Die Griselda-Novelle (X, 10) im Spiegel der Forschung


Seminararbeit, 2000

19 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Fabel
2.1. Inhalt der Fabel bei Boccaccio
2.2. Überlieferungen in Europa

3. Der Sinn der Griselda-Fabel nach Otto Rank
3.1. Betrachtung aus dem Blickwinkel der Psychoanalyse
3.2. Motivierungsversuche für die Handlungsweise des Grafen
3.3. Übertragungen des Inzest-Motivs in die Literatur
3.4. Charakteristische Motive der Fabel
3.5. Wiederkehrende Züge in den verschiedenen Bearbeitungen

4. Interpretation der Boccaccio Novelle von Hans-Jörg Neuschäfer
4.1. Gattung und Quelle
4.2. Eine Novelle zum Anlass der Reflexion

5. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
BIBLIOGRAPHIE

1. EINLEITUNG

Keine Novelle Boccaccios hat so viel Verbreitung gefunden, wie die von Griselda, die im 14. Jahrhundert durch Giovanni Boccaccio wahrscheinlich aus mündlicher Tradition, allerdings hauptsächlich durch die sehr freie lateinische Übertragung seines Zeitgenossen Petrarcas[1], in die Literatur eingeführt wird.

Das Interesse galt im 15. Jh. eher den lateinischen Texten Boccaccios. Das Decameron dagegen hat sich damals noch nicht durchsetzen können, da es für diese Art literarischer, also fiktionaler Autonomie noch keine nennenswerte Rezeptionsbasis gab. Wenn überhaupt, so waren aus dem Decameron die lateinischen Versionen einzelner Novellen, wie auch der von Petrarca bekannt. Auf dieser beruhen eine Unzahl von Volksbüchern, Romanzen und dramatischen Bearbeitungen in allen europäischen Sprachen. Die älteste erhaltene Fassung des Griselda-Stoffes findet man in Boccaccios Decameron.

Griseldas Geschichte wurde vielfach und in unterschiedlichen Formen verarbeitet. Dies zeigt das Interesse am Inhalt der Fabel, ruft aber nach Ländern, Zeiten und Autoren wechselnde Motivierungsversuche hervor. Zwei verschiedene Betrachtungsweisen behandelt diese Arbeit: eine allgemeine Betrachtung der Griselda-Fabel aus psychoanalytischer Sicht und eine kurze Interpretation der Boccacco-Novelle im Bezug auf die widersprüchliche Darstellung des Griselda-Stoffes.

2. DIE FABEL

2.1. Inhalt der Fabel bei Boccaccio

Der Markgraf von Saluzzo, Gualtieri, der von seinen Leuten zur Vermählung gedrängt wird, entschließt sich nach langem Widerstreben, ein armes Bauernmädchen, Griselda, zu heiraten. Die zwei Kinder, die sie ihm schenkt, lässt er angeblich umbringen und verstößt seine Gattin, indem er vorgibt, sich eine andere Frau nehmen zu wollen. Dann läßt er seine Tochter wieder nach Hause bringen, um seiner gedemütigten Frau schließlich bei seiner zweiten Hochzeit zu eröffnen, es sei alles nur zum Schein und zur Erprobung ihres Gehorsams geschehen. Da seine Gattin, obwohl er sie verjagt hat, immer noch geduldig ist, nimmt er sie in größerer Liebe als zuvor wieder in seinem Haus auf, zeigt ihr ihre mittlerweile erwachsenen Kinder und ehrt sie als Markgräfin.

2.2. Überlieferungen in Europa

Petrarcas schon erwähnte lateinische Fassung suchte zu stärkerer Individualisierung zu gelangen, er bemühte sich, den Charakter des Grafen zu mildern, dessen Handlungen dadurch aber unverständlicher wurden. Auf Petrarca beruhen die meisten Spielarten des Stoffes während der Renaissancezeit, die in seiner Abdämpfung und Humanisierung manchmal noch einen Schritt weitergingen.

Im 15. Jh. rückte der Stoff mehr unter geistlichen Aspekt und nahm oft den Prüfungen den Stachel durch das Mitleiden, das der prüfende Markgraf selbst empfindet.[2] Ende des 15. Jh. erscheint in Deutschland die erste deutsche Gesamtübersetzung des italienischen Decameron.[3] Diese Übersetzung wirkte produktiv auf andere deutsche Autoren, die die Geschichte oft um neue Szenen und Personen erweiteten.[4] Unter den deutschen Fassungen des 16/17. Jh. bedeuteten die gefühlvoll-religiös akzentuierten Erzählungen nur Wieder- und Weitergabe mit zeitgemäßen Stilmitteln.[5] Dagegen sind die gleichzeitigen Gestaltungen in England, Spanien und Italien wirkliche Weiterentwicklungen, die oft das Gerüst der Fabel angreifen.[6]

Die erste wirkliche Dramatisierung des Stoffes erfolgte Ende des 16. Jh., indem erstmals die mit dem Gefühl menschlicher Würde und Selbstachtung ausgestattete Griselda einem bis zum Sadismus brutalen Mann gegenübergestellt wurde.[7]

In den Fassungen des 17. Jh. wurden die erotischen Möglichkeiten ausgespielt und im 18. Jh. entstanden zahlreiche Nachahmungen und Veroperungen des Griselda-Stoffes.[8] Die neueren Bearbeitungen des Stoffes an der Schwelle des 19. Zum 20. Jh. zielten einerseits auf die psychologische Motivierung der Vorgänge, andererseits auf eine Umdeutung der Fabel unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung der Frau. Es kam häufig zur Verschleierung der Motive, bzw. zur Reduzierung der Fabel auf ihren, wenn auch modern gesehenen, Kern.[9]

3. DER SINN DER GRISELDA-FABEL NACH OTTO RANK

3.1. Betrachtung aus dem Blickwinkel der Psychoanalyse

Otto Rank beschäftigt sich nicht nur mit Boccaccios Griselda-Geschichte, sondern betrachtet die Fabel allgemein. Warum diese Geschichte so zahlreich übernommen, bearbeitet und über alle europäischen Länder in verschiedenen Formen verbreitet worden ist, warum der Inhalt der Fabel scheinbar große Gefallen fand, erklärt Rank aus der Sicht der Psychoanalyse, also durch die wissenschaftliche Darstellung seelischer Inhalte und Vorgänge.

Er versucht die Wechselbeziehungen zwischen der Psychoanalyse und dem Geistesleben aufzuzeigen, die künstlerisch gestalteten Phantasieproduktionen des Einzelnen oder des Volkes an die Ergebnisse der Psychoanalyse anzunähern. Eine Behauptung der Psychoanalyse ist, dass die seelischen Vorgänge an sich unbewusst sind, dass es sowohl ein unbewusstes Denken als auch ein ungewusstes Wollen gibt.

Die Grundlage seiner Interpretation ist, dass die familiären Beziehungen, genau wie bei Sigmund Freud die Träume[10], einen unbewussten, erotischen, sexuellen Hintergrund haben; der in mehr oder minder großer Ausprägung in der Bearbeitungen der Griselda-Geschichte zum Vorschein kommt. Otto Rank behauptet, dass die zärtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern durchaus nicht frei sind von einem erotischen Unterton.

So ist zu erklären, wenn die Tochter häufig den Mann nach dem Vorbilde des verehrten und geliebten Vaters wählt und der Sohn in der Geliebten die Mutter wieder zu finden sucht. Genau wie die vielgefürchtete Abneigung der Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter als Folge der Eifersucht auf die Frau, der sie den geliebten Sohn abtreten musste. Oder die Abneigung der Schwiegermutter gegen den Schwiegersohn aus dem Neid der im Wettbewerb mit der Tochter Unterlegenen, die es dem Schwiegersohn nie verzeihen kann, dass er -ganz wie ihr eigener Mann - auch für die jüngere Konkurrentin zärtlicher fühlt.

[...]


[1] Petrarca (1373): De oboedientia et fide uxoria mythologica.

[2] Siehe u.a. die deutsche Fassung von Erhart Gross Grisardis 1436.

[3] Erscheint zwischen 1471 und 1478 von einem Autor, der sich Arigo nennt.

[4] Siehe u.a. G. Mauritius 1582, G. Pondo 1590.

[5] Siehe u.a. J. Fiedler 1653.

[6] Siehe u.a. Juan de Timoneda 1567, Thomas Deloney 1596.

[7] Siehe u.a. Dekker/Chettle/Haughton 1598/99.

[8] Siehe u.a. Goldoni 1735, Vivaldi 1735.

[9] Wie bei G. Hauptmann 1909.

[10] Freud 1940.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Griselda-Novelle (X, 10) im Spiegel der Forschung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Romanische Philologie)
Veranstaltung
Proseminar: Boccaccio, Decameron
Note
2,1
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V69334
ISBN (eBook)
9783638624923
ISBN (Buch)
9783638882880
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Griselda-Novelle, Spiegel, Forschung, Proseminar, Boccaccio, Decameron
Arbeit zitieren
Krisztina J. Kreppel (Autor:in), 2000, Die Griselda-Novelle (X, 10) im Spiegel der Forschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69334

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