Das Erlösungsverständnis Eugen Drewermanns


Seminararbeit, 2006

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


GLIEDERUNG

1 „Therapeutikum Drewermann“?

2 Vorüberlegungen zum Menschenbild
2.1 Analyse der Angst
2.2 Kierkegaard-Rezeption
2.3 Der Gottesverlust

3 Erlösungsverständnis
3.1 Überwindung der Angst
3.2 Psychologie und Theologie in Bezug auf Heilung
3.3 Bilder des Heils
3.4 Christus als Erlöser?

4 Kritische Auseinandersetzung
4.1 Psychologische Umdeutung der christlichen Botschaft?
4.2 Anmerkungen zur Methodik Drewermanns Exegese
4.3 Die Bedeutung Jesu Christi im Heilsgeschehen und das Offenbarungsverständnis
4.4 Die Verdienste Eugen Drewermanns

5 Zusammenfassung der Ergebnisse

6 Bibliographie

1 „ Therapeutikum Drewermann“?

Der bekannte Theologe, Psychotherapeut und Publizist Dr. Eugen Drewermann sorgt gleichermaßen für Faszination und scharfe Kritik bis hin zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis, Predigverbot und Suspendierung vom Priesteramt. Diese nicht selten kritisch betrachteten strafrechtlichen Maßnahmen verdecken ganz und gar Drewermanns intensives Bemühen, menschliche Not zu lösen und Heil in diesem Leben erfahrbar zu machen. Deshalb könnte man ihn durchaus als „Therapeutikum“ bezeichnen. Diese Arbeit konzentriert sich auf Eugen Drewermanns Erlösungsvorstellung und beschäftigt sich auch mit der Frage, ob diese aus christlicher Sicht zu vertreten ist. Ausgangspunkt für die Ausführungen ist Drewermanns Promotions- und Habilitationsschrift „Strukturen des Bösen“[1], daneben werden aber auch andere Originalwerke herangezogen, wie beispielsweise „Psychoanalyse und Moraltheologie“[2] und das erst in diesem Jahr veröffentlichte Buch „Heilende Religion. Überwindung der Angst“[3]. Nach komprimierter Darstellung der Angst, der Kierkegaard-Rezeption und der fatalen Folgen des Gottesverlustes kreist der Hauptteil um die Frage, was Erlösung ist und wie Heil für den Menschen erfahrbar wird. Dabei sollen wesentliche Aspekte herauskristallisiert werden. Zuletzt werden Kritikpunkte an dieser Erlösungsvorstellung ausgebreitet, wobei argumentativ zwischen unterschiedlichen Positionen abgewägt wird. Zugunsten einer weitgehend abstrakten und stringenten Darstellung werden anschauliche Beispiele - wie sie die Analyse der jahwistischen Urgeschichte in Fülle bietet - meist ausgeklammert. Aufgrund Drewermanns imposanten Gesamtwerks von ungefähr 20.000[4] Seiten lässt es sich nicht vermeiden, bei der Auswahl der miteinbezogenen Literatur selektiv vorzugehen.

2 Vorüberlegungen zum Menschenbild

2.1 Analyse der Angst

Bevor wir uns ausführlich Drewermanns Erlösungsverständnis widmen, wird es in einem ersten Schritt wichtig sein, gewisse Grundüberlegungen des Theologen und Therapeuten voranzustellen, um so seinen Erlösungsansatz begreifen zu können. Ganz bewusst setzt diese Arbeit bei der Analyse der Angst an, weil in Drewermanns Menschbild kein anderer Gedanke als der der Angst eine solch fundamentale und weit reichende Dimension annimmt. „Es ist die Angst, die böse macht.“[5] Diesen Gedanken entfaltet Drewermann in seinen „Strukturen des Bösen“[6] und kommt im Rahmen einer differenzierten Analyse der jahwistischen Urgeschichte letztlich zu der Erkenntnis, dass Angst Unheil für den Menschen bedeutet. Die Angst ist nicht ein Gefühl unter vielen, sondern gerade das tiefste und unmittelbarste Gefühl, das es dem Menschen unmöglich macht, gut zu sein, und ihn förmlich zum Bösen zwingt.[7] Es stellt sich unvermeidlich die Frage, warum es gerade die Angst ist, die so viel Leid im Menschen hervorruft; an dieser Stelle hilft die Feststellung, dass Tiere in ihrer Angst gewissen Trieben folgen. Und genau auf dieses animalische Niveau wird der Mensch reduziert, wenn auch er in seiner Angst bestimmten Trieben und Abwehrmechanismen nachgeht. Er gerät unwiderruflich in ein Missverhältnis zu sich selbst, weil er in seinen triebhaften Reaktionen nicht menschlich leben kann. Mit anderen Worten kann man sagen, dass sein Verhalten einem tierisch-krankhaften Zwang unterliegt, und dass er deshalb nicht er selbst ist, sondern vielmehr ein Schatten seiner selbst, denn wahrhafte Menschlichkeit kann er in seiner Angst nicht erfahren.[8]

Nach diesem Einstieg in die Thematik mag der Eindruck entstanden sein, es handle sich bei Drewermanns Menschenbild um eine durch und durch pessimistische Anthropologie, die das gesamte menschliche Dasein als existentielle Not und reine Tragödie definiert. Dass dies nicht der Fall ist, wird deutlich, wenn man mit Drewermann den Menschen und die Welt als grundsätzlich gut ansieht.[9] Die Menschen sind nicht von Grund auf böswillige Geschöpfe, aber es gelingt ihnen in vielen Situationen nicht, gut zu handeln, „weil die Angst am Anfang allen Handelns ihr Tun in einer tragischen Gegenfinalität verdirbt.“[10] Das bedeutet, dass die menschlichen Bemühungen der Selbstverwirklichung, insofern der Mensch im „Mechanismus der verinnerlichten Angst“[11] gefangen ist, erfolglos bleiben. Auch wenn er sich verzweifelt bemüht, gut zu sein, gelingt es ihm nicht. Der Begriff der Tragik ist insofern angebracht, weil der Mensch aufgrund der Angst ganz in der Macht des Bösen steht und daher das Böse zwangsläufig tun muss, auch wenn er es nicht will. So wird er unschuldig schuldig.[12]

Es liegt auf der Hand, dass nicht nur die Angst das Böse erzeugt, sondern dass auch das Böse wiederum Angst macht, und so schließt sich jäh ein unerbittlicher Teufelskreis.[13] Drewermann ist überzeugt, dass „die Angst dem menschlichen Bewusstsein und der menschlichen Freiheit selbst zuinnerst ist“[14]. Diese Ansicht untermauert er mit den Thesen des dänischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard und vertieft zugleich den Gedanken der Angst in seiner Theorie.

2.2 Kierkegaard-Rezeption

Drewermanns Analyse der Angst ist ganz entscheidend von dem Religionsphilosophen Kierkegaard beeinflusst, den er selbst als „größte[n] Prophet[en]“[15] ansieht. Nach Kierkegaard liegt die Angst unmittelbar in der menschlichen Existenz begründet, weil die Freiheit, die der Mensch als Geist erfährt, auch Angst bedeuten kann.[16] In seiner Freiheit ist er demnach nicht wirklich frei, wenn der Geist an der Möglichkeit der Nichtigkeit seiner eigenen Existenz zu verzweifeln droht.[17] Nichtigkeit heißt in diesem Zusammenhang, dass ihm Selbstverwirklichung der ihm zugrunde liegenden Eigenheit nicht gelingt, dass er sein eigenes Ich aufgibt und unverantwortlich und selbstlos oder gegenteilig überheblich handelt. Sein Leben wird leer, doch gerade an diese Leere klammert er sich, von der nackten Angst getrieben. Die dramatischen Auswirkungen einer solch bedauernswerten Existenz sind von ganz unterschiedlicher Natur und tragen psychoanalytisch betrachtet den Charakter einer Neurose, also einer pathologischen Existenzform und Fehlentwicklung[18] ; Drewermann spricht von einem „angsterfüllte(n) Nicht-von-sich-los-Kommen“[19], was veranschaulicht, dass der Mensch in seiner totalen Isolation erstarrt und eine neue Perspektive des Sich-Öffnens kategorisch ausschließt. Dieses Für-sich-sein-wollen bringt auch „ein ständiges Sich-Vermeiden als Individuen“[20] mit sich. Gleichzeitig steigert er seine Triebbedürfnisse ins Unermessliche und kann doch nicht satt werden.[21] Auch das Streben nach Macht und Unterdrückung sind Erscheinungsformen seiner krankhaften Lebensführung.[22] Eine tiefe Erkenntnis des dänischen Theologen ist an dieser Stelle, dass sich die Angst nicht, wie es scheint, auf etwas Äußeres bezieht, sondern in der Tat Angst vor sich selber, vor der eigenen Freiheit und Existenz ist.[23] Um den Begriff der Schuld noch einmal aufzunehmen, macht Kierkegaards Philosophie deutlich, dass die Schuld in der Interpretation Drewermanns zwangsläufig auf die Angst zurückfällt.[24]

Um besser zu verstehen, warum der Mensch seine eigene Freiheit fürchtet, werden nun die beiden Pole, zwischen denen sich die Freiheit erstreckt, dargelegt. Auf der einen Seite steht das Endliche und auf der anderen Seite das Unendliche. In gewisser Hinsicht ist es die Lebensaufgabe des Menschen, die Spannung zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit zu ertragen, um nicht an dieser Spanneweite seiner Existenz zugrunde zu gehen. Als unendliches Wesen liegt es an ihm, sich ins Endliche zu setzen, um in diesem Leben verantwortlich und wahrhaftig leben zu können. Sein Geist macht ihn unendlich, während sein Körper ihn in eine endliche Daseinsform einschließt. Wenn nun das Wesen des Menschen Endlichkeit und Unendlichkeit umfasst, so ist offensichtlich, dass gerade dieser Widerspruch Angst vor der Realisierung der zu bewältigenden Aufgabe provoziert. Jäh scheitert er daran, wenn er das Endliche unter Verleugnung des Unendlichen absolut setzt, aber genauso wenn er sich an das Unendliche klammert und dabei dem Endlichen entflieht. Der Versuch, sich in seiner Verzweiflung an das Endliche zu halten, verschränkt ihm den Blick auf Gott. Was diese Gottesferne für die menschliche Realität zu bedeuten hat und warum man das menschliche Fehlverhalten vor Gott als Sünde bezeichnen kann, werden wir im nächsten Schritt zu verstehen suchen.[25]

2.3 Der Gottesverlust

Ein Mensch, der in seiner Angst ohne Gott lebt, ist in seiner Armseligkeit und Nichtigkeit in jeder Hinsicht zu bedauern.[26] Denn er braucht Gott und daher stellt die Gottesferne einen existentiellen Verlust dar. Er spürt diesen Verlust, wenn auch oft unbewusst, und ist bestrebt ihn auf seine Weise zu kompensieren, indem er selbst wie Gott sein will.[27] Die Unmöglichkeit dieses Aneignungsversuches ist offensichtlich, wenn man sich klarmacht, dass all die Attribute, die wir Gott zuschreiben, wie beispielsweise Vollkommenheit, Allmacht und unendliche Liebe, der menschlichen Natur nicht zueigen sind. Die menschlichen Eigenschaften sind nie von göttlicher Vollkommenheit, sondern nur vom menschlichen Bemühen gekennzeichnet, was verdeutlicht, dass sich der Mensch in seiner solchen Perversion nicht nur gegen Gott, sondern auch gegen seine eigene Natur auflehnt.[28] Dieses Verhalten wird vor Gottes Angesicht als Sünde definiert, weil der Mensch die ihm zugrunde liegende Sinnerfüllung, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, in seiner Angst und Gottesferne verfehlt. Mit einer gewissen Berechtigung kann man sagen, dass die Sünde in Drewermanns Denken nicht moralische Verfehlung, sondern existentielle Not bedeutet.[29] Denn die ganze menschliche Existenz wird in der Sünde zum Verhängnis und führt letztendlich zu einem Abgrund, der das geistige Verlangen ins Unerfüllbare transferiert.[30] Ein Leben ohne Gott bietet viel Raum für Verzweiflung, da es keinen Halt gibt. So ist verständlich, „dass die Menschen ohne Gott es keinen Augenblick lang in ihrer Angst bei sich aushalten können und jeder auf seine Weise vor sich selber wegläuft“[31]. Die menschliche Freiheit wird ohne Gott zu einem Fluch, weil der Mensch den Teufelskreis aus Angst und Leid nicht zu überwinden weiß.

[...]


[1] Eugen DREWERMANN, Strukturen des Bösen. Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer, psychoanalytischer und philosophischer Sicht, hg. v. Remigius Bäumer/Josef Ernst/Heribert Mühlen, München/Paderborn/Wien 51986.

[2] Ders., Psychoanalyse und Moraltheologie 1. Angst und Schuld, Mainz 1982.

[3] Ders., Heilende Religion. Überwindung der Angst, hg. v. Joachim Kunstmann, Freiburg/Basel/Wien 2006.

[4] Alfred SOBEL, Die Werke Eugen Drewermanns: Ein Literaturbericht, in: Bernadette BENEDIKT/Alfred SOBEL (Hg.), Der Streit um Drewermann. Was Theolog(inn)en und Psycholog(inn)en kritisieren, Berlin/ Wiesbaden 1992, 9- 20, hier 9.

[5] DREWERMANN, Strukturen des Bösen. Teil 3 Die jahwistische Urgeschichte in philosophischer Sicht, hg. v. Remigius Bäumer/Josef Ernst/Heribert Mühlen, München/Paderborn/Wien 51986, XII- XX, hier: XVI.

[6] Ebd.

[7] Vgl. ders., Heilende Religion (2006), 59.

[8] Vgl. ders., Strukturen des Bösen 3 (51986), XII- XX.

[9] Ders., Psychoanalyse und Moraltheologie 1 (1982), 54.

[10] Ebd. 53.

[11] Ders., Heilende Religion. (2006), 96.

[12] Ebd. 45.

[13] Vgl. ders., Strukturen des Bösen 3 (51986), XVI.

[14] Ders., Strukturen des Bösen. Teil 1 Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer Sicht, hg. v. Remigius Bäumer/Josef Ernst/Heribert Mühlen, München/Paderborn/Wien, 21979, 574.

[15] Ders., Gespräche über die Angst: Eugen Drewermann; Jürgen Jeziorowski, Gütersloh 1991, 88.

[16] Vgl. ders., Psychoanalyse und Moraltheologie 1 (1982), 58.

[17] Vgl. ders., Strukturen des Bösen 3 (51986), 437.

[18] Vgl. ders., Strukturen des Bösen. Teil 2 Die jahwistische Urgeschichte in psychoanalytischer Sicht, hg. v. Remigius Bäumer/Josef Ernst/Heribert Mühlen, Paderborn u. a. 51986, XIII.

Vgl. ders., Heilende Religion (2006), 16.

[19] Ebd., 440.

[20] Ders., Heilende Religion (2006), 98.

[21] Vgl. ebd. 65.

[22] Vgl ebd. 8.

[23] Vgl. ders., Strukturen des Bösen 3 (51986), 439.

[24] Vgl. ebd. 437.

[25] Vgl. ebd. 469 und vgl. ders., Psychoanalyse und Moraltheologie 1 (1982), 132- 135.

[26] Vgl. ders., Strukturen des Bösen 2 (51986), XIII.

[27] Vgl. ebd. XIII.

[28] Vgl. ebd. XV.

[29] Vgl. ders., Heilende Religion (2006), 9.

[30] Vgl. ebd. 65.

[31] Ebd. 64.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Erlösungsverständnis Eugen Drewermanns
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Katholisch-Theologische Fakultät, Seminar für Dogmatik und theologische Propädeutik)
Veranstaltung
Proseminar: Was ist eigentlich Erlösung? Einführung in die Grundfragen der Soterilogie.
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V68797
ISBN (eBook)
9783638596275
ISBN (Buch)
9783638768535
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erlösungsverständnis, Eugen, Drewermanns, Proseminar, Erlösung, Einführung, Grundfragen, Soterilogie
Arbeit zitieren
Thilo Morschel (Autor:in), 2006, Das Erlösungsverständnis Eugen Drewermanns, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68797

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