stigmatisierenden Nor- men zu gehen (ebd. o.J., S.3) .“ In weiterer Folge könnte dies schließlich als Anlass genommen werden, über die Gründe solcher gesetzten Normen nachzudenken. (vgl. ebd. o.J., S.3)

Um PädagogInnen, die in Alphabetisierungsmaßnahmen tätig sind , nun das genannte Wissen zu vermitteln, werden in der dafür ins Leben gerufenen Weiterbildung Themen aufgegriffen, wie beispielsweise die Sozialisationsbedingungen innerhalb der Herkunftsfamilien sowie deren Auswirkungen auf den Schriftspracherwerb von Menschen, die an Alphabetisierungskursen teilnehmen. Dabei sollen kritisches Hinterfragen und Diskussionen über Faktoren angeregt wer- den, die für die Entstehung von funktionalem Analphabetismus ausschlaggebend sein können – so beispielsweise der familiäre Hintergrund, der Bildungsweg in verschiedenen Institutionen oder ökonomische Verhältnisse. Kursleitenden soll außerdem veranschaulicht werden, in wel- chen Bereichen der Gesellschaft die Handlungsmöglichkeiten Betroffener eingeschränkt sind und wie dieser Umstand wiederum mit der Motivation für einen Kursbesuch zusammenhängt. In diesem Zusammenhang werden auch „Zieldimensionen wie berufliche und soziale Teilhabe sowie die persönliche Entfaltung (Arnold / Lucha 2011, S.232)“ genannt. An dieser Stelle der Fortbildung soll einerseits geklärt werden, wie Betroffene mit Situationen, die Schriftsprach- kompetenzen erfordern, umgehen und welche Strategien sie nutzen diese zu bewältigen. Ande- rerseits liegt der Fokus auch auf dem Zusammenhang eines Outings (damit ist der Zeitpunkt gemeint, den Betroffene selbst wählen, um bestimmten Personen von ihrem Problem zu erzäh- len) mit Entwicklungen in einzelnen Lebensbereichen. Sehr bedeutend ist außerdem auch das vorhandene Wissen zur biographischen Entwicklung von Teilnehmenden im Kursverlauf sowie nach Kursende, welches ebenfalls an Lehrende weitergegeben wird. (vgl. ebd., S.233)

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Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Biographiearbeit und Alphabetisierung
Hochschule
Universität Wien
Veranstaltung
Bildungswissenschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
13
Katalognummer
V703191
ISBN (eBook)
9783346182494
ISBN (Buch)
9783346182500
Sprache
Deutsch
Schlagworte
alphabetisierung, biographiearbeit
Arbeit zitieren
Ina Luger (Autor:in), 2019, Biographiearbeit und Alphabetisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/703191

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