Freiräume? Über die Frage nach weiblicher Emanzipation und Rebellion in den jüdischen Berliner Salons der Frühromantik 1780-1806


Hausarbeit, 2000

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung – Weibliche Emanzipation und Rebellion in und durch die frühromantischen Berliner Salons?

II. Vom Außenseiter in den Mittelpunkt des geistig-kulturellen Lebens – Bedingungen für den gesellschaftlichen Aufstieg junger jüdischer Frauen
II.1 Gesellschaftliche und kulturelle Synthesen
II.2 Aufklärung, jüdische Akkulturation und Moses Mendelssohn
II.3 Kultureller und gesellschaftlicher Auf-Bruch
II.3.1 Jung, jüdisch, weiblich – prädestiniert für den Salon?

III. Freiräume? Weibliche Selbstwahrnehmung im soziokulturellen Netzwerk `Salon´
III.1 Rahel – Ein Leben für die romantische Geselligkeit
III.2 Henriette – Verwirklichung des romantischen Gefährtenmodells im Herz´schen Doppelsalon?
III.3 Dorothea – Bruch mit gesellschaftlicher Konvention und jüdischer Tradition aus Liebe

IV. Vom Ende eines T(Raums) – Frauen-Leben nach dem Ende der Salon- geselligkeiten
IV.1 Emanzipation durch die Ideale der Romantik?
IV.2 Von der gelebten Utopie in die gesellschaftlichen Realität der Restaurationszeit
IV.3 Rahel – `neue´ Identität durch Heirat und liberale Geselligkeit
IV.4 Dorothea – `neue´ Identität durch `neue´ Konfession?
IV.5 Henriette – Selbstgewissheit zwischen alter und neuer Welt

V. Fazit: Weibliche Individualität und Selbstverwirklichung im frühromantischen Salon – eine Illusion?

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung – Weibliche Emanzipation und Rebellion in und durch die frühromantischen Berliner Salons?

Kann eine weibliche Lebensweise als emanzipiert oder rebellisch bezeichnet werden, die vom familiären und gesellschaftlichen Umfeld z.T. anerzogen und erwünscht wurde? Und kann der Begriff „Emanzipation“ im Kontext der geschlechtlichen Gleichstellung für weibliche Lebenswelten und –wirklichkeiten in den frühromantischen jüdischen Salons in Berlin angewendet werden?

Der Begriff Emanzipation, bezogen auf das weibliche Geschlecht, beschreibt einen Zustand der Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit. Allerdings ist unser Verständnis dieses Begriffes von den gesellschaftlichen Entwicklungen aus den letzten Jahrzehnten beeinflusst worden. Es erscheint m.E. fraglich, ob sich dieser Begriff zur Beschreibung von Frauen-Leben des ausgehenden 18. bzw. des beginnenden 19. Jahrhunderts eignet.

Grundlage für die vorliegende Arbeit bilden die Lebenswege dreier Frauen: Die der Salonièren Henriette Herz und Rahel Varnhagen und der Dorothea Schlegels[1], die in beiden Salons verkehrte und mit den Gastgeberinnen von Kindesbeinen an befreundet war.

Exemplarisch und vergleichend sollen die eingangs genannten Thesen anhand der Biographien dieser drei Frauen überprüft werden. Zuvor sollen die Entstehungsbedingungen für die frühromantische Berliner Salonkultur unter besonderer Berücksichtigung der daran Teil habenden Frauen dargelegt werden.

Der gedankliche Anstoß zur vorliegenden Arbeit ergab sich aus der kritischen Betrachtung der These, die Salonièren seien „rebellische Töchter“[2] ; ihre Tätigkeit und Funktion im Salon sei eine „Generalprobe für die Emanzipation der Frau“[3]. Die Forschungslage bietet bisher zur Frauengeschichte in den frühromantischen Salons lediglich Ansätze, wenig tiefer gehende Untersuchungen.

Unter dem Aspekt der weiblichen Sozial- und Mentalitätsgeschichte wäre dies sicherlich lohnenswert, übersteigt jedoch bei weitem den Rahmen der vorliegenden Arbeit.

Parallelen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Biografien der drei hier behandelten Frauen-Leben sowie Fragen nach ihrem Selbstverständnis und ihrer Eigenwahrnehmung können an dieser Stelle leider nur skizzenhaft dargestellt werden.

