Die Ottonen und Byzanz - Das Zweikaiserproblem


Seminararbeit, 2002

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

Die byzantinische Kaiseridee

Wiederentstehung eines westlichen Kaisertums und Beginn des Zweikaiserproblems unter Karl dem Großen

Das Ottonische Kaisertum in Auseinandersetzung mit Byzanz
Otto I
mit Exkurs Liudprand von Cremona
Otto II
Otto III

Schlussbemerkung

Einleitung

Die Beschäftigung mit Byzanz und vor allem mit dessen Einfluss auf das westliche Kaisertum war im 19. Jh. und in der ersten Hälfte des 20. Jh.s in der Geschichtswissenschaft ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Die westliche Kaiserpolitik wurde unter nationalistischen Gesichtspunkten, wie beispielsweise die Sybel-Fickersche Kontroverse zeigt, oder rein abendländischen Maßstäben bewertet, wie etwa der Dualismus von Papsttum und „deutschem“ Kaisertum. Der Aufschwung in der international betriebenen Byzantinistik nach dem Zweiten Weltkrieg bewirkte auch eine grundlegende Wandlung der Problemstellung in der deutschen Geschichtsschreibung. Nachdem man vertiefte Erkenntnisse von den Regierungsprinzipien des byzantinischen Reiches und von der oströmischen Kaiser- und Reichsidee sowie davon erlangt hatte, was Byzanz im Rahmen des weltgeschichtlichen Gesamtablaufs bedeutete, widmete sich die Forschung der Frage des politischen und kulturellen Einflusses des byzantinischen Reiches als universale Macht. Ein Durchbruch, vor allem hinsichtlich des zu bearbeitenden Themas, waren die Feststellungen von E. Stein von 1930 zum mittelalterlichen Titel „Kaiser der Römer“, aus denen hervorging, dass Byzanz Vorbild und Konkurrent des westlichen Kaisertums war. Dass sich der Westen seit dem Ende der Antike mit Byzanz auseinandersetzte, ist heute einheitliche Meinung der Mediävisten und Byzantinisten. In welchem Maße jedoch Byzanz für die Entwicklung des westlichen Kaisergedankens vorbildhaft war, ist bisher umstritten geblieben.[1]

Eine Betrachtung der Auseinandersetzung zwischen den Ottonen und den byzantinischen Kaisern im Rahmen des Zweikaiserproblems kann nur ein vollständiges Bild ergeben, wenn auch die byzantinische Staatsvorstellung als Voraussetzung des Konflikts sowie die Entwicklung des Zweikaiserproblems bis zu den Ottonen, also die Tradition, in der diese standen, geschildert wird. Daher sollen diese beiden Themenkomplexe vor einer Schilderung der ottonischen Byzanzpolitik dargestellt werden.

Die byzantinische Kaiseridee

Das byzantinische Staatsdenken gründete sich in der Überzeugung, dass das universale römische Reich die von Gott eingesetzte irdische staatliche Macht in der Welt war. Die göttliche Vorsehung hatte die diesseitige Welt, der orbis, durch den Kaiser Augustus zu diesem Weltreich zusammengefasst und so die Sicherung des höchsten irdischen Gutes, des Friedens und der Kultur, in die Hand eines einzigen gelegt. Dies geschah, um die Botschaft des wahren Friedens und der wahren Kultur, die zu dieser Zeit Christus der Menschheit brachte, verbreitet werden konnte.[2] Zudem basierte es auf der Tatsache, dass das Byzantinische Reich als Nachfolger des oströmischen Reiches ununterbrochen die Tradition dieses augustinischen Weltreiches fortführte und dessen Universalitätsanspruch aufrechterhielt. Das römische Reich hatte sich nach dem Untergang des weströmischen Staates 476 nach Osten verlagert. Die fortschreitende Gräzisierung seit dem 7. Jh. ließ es zu einem Reich der Griechen werden. Der römische Staatsgedanke blieb jedoch wesensbestimmend. Da sich Byzanz als Fortführung des imperium Romanum fühlte, war auch jetzt derjenige, der zum römischen Reich gehört, Römer im Sinne des Reichsbürgergesetzes des Caracalla von 212, wer außerhalb des römischen Reiches stand, also die Angehörigen der „Völker“, waren Barbaren.

