Neue Medienformate im Fernsehen - Das Medienphänomen Stefan Raab


Magisterarbeit, 2006

127 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Theoretischer Hintergrund
1.1. Kommunikationstheorie
1.1.1. Vorbedingungen der Massenkommunikation
1.1.2. Erweiterung des Models auf das Fernsehen
1.1.3. Erweiterung des Kommunikationsmodells auf Massenkommunikation
1.1.4. Masse und kollektives Verhalten
1.1.5. Maletzkes Modell für massenmediale Kommunikation
1.1.6. Kognitive und emotionale Konsum-Motivationen des Rezipienten
1.2. Kommunikationsstrukturen in Talkformaten
1.2.1. Talkpartner
1.2.2. Talkpublikum
1.2.3. Talkrezipient am heimischen Schirm
1.3. Spielarten des Humors
1.3.1. Humor in Deutschland
1.3.2. Komische Fernsehunterhaltung in Deutschland
1.3.3. Das kollektive Gedächtnis-Wissen und soziale Gruppen
1.3.4. Wortwitz und Anekdoten
1.3.5. Humor mit Aggressionsfaktor
1.3.6. Spiel mit der Erwartungshaltung

2. Entwicklung des TV Total -Formates
2.1. Entwicklung aus Vorgängerformaten
2.1.1. Talkrunde
2.1.2. Talkshow
2.1.3. Late-Night-Show
2.1.4. Rezeptions-Differenzen bei Rezipienten
2.1.5. Differenzen und Kongruenzen zu den Vorgängerformaten
2.2. Analyse von TV Total
2.2.1. Ablauf der Sendung TV Total
2.2.2. Entwicklung der Sendung und ihrer Quote
2.2.3. Sonderevents

3 Analyse der Strukturelemente von TV Total
3.1. Studioaufbau und Farb-Psychologie
3.2. Farb-Psychologie im Studioaufbau
3.3. Funktionselemente von TV TOTAL
3.3.1. Der Schreibtisch
3.3.2. Die Band
3.3.3. Musik von Stefan Raab
3.3.4. Elton
3.4. Die Bühnenfigur Stefan Raab – Formen der Selbstinszenierung
3.4.1. Biographie Stefan Raab
3.4.2. Stefan Raab der „Macher“
3.4.3. Erweiternde Charakterisierung von Stefan Raab
3.4.4. Stefan Raabs eigene Musikauftritte
3.4.5. Spieltrieb von Stefan Raab
3.4.6. Raab in Gefahr
3.4.7. Der „manipulierende“ Kommunikator
3.5. Tabubrüche bei TV Total
3.5.1. Ästhetische Tabus
3.5.2. Politische Tabus
3.5.3. Wirtschaftliche Tabus
3.5.4. Religiöse Tabus
3.5.5. Moralische Tabus
3.5.6. Kommunikative Tabus
3.5.7. Sexualtabus
3.5.8. Echte Tabubrüche in den Medien
3.5.9. Konstruierte Tabus
3.5.10. Täterhumor
3.5.11. Klischeeisierungen bei TV Total
3.6. Fernsehkritik bei TV Total
3.6.1. Stefan Raabs Position im deutschen Fernsehen
3.6.2. Kritik an TV Total und Stefan Raab
3.7. Humor in der Sendung
3.7.1. Pulleralarm
3.7.2. Raabigramm
3.7.3. Raab der Woche
3.7.4. Blackouts
3.7.5. Buttons auf dem Schreibtisch von Stefan Raab
3.7.6. Humoristische Klischees
3.7.7. Funktionen der TV-Ausschnitte am Anfang der Sendung
3.7.8. Der gespielte Witz
3.8. Spiele bei TV Total
3.8.1. Spiele mit Rezipienten
3.8.2. Spiele mit Studiogästen
3.8.3. Spiele Publikum
3.9. Wert und Wirkung der Gäste bei TV Total
3.9.1. Einzelsituation
3.9.2. Publikum
3.9.3. Zuschauer zu Hause
3.10. Selbstreferenz auf das Fernsehen
3.11. Medienpsychologische Aspekte am Beispiel der TV Total-Rezipienten

Fazit

Bibliographie

Anhang

Discographie

Liste der Sonderevents

Rubriken in TV Total

Einleitung

In der deutschen Fernsehlandschaft der Unterhaltungssendungen ist Stefan Raab einer der bekanntesten Entertainer. Er hat sich durch vielfach provokante Auftritte im Fernsehen einen festen Platz in der Hierarchie der Entertainer erkämpft und ist heute auf allen medialen Feldern zu Hause. Durch seine Sendung TV Total und durch die vielen „Sonderevents“, die er immer wieder in diesem Rahmen ausrichtet, hat er sich mittlerweile einen „Kultstatus“ erarbeitet und gilt als ein Phänomen der Medien. Die Eigenschaften von Stefan Raab, die ihm zu diesem Phänomen machen, sind der Gegenstand dieser Arbeit.

Anhand der Kommunikationstheorie wird erklärt, wie die Massenmedien mit ihren Vorbildern die Medienlandschaft und (dadurch) auch die Rezipienten beeinflussen. Dabei treten die kommunikativen Strukturen zu Tage mit denen in den Medien gearbeitet wird. Exemplarisch für das versierte Arbeiten mit diesen Strukturen steht Stefan Raab, dem oft sowohl positives wie negatives Wirken im Umgang mit den Massenmedien vorgehalten wird. Wenn im Folgenden von Massenmedien die Rede ist, sind primär das Fernsehen, und die mit diesen verbundenen Verbreitungs- und Kontaktmedien, wie Radio, Internet, Telefon sowie Datenträger gemeint. Die dabei notwendigen kommunikativen Systeme und Strategien, wie etwa der kommunikationstheoretische Hintergrund, die im Vorfeld zum Verständnis einzuführen sind, werden an Hand der Sendung TV Total und ihrem Moderator Stefan Raab in ihrer Anwendung sowie ihrer Funktion analysiert werden.

Die dabei wirkenden soziologischen Dispositionen der Rezipienten, sowie die kommunikativen Prozesse in den Massenmedien werden erklärt und auf die Kommunikationsstrukturen in Talkformaten übertragen. In diesen lassen sich die Strukturen aufdecken, mit denen Stefan Raab seine Sendung strukturell gestalten muss, da sie grundlegende Kommunikationsweisen für das Fernsehen beinhalten (oder die zumindest auf seine Sendung als technische Prämissen Einfluss haben). Des Weiteren soll ein Exkurs zum deutschen Humor aufzeigen, welche Entwicklung die deutsche Unterhaltungslandschaft durchlebt hat und welche Einflüsse aus anderen Kulturen zu finden sind. Dabei wird die Anlehnung an amerikanische Formate deutlich, die sich auch in den folgenden drei Formaten finden lässt. Es soll gezeigt werden, dass Stefan Raab diese zu seiner Sendung TV Total zusammengefügt und stets adaptiert hat. Um sich Stefan Raab von der inhaltlichen Seite seines Humors anzunähern, werden im Anschluss daran die wichtigsten Spielarten des Humors in der Gesellschaft untersucht und ihre Funktion näher analysiert.

Darauf folgt die Beschreibung der Entwicklung von TV total aus seinen Vorgängerformaten. Stefan Raab steht im Ruf, kreativ mit bereits existierenden Formaten umzugehen, was hier an den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Vorgängerformate zu TV Total deutlich werden soll. Um weitere Aussagen über die Medienwirkung von Stefan Raab machen zu können, müssen dann die Sendung genauer beschrieben und ihr Aufbau näher betrachtet werden. Dabei treten strukturelle Unterschiede zu Tage, die im dritten Kapitel zur Sprache kommen, da sie Einfluss auf die Struktur der Sendung haben.

Im letzten Teil steht das Format TV Total im Mittelpunkt. Zunächst wird der Studioaufbau samt Farbgebung genau untersucht. Anschließend wird Stefan Raab als Medienfigur und Entertainer vorgestellt. Dabei wird besonderer Wert auf die Talente und Techniken gelegt, mit denen er seine Sendung gestaltet. Da Stefan Raab in der Medienlandschaft als Tabubrecher gilt, soll sein Umgang mit Tabus untersucht werden. Interessant sind die Position, die Stefan Raab im deutschen Fernsehen einnimmt und die Kritik, die an ihm geübt wird. Im Anschluss daran wird sein eingesetzter Humoreinsatz zur Sprache kommen. Deshalb soll Stefan Raab in seinem Wirkungskreis, der Sendung TV Total, betrachtet werden. Hier wird die Arbeitsweise des Moderators exemplarisch beschrieben und auf seine Kreativität hin untersucht. Vor allem die Strukturen und Techniken seiner Arbeit als Entertainer werden analysiert, um in Erfahrung zu bringen, inwieweit Stefan Raab eine kreative (Eigen-) Leistung in seinen Humor einbringt. Dazu ist es nötig, sich mit den Humorstrukturen vertraut zu machen, die er in seiner Sendung einsetzt. Da er durch sein Verhalten starken Einfluss auf sein Image ausüben kann, wird exemplarisch beschrieben, wie Stefan Raab Dramaturgie und inszenatorische Stilmittel einsetzt, um in intendierter Form auf die Rezipienten zu wirken. Zu zeigen ist, wie sich der Fokus der Aufmerksamkeit Stefan Raabs immer mehr zu den Rezipienten verschiebt. Dabei kommt sein Verhalten dem Publikum gegenüber zu Sprache. Dieses scheint er zu kultivieren, was im letzten Abschnitt deutlich wird, wenn die Funktionen der Gäste analysiert werden.