II. Vom Außenseiter in den Mittelpunkt des geistig-kulturellen Lebens – Bedingungen für den gesellschaftlichen Aufstieg junger jüdischer Frauen

Um das Selbstverständnis der Frauen und ihre weibliche Rolle im Salon nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf dessen Entstehungsgeschichte unverzichtbar. Denn die besondere Funktion, die sie hier inne hatten, wurde erst durch das Zusammentreffen mehrerer Entwicklungen und Faktoren begünstigt.

II.1 Gesellschaftliche und kulturelle Synthesen

Die soziale Grundlage für die Entwicklung der frühromantischen Berliner Salongeselligkeiten wurde durch zwei gesellschaftliche Synthesen geschaffen: Ein starkes Interesse an der Kultur des Nachbarlandes Frankreich und eine damit einhergehende Vermischung adeliger und bürgerlicher Lebensart .[4]

Dies führte zu einem Aufschwung des Interesses an den Werken der französischen Intelligenz[5] und Kulturtradition, speziell an den in Frankreich von adeligen Frauen etablierten Salons.[6] Adelige und wohlhabende bürgerliche bzw. jüdische Oberschicht-Familien ließen ihre Kinder in der französischen Sprache unterweisen und sich mit der bedeutenden französischen Literatur vertraut machen. Teilweise, insbesondere in den jüdischen Familien, wurden auch die Töchter unterrichtet (Wilhelmy 1989, S. 35).

So entstanden in den unterschiedlichen Teilen der Berliner Gesellschaft kulturelle und geistige Berührungspunkte. Was ihnen fehlte, war ein gemeinsames Forum.

II.2 Aufklärung, jüdische Akkulturation und Moses Mendelssohn

In dieses Vakuum stießen Bestrebungen des deutschen Judentums vor, die eine Annäherung an und Integration in die deutsche Gesellschaft suchten.[7]

Diese Integrationsbestrebungen wohlhabender deutscher Juden bestimmten das aufgeschlossene intellektuelle Milieu, in dem die Mädchen aufwuchsen.

In diesem Zusammenhang ist auch die breite und fundierte Bildung und Erziehung, insbesondere der Erwerb von Sprachen zu sehen (Frevert 1989, S. 77, S.136ff.; Söhn 1998. S. 183). Beides, sowohl die Bildung und Erziehung von Frauen und Mädchen als auch die Emanzipation der europäischen Juden waren durch die Aufklärung inspiriert worden.

In Deutschland wurde diese besonders durch Moses Mendelssohn[8] aufgegriffen, der sie in eine neue, lebendige soziale Realität umzusetzen suchte (Wilhelmy 1989, S. 93). Der Gelehrte begann als erster unter den Berliner Juden ein gastfreundliches und für alle Konfessionen, für Bürgerliche und Adelige offenes Haus zu führen. Er versuchte alles um sich zu versammeln, was in Berlin am Geistes- und Kulturleben der Stadt Teil hatte. (Susmann 1996, S. 43; Söhn 1998, S. 183).

Durch diese Öffnung entstand erstmalig eine Plattform für offene und freiere gesellschaftliche Umgangsformen jenseits bzw. neben denen der etablierten, ab- und ausgrenzenden deutschen Ständegesellschaft.[9] Mendelssohn suchte die Gesellschafts- und Bildungstheorie der Aufklärung auch und gerade durch die Beteiligung der Frauen und heranwachsenden Mädchen in seiner Umgebung in eine soziale Struktur zu übersetzen,. Die Atmosphäre in seinem Haus war geprägt von Religiosität, geistiger Regsamkeit und lebendiger Teilhabe an allen aktuellen politischen, sozialen und kulturellen Diskursen der Zeit (Susmann 1996, S. 2).

In Mendelssohns Gefolge öffneten schließlich auch weitere Berliner Juden, die zu dieser Zeit gesellschaftlich nicht integriert waren und über keine bürgerlichen Rechte verfügten, ihre Häuser (Heyden-Rynsch 1992, S. 132f.).

Im Zuge dieser Entwicklung taten sich ein echte gesellschaftliche Freiräume auf, deren ein gemeinsames geistiges und kulturelles Interesse als konstituierendem Element diente.

Die Geistigkeit Mendelssohns prägte seine Tochter Dorothea und ihre Freundinnen Rahel Levin und Henriette de Lemos, die regelmäßig in seinem Haus verkehrten, entscheidend (Susmann 1996. S. 43f.).

Es war diese von Mendelssohn geschaffene Atmosphäre, die sich in mehrerlei Hinsicht als prägend für die jungen Mädchen erwies[10] und deren besondere Merkmale später bezeichnend wurde für die frühromantischen Salongeselligkeiten.