Die römische Tradition war verbunden mit der christlichen Religion, dem Glauben an die Erlösung durch Christus und seine Wiederkunft am Ende der Zeiten. Die Universalität des römischen Reiches unter Christus war völkerunabhängig.[3] Die politische Vorstellungswelt der Byzantiner beruhte nicht auf Philosophemen und Theoremen, sondern vorrangig auf diesen einen Glauben, der Jenseits und Diesseits, Religiöses und Weltliches verband.[4]

Konstantin der Große hatte das christliche Weltreich geschaffen, in dem er die grundlegenden Auffassungen des Christentums mit dem römischen Weltreichs- und Weltkaisergedanken verband. Damit hatte die Welt ihre endgültige und gottgewollte Ordnung, das römische Reich sollte die Menschheit in dem einem christlichen Glauben und einem Reiche bis zur Wiederkunft Christi für immer vereinigen.[5] Römische und christliche Züge verbanden sich endgültig unter Theodosios I.[6]

Im Zuge dessen hatte sich eine neue, spezifisch christlich-römische Kaiseridee gebildet. Der Gottkaiser der Antike war zum christlichen Kaiser von Gottes Gnaden geworden. Der basileus galt als Stellvertreter Christi auf Erden bis zum Jüngsten Gericht und war daher über alles Irdische erhaben.[7] Der Kaiser ist der einzige vor Gott für die Verwaltung des Reiches Christi auf Erden Verantwortliche. Er ist Mittler zwischen Christus und der Menschheit.[8] An der Spitze des Reiches stehend, vereinte er die ganze Fülle der irdischen Macht in sich. Er musste aber auch die große Verantwortung übernehmen, für Erhaltung von Frieden und Recht sowie Erhaltung und Mehrung des Reiches zu sorgen. Zudem sollte er die Bekämpfung der Barbaren vorantreiben und die Einheit des Glaubens bewahren,[9] denn die byzantinische Reichsidee kennt keine Gewaltenteilung zwischen Staat und Kirche. Der Kaiser ist auch oberster Herr der Kirche. Ebenso ist er oberster Heerführer und Herr des Rechts, also oberster Richter und Gesetzgeber.[10]

Der Überzeugung, dass der basileus alleiniger Stellvertreter des einen wahren Glaubens auf Erden war, machte es Byzanz natürlich unmöglich, einen weiteren Kaiser auf der Welt anzuerkennen. Wenn sich also Barbarenfürsten, auch die Franken, ohne Akklamation und Zustimmung des römischen Kaisers in Konstantinopel Kaiser nannten, so bedeutete dies für Byzanz Usurpation eines den Barbaren nicht zustehenden Titels und eine Verletzung des römischen Staatsrechts. Die Einsetzung von Barbaren-Kaisern durch den Papst war für Byzanz vollkommen unzulässig.[11] Die byzantinische Staatstheorie bewertete die westlichen Initiativen zu allen Zeiten als Usurpationen. Dennoch kam es in der politischen Praxis zu Kompromissen. In der Vorstellung der Weltfamilie der Könige kam dem byzantinischen Herrscher die Funktion des Vaters zu, und die anderen Potentaten nahmen die Stellung als dessen Brüder, Söhne, Freunde usw. ein.[12] Das Problem eines zweiten, sich ebenfalls auf das antike Rom berufenden Imperiums war damit nicht mehr lösbar.

Wiederentstehung eines westlichen Kaisertums und Beginn des Zweikaiserproblems unter Karl dem Großen

Das weströmische Kaisertum wurde 476/80 durch den Einfall der Germanen beseitigt. Danach sah sich das oströmische Reich als Fortsetzer der Tradition des römischen Imperiums.[13] Trotz der Zurückdrängung des römischen Reiches als staatliche Einheit nach Osten hielt Ostrom bis zur Gründung eines Lateinischen Kaiserreiches 1204 auf dem Gebiet des Byzantinischen Reiches an der universalen Tradition fest.[14] Daher versuchte Byzanz, Einfluss auf die im Westen entstandenen regna zu nehmen. Es konnte eine ideelle Oberherrschaft ausüben, indem die germanischen regna im 6.- 8.Jh. geistig auf das römische Reich in Byzanz ausgerichtet waren. Byzanz war Orientierungspunkt in vielen kirchlichen und weltlichen Angelegenheiten und bereits vor der Neubegründung eines westlichen Kaisertums Vorbild für die westliche Staatsauffassung.[15]

Parallel zur kulturellen Ausrichtung nach Byzanz entwickelte sich im Westen aber auch ein selbstbewusstes Eigenverständnis, welches sich von der byzantinischen Oberherrschaft emanzipierte. In den regna bildete sich bis zum 8. Jh. das sogenannte „gentile Staatsdenken“ heraus, nachdem die gentes im Gegensatz zur byzantinischen Auffassung nicht außerhalb der Kulturwelt lebende Barbarenvölker, sondern als regna die eigentlichen Träger der Macht neben dem Romanum imperium in Byzanz waren. Byzanz wurde auf Grund der griechisch sprechenden Bevölkerung und der de facto verlorenen Weltherrschaft abwertend als regnum Grecorum bezeichnet. Dies taucht später immer wieder in den Auseinandersetzungen des Zweikaiserproblems als antibyzantinischer Begriff auf.

Imperator wurde der Inhaber des römischen Weltkaisertums in Byzanz genannt. Im Westen wurden jedoch imperium und regnum als Synonyme gebraucht. Beide entsprechen der Bedeutung Oberbefehl, Oberherrschaft und Regiment. Daneben bedeutet imperator Feldherr. Auf den englischen Inseln entstand Ende des 8.Jh.s eine weitere Bedeutung des Begriffs, wonach er Herr über mehrere gentes war. Diese Auffassung beeinflusste das fränkische Staatswesen nachhaltig.[16]

Der fränkische König Karl der Große war kulturell besonders nach Byzanz ausgerichtet. Durch die gentilen Auffassungen geprägt, wollte er dennoch die Gleichwertigkeit seines Reiches mit Ostrom verdeutlichen, da das Frankenreich an realpolitischer Bedeutung das Oströmische Reich zu übertreffen schien.[17] Hinzu kam der Gegensatz zwischen Papst und römischem Kaiser, der sich bis auf das grundsätzliche Verhältnis zwischen Kaisertum und Kirchengewalt erstreckte. In der Tradition von Leo I., der im 5. Jh. die Theorie von der Stellvertretung Christi durch Petrus und Petri durch den Papst aufstellte, und Gelasius I., welcher 494 das Nebeneinander der Gewalten zu einer Vorrangstellung der geistlichen vor der weltlichen ausbaute, wollte der Papst aus der vom römischen Weltkaiser im 7. Jh. ihm zugewiesenen Rolle eines westlichen Patriarchen ausbrechen. Die Autorität des christlichen Kaisers von Gottes Gnaden war angefochten, der als Stellvertreter Christi auch die Kirche lenkte. Dieser Konflikt spitzte sich in der Periode des Ikonoklasmus zu. Seit Mitte des 8. Jh.s suchten die Päpste bei den fränkischen Königen ideellen und politischen Rückhalt. Die Schutzgewalt der Karolinger gegenüber der römischen Kirche wurde 754 mit der Pippinschen Schenkung begründet.

Diese Vorgänge verneinten zwar eine direkte Herrschaft von Byzanz im Westen, die Voraussetzung für die Wiedererrichtung eines westlichen Kaisertums war jedoch die staatsrechtliche Irregularität eines weiblichen römischen Weltkaisertums der Eirene seit 797, deren Alleinherrschaft im Osten wie im Westen abgelehnt wurde. Leo III. betrachtete den Kaiserthron als vakant und ließ Karl zum Kaiser ausrufen. Karl war von Byzanz vor 785 und 798 als patricius der Römer anerkannt worden und damit staatsrechtlich ein Römer geworden. Somit wurde er als Römer als neuer römischer Universalkaiser aufgestellt. Die Kaiserkrönung fand am 25. Dezember 800 in Rom statt.[18]

Das Papsttum versuchte mit der Kaiserkrönung Karls die Rückverlagerung des universalen Kaisertums von Konstantinopel nach Westen.[19] Karl dagegen, der 798 Irene als Kaiserin anerkannt hatte, wollte keine Weltherrschaft sondern auch jetzt lediglich die gleiche Geltung des Frankenreiches mit Byzanz.[20] Er entwickelte im Gegensatz zu der päpstlichen römischen Kaiseridee ein weitgehend von Rom gelöstes fränkisches Kaisertum nach byzantinischem Vorbild.[21]

Nach dem Sturz Irenes wollte Byzanz nicht auf das traditionelle Recht der Kaisereinsetzung verzichten. Nikephoros I. betrachtete Karl als Usurpator.[22] Das Zweikaiserproblem, welches bis 1204 die Beziehungen zwischen westlichem und byzantinischem Kaisertum bestimmen sollte, war damit entstanden. Es folgte ein Jahrzehnt kriegerischer Auseinandersetzungen in Italien. Karl fasste die Nichtanerkennung durch Byzanz als Missachtung seines Reiches auf und reagierte nun mit einer stärkeren Betonung des Römisch-Kaiserlichen. Eine Kaiserbulle von 803 trägt die Inschrift „Renovatio Romani Imperii“. Dennoch blieb Karl faktisch König des Frankenreiches, der Kaisertitel war nur eine Erhöhung seines Reiches. War das östliche Kaisertum ein Flächenstaat mit festem Staatskörper und kaiserlichem Verwaltungsapparat, das Universalansprüche erhob, war das westliche Kaisertum dagegen eine universal ausgerichtete Würde, mit der ein König eines oder mehrerer regna ausgezeichnet wurde.

Nikephoros I. erkannte schließlich im Vertrag von Aachen 812 das westliche Kaisertum an. Byzanz bezog sich auf den universalen römischen Kaisertitel und ließ das westliche Kaisertum als erhöhtes Königtum, als partikulares, dem byzantinischen Weltkaisertum untergeordnetes Titular-Kaisertum gelten.[23] Dem zweitrangigen Kaiser wurde der Brudertitel verliehen.[24] Karl der Große glaubte damit die Gleichberechtigung seines Reiches erreicht zu haben. Der Titel imperator ohne einen Zusatz für das jeweilige Kaisertum verschleierte den Gegensatz. Es folgten Jahrzehnte politischer Zusammenarbeit der Imperien vor allem gegen die Sarazenen, die auf die Appeninen-Halbinsel eingedrungen waren. Das Papsttum fasste dagegen das von ihm eingesetzte karolingische Kaisertum als das echte römische Universalkaisertum auf und wertete Byzanz bewusst zum Titularkaisertum ab. Der basileus wurde imperator Grecorum genannt.[25]

[...]


[1] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 1.

[2] Vgl. Dölger, S. 11.

[3] Vgl. Ohnsorge 1983 III, S. 102.

[4] Vgl. Dölger, S. 10.

[5] Dsgl., S. 11.

[6] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 2.

[7] Vgl. Dölger, S. 11.

[8] Dsgl., S. 12.

[9] Vgl. Dölger, S. 11.

[10] Dsgl., S. 12.

[11] Vgl. Ohnsorge 1983 III, S. 103.

[12] Vgl. Irmscher 1983, S. 4.

[13] Vgl. Anton, Lexikon des Mittelalters, s.v. Zweikaiserproblem, Sp. 719.

[14] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 2.

[15] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 3.

[16] Dsgl., S. 4.

[17] Dsgl., S. 5.

[18] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 6.

[19] Vgl. Ohnsorge 1983 II, S. 130.

[20] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 7.

[21] Vgl. Ohnsorge 1983 II, S. 130.

[22] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 7.

[23] Dsgl., S. 8.

[24] Vgl. Ohnsorge 1983, S. 9.

[25] Vgl. Ohnsorge 1983 II, S. 130.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Ottonen und Byzanz - Das Zweikaiserproblem
Hochschule
Technische Universität Berlin
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V68744
ISBN (eBook)
9783638600545
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ottonen, Byzanz, Zweikaiserproblem
Arbeit zitieren
Martin Petsch (Autor:in), 2002, Die Ottonen und Byzanz - Das Zweikaiserproblem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68744

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