Zum Schluss soll aus der Analyse von Stefan Raabs Umgang mit Humor ermittelt werden, ob Stefan Raab nur den Volkskomödianten gibt, oder ob er auch einen kritischen Umgang mit den von ihm verwendeten Medien an den Tag legt.

1. Theoretischer Hintergrund

1.1. Kommunikationstheorie

1.1.1. Vorbedingungen der Massenkommunikation

In der Massenkommunikation, wie sie in den Massenmedien angewendet wird gibt es verschiedenen Kommunikationssituationen, bei denen die Akteure in bestimmte Rollen eingeteilt sind. Hierzu ziehe ich das Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver heran, das sie schon 1949[1] aufstellten. Die Basis ist seitdem unverändert geblieben. Da das Modell sich auf Individualkommunikation bezieht ist es notwendig einige Erweiterungen vorzunehmen. Sie beschreiben ein klassisches Sender-Empfängermodell, das auf störungsfreier Informationsvermittlung, bei örtlicher und zeitlicher Kopräsenz, zweier oder mehrerer Individuen beruht. Allerdings werde ich aus Platzgründen hier nur auf das Notwendige eingehen.

1.1.2. Erweiterung des Models auf das Fernsehen

Dieses Modell von Shannon und Weaver wird von den meisten Kommunikationswissenschaftlern und Linguisten akzeptiert, obwohl Winterhoff-Spurk in seiner Einführung in die Medienpsychologie ausdrücklich Kritik an einer zu sehr verallgemeinerten Form diese Modells übt[2]. Seiner Meinung nach greift es zu kurz. Zwar stimmt er dem Modell grundsätzlich zu, legt zudem aber Wert auf eine psychologischere und ausdifferenziertere Sichtweise der kommunikativen Abläufe.

Vor allem gegenüber der Übertragung dieses Modells auf zwischenmenschliche Kommunikation und die spätere Betrachtung humoristischer Kommunikationsweisen erhebt er folgende Einwände, die in der Betrachtung von TV Total zu Prämissen erhoben werden:

1) Zwischenmenschliche Kommunikation findet nie kontextfrei, sondern immer in einer „sprachlichen Gesamtsituation“[3] statt, über deren Beschaffenheit sich Sprecher und Hörer zumindest partiell einig sein müssen, wenn eine erfolgreiche Kommunikation zustande kommen soll. Die Basis, auf der Sprecher und Hörer miteinander kommunizieren, nennt Clark „common ground“. Clark bezeichnet das als einen Versuch sich dem Gegenüber kommunikativ anzunähern, indem die Partner im Idealfall gegenseitige Bemühung sich in das Gegenüber hinein zu versetzen und auch die situativen Begebenheiten einbeziehen. Später werde ich aufzeigen, dass Stefan Raab genau dieses Prinzip außer Kraft setzt, indem er einen common ground aufbaut, ihn aber ebenso schnell wieder verlässt und den Hörer auf dieser Position zurücklässt.

„Die Gesprächspartner verfügen über eine kognitive Repräsentation Ihres Gegenübers und der Situation, und sie integrieren den Interaktionsverlauf in ihr jeweiliges aktiviertes Wissen („grounding“).“[4]

Der Sprecher versucht (vor allem bei der medialen Kommunikation (Fernsehen)) bei dem Hörer eine Wirkung zu erzielen. Laut Winterhoff-Spurk müssen die Interaktionspartner gegenseitige Aufmerksamkeit zeigen und ihre kommunikativen (und sonstigen) Aktivitäten auf die vorangegangenen Aktionen des Partners abstimmen.“[5] Eine kommunikative Situation dieser Art nennt sich „face-to-face-communication“ (nachfolgend: FTF-Kommunikation)[6]

Dabei übernehmen beide Kommunikationspartner während der Kommunikation mal den aktiven Sprecherpart und mal den passiven Hörerpart. Dazu benötigt der Sprecher ein so genanntes „turn - requesting - signal“. Das sind Signale, die dem Gegenüber vermitteln, dass man entweder aufmerksam ist, oder dass man einen Einwand erheben möchte. Es kann verbal oder nonverbal gegeben werden. Später werden wir das Beschriebene bei Situationen mit Talkgästen erkennen, wenn sich Stefan Raab und seine prominenten Gästen gegenseitig witzige „turn-requesting-signals“ zuspielen.

1.1.3. Erweiterung des Kommunikationsmodells auf Massenkommunikation

Die Zahl der angesprochenen Empfänger kann bei den angesprochenen Kommunikationsformen stark variieren. Sind es beim Telefonieren in der Regel nur zwei kommunizierende Teilnehmer, so kann es beim Fernsehen eine unüberschaubare Menge von Teilnehmern sein. Wann aber ist es legitim von einer Masse zu sprechen? Was ist eine Masse und wie entsteht sie?

Dazu ist es zunächst notwendig sich den Begriff der Masse vorzunehmen und ihn für die Diskussion tauglich zu machen. Zu beachten ist, dass der Begriff der Masse theoriehistorisch gesehen einen durch die anderen Wissenschaften (Sozialpsychologie, Soziologie, Psychologie) verlaufenden Werdegang hinter sich hat. Ich verwende Le Bons Massenbegriff[7], da er sich zur Analyse des Themas eignet und schon lange verwendet wird[8].

Le Bons Massenbegriff

Nach Le Bon ist die Masse geprägt durch ein kollektives Schwinden der individuellen Intelligenz sowie der persönlichen Verantwortung. Verantwortlich dafür ist die fortschreitende Anonymität des einzelnen und die kollektive Gefühls-Bestimmtheit der Menge in der vorherrschenden Situation (Flash-Mob)[9].

"Die Hauptmerkmale des einzelnen in der Masse sind also: Schwinden der bewussten Persönlichkeit, Vorherrschaft des unbewussten Wesens, Leitung der Gedanken und Gefühle durch Beeinflussung und Übertragung in der gleichen Richtung, Neigung zur unverzüglichen Verwirklichung der eingelösten Ideen. Der einzelne ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb seinen Willen nicht mehr in der Gewalt hat "[10].

Es entsteht für Le Bons eine Art Gemeinschaftsseele, dass Individuen in der Gruppe anders reagieren, als wenn sie alleine wären. Diese Form der Gruppendynamik nutzten clevere Entertainer, wie Stefan Raab, zur Einbeziehung des Publikums in ihre Show[11].

Es gibt also gewisse Ideen und Gefühle, die nur bei den zur Masse verbundenen auftreten oder sich in Handlungen umsetzen. Die Masse hat nach Le Bons also eine Eigendynamik, die eine Gruppe Menschen zu einer fast homogenen Einheit werden lässt, vor allem in emotional angeheizten Situationen (wie Großevents).

1.1.4. Masse und kollektives Verhalten

Es gibt bestimmte Verhaltensdispositionen, die Stefan Raab bei seinen Rezipienten erwarten kann und mit denen er in seiner Sendung arbeitet. Folgt man einer Definition Hofstätters, so wäre eine Menge von Menschen zuerst eine „Ansammlung psychologisch weitgehend identischer, willenloser und hochgradig emotionalisierter Individuen.“[12]

Nicht das Verhalten der Individuen, sondern das Vorhandensein einer Masse und die damit verbundene Negierung des Individuums, führen zur Vereinheitlichung der Handlungsziele (siehe Abschnitt: Spiele mit dem Publikum).

„Die zur Masse vereinigten Individuen unterliegen in dieser Situation einem Angleichungsprozess, indem sich ihre verschiedenen Eigenschaften, die Folge einer bewussten Realitätsinterpretation und eines kalkulativ-rationalen Verhaltens- und .Handlungsimpulses sind, nivelliert werden. Die durch diesen Nivellierungsprozess hervorgerufene Angleichung des intellektuellen und moralischen Niveaus der Elemente der Masse orientiert sich nicht an ihren höchstentwickelten Teilen, sondern ist Angleichung auf niedrigstem Niveau.“[13]

Dies drückt Joußen mit Vermassungsfähigkeit aus, und meint damit eine Disposition, die der Menge a priori eigen sein muss.

Besonders wichtig wird diese Definition, wenn wir uns später mit den Themen von TV Total beschäftigen werden, denn sie müssen in erster Linie eins sein, und zwar massentauglich. Das gilt in besonderem Maße für den Inhalt der Themen als auch ihre Inszenierung.

