Die Faszination des Bösen bei Marquis de Sade - Zwischen Philosophie und Pornographie


Seminararbeit, 2007

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Zur Begründung der Thematik

2 Marquis de Sades Werk als Apologie des Bösen

3 Marquis de Sade und die Tugend
3.1 Tugend
3.2 Menschliche Freiheit

4 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Andere Medien

1 Zur Begründung der Thematik

„Soll man de Sade verbrennen?“[1] fragte sich die Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem gleichnamigen Essay und scheint damit eine zentrale Frage zur Figur des Marquis de Sade[2] aufgeworfen zu haben, dessen Manuskripte zur Hälfte tatsächlich von seinen Erben und anderen den Flammen übergeben, zensiert, gestohlen und konfisziert worden sind. Von den einen als „einer der nichtswürdigsten Menschen, die je gelebt haben“[3] und den anderen als genialer Prophet[4] betrachtet, wird der französische Schriftsteller des 18. Jahrhunderts meist einem Extrem zugeordnet, das ihm nicht gerecht zu werden vermag. Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, das skandalträchtige Leben und Werk des berüchtigtsten Verfassers pornographischer Schriften eher ernst als übel zu nehmen, um somit eine objektivere Perspektive auf de Sade erlangen und vermitteln zu können.

Ohne Zweifel spielt die Faszination von dem, das im gegenwärtigen Zeitalter als das Böse schlechthin bezeichnet werden würde, bei de Sade eine zentrale Rolle und wird durch die Verknüpfung von philosophischen und pornographischen Elementen in seinem Werk sichtbar gemacht, was es zu untersuchen gilt. Ferner soll sich diese Arbeit der Frage stellen, ob dasjenige, was de Sade verschriftlichte, wirklich als böse gelten kann. Eine Frage, die gewagt scheint, wenn man bedenkt, dass de Sade Mord, Nekrophilie, Folter, Kannibalismus und undenkbares mehr zu den vorherrschenden Themen seiner literarischen Tätigkeit machte. Darüber hinaus erfolgt eine Auseinandersetzung damit, inwiefern man de Sades Werk als Apologie des Bösen bezeichnen könnte und mündet in einem Abriss über de Sades philosophisches Verständnis von der Tugend und der menschlichen Freiheit. Schwerpunkt und somit Thema dieser Arbeit soll es sein, die Faszination des Bösen bei de Sade zu ergründen und zu beweisen, dass de Sade mehr ist als ein Lüstling, der Gewalt und Perversion proklamierte und enttabuisieren versuchte. Auf die Frage von Simone de Beauvoir sollten die nächstfolgenden Betrachtungen also ein klares Nein als Antwort geben können.

2 Marquis de Sades Werk als Apologie des Bösen

„Die unzüchtigste Erzählung, die erfunden wurde, seit die Welt besteht“[5] meinte de Sade mit seinem unvollendeten Roman „Die hundertzwanzig Tage von Sodom“ (1904) geschaffen zu haben. Mit Recht kann hier neben seinen bekanntesten Schriften „Justine“ und „Juliette“[6] von einem Höhepunkt literarisch manifestierter Ausschweifung gesprochen werden, wie sie die Welt zuvor tatsächlich noch nicht kennen gelernt hatte.

Doch was die Sade-Lektüre von einem seichten erotischen Roman unterscheidet, ist das Wechselspiel von Pornographie und philosophischen Feststellungen, die durch die Darstellung gewalttätiger sadistischer Handlungen begleitet werden.

Dass de Sade sich in seiner schriftstellerischen Tätigkeit, die sich zum größten Teil in seiner Gefangenschaft etablierte, nun in dem Maße denkbaren und undenkbaren Extremen zuwandte und somit bis heute bestehende Tabus wie Inzest oder Kannibalismus zu Spielarten der Lustbefriedigung avancieren ließ, scheint umso mehr etwas unterstreichen zu wollen, was außerhalb des Extremen nicht deutlich genug hätte erkannt werden können. Er ließ das Böse triumphieren, um eigentlich etwas ganz anderes darstellen zu wollen. So begnügt sich de Sade nicht mit der Darstellung des Bösen, dass sich bei ihm in Verbrechen aller Art manifestiert und „fast immer der eigentliche Reiz der Sinneslust ist“[7], sondern gibt ihm einen Sinn. Er erhebt das Böse zu einem Prinzip, das laut ihm gerechtfertigt werden kann. Zumindest versucht sich de Sade an einer Apologie des Bösen, indem er den ausschweifenden Handlungen moral-philosophische Exkurse folgen lässt. Wie eine solche Theorie der Rechtfertigung des kriminellen oder sexuellen Verbrechens von de Sade begründet wurde, soll an nächster Stelle erläutert werden.

