Tugendethik - Kant, Aristoteles und Christentum


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Woran sollen wir uns nach Kant orientieren?
2.1 Die Herleitung des kategorischen Imperativs
2.2 Weitere Aspekte der Kantischen Ethik

3. Wie orientieren Tugenden nach Aristoteles?
3.1 Der Tugendbegriff
3.2 Die aristotelische Konkretion der Tugendethik
3.3 Zur Tugendethik aus protestantischer Perspektive

4. Zum Verhältnis von Tugend (Person) und sozialer Trägerschaft (Institution)
4.1 Normen
4.2 Individuum und Institution

5. Die aktuelle Relevanz der „Tugenden des Glaubens“
5.1 „Tugend“ im christlichen Sinne
5.2 Hoffnung
5.3 Liebe

6. Zum Verhältnis von Autonomie und Gottesglaube
6.1 Weder Autonomie noch Theonomie
6.2 Christliche Freiheit
6.3 In concreto

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die folgenden Ausführungen setzen sich auseinander mit dem Thema der Tugendethik. Jedes Kapitel ist einem einzelnen, mehr oder weniger der Tugendethik zuzurechnenden Aspekt (einer Arbeitsaufgabe), gewidmet und soll in sich verständlich sein. Dabei sind gewisse Redundanzen nicht zu vermeiden, ich habe mich allerdings bemüht, sie so ge- ring wie möglich zu halten.

Die Frage „Was soll ich tun?“ ist der Ansatzpunkt für eine Beschäftigung mit Ethik. Die Geschichte hat dabei verschiedene methodische Formen der Beantwortung hervorge- bracht. Die Arbeit setzt an bei Immanuel Kant (chronologisch zwar nicht korrekt, aber sachlich berechtigt), der die Tugendethik radikal verwirft, und seiner Form der Ethik (Kap. 2) und schildert anschließen die Tugendethik der griechischen Klassik, wie sie insbesondere Aristoteles geprägt hat (Kap. 3). Daran schließen sich Gedanken über das wechselseitige Verhältnis von Individuum und Institution in moralischen Fragen an (Kap. 4). Kap. 5 fragt dann nach den „Tugenden des Glaubens“, nach dem Ertrag einer Tugendethik innerhalb des Christentums. Am Ende wird versucht, sittliche Autonomie (wie sie die Tugendethik voraussetzt) und christlichen Gottesglauben in Einklang zu bringen (Kap. 6). Bei allen fünf thematischen Kapiteln wurde versucht, gegebenenfalls eine theologische Position zu beziehen, keine allgemein-philosophische. Entsprechend reichlich sind die biblischen Verweisstellen.

Vorausgeschickt sei noch, dass diese Arbeit zwar innerhalb der katholischen Theologie angefertigt wurde, der Verfasser aber an manchen Stellen seine lutherischen Wurzeln nicht verleugnen kann, was sich insbesondere in der Wahl der zitierten Literatur nieder- schlägt, die an einigen Stellen von der vorgeschlagenen abweicht.

2. Woran sollen wir uns nach Kant orientieren?

2.1 Die Herleitung des kategorischen Imperativs

Die Ethik Immanuel Kants gipfelt im sog. kategorischen Imperativ (d.h. einem „unbe- dingt gültigen Pflichtgebot“[1]). Er lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“[2] Wie kommt Kant zu dieser abstrakten Formulierung?

Erste Denkvoraussetzung: Ähnlich Aristoteles (s. Kap. 3) geht Kant von einem naturge- gebenen Streben des Menschen nach Glückseligkeit aus. Anders als der griechische Philosoph kann Kant jedoch keine Universalität des Glückseligkeitsgedankens in ir- gendeiner Form feststellen. Er betont die Individualität der Glücksvorstellungen, die selbst bei derselben Person nicht konstant sind.[3] Glückseligkeit wird verstanden als Selbstliebe, die nicht universalisierbar ist.[4] Außerdem beruhen angestrebte Glücksziele immer auf Neigungen des Menschen, nicht auf seiner Vernunft.[5]

Dazu kommt, dass nach Kant der Mensch zwar immer in einer Gemeinschaft mit ande- ren lebt, gleichzeitig aber versucht, sich gegen sie oder auch außerhalb ihrer zu verwirk- lichen. Er nennt diese anthropologische Konstante „ungesellige Geselligkeit“, und diese „gilt Kant als ein Wesenszug des Menschen schlechthin.“[6] Zwangsläufig kommt es da- her zu „Konfliktsituationen“ der individuellen Glücksvorstellungen.[7] Damit ist die Glückseligkeit als Basis für eine Ethik, die sich immer mit der Frage beschäftigt, wie mit anderen Menschen umgegangen werden soll, ausgeschlossen.

Zweite Denkvoraussetzung: Menschliches Handeln gründet sich nach Kant immer auf Zweck oder Regel. Der Zweck des Individuums sind zunächst immer die bereits ausge- schlossenen Glücksvorstellungen. Darum muss die Ethik sich mit den Regeln beschäf- tigen. „Normalerweise folgen wir beim Handeln, so Kant, Maximen, d.h. Regeln, die je- der Einzelne jeweils für sich zu Normen macht.“[8] Diese Maximen inhaltlich zu füllen, wäre wieder eine individuelle Frage und kann keine Basis für eine vollständig allgemei- ne Maxime sein.

Daher muss der gesuchte Imperativ „eine Forderung an die Form unserer Maximen sein.“[9] Welche Form kann dies sein? „Es ist die Form der Allgemeinheit, der universel- len Gültigkeit.“[10] Es geht darum, Handlungsanweisungen (Maximen) zu finden, die für alle Menschen gleichermaßen einsehbar und praktikabel sind. Damit „schreibt [der kate- gorische Imperativ] nicht einfach vor, dass ich anderen helfen soll [das wäre wieder eine inhaltliche Füllung des Imperativs]. Er sagt, dass ich anderen helfen soll, weil ich wol- len kann, dass die Maxime „Ich will immer anderen Hilfe leisten“ eine für alle Men- schen verbindliche Vorschrift sei.“[11] Der kategorische Imperativ lässt erkennen, dass

- manche Maximen verboten sind (solche, die anderen schaden würden);
- andere geboten (solche, ohne die anderen Schaden entstünde);
- und weitere freigestellt, ob sie befolgt werden („Maximen, die nicht in einen Wi- derstreit der Subjekte führen“[12]).

2.2 Weitere Aspekte der Kantischen Ethik

2.2.1 Der Mensch als Zweck

Der kategorische Imperativ gibt keine genauen Handlungsanweisungen: „Tu dies!“. Er prüft nur, ob eine Handlung moralisch akzeptabel ist. Jedoch greift er in der bisher ge- nannten Form nicht weit genug. Denn es wäre denkbar, dass „eine Person fortlaufend löge mit der Begründung, dass sie nichts dagegen hätte, wenn alle anderen dasselbe tä- ten.“[13] Um einen solchen Fall auszuschließen, kommt Kant auf den zweiten Aspekt ver- nünftigen Handelns neben der Regel zurück (s.o.): ihren Zweck. Auch dieser wird von ihm zu universalisieren versucht. Welchem Zweck kann nun Allgemeingültigkeit zuge- sprochen werden, welcher ist ein „Zweck an sich“[14] ? Für Kant ist es der Mensch als Vernunftwesen, als Person, nicht als Mittel. Diese Anerkennung des Menschen als Zweck moralisch guten Handelns formuliert er folgendermaßen: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“[15]

Auch von den Maximen her lässt sich diese zweite Form des kategorischen Imperativs[16] denken, denn wenn eine Maxime darauf geprüft wird, dass sie jedermann als allgemei- nes Gesetz wollen kann, „erkennen wir zugleich damit an, dass ein jeder einen An- spruch darauf hat, nicht zum bloßen Objekt oder Mittel unseres eigenen Wollens zu werden.“[17] Allerdings sieht Kant auch, dass es möglich sein kann, dass ein Mensch als Mittel eines anderen gebraucht wird (daher schreibt er „niemals bloß als Mittel“). Ar- beitsteilung ist aus der industrialisierten (aber auch schon der antiken und mittelalter- lichen) Gesellschaft nicht wegzudenken. Vorausgesetzt wird jedoch das Wollen, das Einverständnis des Menschen, der als „Mittel“ gebraucht wird.[18]

2.2.2 Die Frage nach der Motivation

Es wurde deutlich, dass der kategorische Imperativ Handlungen qualifizieren kann, ob sie ethisch gut oder schlecht sind, und dass einige Handlungen mit Rücksicht auf den Mitmenschen per se ausgeschlossen sind. Was bis hierhin noch nicht geklärt ist, ist die Antwort auf die Frage, wie der Mensch dazu kommt, überhaupt eine durch den katego- rischen Imperativ geprüfte Handlung auszuführen, also, warum er etwas Gutes tun soll. Es geht also um die Motivation. Für Kant liegt diese Motivation im „Bewußtsein des kategorischen Imperativs, des Sittengesetzes“[19] selbst. Denn das vernünftige Bewusst- sein unterscheidet den Menschen vom nur triebgesteuerten Tier. Aufgrund des Selbst- bewusstseins des Menschen als vernunftbegabtes Wesen sieht der Mensch zum einen den kategorischen Imperativ als alternativlos ein und fühlt sich zum anderen verpflichtet, moralisch zu handeln. Wenn er es nicht tut, gibt er damit einen Teil seines Menschseins auf: „Die Selbstachtung einer Persönlichkeit ist also in letzter Instanz die Motivation, das subjektive Motiv, des moralischen Handelns.“[20]

Der Mensch ist nicht nur gehalten, sich selbst zu achten als vernünftiges Wesen, das den triebgesteuerten Tieren etwas voraushat, sondern auch, den Nächsten zu achten. Es er- geben sich damit selbstauferlegte (autonome) Pflichten des Menschen. Der Mensch ach- tet sich selbst als vernunftbegabtes Wesen, muss dem Nächsten auch Vernunft zuschrei- ben und ihn daher achten, wie auch schon in der „Zweck-Formel“ (s.o.) deutlich wurde. Die Achtung gegenüber den Mitmenschen versteht Kant als „Liebespflichten“, die sich in „tätigem Wohlwollen“ ausdrücken.[21] Dem Handeln aus Pflicht steht das Handeln aus Neigung gegenüber, das durchaus pflichtgemäß sein kann, die Pflicht dann aber nur zu- fällig trifft, und von Kant als unmoralisch abgelehnt wird. Erlaubt ist dagegen durchaus (gegen Schiller) ein Handeln aus Pflicht mit Neigung.[22]

3. Wie orientieren Tugenden nach Aristoteles?

3.1 Der Tugendbegriff

Während Kant (s. Kap. 1) alle menschlichen Regungen, die durch Neigungen zustande kommen, als naturkausal, außerhalb des Einflusses der Vernunft stehend und damit für ethische Fragen irrelevant, betrachtet, differenziert das antike griechische Denken die Neigungen, wie Kant sie versteht, weiter aus: Es existieren demnach

a) unwillkürliche, vegetative Vorgänge wie Verdauung, Altern, Schlafbedürfnis, die wir wirklich nicht beeinflussen können und andererseits
b) willentlich beeinflussbare Neigungen, die mit unserem menschlichen Empfinden zu- sammenhängen.

Diese letzteren Neigungen, die Kant nicht als vernunftmäßig beeinflussbar zugestehen will oder kann, sind Ausgangspunkt für die klassische Tugendlehre. Sie können sogar aktiv gestaltet und erzogen werden. „Es liegt also in gewisser Hinsicht durchaus an uns, ob wir etwas Pflicht- bzw. Vernunftgemäßes gern tun oder nicht. Insofern ist die Gestal- tung der Sensualität ein moralisches Problem.“[23] Tugendhaft zu sein heißt dann bei Pla- ton wie bei Aristoteles, gutes gern zu tun. Dabei ist die Tugend „ein erworbener Habitus, der zu bestimmten wertvollen Tätigkeitsweisen qualifiziert.“[24] Dabei bietet die Tugend- ethik nicht wie der kategorische Imperativ Handlungsanweisungen, die in bestimmten Situationen mehr oder weniger deutlich das richtige Verhalten anzeigen (s.o.), sondern es geht darum, „selbst gut zu werden und ein gutes Leben zu führen.“[25]

3.2 Die aristotelische Konkretion der Tugendethik

Oben wurde schon gesagt, dass Kant wie Aristoteles das Strebensziel aller Menschen in der Glückseligkeit sieht. Kant verwirft diese allerdings als Basis für den Aufbau eines ethischen Systems, während Aristoteles sich weiter daran orientiert, und zwar in folgen- der Weise: Seine Ethik ist eine Strebensethik, das Strebensziel ganz allgemein ein Gut. Er ist sich wie Kant bewusst, dass die Menschen nicht in ihrer Gänze das gleiche Gut erstreben. In der Regel wird ein Gut jedoch nicht um seiner selbst willen erstrebt, son- dern um damit etwas anderes zu erreichen, damit wieder etwas anderes usw. Aristoteles sucht nun nach dem Endziel allen Strebens. „Für Aristoteles aber muß unser Streben eine Sinneinheit ergeben, die ihren Wert in sich hat. Und dies ist nach seiner Einsicht nur denkbar, wenn wir ein höchstes Gut annehmen. Nur so hätte unser Leben ein letztes Ziel und damit einen Sinn.“[26] Bleibt die Frage, worin wir dieses höchste Gut erkennen. Für die antike Philosophie ist es die Glückseligkeit (eudamonia). Als höchstes Gut muss sie auch Richtschnur für ethisch wertvolles, richtiges Verhalten sein. Auch Aristo- teles ist sich dessen bewusst, dass die Vorstellungen einzelner Menschen von Glück weit auseinander gehen. Wo Kant jedoch einen Schlussstrich zieht, in welche Richtung er nicht weiter nach ethischen Maßstäben sucht, versucht Aristoteles, Glückseligkeit als allgemein menschliches Gut zu definieren. Er schließ dabei aus, den Begriff mit Lust, Ehre oder Erkenntnis zu füllen, denn diese „werden zwar wie die Glückseligkeit um ihrer selbst willen erstrebt, sind also intrinsische Güter, aber keines genügt sich selbst.“[27] Das höchste Strebensziel des Menschen soll dagegen eines des „Menschen als Mensch[28] sein. Spezifisch menschlich ist, wie bei Kant schon gesagt wurde, die Ver- nunft. Daneben ist für Aristoteles die soziale Komponente im menschlichen Leben von Bedeutung. Glückseligkeit ist daher für ihn die „spezifisch menschliche Weise des Tä- tigseins“[29]. Wird diese Tätigkeit vollkommen ausgeführt, hat der Mensch sich eine Tu- gend erworben, wobei der Schwerpunkt auf dem „erworben“ liegt, denn Tugenden wer- den nicht angeboren, sondern müssen durch entsprechendes Verhalten angeeignet wer- den.[30]

[...]


[1] Duden, Art. „kategorial“, 410.

[2] Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), A 52. Zitiert nach: Andersen, 148.

[3] vgl. Fischer, 148.

[4] vgl. a.a.O., 156.

[5] vgl. Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 8f. Nach: Fischer, 147.

[6] Fischer, 149.

[7] vgl. ebd. mit einem anschaulichen Beispiel aus der „Kritik der praktischen Vernunft“.

[8] Andersen, 148.

[9] ebd.

[10] Fischer, 152.

[11] Andersen, 149.

[12] Fischer, 151.

[13] Andersen, 150.

[14] a.a.O., 151.

[15] Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), A66f. Zitiert nach: Andersen, 151.

[16] die „Zweck-Formel“ neben der „Universalisierungs-Formel“, vgl. Andersen, 151f.

[17] Fischer, 153.

[18] vgl. a.a.O. 154.

[19] Fischer, 157.

[20] a.a.O., 162.

[21] vgl. Andersen, 153.

[22] vgl. Fischer, 163ff.

[23] Anzenbacher, 137.

[24] ebd.

[25] a.a.O., 138.

[26] Fischer, 80.

[27] a.a.O., 81.

[28] a.a.O., 82.

[29] ebd.

[30] vgl. Anzenbacher, 138.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Tugendethik - Kant, Aristoteles und Christentum
Hochschule
Universität Osnabrück  (Katholische Theologie)
Veranstaltung
Orientierung durch Tugenden
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V69109
ISBN (eBook)
9783638612654
ISBN (Buch)
9783638673211
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Tugendethik bei Kant, Aristoteles und in der (evangelischen) Theologie
Schlagworte
Tugendethik, Kant, Aristoteles, Christentum, Orientierung, Tugenden
Arbeit zitieren
Christian Deuper (Autor:in), 2006, Tugendethik - Kant, Aristoteles und Christentum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69109

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