Primäre und sekundäre Ansteckung

Große Gruppen können bei kollektiven Verhaltensweisen unterschiedliche Motivationen an den Tag legen. Geiger unterscheidet diese kollektiven Motivationsmuster in primäre und sekundäre Ansteckung. Damit meint er freiwillige (primäre) und reflexartige (sekundäre) Verhaltensweisen der Menge.

Zu der primären Ansteckung gehören jene Prozesse, "die aufgrund physischer Vorgänge [...] eine Assoziation zwischen den Beteiligten schaffen."[14] Als Beispiel soll das Pop-Konzert herangezogen werden, bei welchem das Publikum sich freiwillig uniform verhält und damit eine Steigerung der Stimmung über die Möglichkeiten des Individuums hinaus bewirkt. Da die Masse des Publikums sich an ihrem Umfeld orientiert bewegt sich die Masse in Imitation ihres Umfeldes. Diesen Effekt nutzt Stefan Raab gerne in seinen Sonderevents aus.

Von sekundärer Ansteckung spricht Geiger, wenn psychische Verbindungen unter den Individuen, auch psychoreaktive Gleichschaltung genannt, entstehen. Besonders gut erkennt man dieses Phänomen bei Live-Reportagen in einer Menge (z.B.: Fußballfans- Suggestivfragen an die Fan-Menge: „Seid ihr gut drauf?“ – Antwort der Menge: „ JAAAA!“).

In solchen Gesprächssituationen wird erkennbar, dass eine Menge kaum ein einheitliches und gemeinsames turn-requesting-signal evozieren kann. Entweder es spricht der Reporter mit einem einzelnen Fan und es herrscht wieder eine klare FTF-Situation vor. Die Menge wird dann in der Situation zur umlagernden, lebenden Kulisse. Oder der Reporter stellt der Menge eine Frage, worauf er in der Regel eine einsilbige und lautstarke Antwort wie aus einem Mund erhält, weshalb bei Reportagen dieser Art in aller Regel geschlossene Suggestivfragen (suggestive Fragen, die mit Ja und Nein zu beantworten sind) verwendet werden.

1.1.5. Maletzkes Modell für massenmediale Kommunikation

Obwohl Maletzkes Modell noch aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammt, bietet es auch heute noch, für den Umgang der Rezipienten mit dem Medium Fernsehen (auch mit anderen digitalen Medien), einen plausiblen Erklärungsansatz, wie Kommunikation via das Medium Fernsehen (alle heute digitalen Medien [Telefon, Internet, Radio,…]) funktioniert. Maletzkes Modell für Massenkommunikation betont dabei, dass es keine Kommunikation mehr gibt, die als aktive Kommunikation zwischen gleichwertigen Partnern angesehen werden kann.

„Maletzke (1963, 1998) hat diese Probleme durch eine entsprechende Definition des Begriffs Massenkommunikation gelöst, die er als die öffentliche (also ohne begrenzte und personell definierte Empfängergruppen), indirekte (also bei räumlicher, zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern), einseitige (also ohne Rollenwechsel Sprecher-Hörer wie in der FTF-Kommunikation), technische Verbreitung professionalisierter, strukturell und funktional ausdifferenzierter und periodisch veranstalteter Kommunikationsformen an ein disperses Publikum bezeichnet.“[15]

Wie schon bei Shannon und Weaver gibt es auch bei Maletzkes Modell einen Sender, eine Nachricht, einen Transmitter, sowie einen Empfänger und eine Aussage. Wegen des Transfers in die Medienwissenschaft nennt Maletzke seinen Sender Kommunikator, die Nachricht Aussage, den Transmitter Medium und den Empfänger Rezipienten. Während der Beschreibung werde ich mich vor allem auf die Elemente konzentrieren, die für das Fernsehen und speziell TV Total wichtig werden.

Der Kommunikator ist derjenige, der die finale Auswahl der zu übermittelnden Botschaft trifft. Für alle Akteure vor der Kamera trifft die Prämisse zu, ein gesundes, wenn nicht gar überhöhtes Selbstvertrauen zu besitzen. Sie erscheinen den Rezipienten in der Regel als starke Persönlichkeit. Je einzigartiger die Persönlichkeit, desto höher die Erfolgschance und desto geringer die Substituierbarkeit. Beim Fernsehen steht dem Kommunikator in der Regel eine Teamstruktur (Ausstattung, Maske, Technik) zur Seite, welches in seiner Effizienz und Wirkungsweise von den Senderstrukturen (Ökonomie / Technische Möglichkeiten / Firmenpolitik) abhängt. Zudem wird der Kommunikator, hier also Stefan Raab, auch von seiner Umwelt beeinflusst, in der er außerhalb der Sendung lebt (Freunde, Familie) und die ihm ebenfalls Feedback über sein Verhalten, sein Image oder seine Inhalte geben.

So ist ein Kommunikator also keineswegs frei zu schalten und zu walten, wie es ihm beliebt, soll aber genau diesen Anschein beim Rezipienten evozieren. Er unternimmt dabei stets eine Gradwanderung zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und der Notwendigkeit, eine hohe Einschaltquote zu erzielen.

Als Aussage bezeichnet man im Grunde alles, was der Rezipient via das Medium Fernsehen empfangen und somit erfahren kann. Die Aussage muss „den technischen und dramaturgischen Besonderheiten des jeweiligen Mediums sowie den psychologischen Vorraussetzungen beim Rezipienten und der soziologischen Struktur des Publikums angepasst werden.“[16]

Diese Vorraussetzung ist unter anderem dafür verantwortlich, dass es im Medium Fernsehen so viele Spartenkanäle gibt, bei denen der Rezipient schon im Vorfeld seine präferierte Art der Aussage und ihrer zugehörigen Präsentationsweise herausfiltern kann, ohne sich dafür konkret mit dem gesendeten Inhalt des Programms auseinandersetzen zu müssen. Aus den Präferenzen des Kollektivs der Rezipienten lassen sich über die Quote die Programmstrukturen mit ihren Sendeterminen erklären, in denen festgelegt ist, wann für welche Art einer Aussage der richtige Zeitpunkt ist. Der Zeitpunkt ist abhängig von der vorher angenommenen Quantität einer bestimmten Rezipientenzielgruppe vor dem Fernsehgerät.[17]

Das Medium hat in Maletzkes Modell auf die Aussage keinen Einfluss. Auf die heutige Medienlandschaft bezogen stimmt dies allerdings so nicht, denn natürlich bestimmt das Medium die Form der Aussage mit.

Das Medium ist zumindest den Sehgewohnheiten des Rezipienten unterworfen.

Die Produzenten achten darauf, dass die intendierte Wirkung des Mediums bei den Rezipienten, abhängig von der wahrnehmungspsychologischen Disposition derselben, möglichst viele von ihnen anspricht. Das zwingt die Produzenten ihrerseits ihre Aussagen im Medium auf einem möglichst gleich bleibenden Niveau der Reize zu halten.[18] Damit hat auch das Medium stets Einfluss auf das Bild vom Medium beim Rezipienten.

Andererseits kann das Medium einen gewissen Druck oder Zwang auf den individuellen Rezipienten ausüben, denn es bestimmen die Produzenten, wann welches Programm gesendet wird, und der Rezipient muss sich dieser Zeitstruktur unterwerfen, wenn er, als Individuum, vom Programm profitieren möchte.

Der Rezipient gilt in der Medienpsychologie[19] als Herr seiner Entscheidungen und wählt je nach psychologischer Disposition aus den Aussagen diejenigen aus, welche ihm als für ihn relevant erscheinen. Diese Aussagen wirken auf ihn (z.B.: informierend oder unterhaltend) ein und prägen seine künftige Erwartungshaltung an das Medium. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Stefan Raab diese Erwartungen manipulativ einzusetzen weiß, doch dazu komme ich noch ausführlicher im dritten Teil dieser Arbeit.

Außer der psychologischen Disposition ist der Rezipient einer Reihe weiterer Einflüsse unterworfen, die nicht zwingend aus dem Medium auf ihn einwirken, sondern in seinem sozialen Umfeld verortet sind. Als Beispiel wäre die letzte Fußball-WM zu nennen, welche nicht nur eingefleischte Fußballfans vor den Fernseher lockte, sondern in Form von WM-Partys ganze Orte vor einer Leinwand zusammentrommelte, unabhängig von der Leidenschaft für den Fußball an sich. Solche Sozialisierungsfaktoren spielen vielen Formaten und auch TV Total regelmäßig hohe Quoten zu, wobei nicht der Akt des Betrachtens eines Programms im Vordergrund der Rezeptionsmotivation steht, sondern eher das gemeinsame Erleben des Medienereignisses oder die Anschlussdiskussion im Berufs- oder Bekanntenkreis. Denn in diesen Anschlussdiskussionen bildet sich eine strenge soziale Hierarchie, die sich nach dem Informiertheitsgrad über das gesendete Format richtet.[20] So ist der Rezipient nicht so frei und unabhängig in seiner Auswahl, wie es am Anfang den Anschein hatte. Zudem ist die Entscheidungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass der Rezipient nur aus den vorhandenen Angeboten auswählen kann, und somit nicht wirklich frei ist, zu bestimmen, was er denn gerne sehen möchte. Der Rezipient hat auch Einfluss auf den Kommunikator (Sender oder Programm), kann diesen Einfluss aber niemals durch das Massenmedium ausüben, sondern, wie schon erwähnt, indirekt und zeitversetzt über alternative Kommunikationskanäle, wie den Brief, oder den Anruf beim Sender. Obwohl die Interaktivität in manchen Formaten zugenommen hat, ist der Kommunikator derjenige, der den Grad der Rezipienteneinmischung bestimmt.