Um den Status des Bösen bei de Sade näher beschreiben zu können, spielen de Sades grundlegende Ansichten hinsichtlich verbrecherischer Handlungen eine immanente Rolle. Noirceuil erwidert auf Juliettes Frage, was ein Verbrechen ist: „Man nennt Verbrechen jede bewußte oder unbewußte Übertretung desjenigen, was die Menschen Gesetze nennen, woraus du ersiehst, daß wir es mit einem gänzlich bedeutungslosen Wort zu tun haben, denn die Gesetze stehen in Beziehung mit den Sitten und dem Klima.“[8]

De Sade sah das Verbrechen als etwas Natürliches an, das umso stärker im Menschen aufloderte, je mehr es durch das bürgerlich-konventionelle Leben als nicht tugendhaft und unsittlich betrachtet wurde; damit machte er sich, in Ahnlehnung an die spätere Theorie Freuds, zur Aufgabe, bisher versteckte Triebe im Menschen aufzudecken. So beschreibt er das Verbrechen als die „Seele der Geilheit“, denn „was wäre ein Genuß, den nicht Verbrechen begleitet? Nicht das Objekt unserer Ausschweifung erregt uns, sondern die Vorstellung des Bösen.“[9] Dass de Sade zwischen der Beschreibung des Bösen und der tatsächlichen Nachahmung seiner Phantasien, die er zu Papier brachte, stark differenzierte, beweist, dass es ihm um mehr ging, als um die bloße Auflistung von sexuellen Handlungsvarianten. Im Jahre 1781 schreibt er seiner Frau Renée Pélagie de Montreuil: „Ja, ich gestehe, ich bin ein Wüstling; alles was man sich auf diesem Gebiet vorstellen kann, habe ich mir vorgestellt, aber ich habe durchaus nicht alles getan, was ich mir vorgestellt habe, und werde es auch nie tun. Ich bin ein Wüstling, aber ich bin kein Verbrecher oder Mörder.“[10]

Laut de Sade ist das Böse etwas von der Natur gewolltes und durch ihr Dasein und negatives wie positives Agieren von ihr selbst proklamiertes. Sich dem Bösen hinzugeben sei somit nur eine natürliche Folge der Abwendung von gesellschaftlichen Konventionen und Gesetzen hin zum Natürlichen – zur Natur, die, im Gegensatz zur rousseauschen Auffassung, in der der Mensch von Natur aus gut ist[11], ein Spiegel der Bösartigkeit des Menschen selbst darstellt. Damit erhält das Böse durch de Sade eine neue Dimension. Dementsprechend heißt es in „La nouvelle Justine“[12]: „Wir gehorchen ihr [der Natur] also, indem wir uns dem Bösen hingeben.“ Das Böse ist quasi Gesetz der Natur selbst und somit nicht unbedingt böse, sondern bildet nur den anderen Part zum Guten, wobei beide Gegensätze nur Teile eines untrennbaren Ganzen darstellen. Das Böse erfährt mit dieser Theorie Legitimation, da das Böse als die Essenz von allem[13] existiert und deshalb durch seine Natürlichkeit nicht verwerflich sein kann.

[...]


[1] Vgl. Beauvoir, Simone de: Soll man de Sade verbrennen? Hamburg 1983.

[2] Eigentlich Donatien Alphonse François de Sade.

[3] Weiske, Johannes: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon für die Gebildeten eines jeden Standes. Bd. 6. Leipzig 1837. S. 204.

[4] Vgl. Beauvoir, Simone de: Soll man de Sade verbrennen? Hamburg 1983. S. 9.

[5] Sade, Marquis de: Die hundertzwanzig Tage von Sodom oder Die Schule der Ausschweifungen. Werke 1. Köln 1995. S. 73.

[6] Erschienen 1791 und 1797. Vollständig überarbeitet erschienen im selben Jahr beide Romane vereint in einer zehnbändigen Ausgabe: „Die neue Justine“ und „Die Geschichte von Juliette“.

[7] Sade, Marquis de: Die hundertzwanzig Tage von Sodom, in: Beauvoir, Simone de: Soll man de Sade verbrennen? Hamburg 1983. S. 32.

[8] Sade, Marquis de: Gesammelte Werke. Flensburg 1999. S. 209.

[9] Sade, Marquis de, in: Beauvoir, Simone de: Soll man de Sade verbrennen? Hamburg 1983. S. 36.

[10] Sade, Marquis de: Briefe. Gilbert Lely (Hrsg.). Düsseldorf 1962. S. 62f.

[11] Rousseau, Jean-Jacques: Preisschriften und Erziehungsplan. Bad Heilbrunn 1993. S. 118.

[12] Köster, Thomas. „Sade, Donatien Alphonse François, Marquis de." Microsoft® Encarta® 2007. Zur besseren Übersicht ist eine kurze Gliederung der Entstehungsvarianten mit ihren Originaltiteln angebracht: I. Les Infortunes de la vertu (1987), II. Justine, ou les Malheurs de la vertu (1791), III. La nouvelle Justine, ou les Malheurs de la vertu, suive de l’Histoire de Juliette, ou les Prospérités du vice (1797).

[13] Vgl. Sade, Marquis de: Juliette. New York 1968. S. 399.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Faszination des Bösen bei Marquis de Sade - Zwischen Philosophie und Pornographie
Hochschule
Universität Erfurt  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Philosophien des Bösen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
13
Katalognummer
V70192
ISBN (eBook)
9783638615075
ISBN (Buch)
9783638910033
Dateigröße
400 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit soll sich der Frage "Soll man de Sade verbrennen?" stellen und dabei wichtige Aspekte der Sade'schen Philosophie hervorheben.
Schlagworte
Faszination, Bösen, Marquis, Sade, Zwischen, Philosophie, Pornographie, Philosophien, Bösen
Arbeit zitieren
Susanne Becker (Autor:in), 2007, Die Faszination des Bösen bei Marquis de Sade - Zwischen Philosophie und Pornographie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70192

Kommentare

  • Gast am 26.7.2007

    Danke.

    Vielen Dank, eine ausführliche und unterhaltsame Arbeit zugleich!

Blick ins Buch
Titel: Die Faszination des Bösen bei Marquis de Sade - Zwischen Philosophie und Pornographie



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