Sie zeichnete sich aus durch eine

„[...] in der Flut jüdischer Religiösität und deutschen Geistes klargewaschene Menschlichkeit [aus], die die [...] Kraft und Verpflichtung zum Gebrauch der persönlichen Vernunft und des lebendigen Anschlusses an das Bildungsleben der Zeit in sich schloss.“[11]

Diesen „lebendigen Anschluss“ fanden Rahel, Dorothea und Henriette als Kinder bzw. Jugendliche in den Literaturzirkeln im Hause Mendelssohn (Seibert 1993, S. 182).

In diesem Engagement Mendelssohns haben viele prägnante Kennzeichen der Umgangskultur der späteren frühromantischen Salons ihren Ursprung[12]. Die Mentalität hier wie dort basierte – neben dem intellektuellen Interesse – auf der Bereitschaft aller Beteiligten, sich geistig, gedanklich und persönlich zu öffnen. Diese Offenheit wurde ermöglicht durch ein hohes Maß an gegenseitigem Respekt und Toleranz bei gleichzeitiger Wahrung bzw. Präsentation der eigenen Individualität[13] sowie der Umgehung gesellschaftlicher Schranken, im Falle der jungen Mädchen speziell diejenige, die zwischen den Geschlechtern bestand (Seibert 1993, S. 182). Der Zweck der Lesezirkel, an denen die jungen Mädchen teilnahmen, bestand in dem gemeinschaftlichen Erschließen von Literatur bzw. der Beteiligung an aktuellen geistigen und kulturellen Diskursen und kann vor dem Hintergrund der Integrationsbemühungen als praktische, gelebte Akkulturation verstanden werden.

[...]


[1] Historische Kommission bei der Bayrischen Akademie der Wissenschaften: Neue Deutsche Biographie. Duncker & Humblot-Verlag. Berlin. 2005; fortl. zitiert als: NDB.
NDB Bd. 8, S. 728 f.: Herz, Henriette, geb. 1764, gest. 1847; weitere Namensform(en):de Lemos, Henriette Julie (geborene); de Lemos, Henriette (geborene); Lemos, Henriette Julie de (geborene); Lemos, Henriette de (geborene); Herz, Henriette Julie; Gastgeberin eines literarischen Salons; Gründerin des sogenannten Tugendbundes. NDB Bd. 21, S. 679: Varnhagen von Ense, Rahel, geb. 1771, gest. 1833; weitere Namensform(en): Varnhagen von Ense, Rahel Antonie Friederike; Levin, Rahel Antonie Friederike; Levin, Rachel (geborene).
NDB Bd. 17, S. 44 in Familienartikel Mendelssohn:
Schlegel, Dorothea Friederike; Schriftstellerin; geb. 1764, gest. 1839; weitere Namensform(en):Mendelssohn, Brendel (geborene (Brendel = Veronica)); Mendelssohn Brendel (geborene); Schlegel, Brendel (in zweiter Ehe und bis Übertritt zum Katholizismus); Veit, Brendel (in erster Ehe)

[2] Heyden-Rynsch, Verena von der: Europäische Salons. Artemis u. Winkler-Verlag. München. 1992, 11; fortl. zitiert als: Heyden-Rynsch 1992.

[3] Vgl. Heyden-Rynsch 1992, 11.

[4] Vgl. Wilhelmy-Dollinger, Petra: Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert. Berlin u.a. de Gruyter. 1989, S. 35, fortl. zitiert als Wilhelmy 1989; sowie Heyden-Rynsch 1992, S. 13: Grundlage für diese Synthesen bildete die Vertreibung der französischen Protestanten 1685, die u.a. nach Berlin flüchteten, wo sie sich später teilweise als Erzieher und Lehrer etablieren konnten; nach Ende der Hugenottenkriege entwickelte sich Paris zum intellektuellen und kulturellen Zentrum und Vorbild Europas.

[5] Vgl. Seibert, Peter: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Metzler-Verlag. Stuttgart. 1993, fortl. zitiert als Seibert 1993, S. 180:

Dies gilt insbesondere für die Aufklärung. Der Erwerb der frz. Sprache wurde zum Studium der frz. Aufklärung propagiert. Nach Wilhelmy 1989, S. 92 , bildete die Aufklärung eines der prägenden geistigen Elemente der Berliner Salons; dieselbe, S. 39: Die Aufklärung lieferte die theoret. Grundlage für deren Gesellschafts- u. Bildungstheorie und einen Großteil der thematischen Inhalte d. Salons.