„Der Rezipient [muß] immer andere „Kanäle“ benutzen als, die [der] Massenkommunikation. Bei dieser Sachlage kommt nur eine mühsame und unvollkommene „Gegenseitigkeit“ zustande.“[21]

Dieses Modell zeigt die Einflüsse auf, die Einschränkungen für TV Total darstellen und denen auch Stefan Raab unterliegt.

1.1.6. Kognitive und emotionale Konsum-Motivationen des Rezipienten

Wenn wir die Wirkungsweisen der Massenkommunikation betrachten, stellt sich die Frage, was den Rezipienten überhaupt zum Fernsehkonsum treibt. Diese Frage stellt sich vor allem der Verhaltenspsychologie und ist in dieser Form der Fragestellung von den ökonomischen Beweggründen der Medienmacher losgelöst. Damit soll aber nicht gesagt werden, dass die Forschung zu diesem Thema rein wissenschaftliche Interessen befriedigt, denn es liegt im Interesse der Produzenten ein möglichst umfassendes Wissen über individuelles Konsumverhalten zu erhalten. Dennoch sollte der Themenbereich erst einmal abgesteckt werden, da er in der Psychologie nicht einheitlich gehandhabt wird und bisweilen diffus wirkt.

Das Fernsehen hat seit den fünfziger Jahren einen permanenten Platz in der Gesellschaft. Seit dieser Zeit versuchen Psychologen (wie Produzenten) die dispositionellen Merkmale von Zuschauern zu beschreiben. Roberts und Bachen haben schon 1981 einen umfassenden Katalog von Motivationen verfasst, der in der Literatur als bestätigt gilt und folgende Motivationen erfasst:

„Surveilliance, exitement, reinforcement, guidance, anticipated communications, relaxation, alienation, information acquisition, interpretation, tension reduction, social integration, social and parasocial interaction, entertainment, affective guidance, behavioral guidance, social contact, self and personal identity, reassurance, escape, and so on…“[22]

Da diese Liste eher chaotisch als geordnet erscheint, hat Büchner[23] als erste Grobeinteilung versucht, den Rezipienten und sein Verhalten als Maßstab für eine Vereinfachung zu definieren. Dabei behauptet er, der Unterschied liege im Bewusstseinsgrad der Mediennutzung beim Rezipienten. Doch diese Definition ist nicht schlüssig, da die Motive nach Roberts und Bachen die allgemeinen Bedürfnisse aller Konsumenten beschreiben, und nicht zwischen gezieltem und gewohnheitsmäßigem Fernsehkonsum unterscheiden. Das erscheint logisch, wenn man beachtet, dass es in der Regel keinen bipolar (schwarz-weiß) agierenden Rezipienten gibt, der sich nur zwischen dem konzentrierten Konsum oder keinem Konsum entscheidet.

„Es [der Konsum eines Programms] verschafft emotionale Wärme, Geräusche, Konstanz, und Verfügbarkeit, ohne dass sich der Zuschauer mit realen Menschen [oder den Aussagen] auseinandersetzen muß.“[24]

Im Bezug auf das Thema dieser Arbeit bietet sich die Definition von Murray[25] an, der anstatt der Einzelbetrachtung individueller Fernsehnutzung, der grob erscheinenden Einteilung in Identität, Sozialkontakt, Unterhaltung sowie Information den Vorzug gibt. Dem stimmt auch Dörner in seinem Werk Politainment zu, der betont, dass es immer um vermeintliche Bedürfnisbefriedigung oder die Konstitution neuer Identitätsbilder geht, wobei sich die Identitätsbildung sowohl auf den Kommunikator als auch den Rezipienten erstreckt.

Dabei spielt der Wunsch zum Miterleben und Teilhaben der Lebens- und Denkweise der Produzenten und ihrer Vertreter (prominente Persönlichkeiten) eine große Rolle.

1.2. Kommunikationsstrukturen in Talkformaten

Hier sollen die einzelnen Akteure und die ihnen zugeordneten Kommunikationsformate beschreiben werden die in Unterhaltungsformaten wie TV Total vorkommen. Stefan Raab hat in jeder Sendung Gäste, die der Funktion nach dem Folgenden entsprechen.

1.2.1. Talkpartner

Der Talkpartner tritt als solcher in Abhängigkeit des Genres in unterschiedlichen Versionen auf. In einem Interview ist der Talkpartner ein Gast und die wichtigste Person in der Situation. Es geht nur um ihn und seine Aussagen; er steht im Fokus des Interesses. Der Moderator unterstützt ihn in der Regel bei dem Erklären seiner Position. Es gelten die kommunikativen Verhaltesregeln des Zwiegesprächs. Dabei steht er mit dem Interviewer auf derselben Stufe oder sogar darüber.

In Talkrunden, die ja zum Zweck haben, einen Konsens zu schaffen, haben die Talkpartner erstens einen Gaststatus und zweitens begegnen sie sich normalerweise auf Augenhöhe. Damit sind ihre Verhaltensweisen angesprochen, die man in solchen Runden als gepflegt oder gut erzogen empfindet. In Kollegialität bespricht man die Punkte und erörtert gemeinsam eine Strategie. Dabei sei angemerkt, dass es im optimalen Fall für jede Position auch mindesten einen Fürsprecher gibt, mit dem sich das Publikum identifizieren können soll.

Der Talkpartner ist hierbei ein echter Partner, mit dem gemeinsam Sendungen gestaltet, sowie Probleme diskutiert werden können.

In Talkshows wird der Talkpartner, ähnlich wie bei Stefan Raab, zu einem kurios-lustigen Element der Sendung.

Sie werden bejubelt, ausgelacht, „angemacht“ und stehen im vermeintlichen Mittelpunkt des Interesses. Dabei stehen sie jedoch nicht auf derselben Stufe, sondern werden während der Sendung ständig neu positioniert. Das geschieht durch das Talkpublikum, welches lautstark Urteile fällt, sowie durch den Moderator, der die höchste moralische Instanz im Studio darstellt. So lässt sich abschließend folgende Einteilung vornehmen:

Es gibt drei große Kategorien von Talkpartnern, von denen allerdings nur zwei einen echten Partnerschaftsstatus genießen. Der Interviewpartner steht in dieser Hierarchie am höchsten und kann als „Very Important Person“ (inklusive seinen Aussagen) bezeichnet werden.

In einer Talkrunde sind die Partner gleichgestellt und das Objekt der Begierde für Interviewer wird deren Aussage. Wenn sich so viele Gleichgestellte versammeln ist es aus Höflichkeitsüberlegungen nicht möglich (und nicht sinnvoll) einen Teil der Runde vom Gespräch auszuschließen, und somit eine potentielle Statuserhöhung durch mediale Präsentation, nur einem Teil der Runde zu gewähren.

Nicht so bei der letzten Gruppe an Talkteilnehmern, den Talkgästen einer Talkshow.

Hier wird die ganze Sendung hindurch an der Hierarchie der Teilnehmer gearbeitet. Vielleicht ist die Talkshow die ehrlichste Form der Fernseh-Diskussion, da die Talkpartner in der Regel frei argumentieren, ohne sich auf Wissenschaft oder Literatur zu diesem Thema zu berufen. Man argumentiert mit dem was man hat, seinen kulturellen Emotionen. Es geht ja nicht darum die Problemlösung der Sendung zu adaptieren, sondern sich über die Unfähigkeit der Konfliktbearbeitung der Talkgäste zu belustigen. Dabei verschiebt sich die Hierarchie der Talkgäste proportional mit dem Sympathiegrad des einzelnen Gastes beim Studiopublikum.

Stefan Raab verwendet alle drei Arten von Gästen, abhängig von ihrer Medienkompetenz und ihrer Funktion in der Sendung.

1.2.2. Talkpublikum

Das Talkpublikum hat einen anderen Status als das normale Theater- oder Kinopublikum. Ist das Publikum normalerweise angehalten zuzuhören und zu rezipieren, hat das Studiopublikum bei Talkformaten eine andere Funktion. Die kleinste Aufgabe hat das Studiopublikum in Talkrunden. Normalerweise tritt es nur dann in Aktion, wenn von einem der Talkgäste etwas gesagt wird, dass eine breite Zustimmung findet. Bei einer Ablehnung der Aussage des Talkgastes geschieht in der Regel nichts, da sich das Publikum darauf verlässt, dass die Runde ausgeglichen mit Personen bestückt ist, was auch zu einer Abdeckung der konträren Positionen durch Talkgäste führt. Diese schreiten bei strittigen Aussagen stellvertretend für das Publikum ein und bekunden Gegenteiliges. Das Publikum weiß also im Voraus, dass es seine Schweigepflicht nur bei empfundener Freude verletzen muss, was sich auf Dauer förderlich für die Diskussion erweist, die ja zielgerichtet sein sollte. In der Folge gibt es weniger Störungen und sogar eine moralische Positionierung des Publikums wird ermöglicht. Das Publikum wirkt indirekt konstruktiv bei der Lösungsfindung mit, indem es Positionen verstärkt.

