Eine konfliktsoziologische Darstellung der türkischen Kurdenfrage - Hintergründe und Lösungsansätze


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Diskussion konflikttheoretischer Theorien
2.1. Ethnizität: „Wir“ und „die Anderen“
2.2. Das Entstehen ethnischer Konflikte
2.3. Lösungsansätze

3. Die Entwicklung des Kurdenkonfliktes in der Türkei

4. Bewertung aus konfliktsoziologischer Sicht

5. Ansätze zur Bewältigung der Kurdenfrage

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nach seiner Auflösung hinterließ das Osmanische Reich, ein Vielvölker- und Vielreligionenstaat, ein ethnisch-religiöses Gesellschaftsgemisch, „[...] bestehend aus sunnitischen und alevitischen Türken, sunnitischen, alevitischen und jezidischen Kurden, verschieden Turkmenenstämmen (alevitisch oder sunnitisch), schiitischen aserbaidschanischen Türken, Tartaren, sunnitischen, nusairischen und christlichen Arabern, Lhasen, Tscherkessen, Georgiern, Abchasen, Albanern, Mazedoniern, Bosniern, Griechen, Juden, Armeniern, Polen und anderen.“ (Steinbach 2002, 33) Die meisten der genannten Minderheiten haben sich in der heutigen Türkei aufgelöst und spielen keine Rolle mehr. Jedoch bestehen Probleme mit der kurdischen Minderheit fort.

Das Ziel meiner Arbeit wird es sein, die türkische Kurdenfrage aus konfliktsoziologischer Sicht darzustellen und Lösungsstrategien für die Beilegung des Konfliktes zu entwickeln. Dabei stützt sich die Arbeit auf einen einführenden Theorieteil unter dem Fokus ethnischer Konflikte. Daraufhin wird die historische Entwicklung des Konflikts aufgezeigt, um diese dann in einem abschließenden Teil mit der Theorie bewerten zu können.

Meine These lautet, dass es sich bei der türkischen Kurdenfrage um einen ethnischen Wertkonflikt handelt, dessen Beilegung nur im Rahmen der in der Türkei stattfindenden Europäisierung gelingen kann – mittels eines dritten Weges: der Errichtung einer Territorialautonomie im Südosten der Türkei.

In meiner Arbeit werde ich nicht die Kurden der Nachbarländer der Türkei berücksichtigen, da diese eine Konfliktbetrachtung zu facettenreich machen und den Rahmen der Arbeit sprengen würden. Zudem ist ihr Einfluss auf die türkische Kurdenfrage in der wissenschaftlichen Literatur äußerst umstritten.

2. Diskussion konfliktsoziologischer Theorien

2.1. Ethnizität: „Wir“ und „die Anderen“

Trotz der Globalisierung sowie der Modernisierung und der üblichen Assimilierungspolitik in vielen Staaten durch Medien, gemeinsame Feiertage und Kontrollmöglichkeiten, wie die Verwaltung, die Polizei oder das Militär, ist allgemein zu beobachten, dass es nicht zu einer freiwilligen Verschmelzung der Völker, sondern eher zu einer Wiederkehr und Aktivierung ethnischer Solidaritätsgruppen gekommen ist, wie z.B. bei der Auflösung der Sowjetunion (vgl. Eckert 1998, 271ff.) oder anderer multiethnischer Staaten. Bei der oft gleichzeitig stattfindenden Transformation in moderne Nationalstaaten häufen sich eben diese ethno-nationalistischen Konkurrenzen (vgl. Wimmer 1995, 487).

Laut Julia Eckert wird Ethnizität, „[...] eine über Abstammung und Verwandtschaft organisierte Gruppe, deren Angehörige traditionelle kulturelle Praktiken wie Sprache, Religion und Brauchtum [...]“ (Eckert 1998, 272) teilen, durch eine doppelte Grenzziehung bestimmt: zum einen nach außen durch Gruppenbeziehungen, beispielsweise Vererblichkeit, und nach innen durch Sozialisationsprozesse, wie z.B. Habitus. Somit haben Kontakte zu anderen Gruppen nicht unbedingt ein Auflösen ethnischer Grenzen zur Folge, sondern werden gerade aktiviert als soziales Organisationsprinzip. Dieses bedeutet aber nicht zwingend eine Politisierung von Ethnizität. Zudem unterscheidet Eckert nationalistische Bewegungen von ethnischen: Der Nationalismus hat das Ziel, einen unabhängigen Staat zu errichten bzw. zu bewahren, während ethnische Bewegungen Vorteile für ihre eigene Gruppe suchen. Beide sind sich aber in ihrer Funktion ähnlich: dem Mobilisieren von Gemeinschaften.

Des weiteren beschreibt Eckert, dass kulturelle Differenzen dazu führen, dass Gruppen sich institutionell voneinander abgrenzen und eine geschlossene sozio-kulturelle Einheit bilden. Das daran ansetzende Inkorporationsmodell untersucht, in welcher sozio-ökonomischen Situation sich die einzelnen Gruppen zueinander verhalten. Dabei wird unterschieden zwischen differentieller Inkorporation, in der eine Gruppe dominiert, egalitärer Inkorporation, in der die einzelnen Gruppen gleiche sozio-ökonomische Positionen einnehmen und uniformer Inkorporation, in der alle Individuen unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit die gleichen Rechte erhalten. Jedoch lässt sich bei diesem Modell nicht bestimmen, wann es in pluralistischen Gesellschaften zu Konflikten kommt. Anhand unterschiedlicher Theorieansätze folgert die Autorin, dass ethnische Bewegungen sowohl von zweckrationalem Handeln, also Organisationsnotwendigkeiten sowie dem strategischen Aufbau von Klientelnetzen, bestimmt werden als auch von einer emotionalen Dynamik, die auf sozialpsychologischen Prozessen basiert. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren wird laut Eckert durch Wir-Gruppen-Prozesse bestimmt, über die ökonomische Interessen, emotionale Bedürfnisse und politische Ziele verschiedener Sub-Gruppen verwirklicht werden können. Des weiteren haben diese Prozesse auch identitätsstiftende Auswirkungen. Dieses geschieht durch Abgrenzung und Abwehr. Das Bekannte wird somit zum Fremden. Schließlich basiert die gewonnene kulturelle Identität auf einem Gemeinschaftsmythos, hervorgerufen durch eine gemeinsame Sprache, Rituale, etc., sowie emotionale Solidarität (kompensatorische Identitätskonstruktion) (vgl. Eckert 1999, 271-288), welche nach Wimmer bei vollzogener Gewalt gegenüber einer Person als Gewalt gegenüber allen anderen wahrgenommen wird (vgl. Wimmer 1995, 479).

2.2. Das Entstehen ethnischer Konflikte

Nach Wimmer sind politisierte Ethnizitäten als Effekte der politischen Modernisierung und Nationalstaatenbildung zu interpretieren. Seiner Meinung nach entstehen ethnisch-nationalistische Konflikte immer dann, wenn bei der Staatenbildung ein Disput darüber entsteht, welchem Volk der Staat gehört, also bei einem ethnisch-nationalistischen Kampf um kollektive Güter des Staates. Seiner Auffassung nach gibt es drei Voraussetzungen, unter denen sich kulturelle Differenzen konfliktiv aufladen:

Erstens kommt es bei einer Übernahme des Staatsapparates durch die Mehrheitsbevölkerung zu einer parallel verlaufenden Ethnisierung von Staat und Bürokratie, welche der herrschenden Ethnie die Möglichkeit der Legitimierung staatlicher Machtpositionen, wie Arbeitsplätze und Dienstleistungen, garantiert. Zudem führt dies zwangsläufig zu einer Bevorzugung der eigenen Ethnie, da zum einen Vertrauen die Beziehung bestimmen soll und zum anderen gerade die gemeinsame Sprache und Kultur diese erleichtert. Jedoch führt die Bürokratie sowie die gleiche Besetzung politischer und ökonomischer Nischen zu einer verstärkten Konkurrenz unter den Mittelschichten verschiedener Ethnien, gerade wenn die Wirtschaft in einem Staat schwach ausgeprägt ist. Eine daraus entstehende frustrierte Bildungselite bildet die zweite Voraussetzung für aufgeladene Konflikte. Dieses Phänomen wird durch eine ethnische Blockbildung verstärkt, also einen klassenübergreifenden Zusammenschluss einer Ethnie mit einem politischen Ziel. Die letzte Bedingung ist die ungleiche Verteilung staatlicher Kosten, also wenn eine Ethnie der anderen gegenüber ungerecht behandelt wird. Dieses wird als ethnische Diskriminierung wahrgenommen und führt zur Solidarisierung breiter Bevölkerungsschichten mit der Bildungselite (vgl. Wimmer 1995, 464-481). Diese These wird unterstützt durch Theodor Hanf, der die Auffassung vertritt, dass in ethnisch segmentierten Gesellschaften Konflikte nicht aufgrund ungleicher Verhältnisse ausbrechen, sondern wenn sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen verändern und diese Veränderung wahrgenommen werden. Er stützt sich dabei auf das Modell der relativen Deprivation, welches aus folgenden drei Gründen politische und ökonomische Transformationen als Gefahr ansieht, dass soziale Lagen als relativ depriviert interpretiert werden: Erstens haben Modernisierungsprozesse oft sozialen Wandel und ungleiche Entwicklungen zur Folge, zweitens erhöhen gesteigerte Mobilität und kommunikative Vernetzung Vergleichsprozesse und schließlich können sich Gleichheitsansprüche durch eine verstärkte Differenzierung der Gesellschaft auftun, die inegalitäre Systeme untergraben. Jedoch muss relative Deprivation nicht unbedingt zur Rebellion führen, sondern kann auch in Assimilierung münden. Eckert unterscheidet hier zwei verschiedene Möglichkeiten der Assimilation, welche zum einen freiwillig in solchen Gesellschaften verlaufen kann, in denen die dominante Gruppe offen ist für Mitglieder anderer Gruppen, und letztere ihre kulturellen Gruppeneigenschaften aufgeben und sich an die kulturellen Eigenarten der dominanten Gruppe assimilieren oder zum anderen forciert erfolgt, also wenn kulturelle Formen beseitigt und durch Formen der dominanten Gruppe ersetzt werden sollen (vgl. Eckert 1998, 291ff.). Meist nimmt die Mehrheitsbevölkerung die tribalen Völker des Hinterlandes als „Stachel der Primitivität im Körper der Nation“ (Wimmer 1995, 480) wahr. Dieses geschieht besonders dann, wenn in den Territorien der Minorität Rohstoffe entdeckt, Staudämme gebaut oder Besiedlungsprojekte durchgeführt werden. Für die Mehrheitsbevölkerung scheint es

„[...] legitim und für eine Erstarkung des nationalen Selbstbewußtseins geradezu notwendig, die Barbaren politisch zu bändigen, sich kulturell einzuverleiben, ihr Land zu Staatseigentum zu erklären und mit eigenen Siedlern zu bevölkern. Sie werden Opfer einer Politik, für die wohl der Begriff des „internen Kolonialismus“ angebracht ist.“ (Wimmer 1995, 480)

Nicht selten erfolgt Widerstand, der dauerhafter und wirksamer ist, wenn er von der Bildungselite geführt wird (vgl. Wimmer 1995, 480). Im Gegensatz zu Wimmer sieht Eckert den Grund für die Eskalation von Minderheiten nicht im Assimilationsdruck, sondern vielmehr treten Konflikte ihrer Meinung nach dort auf, wo eine hohe Chancenungleichheit herrscht, die nur durch Assimilation unter hohen Kosten zu beseitigen ist. Aber wie auch Wimmer, vertritt Eckert die These, dass gerade in der ethnischen Monopolisierung von Partizipationschancen das Konfliktpotential liegt und somit von breiten Teilen der Minorität ein Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Lage und ethnischer Segmentierung hergestellt wird. Die Akteure der Aufklärung der Bevölkerung sind zum großen Teil Angehörige der gebildeten Mittelschichten. Hier greift wiederum Wimmers Bild der frustrierten Bildungselite. Der dadurch entstehende Konflikt wird nach Eckert verschärft durch das Fehlen konfliktregulierender Institutionen und dem Maß radikaler Mobilisierung. Konflikte werden daraufhin leicht als Gefahr für die eigene Gruppe interpretiert und die militärische Konfrontation scheint unausweichlich. Es findet eine Herausbildung von Freund-Feind-Schemata statt sowie eine Zwangsethnisierung bzw. erzwungene Solidarität (vgl. Eckert 1998, 291-297).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Eine konfliktsoziologische Darstellung der türkischen Kurdenfrage - Hintergründe und Lösungsansätze
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Soziologisches Seminar)
Veranstaltung
Konfliktsoziologie im Kontext der europäischen Integration
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V69968
ISBN (eBook)
9783638614214
ISBN (Buch)
9783638774093
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eine, Darstellung, Kurdenfrage, Hintergründe, Lösungsansätze, Konfliktsoziologie, Kontext, Integration
Arbeit zitieren
Holger Kiesow (Autor:in), 2005, Eine konfliktsoziologische Darstellung der türkischen Kurdenfrage - Hintergründe und Lösungsansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69968

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