Psychosoziale Betreuung onkologischer Patienten im Rahmen des DRG-Fallpauschalensystems und die praktische Umsetzung durch die Soziale Arbeit


Diplomarbeit, 2007

133 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Abkürzungsverzeichnis

0 Einleitung

1. Psychosoziale Aspekte der Krebserkrankung
1.1. Psychosoziale Einflüsse auf die Entstehung von Krebs
1.2. Psychosoziale Belastungen der Patienten in Folge
einer Krebserkrankung
1.2.1. Psychosoziale Belastungsfaktoren
1.2.2. Depression als psychiatrische Nebendiagnose
in Folge einer Krebserkrankung
1.2.3. Belastungen im Verlauf einer Chemotherapie

2. Psychoonkologische Intervention als
Aufgabengebiet Sozialer Arbeit
2.1. Definition und Zielsetzung des Aufgabenbereichs
2.2. Beratungsbedarf
2.2.1.Informationsvermittlung
2.2.2. Sozialrechtliche Beratung und Rehabilitation
2.2.2.1 Sozialrechtliche Beratung
2.2.2.2. Rehabilitation
2.3. Betreuungsbedarf
2.3.1.Emotionale Unterstützung
2.3.2. Copingstrategien
2.4. Behandlungsbedarf
2.5. Angehörigenarbeit im Rahmen der psychosozialen
Intervention
2.6. Psychoonkologische Basisleistungen
2.7. Methodische Ansätze des Handlungsfeldes
2.7.1. Entspannungsverfahren
2.7.2. Gruppentherapie
2.7.3. Einzeltherapie
2.7.4. Soziale Beratung
2.7.5. Case Management
2.7.6. Krisenintervention
2.7.7. Kreative Therapien
2.8. Nachsorge als Faktor für verbesserte Lebensqualität
2.9. Lebensqualität als Beurteilungskriterium für
Behandlungserfolg

3. Das DRG-Fallpauschalensystem zur
Finanzierung von Krankenhausleistungen
3.1. Einleitung
3.2. Begriffliche und inhaltliche Bestimmung der
Diagnosis Related Groups (DRG)
3.3. Geschichtliche Entwicklung des DRG-Systems
3.3.1. HCFA – DRGs
3.3.2. AP-DRGs
3.3.3. APR-DRGs
3.3.4. AR-DRG
3.4. Das Deutsche DRG-System: G-DRG
3.4.1. Einleitende Begriffs- und Inhaltsbestimmung der G-DRGs
3.4.2. Gesetzliche Grundlagen des G-DRG-Systems
3.4.3. Grundlagen des G-DRG
3.4.4. ICD-10-GM als Grundlage für die Kodierung von Diagnosen
3.4.5. Der OPS als Instrument der Kodierung von Leistungen
am Patienten
3.4.6. Die Deutschen Kodierrichtlinien: DKR
3.4.7. Verschlüsselung von Diagnosen und Prozeduren
3.4.8. Finanzierung von Krankenhausleistungen durch die G-DRGs
3.4.8.1.Kalkulation
3.4.8.2. Preisbildung
3.4.9. Kritik am G-DRG

4. Psychosoziale Betreuung im Rahmen des DRG – Abrechnungssystems
4.1. Auswirkung der DRG-Vergütung auf die psychosoziale
Versorgung der Patienten
4.2. DRG-Relevanz von psychosozialer Versorgung
4.3. Psychosoziale Betreuung im OPS-Katalog
4.3.1. Psychosoziale Intervention (9-401)
4.3.2. Sozialrechtliche Beratung (9-401.0)
4.3.3. Familien-, Paar- und Erziehungsberatung (9-401.1)
4.3.4. Nachsorgeorganisation (9-401.2)
4.3.5. Supportive Therapie (9-401.3)
4.3.6. Künstlerische Therapie (9-401.4)
4.3.7. Integrierte psychosoziale Komplexbehandlung (9-401.5)
4.4. Leitlinien zur Kodierung und Dokumentation
psychosozialer Leistungen im OPS
4.4.1. Kodierung als Vorraussetzung zur Erlangung von
DRG-Relevanz
4.4.2. Dokumentation psychosozialer Leistungen
4.4.3. Kodierung psychosozialer Leistungen
4.5. Psychosoziale Versorgung als Wettbewerbsfaktor
im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus

5. Die praktische Umsetzung psychosozialer
Betreuung in der aktuellen Krankenhausstruktur
5.1. Grundlagen für die Umsetzung psychosozialer Leistungen
5.1.1. Gesetzliche Grundlagen
5.1.2. Sozialpolitische Rahmenbedingungen für die Umsetzung
5.1.3. Qualitätssicherung als Grundlage für Effizienz
5.1.4. Integration psychosozialer Leistungen in den medizinischen
Behandlungsprozess
5.2. Berufspolitische Aktivitäten zur Erfassung
psychosozialer Leistungen im DRG-System
5.3. Bedarfs-Screening als Vorraussetzung für praktische
Psychoonkologie
5.3.1.Notwendigkeit der Anwendung von Screeningverfahren
5.3.2. Patientenzugang zu psychosozialer Betreuung
5.3.3. Anforderungen an Screeninginstrumente
5.4. Einsatz von Screeninginstrumenten in der Praxis
5.4.1.Hornheider Screeninginstrumente zur Erfassung der
Betreuungsbedürftigkeit
5.4.2. Psychoonkologische Basisdokumentation
5.5. Integrierte psychosoziale Betreuung am Beispiel
von Brustzentren
5.6. Stellenwert professioneller SA im Rahmen der
praktischen Umsetzung
5.6.1. Historische Entwicklung des Aufgabenfeldes
5.6.2. Zuständigkeit der SA im psychosozialen Betreuungsprozess
5.6.3. Aktuelle Finanzierungsgrundlage der Sozialen Arbeit im
Krankenhaus
5.6.4. Bedeutung SA im psychosozialen Betreuungsprozess

6. Resümee

II. Literaturverzeichnis Internetadressen
Gesetzestexte

III. Anhang

I. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

0 Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der psychosozialen Versorgung krebskranker Patienten im Akutkrankenhaus. Diese hat sich unter den, 2004 endgültig eingeführten, DRG-Bedingungen erneut verkompliziert. Deshalb soll der Einfluss, den das DRG-Abrechnungssystem auf die Umsetzung psychosozialer Betreuung hat, in dieser Arbeit mit berücksichtigt werden.

Krebs ist nach wie vor die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Das statistische Bundesamt veröffentlichte für das Jahr 2004 eine Zahl von 214 863 Menschen, die an bösartigen Neubildungen verstorben sind. (Statistisches Bundesamt 2006) Gleichzeitig spricht man von über 340 000 Menschen, die in Deutschland jährlich an Krebs erkranken. (vgl. Weis 2006, S.242) Demnach müssen für die Behandlung dieser Erkrankungen beachtliche Summen ausgegeben werden, die sich laut statistischem Bundesamt im Jahr 2004 auf 210 Euro pro Einwohner im Jahr belaufen haben.

Obwohl sich von diesen Tatsachen die Vermutung ableiten ließe, dass der Wissensstand in der Bevölkerung bezüglich der Krebserkrankung hoch sein, und der Umgang mit der Krankheit gewissermaßen routiniert ablaufen müsse, scheint dies bis heute nicht der Fall. Krebs wird auch heute häufig als Metapher für Tod und Siechtum verstanden. Gleichsam fühlt sich beinahe jeder in der Bevölkerung von dieser Krankheit angesprochen, weil sie wenig abstrakt scheint und der Großteil einen persönlichen Bezug, über sich selbst, Verwandte oder Bekannte, herstellen kann.

Die medizinische Wissenschaft macht kontinuierliche Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung der Erkrankung, was die Überlebensrate für einige Tumoren in den letzten Jahren stetig verbessert hat. Gerade mit der längeren Lebenszeit, geht ein Paradigmenwechsel in der Onkologie von statten. Der Erfolg einer Krebsbehandlung wird heute nicht mehr nur an der körperlichen Genesung eines Patienten, sondern vielmehr auch am Zusammenhang mit der gewonnenen oder erhaltenen Lebensqualität gemessen. (vgl. Weis 2006, S.242) Krebsüberlebende müssen mit einer Vielzahl psychosozialer Belastungen als Folge der Erkrankung oder ihrer Behandlung umgehen können, was die Notwendigkeit einer psychosozialen Betreuung impliziert.

In diesem Zusammenhang ist man geneigt, davon auszugehen, dass die psychosoziale Begleitung krebskranker Menschen in den Krankenhäusern Deutschlands gewährleistet ist. Dass dies nicht kommentarlos hingenommen werden kann, weil es in vielen Fällen nicht der Realität entspricht, konnte ich selbst in meiner praktischen Tätigkeit als Krankenschwester feststellen. Eine aktuelle, von der deutschen Krebshilfe geförderte Studie „FORMaCa – Fortschritt in der Organisation bei Mamma-Carzinom“ zeigt unter anderem auf, das sich immerhin 15% der Frauen negativ über ärztliche Reaktionen in der Phase der Diagnostik äußern. „Die Studie weist weiterhin auf Informationsdefizite seitens der Patientinnen aufgrund unzureichender oder zu später Information und Aufklärung seitens der Ärzte, fehlende Qualitätsstandards, eine mangelnde psychosoziale Betreuung sowie eine Reihe von Defiziten im Behandlungsprozess hin.“ (Mehnert 2006 S.231)

Die Soziale Arbeit muss sich im Rahmen des Wandels im Gesundheitswesen aktuell neu positionieren und die Bedeutsamkeit ihrer Tätigkeit nach außen verdeutlichen. Hierfür stellt die Aufnahme psychosozialer Leistungen in die DRG-Vergütung zwar eine Hürde dar, welche jedoch die Chance auf Anerkennung der professionellen Arbeit im Krankenhaus birgt.

In diesem Zusammenhang befasst sich Kapitel eins mit den psychosozialen Aspekten der Entstehung und Bewältigung einer Krebserkrankung und stellt die vielfältigen psychosozialen Belastungen dar, die einer Tumorerkrankung folgen können. Das zweite Kapitel zeigt die unterschiedlichen Möglichkeiten psychosozialer Interventionen in der Onkologie auf und stellt die methodischen Ansätze dieser Interventionsbereiche vor. Kapitel drei erklärt das neue Fallpauschalensystem zur Finanzierung der Krankenhausleistungen (DRG) inhaltlich und bezieht sich hierbei auf die Konzeption und die historische Entwicklung. Die Abbildung psychosozialer Betreuung innerhalb des DRG-Systems ist Teil des Inhaltes von Kapitel vier. Dieses befasst sich zudem mit den Vorraussetzungen für eine Aufnahme der psychosozialen Leistungen in die DRG-Finanzierung und den Auswirkungen des Abrechungsziffernsystems auf den Patienten. Das fünfte Kapitel beschreibt schließlich die praktische Umsetzung der psychosozialen Leistungen innerhalb der aktuellen Krankenhausstruktur, mit ihren Grundlagen, Screeningmöglichkeiten und der gelungenen Integration in den medizinischen Behandlungsprozess am Beispiel der „Brustzentren“. Zudem wird in diesem Kapitel die Stellung der professionellen Sozialen Arbeit im Rahmen der praktischen Umsetzung erläutert.

In diesem Kontext verweise ich auf darauf, dass die Begriffe des Sozialpädagogen und des Sozialarbeiters synonym verwendet werden. Wenn von Sozialer Arbeit gesprochen wird, sind beide Bezeichnungen impliziert.

Zudem beziehen sich sämtliche Bezeichnungen für Berufsgruppen und Einzelpersonen sowohl auf das männliche, als auf das weibliche Geschlecht.

1. Psychosoziale Aspekte der Krebserkrankung

1.1. Psychosoziale Einflüsse auf die Entstehung von Krebs

Seit die Forschung sich um Erklärungen zur Entstehung bösartiger Neubildungen bemüht, wird die Frage nach einem Zusammenhang zwischen psychosozialen Merkmalen und der Entstehung von Krebs aufgeworfen. Hiermit beschäftigen sich Krebsforschung und psychosomatische Forschung gleichermaßen. Trotz einer Vielzahl von Studien, deren Anspruch es ist, diese Frage zu beantworten, bleibt der Zusammenhang umstritten.

Zu einem großen Teil dafür verantwortlich, ist die Tatsache, dass die meisten Studien in Bezug auf diese Zusammenhänge auf retrospektiven Untersuchungen zurückzuführen sind. Das bedeutet, dass die befragten Personen bereits an Krebs erkrankt sind und mit Kontrollgruppen verglichen werden. So weisen die Untersuchungen zwar immer wieder unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale zwischen diesen beiden Gruppen nach, können aber keine Belege dafür erbringen, dass es sich bei den Persönlichkeitsmerkmalen nicht etwa um Ergebnisse oder Begleiterscheinungen der Erkrankung handelt. Die wenigen prospektiven Untersuchungen bringen nur wenig signifikante Unterschiede zu Tage. Diese sind so gering, dass sie den zu erwartenden Zufällen entsprechen könnte. (vgl. Scherg 1993 S. 27f)

Im Laufe der Forschung, die nach ätiologisch relevanten Faktoren sucht, wurden immer wieder „Persönlichkeitstheorien“ aufgestellt. Eine der bedeutendsten, welche auch heute noch häufig in den Köpfen der Bevölkerung vertreten ist, ist die so genannte „Krebspersönlichkeit“, von welcher die Forschung sich mittlerweile sowohl aus medizinischer, wie aus psychologischer Sicht, distanziert. Die „Krebspersönlichkeit“, auch „Typ C“ genannt, postuliert einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Krebs und bestimmten Persönlichkeitsdefiziten. Lange wurden Erkrankte geradezu stigmatisiert als unfähig, emotionalen Stress auszuhalten und Wut und Trauer auszudrücken, weil ihnen entsprechende Bewältigungsstrategien fehlten. Die als depressiv und ängstlich beschriebene Persönlichkeit wurde vor allem in retrospektiven Studien eruiert. Von dieser Theorie ist man in der neueren Zeit, auch aufgrund mangelnder methodischer Vorgehensweise bei den Untersuchungen, abgekommen. (vgl. Hartmann 1991 S. 26)

Von einigen Forschern wird kritisiert, dass hierbei der Möglichkeit, dass die Diagnose Krebs den Patienten in eine ängstliche und depressive Stimmung versetzt haben könnte, zu wenig Beachtung geschenkt wird. Volker Tschuschke zitiert Schwarz wie folgt: „Die relativ einhellige Literaturmeinung zu den Merkmalen von onkologischen Patienten findet darin ihre Erklärung, dass im Grunde immer dasselbe gemessen wurde, nämlich die Reaktion von Menschen auf eine Krebserkrankung.“ (Tschuschke 2006 S.29f)

Eine Vielzahl von Hypothesen zur Ätiologie von Neoplasien bestimmt bis heute die Diskussionen vor allem in der Psychologie. Hierzu gehören unter vielen anderen, die so genannt Komplementaritätshypothese von Bahnson, welche sich mit der Verleugnung, der Unterdrückung von Konflikten und der Verdrängung als Ich-Abwehrmechanismen befasst. Diese resultierten aus unzureichender Lösung von frühen Entwicklungsproblemen. (vgl. Hartmann 1991 S. 28ff) Weiterhin kursieren Theorien zu Zusammenhängen zwischen starker emotionaler, frühkindlicher Nähe zu einem Elternteil und dessen frühzeitiger Verlust und der Entstehung bösartiger Neubildungen. (vgl. Hartmann 1991 S. 35ff) Ebenfalls wurde immer wieder ein Zusammenspiel von Krebserkrankungen und traumatischen Erlebnissen, familiären Problemen und sozialer Schichten untersucht. (vgl. Scherg 1993 S. 33ff)

Da keine dieser Theorien als gesichert gelten kann, häufig schon an den methodischen Vorgehensweisen, der Validität und Reliabilität zu scheitern scheint, kann die Frage nach einem Zusammenhang nicht eindeutig geklärt werden. (vgl. Tschuschke 2006 S. 4ff)

Man geht trotzdem weiterhin davon aus, dass gewisse psychosoziale Faktoren einen Beitrag zur Entstehung von Krebs leisten können, niemals jedoch alleinige Auslöser zu sein scheinen. Das Augenmerk wird hierbei im Besonderen auf die Unterscheidung krankheitsreaktiver und prämorbiden Merkmale gesetzt. Während es einige Indikatoren zu geben scheint, welche ein erhöhtes Krebsrisiko zur Folge haben können, muss man immer auch davon ausgehen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, welche statistisch nachgewiesen sind, als Reaktion auf die Erkrankung zu sehen sind. Gerade das Leugnen von Familienproblemen und die scheinbare Unfähigkeit auf starke emotionale Reaktionen, welche immer wieder der „Krebspersönlichkeit“ zugeordnet werden, muss unter dem krankheitsreaktiven Aspekt gesehen werden. (vgl. Scherg 1993) Unter prämorbide Merkmale fallen nach Scherg vor allem traumatische Erlebnisse in der Kindheit, wie Flucht, Vertreibung und Krieg, sowie starke Anpassung an gesellschaftliche, vor allem religiöse Normen und die Neigung Ärger zu unterdrücken. Die Wirkung traumatischer Erlebnisse auf eine Entstehung von Neubildungen muss dennoch unter dem Aspekt der Bewältigungsstrategien gesehen werden, über welche ein Mensch verfügt. Diese in einer Studie zu erfassen ist schwer realisierbar. Somit kann auch dies nur als vage Vermutung angesehen werden. In einer Übersichtsarbeit von Aschenbrenner und Mitarbeitern aus dem Jahr 2003 wird ein stabiles Netz sozialer Unterstützung als präventiver Faktor genannt. (vgl. Mehnert 2006 S.233)

Da eine psychosoziale Beeinflussung der Ätiologie von Neoplasien nicht eindeutig belegbar scheint, sollte keine Konzentration der psychosozialen Versorgung auf die präventive Arbeit im Sinne der Psychotherapie gelegt werden. Vielmehr sollte Ziel dieser Betreuung sein, die psychosozialen Belastungen, unter welchen Krebspatienten in Folge der Erkrankung leiden müssen, gezielt zu erfassen und sie bei deren Bewältigung zu unterstützen. (vgl. Strittmatter, 1995 S. 155)

Da es seit Ende der fünfziger Jahre immer drastischer zu Abgrenzung von monokausalischen Erklärungsmodellen in der Medizin kommt und diese durch ganzheitliche Sichtweisen ersetzt wird, werden neben den biologisch-chemischen Faktoren einer Krebsentstehung immer auch psychologische und soziale Bedingungen berücksichtigt werden. Der Patient wird zum Subjekt und die multifaktoriellen Erklärungsversuche ermöglichen eine ganzheitliche Behandlung des Patienten im Krankenhaus. Hier kann Soziale Arbeit ihren Teil beitragen, und wenn es sich darum handelt, alle möglichen Risikofaktoren für eine Neuerkrankung auszuschließen. (vgl. Hartmann 1991 S. 16)

1.2. Psychosoziale Belastungen von Patienten in Folge einer Krebserkrankung

1.2.1. Psychosoziale Belastungsfaktoren

In der Literatur finden sich keine eindeutigen Aussagen bezüglich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und deren gesicherten Auswirkung auf die Entwicklung oder Heilung von Krebserkrankungen. Der Nachweiß existierender Folgen einer Krebserkrankung hingegen kann ungleich einfach erbracht werden.

Zahlreiche Belastungen körperlicher und seelischer Art, die infolge einer Krebserkrankung beim Betroffenen auftreten können, beeinträchtigen die Lebensqualität der Patienten gravierend. (vgl. Mehnert 2006 S. 229f) Gerade die Vielzahl von körperlichen, psychischen und sozialen Folgen, mit denen Krebspatienten im Verlauf ihrer Erkrankung und Behandlung konfrontiert sind, macht die Krankheit, neben ihrer Prognose und Therapie, zu einer starken Belastung. (vgl. Muthny 1993 S. 60ff) Die Angst an Krebs zu erkranken ist in der Bevölkerung nach wie vor hoch. Krebs, dass bedeutet Leid und stark verringerte Lebensqualität. Noch in den siebziger Jahren herrschte medizinische Unwissenheit im Umgang mit der Krankheit, was zur Folge hatte, dass in der Bevölkerung kaum Aufklärung betrieben wurde und somit wenig über Entstehung, Behandlung und Verlauf bekannt war. Dies führte dazu, dass erkrankte Menschen sich von der Öffentlichkeit zurückzogen und von ihrem Umfeld gleichwohl gemieden wurden. (vgl. Hartmann 1991 S.16) Die Angst, wie ein Aussätziger behandelt zu werden, lies erst in den letzten Jahren, dank der Entwicklung Öffentlichkeitsoffensiver Onkologischer Beratungsstellen und verbesserten Methoden der Früherkennung und der medizinischen Behandlung, nach. (Hartmann 1991 S.46; Mehnert 2006 S.229) Dennoch ist die Krankheit für die Mehrheit der Patienten auch heute noch mit lang anhaltenden Folgen physischer, psychischer und sozialer Natur verbunden.

Die folgende Auflistung der Belastungen gibt einen Überblick über die einzelnen Faktoren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Belastungsfaktoren einer Krebserkrankung (aus: Muthny 1993, S.165)

Aufgrund des Textflusses, wird im Folgenden nicht nach der tabellarischen Reihenfolge, sondern vielmehr unter Berücksichtigung sinniger Zusammenhänge auf die einzelnen Punkte eingegangen.

Die Angst vor stigmatisierenden Reaktionen der Umwelt ist auch heute noch aktuell. Dornheim beobachtete, dass vor allem im ländlichen Alltag noch heute die Krankheitsvorstellung zu finden ist, das „Krebs ansteckend“ sei. Selbst wenn die befragten Personen über ein tatsächliches Wissen verfügen, ließe sich dieses Vorurteil in der Bevölkerung nur schwer abbauen. Ein Verhalten von Kontaktmeidung wird der Krankheitsvorstellung folgen. (Muthny 1993)

Des Weiteren wird der Erkrankten Person schlechte oder falsche Lebensführung zugeschrieben, wobei hier auch häufig auf bestimmte Persönlichkeitszüge verwiesen wird. Hierzu trugen Hypothesen zur Ätiologie wie z.B. die „Krebspersönlichkeit“ bei. Aufgrund dieser ist es heute noch möglich, dass Tumorkranke indirekt mit der Schuldfrage konfrontiert werden. (vgl. Muthny 1993 ; Tschuschke 2006 S.4)

In Folge der Stigmatisierung kann es zu Sozialer Isolation kommen. Zum einen bedingt durch den Verlust wichtiger Sozialbeziehungen zum anderen durch die Ablehnung der Öffentlichkeit von Seiten des Erkrankten selbst. Da die Behandlung eines Tumors häufig langwierig ist und – zumindest für eine gewisse Zeit - körperlichen Tribut fordert, ist es vielen Menschen verwehrt ihren beruflichen Alltag meistern zu können, weswegen sie für eine, oft unbestimmte Zeit, krank geschrieben sind. In besonders schweren Fällen werden Ca Patienten sogar frühpensioniert. Der Mangel an Aufgabe wirkt sich nicht nur negativ auf das Selbstwertgefühl aus, sondern sorgt zudem für den Verlust von Kontakten. Die Soziale Stellung ist häufig mit der Arbeitsleistung eines Menschen verbunden, was das Gefühl Sozialer Isolation erhöht. Die berufliche Einschränkung kann zudem zu finanziellen Problemen führen oder Karriereplanungen zunichte machen. (vgl. Muthny 1993; Tschuschke 2006 S.5)

Des Weiteren scheint der Umgang mit Krebskranken in der Gesellschaft für Schwierigkeiten zu sorgen. Oftmals wird aus Angst, falsche Reaktionen zu zeigen, ein Kontakt erschwert oder gar eingestellt. Zudem kann vermutet werden, dass die Konfrontation mit dem Thema Tod und Sterben, mit welchem der Erkrankte „behaftet“ scheint, das Umfeld mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Um die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu meiden, wird der Patient gemieden. Erwartungen an Freunde und gute Bekannte, werden in Folge von Verständnislosigkeit gegenüber der Situation des Patienten oder aber irrationalen Ängsten, häufig enttäuscht. Hieraus ergibt sich eine weitere Form der Isolation, welche vom Krebspatienten selbst ausgeht, indem er sich in seiner Krankheit unverstanden und allein gelassen fühlt und sich so von der Öffentlichkeit abwendet. (vgl. Tschuschke 2006 S.139)

Gleichsam muss die hohe Bedeutung sozialer Unterstützung aufgeführt werden, die Tschuschke (vgl. Tschuschke 2006 S.85) in Bezug auf Forschungsergebnisse von Spiegel und Kato, erwähnt. Diese belegen, dass soziale Isolierung das Sterberisiko aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen erhöht.

Besonders häufig ist das der Fall, wenn körperliche Stigmata vorhanden sind. Die Angst vor den Reaktionen aus dem Umfeld, wenn aufgrund fehlender Haare nach Chemotherapie oder gar Amputationen z.B. der Brust, die schwere Krankheit auch nach außen hin sichtbar ist, lässt Krebskranke öffentliche Auftritte meiden. Gerade wenn Patienten über geringe Strategien der Krankheitsverarbeitung verfügen und sich der Auseinandersetzung damit verwehren kann ein Rückzug ins engere private Umfeld die Folge sein. Hier wird der Patient zur möglichen Belastung für die anderen Familienmitglieder, welche eventuell selbst unter Verlustängsten leiden. (vgl. Muthny 1993; Mehnert 2006 S.229ff)

Nicht wenige Sozialbeziehungen leiden oder scheitern an einer Krebserkrankung. „Ein nicht unerheblicher Teil der Ehen und Partnerschaften nehmen durch die Krebserkrankung eines Partners so erheblichen Schaden, dass es zu Scheidungen und Trennungen kommt.“ (Tschuschke 2006 S. 89) Besonders dadurch, dass der Erkrankte immer wieder in den Konflikt kommen kann, vertraute Rollen nicht mehr, oder nur noch verringert, erfüllen zu können, kann es zu schweren Bedrohungen des Selbstbildes kommen. Besonders schwer wiegt hierbei das nicht Ausfüllen der beruflichen Rolle bei Einkommensträgern. Auch die Veränderungen im familiären und partnerschaftlichen Bereich beeinflussen das Selbstbild stark. Mangelnde Leistungsfähigkeit beim Erfüllen häuslicher Aufgaben wirkt sich ebenso negativ auf das Selbstbewusstsein aus, wie sexuelle Einschränkungen und emotionale Labilität im partnerschaftlichen Bereich. (vgl. Mehnert 2006; Tschuschke 2006 S.39f; Muthny 1993)

Subjektiv und objektiv erlebte Stimmungsveränderungen bedrohen das emotionale Gleichgewicht und fordern von den Erkrankten ebenso wie von dessen Umfeld Kompensationsleistungen. Diese Veränderungen der Stimmung können unterschiedlich stark ausfallen und mitunter sogar als Wesensveränderung empfunden werden. Besonders stark einschränkend werden depressive Verstimmungen und ängstliche Wesenslagen empfunden.

Eine grundlegende Folge der Erkrankung, die abhängig von Persönlichkeit und Stadium, besonders häufig jedoch zu Beginn der Erkrankung, der Diagnose ausbricht, ist das Gefühl der Lebensbedrohung. Existenzängste sind sowohl dem subjektiven Erleben zuzuschreiben, wie sie auch durch objektiv reduzierte Lebenserwartung hervorgerufen werden. Die Wahrnehmung des Gefühls von Bedrohung oder sogar Vernichtung kann so sehr im Vordergrund stehen, dass eine aktive Mitarbeit, im Sinne der Patientenemanzipation, stark eingeschränkt sein kann. (Tschuschke 2006 S.39f; Muthny 1993)

Zusätzlich wird diese Empfindung durch die aktuelle oder drohende Einschränkung der körperlichen Integrität gefördert. Zum einen kann die Erkrankung selbst die körperlichen Funktionen bedrohen, wie es z.B. bei einem Gehirntumor oder Carcinom der Lunge der Fall ist, zum anderen können eingesetzte oder angekündigte Therapien das körperliche Wohlbefinden stark beeinflussen. Dies kann sowohl durch Nebenwirkungen einer Strahlentherapie, wie Übelkeit, Schmerzen an der bestrahlten Stelle oder Hautirritationen hervorgerufen werden, als auch durch Chemotherapie, welche aufgrund ihres häufigen Einsatzes und der bedeutsamen Nebenwirkungen später im Text gesondert behandelt wird. (Schäffler 1998, S.810f)

Eine häufige Begleiterscheinung von Krankheit und Therapie ist eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit, die sich besonders in anhaltender Müdigkeit und schnellem Ermatten zeigt. Die hieraus resultierende Antriebslosigkeit kann zu depressiven Reaktionen führen (Schäffler 1998, S.798ff; Mehnert 2006). Die Minderung der Lebensqualität ist besonders stark beeinflusst, wenn gravierende körperliche Stigmata vorhanden sind. Ein Anus Präter kann ebenso die Aktivitäten des täglichen Lebens erschweren wie ein auf Dauer angelegter Zystofix nach einem Blasen Ca. (vgl. Muthny 1993) Besonders deutlich wird diese Einschränkung bei Laryngoektomierten Patienten. Vor allem der Verlust der natürlichen Stimmfunktion, und die dadurch eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit bedeutet für sie eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Hier zeigt sich auch deutlich, dass eine soziale Stigmatisierung häufig mit einer körperlichen korreliert. So werden Menschen mit Elektrolarynx häufig als warnendes Beispiel für Raucherfolgen genannt. Hinzu kommt, dass die regelmäßige Pflege, Auswechslung und Überholung der Geräte den Alltag stark beeinflussen. (Schäffler 1998, S. 1188ff)

Eine weitere, nicht unbedeutende Belastung durch eine Ca Erkrankung sind die anhaltenden, chronischen Schmerzen, die vor allem im finalen Stadium die Lebensqualität stark einschränken. Häufige Schmerzen verringern die Beweglichkeit und Mobilität eines Menschen und erinnern den Krebspatienten konstant an seine Erkrankung. Ein alltägliches Leben zu führen wird nahezu unmöglich. Hinzu kommt, dass der Schmerz mit starken, zum Teil opiathaltigen Medikamenten zu lindern versucht wird, welche unter Umständen müde und schlapp machen können. Da chronische Schmerzen jedoch die Stimmung und die Aktivität eines Menschen negativ beeinflussen, kann von einer Schmerztherapie nicht abgesehen werden. Nicht zu verachten ist zudem die Belastung die aus den Therapien selbst resultiert. Strahlentherapie und Chemo werden häufig als aversiv erlebt. (Muthny 1993; Schäffler 1998, S.800ff) Die normale menschliche Reaktion auf solche Reize ist eine Vermeidung dieser. Da dies im Fall der Erkrankung keine wirkliche Option darstellt, muss der Patient sich mit der, oft Nebenwirkungsreichen, Therapie arrangieren und diese aushalten. Das verlangt vom Erkrankten große Anpassungsanstrengungen, welche vielfältiger Natur sind und auf die meisten Veränderungen durch die Erkrankung angewendet werden müssen. Der Patient muss sich mit der Diagnose auseinandersetzen, sich emotional Stabilisieren und letztlich seine Zukunftspläne der Gegebenheit anpassen. Nicht zu Verachten ist zudem die Energie, die aufgebracht werden muss, um die für den Menschen so wichtigen Sozialbeziehungen aufrecht zu erhalten, vor allem in Zeiten, in denen der Krebspatient stark mit sich selbst beschäftigt ist. Die Bewältigung der langen Krankenhausaufenthalte mit den unterschiedlichen Therapien und Untersuchungen, die Kompensation von Schmerzen und labiler Stimmungslage stellen einen weitere Anforderung an die Anpassung dar. Diese Anpassungsanstrengungen nehmen viel Kraft in Anspruch und werden zudem meist wenig gewürdigt. Dabei dienen sie der Aufrechterhaltung des gesamten Lebensgefüges, welches in Folge der Erkrankung ins Wanken gerät. (vgl. Muthny 1993)

1.2.2. Depression als psychiatrische Nebendiagnose in Folge einer Krebserkrankung

Als eine der häufigsten Reaktionen auf eine schwere körperliche Erkrankung wird die Depression genannt. Diese kann von einer Kurzzeitigen Reaktion im Sinne einer depressiven Verstimmung im Anschluss an die Diagnose bis hin zu einer permanent manifestierten Depression nach dem Ausbruch der Erkrankung reichen. Nach psychoanalytischer Auffassung handelt es sich dabei um eine Reaktion auf einen Objekt- oder Personenverlust und dient in gewisser Weise der Trauerarbeit. Somit kann sie, in der nicht manifestierten Form, der Krankheitsverarbeitung dienlich sein. Wenn sich ein Patient mit seiner Krebserkrankung auseinandergesetzt kann es immer wieder zu Zeiten mit tiefer Traurigkeit, Mutlosigkeit und Verzweiflung kommen. Hierbei handelt es sich um eine normale Reaktion, einer adäquaten Form der Trauerarbeit. (Muthny 1993; Tschuschke 2006, S.15; Schäffler 1998, S.1285ff) Da durch die Krebserkrankung die körperliche Integrität ebenso bedroht ist, wie die Sexualität, die Sozialbeziehungen und wichtige Fähigkeiten zur Erhaltung des Selbstwertes, kann man hier von Objektverlusten sprechen, welche die Patienten zu betrauern haben. Dies kommt besonders häufig in Folge von Operationen vor, welche die körperliche Leistungsfähigkeit beschränken. Erst bei einer über längere Zeit persistierenden Depression geht man von einer pathologischen Trauer aus, welche psychotherapeutische oder psychopharmakologische Behandlung bedarf. (vgl. Muthny 1993, S.67; Tschuschke 2006, S.15; Mehnert 2006)

Die depressiven Symptome treten im Zusammenhang mit der Krebserkrankung in unterschiedlichen Situationen auf. Neben der Diagnose kann auch der Abschluss der Erstbehandlung, der Moment in welchem der Patient sich bewusst wird, was mit ihm geschehen ist, einer dieser Zeitpunkte sein. Die Erkenntnis, an einer lebensbedrohenden Krankheit zu leiden kann ebenso depressive Symptome hervorrufen, wie die Tatsache, dass Lebenspläne verloren gehen. Operationen, besonders solche, die körperliche Veränderungen, wie z.B. Amputationen, mit sich bringen wirken sich negativ auf die Psyche aus. Besonders einschneidend und Depressionsfördernd wird jedoch der Moment empfunden in welchem Patienten erfahren, dass die Erkrankung trotz aller Bemühungen fort geschritten ist. Dies gilt häufig auch für Rezidive. Eine weitere, wenn auch seltenere, Ursache für die Entstehung von Depressionen in Zusammenhang mit Neoplasien kann die Nebenwirkung einer Therapie sein, z.B. durch Bestrahlungen im Kopfbereich. (vgl. Tschuschke S. 116f; Schäffler 1998, S. 798ff)

Von einer manifestierten Depression kann erst gesprochen werden, wenn mindestens fünf der aufgelisteten Symptome, über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen nahezu täglich auftreten. Eine der beiden erstgenannten Symptome muss hierbei vorhanden sein.

Nach den Kriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) sind die typischen Symptome für eine Episode einer Major Depression wie folgt.

- Depressive Verstimmung (gedrückte Stimmung, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit)
- Deutlich vermindertes Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten.
- Deutliche Gewichtsveränderungen oder gesteigerter oder vermiderter Appetit.
- Schlaflosigkeit oer übermäßiges Schlafbedürfnis
- Auffallende Ruhelosigkeit oder auffallend verlangsamte Bewegungen
- Müdigkeit oder Energieverlust
- Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige, unangemessene Schuldgefühle
- Verminderte Denk- oder Konzentrationsfähigkeit oer verringerte Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen
- Wiederkehrende Todes- oder Selbstmordgedanken.

Die Symptome müssen so intensiv sein, dass sie das normale Leben der Betroffenen deutlich beeinträchtigen. Zudem müssen sie im Vergleich zum Befinden des Patienten vor der Erkrankung neu aufgetreten sein oder sich deutlich verschlechtert haben. (vgl. Mauthe 2002, S.34ff) Immerhin werden bei 25% der Krebspatienten eine klinisch relevante depressive Störung festgestellt (vgl. Tschuschke 2006 S.95)

Des Weiteren gelten Ängste und Disstressituationen zusätzlich als häufig auftretende Belastungen. Ein Großteil aller Erkrankten leidet unter der Angst vor erneutem Auftreten eines Tumors. (Mehnert 2006 S. 232ff)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Die häufigsten psychiatrischen ICD-10-Diagnosen bei Tumorerkrankungen (aus: Weis 2006, S.246)

1.2.3.Belastungen im Verlauf einer Chemotherapie

Die Chemotherapie ist bei einer großen Anzahl von Krebsarten das Mittel der Wahl. Die als Chemotherapeutika bezeichneten Medikamente sind natürlich vorkommende oder künstlich hergestellte Substanzen, die in der Lage sind, Tumorzellen zu bekämpfen. Die Chemotherapie wirkt im Besonderen auf die Zellen, die sich ständig teilen und vermehren. Dies sind in erster Linie bösartige Tumorzellen. Da es in der Behandlung zu einem „Zellstillstand“ kommen soll, spricht man auch von zytostatischer Therapie. Die Wirkung der Zytostatika macht im Organismus jedoch auch vor gesunden Zellen, die sich ebenfalls vermehren nicht halt, weshalb es zu bekannten Nebenwirkungen und Komplikationen kommen kann. Unter diesen befinden sich vor allem Übelkeit und Erbrechen, Haarausfall und Stomatitis. (Schäffler 1998, S. 810f) Die Chemotherapie kann zu kurativen und palliativen Zwecken eingesetzt werden. Besonders im Zusammenhang mit einer palliativen Zielsetzung ist es ein vorrangiges Ziel der internistischen Onkologie die belastenden Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. (vgl. Hasenbring et al 1993, s.99) Aus einer prospektiven Längsschnittstudie von Hasenbring et al, die in Zusammenarbeit mit der II. Medizinischen Klinik und der Abteilung für Medizinische Psychologie der Universität Kiel durchgeführt wurde geht hervor, dass Patienten unter der Chemotherapie neben den körperlichen Belastungen zusätzlich unter subjektiven Belastungen durch behandlungsbedingte und soziale Faktoren leiden.

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Abb.3: Subjektive Belastungen durch körperliche Beschwerden und verschiedene Elemente des Behandlungssettings (aus: Hasenbring et al 1993, S.103)

Die Untersuchung zeigt auf, dass ein großer Teil der Patienten eine starke Belastung durch Schmerzen, Übelkeit und besonders durch Erschöpfung erlebt. Weitaus häufiger wurden jedoch das Liegen am Tropf und die Trennung von zuhause als Belastungsfaktoren genannt. „In den offenen Interviewabschnitten wurde deutlich, dass die Patienten gerade in der Zeit, in der sie am Tropf lagen, stark ins Grübeln kamen.“ (Hasenbring et al 1993) Als besonders negativ wurden Gedanken angesehen, die

sich um Konflikte in der Familie drehen. Zudem kreisten die Gedanken um die eigene unsichere Zukunft und die Vorstellung wie die Zytostatika den Körper „vergiften“.

Immerhin 50% der Patienten klagten über die Ungewissheit bezüglich der kommenden Maßnahmen und den unbekannten Therapieverlauf. (Hasenbring et al 1993)

Die im Verhältnis dazu geringe Anzahl der belastenden Nebenwirkungen durch Übelkeit und Erbrechen, ist teilweise auf eine mittlerweile gut ausgereifte antiemetische Therapie zurückzuführen. Eine weitere Erklärung lieferten die Patienten in offenen Interviewfragen, in welchen vor allem die Patienten befragt wurden, bei denen vom medizinischen Personal eine starke Übelkeit beobachtet wurde. Diese gaben an, gute Bewältigungsstrategien hierfür entwickelt zu haben, da es sich letztlich um zeitlich begrenzte Nebenwirkungen handle, auf die man zuvor vorbereitet worden sei.

Dieses Ergebnis macht zum einen deutlich, das eine gute und sorgfältige Aufklärung einen wichtigen Parameter für geringere Belastung ausmacht, zum anderen zeigt sie auf, dass die psychosozialen Komponenten häufig in ihrer Bedeutung für die subjektive Belastung nicht zu unterschätzen sind. Das weniger Rücksicht auf diese Faktoren genommen wird, ist daran zu messen, dass sie in der Information über Begleiterscheinungen kaum genannt werden und auch nur in seltenen Fällen in der Literatur beschrieben sind. (Hasenbring et al 1993)

2. Psychoonkologische Interventionen als Aufgabengebiet Sozialer Arbeit

2.1. Definition und Zielsetzung des Aufgabenbereichs

Die vielfältigen psychosozialen Belastungen, welche im vorhergehenden Kapitel dargestellt wurden, sowie die spezielle Belastung durch die Anwendung einer Chemotherapie, sind vielfach belegt und anerkannt. Sowohl im medizinischen wie auch im psychologischen, sozialarbeiterischen Umfeld werden diese Folgen von Krebs im Zusammenhang mit dem Behandlungskontext gesehen.

Aufgrund dieser Tatsache ist es ein unumgängliches Ziel der Sozialen Arbeit in diesem Feld tätig zu sein.

Man geht nach groben Schätzungen davon aus, dass etwa die Hälfte aller Krebspatienten die bekannten Belastungen ohne fachliche Unterstützung bewältigen. Hier kommt es besonders auf die personalen und sozialen Ressourcen an, über die ein Mensch verfügt. (vgl. Weis 2006 S. 245) Nach G. Strittmatter kann Studienergebnissen entnommen werden, dass etwa ein Drittel aller Krebspatienten im Verlauf der Erkrankung psychoonkologische Unterstützung in Anspruch nimmt. (vgl. Strittmatter 1997) Dies ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, der tumorspezifischen Behandlung, also dem Einsatz von Chemo- und Strahlentherapie sowie Operationen und den prämorbiden Risikofaktoren. Besonders deutlich kristallisiert sich heraus, dass der Behandlungsbedarf in den Phasen der Diagnose, der Behandlung, der Nachsorge sowie beim Auftreten von Rezidiven und Metastasen kumuliert. (vgl. Weis 2006)

Diese Erkenntnis macht deutlich, dass gerade die Phasen einer Krebserkrankung stark behandlungsbedürftig, von psychoonkologischer Seite, sind, in welchen der Patient sich im Krankenhaus befindet oder zumindest, bei ambulanter Behandlung, in engem Kontakt mit diesem steht. Deshalb muss Soziale Arbeit in diesem Zusammenhang aktiv werden können. Hierfür bedarf es einer klaren Definition des Aufgabenbereichs.

Der Begriff Psychoonkologie fasst hierbei einen interdisziplinär orientierten Ansatz, dessen Ziel es ist, die verschiedenen psychosozialen Aspekte bei der Entstehung, Prävention, Behandlung und dem Verlauf der Krebserkrankung zu untersuchen und praktisch in der Behandlung und der Betreuung der Patienten und Angehörigen umzusetzen. Hierzu werden die unterschiedlichen Berufsgruppen der Medizin, Psychologie, Soziologie und anderen zur Zusammenarbeit angeregt. Praktisch ist dies über interdisziplinäre Teams aus Ärzten, Pflegepersonal, Sozialarbeitern und Psychologen umzusetzen. (vgl. Weis 2006; Hartmann 1991 S. 50) Die Aufgaben, welche im Besonderen die Soziale Arbeit betreffen reichen von der Diagnostik eines Behandlungsbedarfes, über soziale Beratung, Gesundheitsberatung, Patientenschulung und Einzelgespräche bis hin zur Nachsorge und Vermittlung von Rehabilitationsmaßnahmen.

Hartmann zitiert Kerekjarto im Bezug auf die Begrifflichkeit wie folgt:

„Psychoonkologie (umschreibt) die begriffliche Zusammenfassung von Aktivitäten auf einem Feld, wo Krebskranke mit und in ihrer Umgebung in der krankheitsspezifischen Problematik Hilfe erfahren.“ (Hartmann 1991 S. 17)

Interessanter Weise unterscheiden sich die Erwartungen an diese Hilfe von Patient und Arzt gravierend. Der Patient erhofft sich in erster Linie eine Wiedergewinnung der Körperintegrität und des emotionalen Gleichgewichts und Wohlbefindens. Des Weiteren schätzt der Patient die Hilfe als erfolgreich ein, wenn er dadurch ein Wiedererlangen der Kontrolle über sich und seinen Zustand erreicht und eine möglichst optimale Lebensqualität nach Durchstehen der existenziellen Bedrohung erlangt. Aus Sicht der Ärzte werden vorwiegend eine hohe Behandlungscompliance, das Ertragen belastender Eingriffe und die Anpassung an die Regeln des Behandlungssettings als erfolgreiche Ergebnisse der psychosozialen Hilfe angesehen. In den Augen der Mediziner stellen diese wichtige Faktoren für die Erzielung des besten medizinischen Ergebnisses dar. (Muthny 1993) Soziale Arbeit kann hier als Schaltstelle wirken und sieht ihren Auftrag darin, beiden Seiten zu den höchstmöglichen Erfolgen zu verhelfen. Entgegen der „landläufigen“ Meinung sieht Soziale Arbeit im Rahmen der psychosozialen Onkologie ihren Auftrag nicht darin, übersteigerten Heilungserwartungen gerecht zu werden und vornehmlich auf die somatische Gesundung, im Besonderen auf so genannte „Spontanheilungen“ durch die Psyche, einzuwirken. (vgl. Hartmann 1991 S. 23)

Die vielfältigen Belastungen durch die Erkrankung und Behandlung eines Carcinoms sprechen für den Bedarf einer psychosozialen Betreuung. Neben den Patienten, welche die wichtigste Zielgruppe darstellen, muss die Betreuung auch auf die Angehörigen sowie, wenn gewünscht, auf die Mitglieder des medizinischen Personals ausgeweitet werden. (vgl. Stump 1993 S. 232)

Da Ausmaß und Inhalt des Angebots für die Patienten sowohl Personenbezogen wie auch aufgrund unterschiedlicher Krankheitsstadien stark variieren ist eine Unterscheidung der Hilfen, für eine bessere Bearbeitung sinnvoll. Nach Pouget-Schors und Degner unterscheidet man Beratungsbedarf, Betreuungsbedarf und Behandlungsbedarf. (vgl. Mehnert 2006 S. 236)

2.2. Beratungsbedarf

2.2.1.Informationsvermittlung

Unter den Beratungsbedarf fallen die Informationsvermittlung und die Psychoedukation. Patienten der unterschiedlichen Krankenhäuser beklagen sich immer wieder darüber, sich schlecht oder wenig informiert zu fühlen. Informationen werden im Besonderen gewünscht im Bezug auf Diagnose, Therapieverlauf und Prognose. Unter Information ist in diesem Zusammenhang weniger die schwer zu messende Information gemeint, die Ärzte im Aufklärungsgespräch vermitteln, als vielmehr die subjektiv erfahrene Informiertheit des Patienten. Der Grossteil der Informationen wird den Patienten während des so genannten Erstaufklärungsgespräches vermittelt. Diese Form von Gesprächen wird vom Arzt vollführt und vom Patienten als sehr bedeutend wahrgenommen. Aufklärungsgespräche werden an wichtigen Eckpunkten der Erkrankung geführt. Meist nach der Diagnosestellung, zum Behandlungsverlauf und der Prognose in einzelnen Therapieschritten. Während noch vor 30 Jahren der Trend eher zum Nicht-Aufklären ging, wird in der heutigen Zeit jeder Tumorpatient irgendwann mit der Bösartigkeit seiner Krankheit konfrontiert. Dieses Gespräch wird von den Patienten als äußerst einschneidend, auch bezüglich des weiteren Behandlungsverlaufs empfunden. (vgl. Binder 1993 S. 40ff)

Eine retrospektive Untersuchung von Binder et al (Binder 1993) zeigt die hohe Bedeutung dieses Gespräches auf. „Obwohl das Erstaufklärungsgespräch bei den befragten Patienten im Durchschnitt fast zwei Jahre zurück lag, konnten 59% den exakten Tag, 87% die Woche und alle Patienten den Monat angeben, in dem es stattgefunden hat.“ (Binder 1993 S. 42) Die Befragung zeigt des weiteren auf, dass die Dauer eines Erstaufklärungsgespräches, welches die Informationen über Art und Grad der Erkrankung sowie die geplante Therapie und eine vorläufige Prognose der Behandlungsdauer beinhaltet, in 41% der Fälle nicht länger als 5 Minuten dauert.

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Abb.4: Dauer des Erstaufklärungsgespräches (aus: Binder 1993, S.44)

Hierauf kann teilweise zurückgeführt werden, dass über die Hälfte der befragten Patienten sich schlecht bezüglich Diagnose, Therapie und Behandlungsdauer informiert fühlen.

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Abb.5: Gefühl der Informiertheit der Patienten bezüglich Diagnose, Therapie und Behandlungsdauer (aus: Binder 1993, S.45)

47% der Patienten die länger als 5 Minuten aufgeklärt wurden, und sich entsprechend besser informiert fühlten, gaben an, optimistisch an die Behandlung heran zu gehen. Demgegenüber stehen 24% derer, die unter 5 Minuten aufgeklärt wurden. Der Grad der Information ist demnach nicht zu unterschätzen, gerade auch im Zusammenhang mit der Patientencompliance. Tschuschke zitiert ein Forschungsergebnis von Spiegel und Kato (Tschuschke 2006 S.92), in welchem dargelegt wird, dass eine Non – Compliance, also eine fehlende Kooperation des Patienten bei erforderlichen Behandlungen, unter Krebspatienten häufig sei. 23% der Krebspatienten z.B. halten sich nicht an ihre Termine zur Verabreichung der Chemotherapie. (vgl. Tschuschke 2006 S. 92) Psychosoziale Faktoren, wie Überwindung der Unsicherheit, zunehmendes Wissen und geringere Ängste können sich positiv auf die Compliance auswirken. (vgl. Tschuschke 2006 S. 93)

Dass besonders im Bezug auf die Behandlungsdauer ein geringes Informationsgefühl beim Patienten besteht, kann zum einen damit erklärt werden, dass eine Prognose diesbezüglich immer, besonders aber zu Beginn der Behandlung, sehr schwer abzuschätzen ist. Hinzu kommt, dass sich Patienten im Aufklärungsgespräch häufig in einer extremen Situation befinden und nicht alle Gesprächsinhalte aufnehmen und behalten können. Zudem ist es in retrospektiven Studien immer schwer zu unterscheiden welche Informationen zu welchem Zeitpunkt von wem an den Patienten heran getragen wurden. (vgl. Binder 1993 S.54)

Im Allgemeinen herrscht meist eine große Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wissen der Patienten und der ärztlichen Einschätzung darüber, welches Wissen der Patient hat. Erklärungsversuche können hier in der unterschiedlichen Erwartung in den Inhalt eines Aufklärungsgespräches gesetzt werden. Während der Arzt von einem strukturierten Gespräch ausgeht, welches in den häufigsten Fällen Ziel und Ablauf der Behandlung, Befund, Nebenwirkungen und langfristige Spätfolgen, sowie Nachsorgeuntersuchungen und Verhaltensregeln beinhaltet, sieht sich der Patient möglicherweise zu diesem Zeitpunkt mit anderen Themen konfrontiert. Diese Themen beinhalten vor allen Dingen Fragen dazu, ob die Krankheit zwangsläufig zum Tod führt, welches persönliche oder ärztliche Versagen zur Krankheit führte, was aus den Familienmitgliedern und der Arbeitsstelle wird und letztlich, welche Folgen die Diagnose haben wird. (Schlömer-Doll 2000)

Im Bezug auf salutogenetische Faktoren, wie sie heute in der Medizin immer häufiger einbezogen werden, hat die Information des Patienten einen wichtigen Einfluss auf die Compliance und die Belastbarkeit des Kranken. Die Salutogenese, untersucht diejenigen Faktoren, die dazu beitragen, dass ein Mensch gesund bleibt, bzw. unter objektiv vergleichbar belastenden Bedingungen eine bessere körperliche und psychische Befindlichkeit aufweist. Diese Theorie, welche auf einen Ansatz von Antonovsky zurückzuführen ist, geht von dem so genannten „Kohärenzgefühl“ aus. Dieses beschreibt eine Lebenseinstellung, welche allen Menschen zueigen ist, und auf Vertrauen in die Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit der Umwelt ausgelegt ist. Demnach können Menschen eine Krebserkrankung eher und widerstandsfähiger gegenüber stehen, wenn diese für sie verstehbar, handhabbar und sinnhaft ist. (vgl. Mehnert 2006 S. 235; BZgA 2001)

2.2.2. Sozialrechtliche Beratung und Rehabilitation

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Beratungsarbeit liegt auf der rechtlichen Unterstützung, sowie der medizinischen, beruflichen uns sozialen Rehabilitation. Eine empirische Erhebung der Deutschen Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus e.V. aus dem Jahr 2001 bezieht sich zwar auf das gesamte Klientel klinischer Sozialarbeit, kann aber vergleichsweise auf die, in der Erhebung berücksichtigten, onkologischen Patienten übertragen werden. Ziel der Erhebung war der Unterstützungsbedarf des Patienten im Akutkrankenhaus. Die folgende Auflistung der Beratungsthemen macht den hohen Bedarf bezüglich sozialrechtlicher Beratung und Rehabilitation deutlich. (vgl. Ansen 2004 S. 40)

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Abb.6: mehrheitlich genannte Beratungsthemen (aus: Ansen 2004, S.40)

2.2.2.1 Sozialrechtliche Beratung

Unter sozialrechtlicher Beratung kann in diesem Zusammenhang eine Beratung über verschiedene Gebiete des Sozialrechts verstanden werden, welche im Besonderen die wirtschaftliche Situation des Patienten während und nach dem Krankenhausaufenthalt betreffen. Neben der Verarbeitung seiner Krankheit, dem Umgang mit Schmerzen und belastender Therapie, ist der Patient, durch den Wandel im Gesundheitswesen zunehmend mit verwalterischen Angelegenheiten konfrontiert.

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Abb.7: Inhalte der sozialen Beratung - DVSK-Evaluationsstudie (aus: Mühlum 2003, S.41)

Stark zu gewichten sind hierbei die Kenntnisse über Leistungen der Versicherungen, über welche der Sozialarbeiter verfügt. Die Erhebung der DVSK zeigt auf, 67% der Patienten sozialrechtliche Beratung ersuchten, Hilfe für Antragsverfahren benötigten und auf Leistungen hingewiesen wurden, die ihnen noch nicht bekannt waren. (Mühlum 2003 S. 41)

Die Entlastung des Patienten soll zumindest auf finanzieller und verwalterischer Ebene gewährleistet sein. Die Auskunft und Beratung über Sozialleistungen reicht von Inanspruchnahme von Krankengeld bis hin zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises in Folge verbleibender körperlicher Schäden. Besonders die, wie bereits weiter oben erörtert, hohe psychische Belastung durch die Bedrohung der körperlichen Integrität kann durch die Vergünstigungen eines Schwerbehindertenausweises zumindest geringfügig ausgeglichen werden. Gleichzeitig ist es von hohem Wert, diese Themen, besonders im Bezug auf das beschädigte Selbstbild des Patienten, in fachlich kompetenter und doch einfühlsamer Weise zu diskutieren. Der Krebskranke wird möglicherweise Scham verspüren oder sich nur ungern auf finanzielle Unterstützung durch die Versicherungsträger einlassen. Hierfür bedarf es der Aufklärung darüber, dass es sich bei den im SGB geregelten Leistungen nicht um Almosen, sondern berechtigte Hilfen handelt, welche zum Ziel haben die vorübergehende Hilfsbedürftigkeit zu überbrücken um eine gelingende Rückkehr in den Alltag zu ermöglichen. (Deutsche Krebshilfe 2006)

2.2.2.2. Rehabilitation

Die ungewisse Situation im Umgang mit der Krankheit belastet einen großen Teil der Patienten auf onkologischen Stationen vom Tag der Diagnose an. Das sich die Rückkehr in den Alltag nicht ohne Ängste und Sorgen beschreiten lässt, ist vor allem dann zu beobachten, wenn eine längere Krankschreibung, wie es bei Ca-Patienten beinahe immer von Nöten ist, eine Rückkehr in den Beruf verschiebt oder gar verhindert. Die Sorgen der Patienten beziehen sich hierbei nicht nur auf die finanzielle Lage sondern vielmehr auch auf den Umgang mit der neuen Rolle in der Familie, dem ausfüllen freier Zeit zuhause und dem Umgang mit der eigenen Schwäche. Deshalb unterscheidet man die Rehabilitation in drei Bereiche. (Ansen 2004, S.38)

Die soziale Rehabilitation nimmt hierbei einen bedeutenden Stellenwert ein. Da in unserer Gesellschaft Leistung häufig an der Fähigkeit gemessen wird, erfolgreich im Berufsleben zu stehen, droht dem Patienten ein gewisses Maß an Statusverlust. Den Umgang mit diesem zu bewältigen kann Aufgabe der Rehabilitation sein. Die Vermittlung an Selbsthilfegruppen oder ambulante Beratungsstellen kann hierfür einen wichtigen Beitrag leisten. Soziale Notlagen, wie Arbeitsplatzverlust oder finanzielle Schwierigkeiten können eine Rückkehr in das soziale Leben stark verkomplizieren und die Belastbarkeit des Patienten unnötig strapazieren. (Ansen 2004) Zusätzlich kann Unterstützung durch Besuchsdienste oder Haushaltshilfen eingeleitet werden. Die medizinische Rehabilitation bezieht sich größtenteils auf die Einleitung von Anschlussrehabilitation und so genannte Nach- und Befestigungskuren, auf welche jeder Tumorpatient ein Recht hat. Da die Nachsorge zum Ziel hat, negative körperliche, soziale und seelische Folgen des Patienten weitgehend zu reduzieren und Kompensationsmöglichkeiten der bleibenden Einschränkungen zu erleichtern, hat sie für den Patienten eine wichtige Bedeutung und wird deshalb weiter unten eingehender behandelt. (vgl. Schwiersch 1993 S. 189; Deutsche Krebshilfe 2006)

Die berufliche Rehabilitation versteht sich als Beratung zur Wiedereingliederung in den Beruf. Das Angebot beinhaltet stufenweise Wiedereingliederung, berufliche Reha und die Möglichkeit der Arbeitsförderung nach dem SGB III. Vor allem bei jüngeren Patienten bildet dieses Beratungsthema einen wichtigen Schwerpunkt. Ein Viertel aller Krebsüberlebenden findet aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in den Beruf zurück, oder kann dem vorherigen Niveau nicht mehr gerecht werden. Dementsprechend ist es möglich von den Firmen körperlich leichtere Tätigkeiten zugewiesen zu bekommen. (vgl. Tschuschke 2006 S. 91)

Die medizinische Behandlung von Neoplasien hat sich nicht nur bezüglich der gesteigerten Überlebensraten verbessert, sondern sorgt durch ständige Forschung zudem für eine qualitative Verbesserung der Überlebenszeit. Dadurch wird die berufliche Rehabilitation auch in Zukunft weiter zunehmen.

Aus ökonomischer Hinsicht wird die berufliche Wiedereingliederung ehemaliger Ca-Patienten, aufgrund Rezidivgefahr, immer noch als riskant bewertet. Obwohl das „Reha-Angleichungsgesetz“ bereits 1974 erlassen wurde, welches in §7 beinhaltet das die Reha im Gegensatz zur Rente vorrangig zu behandeln ist, wird Krebsüberlebenden noch immer häufig eine Frühberentung von Seiten der Betriebe, Krankenkassen und Begutachtern nahe gelegt. (vgl. Weis 1993 S.145) Nur ein sehr geringer Teil der Klienten wird am Arbeitsmarkt diskriminiert durch Entlassung, Nicht-Einstellung oder Gehaltskürzungen. Eine berufliche Reintegration unterstützt die Lebenssituation des Klienten nicht nur in ihrer Funktion als Erwerbsquelle sondern trägt vielmehr auch zur Persönlichkeitsbildung, besonders im Zusammenhang mit der Veränderung des Selbstbildes durch die Erkrankung bei. Zudem dient sie der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und der Lebensqualität. Als Teil der Rehabilitation verlangt die berufliche Wiedereingliederung interdisziplinäre Zusammenarbeit des Sozialarbeiters mit anderen Berufsgruppen der Wirtschaft, Agenturen für Arbeit und den Versicherungsträgern. (Weis 1993)

Unter den Beratungsbedarf fällt sicherlich auch die Vermittlung von Patienten und Angehörigen an Selbsthilfegruppen oder ambulante Beratungsstellen. Diese Gruppen stellen wichtige Kooperationspartner dar und ergänzen und unterstützen die professionelle Beratung im Krankenhaus. (vgl. Ansen 2004 S. 34)

Da die soziale Beratung eine der zentralen Handlungsmethoden Sozialer Arbeit darstellt und dazu dient dem Menschen seine lebenspraktische Autonomie zu erhalten und wiederherzustellen, ist der Beratungsbedarf als Teil psychosozialer Betreuung besonders für die Soziale Arbeit hervorzuheben. (vgl. Ansen 2004 S. 61)

2.3. Betreuungsbedarf

2.3.1.Emotionale Unterstützung

Unter Betreuungsbedarf kann emotionale Unterstützung und die Vermittlung hilfreicher Copingstrategien verstanden werden. (vgl. Mehnert 2006 S. 236) Der Bedarf an emotionaler Unterstützung lässt sich durch die Vielzahl der psychosozialen Belastungen ableiten, welche durch eine Krebserkrankung entstehen. Entscheidend für eine größtmögliche Compliance mit der Behandlung ist die emotionale Unterstützung vor allem bei der Verarbeitung von Informationen. Mit diesen wird der Patient, wie bereits beim Aufklärungsgespräch beschrieben, mehr oder weniger umfangreich, in jeder Phase der Krankheit konfrontiert. Die emotionale Unterstützung kann dazu beitragen die Gedanken und Gefühle der Patienten zu entwirren indem über sie gesprochen wird. Dem eigentliches Anspruch, auch von medizinischer Seite, an das Aufklärungsgespräch, kann in der klinischen Wirklichkeit nur selten Folge getragen werden. Der Arzt ist angehalten sich im Aufklärungsgespräch in den Patienten hineinzufühlen, ihm Zeit zum Verstehen zu lassen und zu überprüfen was der Patient verstanden hat. (Schlömer-Doll 2000) Wenn es aber, aufgrund des klinischen Alltags nicht immer möglich ist, das Informationsbedürfnis des Patienten zu befriedigen, so bleibt sicher die Unterstützung auf emotionaler Basis auf der Strecke. Diese ist zudem in allen Stadien des Krankheitsverlaufs nötig und von großer Bedeutung. In einer von Tschuschke initiierten Studie mit an Knochenmarkkrebs Erkrankten konnte festgestellt werden, dass emotionale Unterstützung einen positiven Einfluss auf die Überlebensprognose hat. (vgl. Tschuschke 2006 S. 89) Vereinfacht dargestellt benötigt es der Vermittlung von Respekt und Vertrauen, um das Selbstbild des Patienten nicht weiter zu untergraben. Wenn der Patient die Möglichkeit hat, sich in den Behandlungsprozess integriert zu fühlen und somit die Beteiligung an seinem Leben nicht zu verlieren, negative wie positive Gefühle und Gedanken auszusprechen, kann davon ausgegangen werden, dass der Patient die belastenden Therapien besser durchlaufen kann. Jeder Patient hat so genannte subjektive Krankheitstheorien, die meist aus persönlicher Erfahrung resultieren. Diese Laientheorien basieren häufig auf negativen Vorerfahrungen im Familien- oder Freundeskreis. Schlömer-Doll und Doll berufen sich auf eine Studie zum Thema Aufklärung, wenn sie darlegen, dass von 80 Prozent der Befragten, die angaben eine Krebserkrankung im nähern Umfeld erlebt zu haben nur 11,9 Prozent eine Heilung erlebt haben wollen. Da diese geringe Prozentzahl nicht mit der Wirklichkeit kongruent geht, kann davon ausgegangen werden, dass sich die negativen Krankheitsverläufe mehr einprägen als die positiven. Da mit diesen Laientheorien die Ängste und Sorgen der Patienten eng verbunden sind, ist es nötig sie kennen und verstehen zu lernen. (Schlömer-Doll 2000) Die subjektiven Theorien können in Kontrollüberzeugungen und Kausalattributionen unterschieden werden. Während man unter Kontrollüberzeugungen Theorien und Erklärungen dafür versteht, welche Kontrollmöglichkeiten ein Ereignis hat, kann unter Kausalattribution die subjektive Theorie oder Erklärung für die Ursache eines Ereignisses verstanden werden. Da von Seiten der Patienten für beide Theorien psychische Faktoren als bedeutsam eingestuft werden, können diese zum einen Einfluss auf die Art und Weise der Bewältigung nehmen, zum anderen auf den Grad der Anpassung an die Krankheitssituation. (vgl. Mehnert 2006, S. 235)

So können Abwehrmechanismen überwunden werden und eine Vertrauensbasis entsteht. Die emotionale Unterstützung muss sich schrittweise an das Verarbeitungsmuster des Patienten anpassen (Schlömer-Doll 2000)

[...]

Ende der Leseprobe aus 133 Seiten

Details

Titel
Psychosoziale Betreuung onkologischer Patienten im Rahmen des DRG-Fallpauschalensystems und die praktische Umsetzung durch die Soziale Arbeit
Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
133
Katalognummer
V70013
ISBN (eBook)
9783638608251
Dateigröße
1723 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychosoziale, Betreuung, Patienten, Rahmen, Fallpauschalensystems, Umsetzung, Soziale, Arbeit
Arbeit zitieren
Susanne Niederhammer (Autor:in), 2007, Psychosoziale Betreuung onkologischer Patienten im Rahmen des DRG-Fallpauschalensystems und die praktische Umsetzung durch die Soziale Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70013

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