Andere Aufgaben übernimmt das Publikum in Talkshows, wo es einen aktiven Part innehat, und Statements zu den Talkgästen abgeben darf. Diese sind genauso emotional und damit unreflektiert, wie die Aussagen der meisten Talkgäste. Ich nenne sie nicht Talkpartner, weil echte Partner ein anderes Ziel haben, als zu versuchen sich gegenseitig verbal auszustechen. Das Publikum hat dabei die Aufgabe zu kommentieren, dass bedeutet sowohl zustimmende, als auch ablehnende Reaktionen einzuwerfen. Hat eine Aussage aus dem Publikum einen gewissen Gehalt, wird das mit dem Mikrofon belohnt, und der Gast kann seine Kritik aktiv und im Bild kundtun. Das wiederum verleitet viele Leute dazu, sich ins Publikum zu setzen, nicht um zuzuhören, sondern um ihrerseits Gehör zu finden. Es gibt viele Menschen im Publikum, die nach Selbstbestätigung suchen und dafür in einer Talkshow eine Plattform finden. Diese Plattform hat noch einen weiteren sozialen Vorteil für das Publikum, denn es suggeriert eine Gemeinschaftlichkeit des Publikums (der Gruppenidentität), wo eigentlich nur ein paar Individuen den Ton angeben. Bei TV Total findet man diese Publikumskonstellationen in unterschiedlich intendierter Funktion der Sendung. Teilweise reagiert es in echter Reaktion, auf das erlebte Geschehene. Teilweise wird es aber auch als geplantes Stimmungsmoment für die Rezipientenwahrnehmung und zuletzt auch, als spontane Humorquelle eingesetzt, die Stefan Raab benutzen kann, aber nicht muss.

1.2.3. Talkrezipient am heimischen Schirm

Zuhause hat der Rezipient alle Freiheiten, die er sich wünschen kann. Er hat die Macht über Gefallen und Missfallen zu richten und die Strafe lautet: Wegschalten. In erster Linie geht es den Machern von Sendungen wie TV Total oder Talkshows um eine möglichst hohe Quote. Zwar gibt es auch Talkrunden, die sich noch wirkliche Aufklärung zu einem Thema (Ratgeber Gesundheit) auf ihre Fahnen schreiben. Da sie aber zur Aufgabe haben, das Publikum themenorientiert zu informieren, schaut der Rezipient sie auch nur dann an, wenn er sich gerade darüber informieren will. Ansonsten sind es Selbstaufwertungsmechanismen (Schadenfreude/ Egoschmeicheleien) oder Identifikationen, die das Publikum vor den heimischen Bildschirm locken. Als letzte Motivation lassen sich die Wünsche und Bedürfnisse nennen, die schon in Kapitel 2.1.8 aufgelistet wurden.

Das Publikum zuhause hat einen indirekten Einfluss auf das Talkformat Talkshow. Durch sein Verhalten (über die Quote) bestimmt das Publikum (indirekt), welche Themen angeboten werden. Scheinbar haben die Macher herausgefunden, dass es eigentlich egal ist, über welches Thema gerade gesprochen wird. Wichtiger für die Rezipienten zu Hause ist, dass es möglichst viele Spannungen und aufgestockte Emotionen seitens der Talkgäste geben muss, die sich unerwartete oder spektakuläre Emotionsausbrüche ihrer selbst vor laufender Kamera erlauben. Lösungen werden vom Rezipienten dabei nicht erwartet. Stattdessen schaltet der Rezipient wieder ein, weil er ähnlich dem Formel 1-Zuschauer hofft, dass ein grober Unfall passieren könnte, wie etwa die Entgleisung des Talkgastes. Dem trägt eben der Produzent Rechnung, indem er immer ohnehin „fragwürdige“ Individuen zum Talk bittet und ihnen eine Plattform gibt. Diese sind verdammt, in einer konventionsgeladenen Gesellschaft zu scheitern und über dieses Scheitern amüsiert sich der Rezipient zu Hause und holt sich einen Gutteil seines Selbstbewusstseins. Eben diese Techniken der Aufmerksamkeitsgewinnung nutzt Stefan Raab in TV Total mit seinen Gästen auch aus.

1.3. Spielarten des Humors

In diesem Abschnitt sollen verschiedenen Dispositionen des deutschen Humors gegeben werden. Der Humor hat seit der Entstehung des Fernsehens einige Wandlungen und Lernprozesse durchlaufen, die zu den folgenden Prämissen führten, die hier für TV Total wichtig werden. Sie erläutern die Entstehung der Sendung näher und lassen einige Dispositionen für die Rezipienten erkennen.

1.3.1. Humor in Deutschland

Die Geschichte des deutschen Humors hat im zweiten Weltkrieg eine gravierende Zäsur erlebt. Nach dem zweiten Weltkrieg lag nicht nur die halbe Welt in Trümmern, sondern auch die Medienkomik. Billy Wilder folgte seinem Kollegen Ernst Lubitsch, als zweiter Stellvertreter für den komischen deutschen Film, nach Amerika, wohin Lubitsch schon in den zwanziger Jahren emigriert war. Danach hatten die Deutschen eine große Schuld sowie die Teilung ihres Landes zu bewältigen. Viele Themen waren durch den Nationalsozialismus und dessen Folgen zu Tabus geworden, die nur langsam wieder angesprochen werden konnten. Dazu gehören beispielsweise Minderheitenwitze, denen die Deutschen auch heute noch mit einer stark kritischen Haltung gegenübertreten. Wenn man heute dennoch darüber Witze macht, schiebt man einen Ausspruch, wie „war nur ein Scherz“ hinten an. „Das ist eigentlich nicht mein Niveau.“, hört man Belustigte dann sagen. Dies ist Ausdruck eines Schuldgefühls, das den deutschen Humor lange von bestimmten Themenfeldern abgehalten hat.

1.3.2. Komische Fernsehunterhaltung in Deutschland

Erste Formate, die mit dem Humor als Sinngeber in der Fernsehlandschaft experimentierten, wurden als Mischung aus altbewährten Formen hergestellt, die damals schon als komisch galten. Im Prinzip wurden dabei bloß bestehende Genres mediatisiert, dass bedeutet für das Fernsehen nutzbar gemacht und damit schon existierende Unterhaltungsformate wie Live-Theater, Karnevalsumzüge oder Bühnenprogramme (Kabarett) als Live-Sendungen adaptiert, dass heißt, sie wurden abgefilmt. Klischees von Städtern auf dem Land, Kleinstadtklischees in der Großstadt, als Lebens-Gewohnheiten von Alt und Jung geben den Stoff für den Humor, der harmlos selbstreflektiv das Leben der Deutschen aufs Korn nimmt. Namen dieser Epoche wären Heinz Ehrhardt, Willi Millowitsch, sowie Heinz Rühmann.

Diese Formate wurden auch bald medienkritisch sowie politikkritisch. Es kam zu ersten inhaltlichen Auseinandersetzungen die von den aufs Korn Genommenen ausging (Politiker/Prominente). Interessanterweise richtete sich deren Kritik nicht an die Senderchefs, sondern an den Produzenten, der verantwortlich für den Inhalt war, sowie den Moderator der Sendung. Dieses Phänomen kausaler Unkenntnis und Unschlüssigkeit seitens der betroffenen Belachten, kann man auch heute noch regelmäßig beobachten.

1952 schrieb Mirko Szewszuk die Sendung Karikaturen des Tages, die er auch selbst moderierte: Das Format bestand aus humoristischen oder bissigen visuellen Kommentaren zum Tagesgeschehen. Es war ein erstes episodisches Format und orientierte sich schon damals an der Witzigkeit der Themen, hatte aber auch einen aufklärerischen Impetus, den man bei Stefan Raab in dieser sachlichen Form lange suchen muss. Dennoch war dieses Format das erste in Deutschland, das sich als früher Vorgänger von Stefan Raabs Anfangsfundstücken bezeichnen lässt.

Bis in die sechziger Jahre war der Sprachwitz im Fernsehen dominant.

Eine weitere Möglichkeit Komik zu erzeugen, war die Karikatur von regionalen Lebensweisen (Bayern-Witze/Ostfriesenwitze), welche in der Regel als Pointe die Dummheit oder Spießigkeit der karikierten Minderheit herausstellte. Teilweise werden auch nationale Klischees gegeneinander gestellt, wie der Deutsche in Italien.