[6] Zur Entstehung der frz. Salons allgemein und der Vorbildfunktion der frz. Salons der Aufklärung für die Berliner Salonkultur der Frühromantik vgl. Heyden-Rynsch 1992, Salonkultur, S. 132; u. Scholz Hannelore: Der romantische Salon in Deutschland. In: Gnüg, Hiltrud. Möhrmann, Renate (Hrsg.): Frauen, Literatur, Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Metzler-Verlag. Stuttgart. 1999, S. 72; ebenso Wilhelmy 1989, S. 36 ff.

[7] Seibert 1993, S. 128f., beschreibt diese Entwicklung als Formierung einer deutschen Geistes- und Kulturelite durch eine soziale Umbruchsphase dreier nichtjüdischer Gesellschaftsgruppen: Aus Adeligen, aufsteigenden Schichten des Bürgertums und privatisierten Honoratioren habe sich eine Geisteselite der zweiten Jahrhunderthälfte gebildet, die gemeinsam mit den Juden die „neutralisierte Gesellschaftsform“ realisiert habe, die sich im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem ständischen staatlichen Gefüge gelöst und einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zugestrebt habe, deren konstituierendes Prinzip als ein Beteiligtsein am Geiste und an der Kultur angesetzt worden sei.

Eine Affinität dieser Geisteselite zu Teilen der jüdischen Bevölkerungsgruppe sei einsichtig, da die Juden einen Stand oder eine Klasse nicht repräsentieren würden und sie für die Geisteselite in exemplarischer Form die Freiheit des Gedankens durch Traditionsverzicht haben erringen müssen.

[8] NDB Bd. 17, S. 44, 46-49, 49, 52, 386; NDB Bd. 19, S. 10, 569; NDB Bd. 21, S. 131: Mendelssohn, Moses; Philosoph; geb. 1729, gest. 1786; weitere Namensform(en):Dessau, Moses (genannt, nach damaliger jüdischer Art); Moses Dessau (genannt, nach damaliger jüdischer Art)

[9] Vgl. Wilhelmy 1989, S. 92 f.: Die Aufklärung forderte die Emanzipation von Frauen und Juden und versprach die Befreiung an assimilationsbereite Kreise. Mendelssohns Bestrebungen und Anregungen an die deutsche Judenschaft waren geprägt vom emanzipatorischen und humanitären Gedankengut der Aufklärung.

[10] Heyden-Rynsch 1992, S. 134, bezeichnet Mendelssohn als „geistigen Vater“ von Rahel und Henriette.

[11] Susmann 1996, S. 42.

[12] Susmann, Margarete: Frauen der Romantik. Insel-Verlag. Frankfurt a.M. 1996, fortl. zitiert als: Susmann 1996. S. 44, verband Dorothea mit Rahel und Henriette eine ganz bestimmte Art von geistiger Gemeinschaft: „(...) diese geistige Gemeinschaft hatte ihren Ursprung in der Geistigkeit Mendelssohns und berührte und bildete viele bedeutende Menschen mit.“; vgl. auch Wilhelmy 1989, S. 45.

[13] Nach Wilhelmy 1989, S. 39, ging es den Salonièren und ihren Gästen um Echtheit des Herzens und Verstandes, Wahrheit, Schönheit, Einfachheit und Natürlichkeit sowie um wahre Bildung und wahre Persönlichkeit.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Freiräume? Über die Frage nach weiblicher Emanzipation und Rebellion in den jüdischen Berliner Salons der Frühromantik 1780-1806
Hochschule
Universität Münster  (Historisches Seminar )
Veranstaltung
Geschlecht und Gesellschaft in Deutschland und Frankreich (1750-1850)
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
22
Katalognummer
V70318
ISBN (eBook)
9783638625203
ISBN (Buch)
9783638674195
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Freiräume, Frage, Emanzipation, Rebellion, Berliner, Salons, Frühromantik, Geschlecht, Gesellschaft, Deutschland, Frankreich
Arbeit zitieren
Elke Schomacher (Autor:in), 2000, Freiräume? Über die Frage nach weiblicher Emanzipation und Rebellion in den jüdischen Berliner Salons der Frühromantik 1780-1806, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70318

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Freiräume? Über die Frage nach weiblicher Emanzipation und Rebellion in den jüdischen Berliner Salons der Frühromantik 1780-1806



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden