Ernst Gamillscheg: Französische Bedeutungslehre


Hausarbeit, 1999

20 Seiten, Note: 2

Anonym


Leseprobe


Inhaltsangabe

I. Einleitung

II. Benennung, Bedeutung, Bezeichnung
II.1. Benennung vs. Bedeutung
II. 2. Bedeutung vs. Meinung

III. Gliederung der Bedeutung: Begrifflicher Kern, Nebensinn, Gefühlswert

IV. Bedeutungswandel
IV. 1. Veränderungen des Begriffskerns
IV. 1.2 Verengung des Begriffskerns (Erweiterung der Extension)
IV. 1.2. Erweiterung des Begriffskerns
IV. 2. Nebensinn und Bedeutungswandel
IV.3. Gefühlswert und Nebensinn
IV.3.1. Pejorativer Bedeutungswandel
IV.3.2. Bedeutungsaufstieg
IV.3.3. Bedeutung und Affekt
IV.3.4. Euphemismus

V. Schlußwort

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Mit seinem 1951 erschienenen Werk ,,Französische Bedeutungslehre" legte Ernst Gamillscheg eine umfangreiche Studie zum Bedeutungswandel im Französischen vor. Gamillschegs Ziel war es zunächst, Gesetzmäßigkeiten des Bedeutungswandels zu erkennen, um daraus eine Basis für die etymologische Forschung zu gewinnen. Im Laufe seiner Untersuchung wurde das ursprüngliche Mittel zum Zweck - die Erforschung und Kategorisierung der verschiedenen Arten des Bedeutungswandels - zum eigentlichen Ziel seiner Arbeit. Gamillscheg steht also in der Tradition der Historischen Semantik, die sich mit der ,,Beschreibung von ,,quasi mechanischen Gesetzen des Bedeutungswandels analog zu den Lautgesetzen (...) mit dem Ziel einer stärkeren Verwissenschaftlichung der Etymologie"1 befaßte, und bezieht dabei die Erkenntnisse der Strukturellen Semantik nicht mit ein. Er leugnet zwar nicht, daß synchrone Untersuchungen des Wortschatzes die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes in einer bestimmten Epoche durchaus vollständig darstellen können, ist aber der Meinung, daß eine sprachwissenschaftliche Untersuchung mehr leisten muß: sie soll ,,die zeitliche(...) Aufeinanderfolge des sprachlichen Geschehens"2 beobachten, d. h. diachron vorgehen. Die Entwicklung einer Wortbedeutung soll möglichst weit zurückverfolgt werden. Dabei sollen die Gründe für diese Entwicklung erforscht werden, die laut Gamillscheg überwiegend außersprachlicher Natur sind. In dieser Auffassung und in seiner diachronen Vorgehensweise liegt der augenfälligste Gegensatz zur Strukturellen Semantik.

Für Gamillscheg ist die psychologische Perspektive bestimmend, weil die Sprache Ausdruck psychischer Prozesse ist: ,, Da die Sprache nicht ein Ding an sich ist, sondern ein Symbol des menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens (...), so müssen die Gesetze des menschlichen Denkens und Fühlens den Maßstab für die Beurteilung der sprachlichen Begleiterscheinungen bilden."3 In diesem Kontext wehrt sich Gamillscheg gegen die auf rein äußerlichen rhetorischen Prinzipien beruhende Einteilung des Bedeutungswandels in Metapher, Metonymie und Synekdoché sowie in Bedeutungserweiterung und Bedeutungsverengung, wie sie von vielen Vertretern der Historischen Semantik vorgenommen wurde. Er kann zwar letztendlich auf diese Terminologie nicht völlig verzichten, weist aber explizit darauf hin, daß die damit überschriebenen Kapitel ,,dazu bestimmt (seien), Erscheinungen zu besprechen, die rein äußerlich betrachtet zu dem in der Kapitelüberschrift angedeuteten Ergebnis führen, deren innere Verschiedenheit aber gerade dargelegt werden soll"4. Obwohl für Gamillscheg die psychologische Perspektive besonders wichtig ist, genügt diese nicht, wenn es sich um die Untersuchung des kulturell bzw. geschichtlich bedingten Bedeutungswandels handelt. Er folgt zwar ein Stück weit der Argumentation Wundts, wonach auch kultureller Bedeutungswandel letztendlich psychologische Gründe hat, hält aber dagegen, daß in diesem Falle ,,...das entscheidende Moment in den kulturellen oder geschichtlichen Vorgängen zu sehen (ist), ohne die die in den Vorstellungen an sich vorhandenen Keime nicht zur Entwicklung gekommen wären."5Bedeutungswandel kann also unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet werden, wobei je nach Begriff manche in den Vordergrund und manche eher in den Hintergrund treten. Eine ersthafte Untersuchung des Bedeutungswandels soll Gamillscheg zufolge eine ,,Synthese"darstellen, ,,die ebenso historisch unterbaut wie psychologisch begründet sein (soll)"6 . Der ersten Forderung entspricht er durch die dem geschichtlichen bzw. kulturellen Bedeutungswandel gewidmeten Kapitel und durch die zahlreichen Beispiele aus dem Lateinischen und dem Altfranzösischen, deren Entwicklung zum Neufranzösischen skizziert wird. Die zweite Forderung wird vor allem in den Kapiteln erfüllt, die die sprachlichen Auswirkungen von Werturteilen und Affekten behandeln.

Bevor ich mich mit einer Auswahl aus diesen Kapiteln befasse, möchte ich zunächst auf die Terminologie Gamillschegs eingehen.

II. Benennung, Bedeutung, Bezeichnung

II.1. Benennung vs. Bedeutung

Die Benennung oder Bezeichnung geht der Bedeutung voraus.

Gamillscheg unterscheidet zwei psychologisch motivierte Arten der Benennung, wobei er sich auf die (völkerpsychologischen) Erkenntnisse Wundts stützt:

1.) Die Benennung nach der in der Vorstellung der jeweiligen Sprachgemeinschaft dominierenden Eigenschaft, aus der sich z.B. im Deutschen ,,Streichinstrument", im Französischen hingegen ,,instrument à cordes" ergibt;
2.) Die Benennung nach dem Zweck eines Gegenstandes, z.B. bei ,,Schreibmaschine" - ,,machine à écrire"7.

Auch die Darstellung der Wortentlehnungen gehört zum Aufgabenfeld der Bezeichnungs - oder Benennungslehre (Onomasiologie).

Die Benennung ist ,,ein zweckbestimmter Willensakt" seitens des ,,benennenden Subjekts", das einen Ausdruck für eine bestimmte Vorstellung benötigt.8 Laut Gamillscheg erlangt dieser erst dann eine Bedeutung, wenn er von der Sprachgemeinschaft übernommen wurde und ,,zum Symbol des vorgestellten Gegenstandes geworden ist"9, wobei die die Benennung ursprünglich auslösende Eigenschaft meist nicht mehr klar erkennbar ist. So sei z.B. die Erde zum Zeitpunkt der Benennung von den Römern als ,,die Trockene", von den Griechen als ,,die Fruchtbare" und von den Germanen als ,,die Bewohnte" empfunden worden. Später wurden die Bezeichnungen nur noch als Symbole für die Vorstellung des Planeten benutzt, und die der Benennung zugrundeliegende dominierende Eigenschaft, die die etymologische Bedeutung des Wortes ausmacht, wurde nicht mehr als solche erkannt.10

II.2. Bedeutung vs. Meinung

Die Bedeutung wird definiert als ,,die Gesamtheit dessen, was der Sprechende als einem Begriff oder Gedanken zugehörig empfindet."11 Sie ist also nicht mit etymologischer Bedeutung gleichzusetzen: ,,hopital" bedeutet heutzutage ,,établissement public ou privé (...) qui recoit et traite les malades, les blessés et les femmes en couches" und erweckt neben dieser durch die begriffliche Definition beschriebenen Grundvorstellung noch zahlreiche Nebenvorstellungen, während die etymologische Bedeutung - lat. ,,hospitale" - ,,Gastzimmer" völlig in den Hintergrund getreten ist und nur noch im nfz. Erbwort ,,hôtel" erhalten bleibt.

Dem Sprecher wird nicht bei jedem Sprechakt die Gesamtheit der verschiedenen Bedeutungselemente bewußt - dies würde zu einem gewaltigen Ansturm von Assoziationen führen und klares Denken unmöglich machen - sondern er trifft eine Auswahl. Hier schließt sich Gamillscheg der Unterscheidung Jabergs zwischen usueller und okkasioneller Bedeutung an: ,,Wir verstehen unter usueller Bedeutung denjenigen Vorstellungsinhalt, der sich für den Angehörigen einer Sprachgenossenschaft mit einem Wort verbindet, unter okkasioneller Bedeutung denjenigen Vorstellungsinhalt, welchen der Redende, indem er das Wort ausspricht, damit verbindet und von welchem er erwartet, daß ihn auch der Hörende damit verbinde."12