Der brillanteste Spießer in der deutschen Humorkultur ist Loriot. Er nutzte die Klischees, indem er sie soweit stereotypisierte, dass sie selbst eine eigene Ebene der Komik erschufen, die seit dem als zeitlos gilt und auch heute noch komisch wirkt.

Mit den genannten Komikern der sechziger Jahre erholten sich die Fernsehproduzenten vom Krieg und fingen an, erstmals mit ausländischen Formaten zu experimentieren. Außerdem hatte die Erziehung zum amerikanischen Humor durch Importformate wie Laurel & Hardy als Dick und Doof oder die Stooges großen Einfluss auf das deutsche Humorverständnis durch ihren Slapstickstil.

In dieser Zeit entstehen Formate wie Verstehen sie Spaß?[26] oder Versteckte Kamera, die beide dem englischen Format Candid Camera[27] entstammten. Sie funktionierten nach dem Prinzip Menschen in einer Alltagssituation durch einen Lockvogel (Schauspieler/Prominenter) aufzuhalten und sie im Folgenden komisch, aber harmlos (ohne entstehenden Schaden) auf die Schippe zu nehmen.

In den Siebzigern fand ein weiterer Aufbau auf amerikanisiertem Humor statt. Die amerikanische Sitcom All in the family[28] wurde zu Ein Herz und eine Seele[29], welche wie Loriots Parodien des kleinen Mannes, noch heute komisch wirken, und damit Zeitlosigkeit beanspruchen können. Aus dieser Serie ging Dieter Krebs hervor, der mit seinem Episodenformat Sketch up mit gespielten Sketchen in den achtziger Jahren in Deutschland erfolgreich war. Diese Episodenformate reichten Nonsens zur besten Sendezeit, und grenzten sich somit vom stark institutionalisierten Humor wie Kabarett oder Karneval ab.

Im Hinblick auf Hybridformate (wie TV Total) lässt sich noch die Sendung „Klimbim[30] “ von Michael Pfleghar nennen. Sie war ein erstes Format, das einen Mix aus Sketchen, Musik und einer „Fernseh-Anti-Familie“ (Sitcom-Anteil) zusammenstellte, dass Bleicher als „Gesamtkunstwerk der fernsehgerechten Komik“[31] bezeichnete. Ob das für TV Total ebenso zutrifft bleibt hier offen.

Ab den siebziger Jahren begannen die Komiker, das deutsche Fernsehen selbst zum Objekt ihrer Witze zu machen. Vor allem Loriot mit seinem Fernsehersketch sowie Dieter Hallervorden gehören untrennbar zur frühen medienimmanenten Kritikerschaft. Des weiteren versuchte man, in den einzelnen Sendern Humorformate zu entwickeln, die im Hinblick auf die kommende Privatisierung der Medien schon jetzt erste Nischen für humoristische Formate besetzen und so eine fixe Marktposition einnehmen sollten. Doch die früheren Sender hatten nicht mit der unermesslichen Gier der kommenden Privatsender gerechnet. Diese senkten das allgemeine Niveau der Sendungen und hatten bald darauf eine marktbeherrschende Stellung im Bereich Fernsehkomik, da sich aus den Öffentlich-Rechtlichen niemand wegen des „Bildungsauftrages“ traute, das Unterhaltungsniveau derartig abzusenken. Zudem nahm in den achtziger Jahren die Verbreitung der Videokamera rasant zu, sodass auch Privatleute ständig mit der Kamera filmen und so Missgeschicke auf verschieden Videoformate bannen konnten. Dieser Umstand spielte vor allem den rein kommerziell arbeitenden Privatsendern (und später Formaten, wie TV Total) in die Hände, die mit ihren Budgets riesige Kontingente an Homevideos aufkaufen konnten und erste voyeuristische Formate, wie „Bitte Lächeln“ oder „Pleiten, Pech und Pannen“ (öffentlich -rechtlicher Ableger des Formats) etablierten sich.

Das sinkende Niveau im Fernsehen wird von den Kritikern als auslösender Appell für die niederen Instinkte im Menschen benannt, ein Phänomen, dass die meisten Medienkritiker in der Medienlandschaft der heutigen Zeit bestätigt sehen.[32]

Ebenfalls seit den Achtzigern experimentieren Komiker im Fernsehen mit Parodien des eigenen Mediums. So kommen zunächst Parodien von eigenen Formaten auf, wie Harald Schmidt sie in der komischen Quiz-Sendung „MAZ ab“ verwendet. Dabei zeigte er Programmausschnitte, die er kommentierte, während er seinem Gast dazu Quiz-Fragen stellte. Die Komik wurde in dieser Sendung durch das Wiedererkennen der parodierten Programmstrukturen, sowie dem Durchschauen der Kommunikationsmuster im Fernsehen geschaffen.

1.3.3. Das kollektive Gedächtnis-Wissen und soziale Gruppen

Der Witz ist eine Kommunikationsform, die von den Wissenschaftszweigen Ethnologie, Psychologie, Psychoanalyse, Sprach- und Literaturwissenschaft ausgiebig untersucht wurde. Dabei ergab sich, dass in Gesellschaft je nach Milieu unterschiedlich gerne Witze erzählt werden. In der Humor-Hierarchie allerdings stehen Witze im eigentlichen Sinne unter anderen Arten des Humors. Bevorzugt werden Scherze (nicht Ernstgemeintes), das Aufziehen (Frotzeleien), Blödeleien, Running-Gags, Persiflagen oder Parodien. Witze werden in jeder sozialen Schicht Witze erzählt, deren Derbheitsgrad sich kohärent zum sozialen Milieu verhält.

Je „bodenständiger“ die Lebensweise, desto derber der Humor. Laut Studien[33] ist das Bildungsniveau ausschlaggebend für die Komplexität der Struktur von Witzen. Je niedriger das soziale Niveau ist, desto brutaler, zotiger, versauter und vorurteilsbelasteter sind die Witze.

Der Witz ist in der Regel eine konstruierte Geschichte, die mehrere Ebenen (Rahmen) aufbaut und die am Ende vom Hörer in Bezug zueinander gesetzt werden müssen. Freud nennt diesen Vorgang „Witzarbeit“ leisten.[34] Kotthoff bemerkt hierzu:

„Es findet in der Pointe eine unvorhersehbare Bisoziation unterschiedlicher Rahmen statt, ein Switch, der über ein mehrdeutiges Element vermittelt wird, zum Beispiel eine sprachliche Doppeldeutigkeit. Der Sinn stellt sich auf einer anderen, als der erwarteten Ebene her.“[35]

Das bedeutet, dass der Empfänger des Erzählten immer einen intellektuellen Eigenanteil zu leisten hat. Aus den Vorkenntnissen des Hörers über den Erzähler und die vorherrschende Gesprächssituation entsteht der Witz als erleichterndes Entspannungsmoment, der aus der zuvor etablierten Spannung und aus den verschiedenen intellektuellen Ebenen des Erzählten entsteht.

In unmittelbaren Gesprächssituationen, bei örtlicher und zeitlicher Kopräsenz haben Witze in der Regel nur zwei oder drei Ebenen, auf denen der Witz wirken kann. Abhängig von den Vorkenntnissen und gemeinsamen Erfahrungen der Runde in der der Witz erzählt wird, lassen sich nur selten mehr als drei gemeinsame Ebenen finden, zu denen alle Beteiligten der Runde durch ihre persönlichen Erfahrungen Zugang haben. Kotthoff beschreibt diesen Umstand als „Rätselmoment des Witzes[36] “ und meint damit eben die intellektuelle Leistung, die von dem Hörer notwendigerweise (aus seinen Vorkenntnissen und dem eben Gehörten) erbracht werden muss, um den Witz zu verstehen. Freud nannte es scherzhaft den Sinn im Unsinn[37].

Durch seine monologische Präsentation, zentriert der Witz den Fokus der Gesprächsrunde auf den Erzähler und lässt während dem Zeitraum des Erzählens kein anderes Thema oder auch nur Abschweifungen zu. Er ist also ein Aufmerksamkeitsfokus für den Erzähler oder, unfreundlich, ein Gesprächskiller in der Runde. Bei Stefan Raab gilt die Fokus-Version.

Als weiteres sollen exemplarisch verschiedene Arten der Komik besprochen werden und auf ihre soziologischen, wie intellektuellen Wirkungsweisen und Funktionen untersucht werden. Auf diese Weise sollte später zu klären sein, in wie weit Stefan Raab seine Gags ohne darüber nachzudenken selbst produzieren kann (spontan) oder in wie fern er nur den Moment für einen Witz ausnutzt (situativ).

Witze und Hierarchie in der Gruppe

Humor wird in manchen Situationen zu einem kommunikativen Element. In hierarchischen Strukturen, und solchen ist auch TV Total unterworfen, hat Humor mehrer Funktionen. Humor lässt sich psychologisch als Manipulationsmechanismus verwendet werden, was geschickte Vorgesetzte beispielsweise manipulativ (Assessment Center), oder produktiv (zum Abbau von Nervosität) einsetzen können. Mittlerweile gibt es soziologische Studien[38], die belegen, dass in einer Hierarchie ranghöher stehende Personen in sozial dafür ausgewiesenen Situationen tendenziell mehr Scherze auf Kosten anderer machen, als rangniedere Personen. Eher wird ein Arbeiter von seinem Chef zum Besten gehalten, als anders herum. Ebenso verhält es sich auch mit Kritik, die in sarkastischer Form eher von Chefs als von Angestellten erwartet wird. Es gibt in hierarchischen Gruppen (TV Total) einen Anstieg der Aggression im humorvollen Umgang, der sich proportional zur Stufe innerhalb der Gruppe des Aggressors (des die Witze Machenden) verhält. In TV Total kommt dieses Prinzip auf verschiedenen Ebenen zum Vorschein, wie sich später im Verhalten Stefan Raabs zu seinem Personal zeigen wird.

Die Unteren ducken vor den Oberen. Kein Wunder also, dass man eindeutig nachweisen konnte, dass bei einem schlechten Witz eines Chefs doppelt so laut gelacht wird, als bei einem schlechten Witz eines Gleichrangigen, der eventuell sogar gekontert wird.

Humoristische Kommunikationsweisen können also als Indikatoren für soziale Beziehungen und Hierarchien gelten. So trifft beispielsweise der Ausspruch “Was sich liebt das neckt sich!“ den Kern der Wahrheit. Denn je näher sich die Personen sind, desto ungenierter lässt es sich über sie Lachen, ohne dass man Sanktionen oder einen Gesichtsverlust befürchten muss. Oftmals werden soziale Zugehörigkeiten durch Humor vermittelt. So gilt man als einer sozialen Gemeinschaft zugehörig, wenn sich die Anderen über einen selber lustig machen[39]. Es bedeutet, dass man Vertrauen zu der betroffenen Person hat, und dass sie es einem nicht übel nimmt, wenn man Scherze über sie macht. Es entsteht eine Solidarisierung unter den Anwesenden und somit eine Stärkung dieses speziellen Gruppengefüges.

Gibt es geschlechterspezifische Humorformen?

Will man diese Frage beantworten, muss man sich die Geschlechterquoten für Unterhaltungssendungen anschauen. Offenbar gibt es entscheidende Unterschiede bei den präferierten Humorformen von Männern und Frauen.

So haben beispielsweise auf weibliches Publikum zielende Formate, wie Ladykracher mit Anke Engelke (Sat1) oder Ritas Welt (RTL) eine größere Resonanz bei weiblichen, als bei männlichen Zuschauern.

Was aber ist mit TV Total ? Die Quote zeigt, dass die Zuschauer anteilmäßig zu gleichen Teilen aus beiden Geschlechtern stammen. Für Sendeformate wie TV Total, die ein Konglomerat aus vielen Formaten darstellen, wäre es nicht sinnvoll, eine Gewichtung dieser Art vorzunehmen. Sie haben sich ja gerade zum Ziel gemacht den größtmöglichen Unterhaltungswert mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu generieren. Also kommen geschlechterspezifische Humoreinlagen nur dann vor, wenn über sie schon im Vorfeld ein Konsens besteht, dass heißt ein Klischee existiert, über das man herziehen kann. Somit kann man durchaus von tendenziell feministischem oder machistischem Humor sprechen, aber in ökonomisch geprägten Strukturen wie einem Fernsehsender wird eher versucht ein möglichst breites Publikum aus beiden Lagern anzusprechen und nicht etwa eine Konsumgruppe auszugrenzen.

Humoristische Milieuunterschiede

Man spricht hierbei von Unterschieden in den Subkulturen einer Gesellschaft. Es wurde versucht herauszufinden, welches soziale Milieu welchen Humor präferiert. Die Begriffe Ober-, Mittel- und Unterschicht sind aus dem allgemeinen Sprachgebrauch entlehnt und meinen damit den Bildungsstand sowie den Aktionsradius der Milieus und nur bedingt deren monetären Status.

Dabei wurde festgestellt, dass Personen aus dem Milieu der Unterschicht viel eher andere Personen mit Klischees und Zuschreibungen schmähender Art beschreiben, als Personen aus der Mittelschicht.[40] Sie können wahrscheinlich auch das größte Humorverständnis ausbilden, weil sie weitaus mehr soziale Erfahrungen machen (in den Fremdmilieus), und deshalb auch ein größeres Verständnis für unterschiedliche Spielarten des Humors entwickeln. In der Oberschicht wird erwartungsgemäß der „gepflegte Humor“ feingeistiger Art, reich an Wortspielen verwendet.

Eine weiterführende Untersuchung wäre hier allerdings fehl am Platz. Wichtig für die spätere Analyse ist allerdings die Tatsache, dass es Milieuunterschiede gibt, was sich auch am Rezipientenstamm von TV Total sowie dem Konzept der Sendung erkennen lässt.

Ein weiterer bedeutender subkultureller Unterschied liegt in der Tabusetzung der einzelnen Milieus: In der Unterschicht und in der Mittelschicht liegt anscheinend Komik per se in Vergehen gegen die gesellschaftlichen Verhaltenskonventionen („Rülpstiraden“), allerdings mit absteigender Tendenz, je gebildeter die Personenkreise sind.

In der Oberschicht herrscht dagegen eine strenge Etikette, die bestimmte Scherze, wie das absichtliche Rülpsen, als Geschmacklosigkeit verurteilt. Doch das bedeutet nicht, dass es in der Oberschicht keinen Humor durch Tabubrüche gibt. Allerdings ist die Oberschicht für diese Untersuchung nur bedingt interessant, weil sich aus ihr kaum ein TV Total Rezipient rekrutiert.

Abschließend sei betont, dass Humor, wenn er von beiden Seiten in der Situation akzeptiert wird, zu milieuübergreifender Verständigung beiträgt und daher fast immer positiv zu bewerten ist.

1.3.4. Wortwitz und Anekdoten

Diese Form des Humors hat einen starken Selbstzweck, und wird bei jeder Gelegenheit angewendet, um die Situation aufzulockern, oder die Pointe und damit ein kleines bisschen Ansehen für eine situative Aufheiterung zu erheischen. Dieses Prinzip ist Stefan Raabs ständiger Begleiter, dem man ein gutes Gespür für situative Komik zuschreiben muss, zweifellos eine Grundvoraussetzung für einen guten Entertainer.

Eine sehr häufig vorkommende Form des Alltagshumors ist das Wortspiel. Es lässt sich in allen Gesellschaftsgruppen antreffen. Hierunter fallen die einfachen Sinnverdrehungen durch Wörtlichnahme des Gesagten bis hin zu komplexen fiktiven Theorien, die einen komischen Sachverhalt ebenfalls komisch erklären. In der Regel wird diese situative Komik mit „Assonanzen, ungewöhnlichen Phonemkombinationen, semantischen und intonatorischen Ambiguitäten“[41] evoziert.

Sie sind im Alltag schnell produzierbar, da man vor allem mit den Assonanzen fast aus jedem Wort eine weitere Bedeutung herausholen kann. Stefan Raab verwendet dieses freikreative Humorkonzept fast in jeder Sendung. Dies sind die eigenen kleinen Beiträge, die Raab zu seiner Show leistet. Dabei macht er aus einem Gag (beispielsweise eingespieltem Interviewausschnitt) einen weiteren Witz, weil seine Verbalkreativität erst im Kopf, dann im Kollektivgedächtnis eine weitere Bedeutungsebene assoziiert hat. Oftmals lässt sich auch ein Satz beibehalten, und nur eine bloße Betonungsänderung verfremdet den Inhalt zum Komischen hin. Exemplarisch sei hier das Wortspiel „Du hörst dich ja heiser an, hast du im Zug geschlafen?“ – „Ja, aber daheim!“ gegeben. An diesem Beispiel lässt sich erkennen, warum solcher Humor oftmals mit dem Label Situationskomik gekennzeichnet wird. Er wirk nur in der unmittelbaren Entstehungszeit wirklich komisch, und das auch nur für die in der Situation anwesenden.

Zum Wortspiel zählt auch der Scherz oder die witzige Bemerkung. Sie refokussieren die Aufmerksamkeit auf den aktuellen Stand der Situation. Basis dieser Humorform ist die intellektuelle oder situative Unaufmerksamkeit eines der mindestens zwei Situationsteilnehmer: Durch diese Unaufmerksamkeit entsteht für den Witzelnden ein temporalkausaler (zeitlicher Vorsprung mit vorauseilendem Situationsverständnis) Situationsbewertungsvorsprung, den er dem Unaufmerksamen scherzhaft unter die Nase reibt[42]. Stefan Raab hat dabei immer den besseren Stand, da er der einzige ist, der die Situation „objektiv“ einschätzen kann.

Diese Spontanität ist eine Stärke sowie eine Schwäche zugleich und hat Stefan Raab schon manchen Strafprozess eingebracht, wie zum Beispiel den von Lisa Loch, auf welchen ich im Kapitel Klischeeisierung noch ausführlicher eingehe.

1.3.5. Humor mit Aggressionsfaktor

Necken[43]

Das Necken wird von Kotthoff definiert, als das Anspielen auf kleine Schwächen des Gegenübers, und gilt als nicht rufschädigend, ist aber auch immer ein wenig provokativ: “Es ist harmloser als[…] Aufziehen […], enthält aber doch kleine Gewagtheiten.“[44]

Das Sprichwort „Was sich liebt das neckt sich“, beschreibt sehr treffend die Intention des Neckenden. Man kann darauf eingehen, dagegenhalten, oder gar mit scherzhafter Gewalt („Ich erwürg dich!“) kontern. Oftmals findet man diese Technik bei TV Total, wenn Stefan Raab einen Freund als Talkgast begrüßen darf.

Bissige Bemerkung[45]

„Die bissige Bemerkung“ gehört schon zu den aggressiven Formen des Humors, es kann Kritik an der gerade erfahrenen Situation implizieren,[46] soll vom Scherzenden aber nicht hierarchisierend verwendet werden. Zudem wird auch die Andersartigkeit des Betroffenen herausgestellt und als nicht konventionell markiert. Auch hier kann der Betroffene sich ernsthaft verteidigen, mitscherzen, oder sogar den Spaß weitertreiben, sowohl auf die Kosten des Initiators, als auch auf die eigenen.

Vor allem in Interviewsituationen bei TV Total bilden die wechselseitigen Sticheleien scheinbar einen Attraktivitätsmoment der Sendung. Allerdings gehört hier der Hierarchisierungstrieb zum Konzept. Die Attraktivität kann daraus bestehen, zu erfahren, wer origineller weiterstichelt, Stefan Raab oder sein Gast, und wer somit in der (Unterhaltungs-) Hierarchie[47] höher steht. Aber auch ein kollegiales Sticheln wird häufig in der Sendung platziert, denn oftmals ist der Unterhaltungswert ebenso hoch wie bei konkurrierendem „Witzeln“ (bspw. wenn ein Bandmitglied als Herbert Grönemeyer oder Gildo Horn der deutschen Musikszene bezeichnet wird.).

Je bissiger der witzige Angriff, desto weiter verschiebt sich eine Stichelei hin zum Aufziehen oder dem Vorführen.

Aufziehen/Vorführen[48]

Aufziehen oder auch über jemanden herziehen ist in der Gesellschaft allgemein verpönt. Aber im Fernsehen gelten in der Unterhaltungsbranche des Trash TVs[49] die Prinzipien des Voyeurismus, sowie der Schadenfreude. Somit ist das Aufziehen eine willkommene Technik für Formate wie TV Total, die vor allem bei medienunerfahrenen Gästen unbemerkt zur Bloßstellung ihrer Schwächen und damit zur Komik führt. Im Privaten werden Kritik und hierarchische Ansprüche gerne durch Ironie kommuniziert (siehe Kapitel Humor im sozialen Geflecht). In den Medien (bei TV Total) wird Ironie zum Ausloten der medialen Befähigung der Talkgäste verwendet. Reagiert der Gast mit einer medientauglichen Reaktion reagiert Stefan Raab indem er auf weitere Angriffe dieser Art verzichtet, da sie für wachsame Gäste früh zu erahnen sind. Bemerkt der Gast diese Spitze jedoch nicht, wird er mit Doppeldeutigkeiten und weiteren Wortspielen zu unbedachten Äußerungen verführt. Auch hier gelten in erster Linie Prinzipien der Schadenfreude und des Voyeurismus.

[...]


[1] Vgl.: Shannon , C.E., Weaver,, W.: The Mathemetical Theorie of Communication, Urbana, University of Illinois Press, 1949.

[2] Winterhoff-Spurk, Peter: Medienpsychologie-eine Einführung; Berlin, Kohlhammer Verlag, 1999, S. 13.

[3] Ebd., S. 11.

[4] Ebd., S. 11.

[5] Ebd., S. 11.

[6] Ebd., S. 11.

[7] Ebd., S. 14.

[8] Pürer, H.: Einführung in die Publizistikwissenschaft, München, Ölschläger, 1990, S. 20.

[9] Spontan anmutende Zusammenrottung von Individuen an einem Ort, wo alle für eine bestimmte Zeit das Gleiche tun (z.B. Regenschirm aufspannen und laut aus irgendeinem Buch vorlesen), „Internetgeplante Aktion“.

[10] Joußen, W.: Massen und Kommunikation, Weinheim, VCH, 1990, S. 27.

[11] Ebd., S. 24.

[12] Hofstätter, P.R.: Gruppendynamik-Kritik der Massenpsychologie, Hamburg, Rowohlt, 1957. S. 24.

[13] Joußen, 1990, S. 24.

[14] Geiger, T.: Die Masse und ihre Aktion – Ein Beitrag zu Soziologie der Revolutionen, Stuttgart, Enke Verlag, 1967, S.119, zit. nach Joußen: S. 25.

[15] Winterhoff-Spurk, 1999, S.16.

[16] Ebd., S. 15.

[17] Man erkennt gut diese Strukturen, wenn man die Werbespots unter die Lupe nimmt. (8.00 Uhr bis 14.00 Uhr) Um 14.00 kommen die Kinder aus der Schule und es beginnen die Werbespots für Sammelspielzeug und sonstige jugendfreie Konsumgüter.

[18] Heiße und Kalte Medien bei McLuhan. Heiße Medien sind demnach Filme und Events, die die Sinne stark reizen (vgl. auch „low involvement“); kalte Medien haben wenig Reize und lassen einen aktiveren Reflektionsprozess beim Rezipienten zu („high involvement“).

Baltes M.: Medien verstehen : der McLuhan-Reader: Mannheim: Bollmann, 1997.

[19] Winterhoff-Spurk, 1999, S. 33 f.

[20] Vgl.: Dörner, A.: Politainment – Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt, Suhrkamp, 2001, S. 89 ff.

[21] Winterhoff-Spurk, 1999, S. 16.

[22] Roberts, D.F. und Bachen, C.M. zit. nach: Winterhoff-Spurk, 1999, S. 39

[23] Büchner, B.: Der Kampf um die Zuschauer, Fischer-Verlag, München, 1989. Zit. nach Winterhoff-Spurk, 1999, S. 39

[24] Ebd. S. 39.

[25] Winterhoff-Spurk, 1999, S. 39.

[26] Seit 1980 mit wechselnden Moderatoren.

[27] UK von 1959-1963.

[28] USA von 1971-1979.

[29] Von 1973-1976 2 Staffeln .

[30] 1973-1979 6 Staffeln in ARD und ORF.

[31] Vgl.: Bleicher, Joan-Kristin: Vom Volkshumor zur Comedy – Humor in den Medien. In: Klingler, 2003, S.79.

[32] Ebd. S. 80.

[33] Vgl.: http://ling.kgw.tu-berlin.de/semiotik/deutsch/zfs/94_00kal.htm

Arbeitsstelle für Semiotik (AfS)

[34] Freud, S.: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 1940, S.115

[35] Kotthoff, Helga: „Lachkulturen heute – Humor in Gesprächen“. In: Klingler, 2003, S. 46.

[36] Ebd. S. 46.

[37] Freud, S., 1940, S.112.

[38] Kotthoff, Helga: 2003, S.65.

[39] Vgl. Kotthoff, Helga, S. 49

[40] Vgl.: Keim, I. und Schwitalla, J.: Soziale Stile des Miteinander Sprechens- Humor und Macht in Gesprächen von Männern und Frauen, Frankfurt: Fischer, 1989 S. 83 ff.- 125.

[41] Kotthoff, 2003, S. 51.

[42] Bsp.: „Kann isch hier Rum krieschen?“ – „Klar, wenn ihnen der Boden nicht zu schmutzig ist.“

[43] Kotthoff, 2003, S. 53.

[44] Ebd. S.53.

[45] Ebd. S. 52.

[46] Nach dem fünften Löffel Kaffe fragen: „Brauchst du auch Kaffe für deinen Zucker?“.

[47] Ebd. S.65 f.

[48] Ebd. S. 54.

[49] http://www.welt.de/data/2005/06/01/725883.html. (17.06.2006)

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Neue Medienformate im Fernsehen - Das Medienphänomen Stefan Raab
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  ( FB 09)
Note
2.3
Autor
Jahr
2006
Seiten
127
Katalognummer
V68750
ISBN (eBook)
9783638600569
ISBN (Buch)
9783640938131
Dateigröße
777 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Andere Professoren bewerteten die Arbeit mit 1-2. Ich hatte einen Doktoranden als Prüfer mit Schwerpunkt NS-Filme und Kompilationsfilme. Das war leider Pech für mich.
Schlagworte
Neue, Medienformate, Fernsehen, Medienphänomen, Stefan, Raab
Arbeit zitieren
Felix Hoffmann (Autor:in), 2006, Neue Medienformate im Fernsehen - Das Medienphänomen Stefan Raab, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68750

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Titel: Neue Medienformate im Fernsehen - Das Medienphänomen Stefan Raab



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