Diese okkasionelle Bedeutung bezeichnet Gamillscheg als die Meinung eines Wortes, die sich von dessen abstrakter, in der Vorstellung existierenden (usuellen) Bedeutung dadurch unterscheidet, daß sie in der Rede aktualisiert wird, also konkret ist. Außerdem kann ihr das für die Bedeutung charakteristische kollektive Moment fehlen: der Sprecher erwartet zwar, daß seine Meinung vom Hörer verstanden wird; sie ist aber nicht unbedingt im kollektiven Bewußtsein der Sprachgemeinschaft festgeschrieben. So hat ,,précieux" die Grundbedeutung ,,qui est d'un grand prix" und kann, auf Menschen angewandt, in der Rede die Meinung ,,qui a une delicatesse raffinée" annehmen. Wird eine auf diese Weise von der Grundbedeutung abweichende Meinung zum ersten Mal aktualisiert, versteht sie der Hörer nur aufgrund ihres Kontextes. Je öfter sie aktualisiert wird, je stärker sie sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß sie in die usuelle Bedeutung mit einfließt. Die Unterscheidung zwischen Bedeutung und Meinung ist angebracht, weil sich Bedeutungswandel stets über die konkrete Rede, also die Meinungen, vollzieht.

Bei der Aktualisierung einer Meinung spielt der syntagmatische Kontext eine wichtige Rolle: ,,...wie nun im Denkprozeß nicht der Begriff, sondern die Gesamtvorstellung das Primäre ist, so im Sprechen nicht das Einzelwort, sondern das Satzganze. Die Aktualisierung einer Wortbedeutung beginnt im kleinsten, einer einheitlichen Vorstellung entsprechenden Satzteil, dem Syntagma."13Der Einfluß des syntagmatischen Kontextes läßt sich anschaulich an Verben dokumentieren. Ihre Meinung kann zunächst von der Natur des handelnden Subjektes bestimmt werden. Ist das Subjekt handlungsfähig, kann dadurch die Aussage des Verbs verstärkt werden, z. B. bei lat. ,,fallere", das mit handlungsfähigem Subjekt ,,täuschen, betrügen", mit nicht handlungsfähigem Subjekt lediglich ,,zu Ende gehen" bedeutet:

afz.: ,,li orages faut" - ,,der Sturm hört auf"

,,faut li vitaille" - ,,die Lebensmittel gehen zu Ende";

Diese Meinung von ,,fallere" setzt sich im Sprachgebrauch schließlich durch, daher auch die Entwicklung von ,,il faut" zu ,,es fehlt mir", ,,es wird gebraucht", ,,es muß".14

Auch das Objekt kann die Meinung von Verben beeinflussen. So wird ,,respecter" - ,,berücksichtigen" bei unpersönlichem Objekt zu ,,einhalten" im Sinne von ,,respecter les règles", bei persönlichem Objekt zu ,,verehren".15 Diese Meinung führte in der Folgezeit durch häufige Aktualisierung zum Bedeutungswandel des zugehörigen Substantivs ,,respect" - ursprünglich: ,,Berücksichtigung", dessen Grundbedeutung sich zu ,,Ehrerbietung, Respekt" entwickelte.

III. Gliederung der Bedeutung: Begrifflicher Kern, Nebensinn, Gefühlswert

Nach seiner o.g. Abrenzung von ,,Bedeutung" gegen ,,Bezeichnung" bzw. ,,Meinung" geht Gamillscheg auf ihre Struktur ein. Er nimmt wie Erdmann die Einteilung der Bedeutung in Begriffsinhalt, Nebensinn und Gefühlswert vor.

[...]


1 Blank S. 17

2 Gamillscheg S. 8

3 ebd. S. 5 f.

4 ebd. S. 7

5 ebd. S. 6

6 Gamillscheg S. 8

7 ebd. S. 10

8 ebd. S. 10

9 ebd. S. 11

10 ebd. S. 11

11 Gamillscheg S. 13

12 ebd. S. 14

13 ebd. S. 14

14 ebd. S. 15

15 Gamillscheg S. 16

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ernst Gamillscheg: Französische Bedeutungslehre
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2
Jahr
1999
Seiten
20
Katalognummer
V688
ISBN (eBook)
9783638104517
Dateigröße
409 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ernst, Gamillscheg, Französische, Bedeutungslehre, Bedeutungswandel, Bergriffskern, Bedeutungsaufstieg
Arbeit zitieren
Anonym, 1999, Ernst Gamillscheg: Französische Bedeutungslehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/688

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