Rembrandt und die Entwicklung holländischer Gruppenportraits als Bildgattung


Seminararbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Aspekte der Gattungsdiskussion
2.1 Samuel van Hoogstraten
2.2 Hermann Riegel
2.3 Alois Riegel
2.3.1 Abgrenzungen zu Familien- und Freundesporträts
2.4 Die Problemstellung
2.5 Äussere und innere Einheit

3. Die Anatomie des Dr. Tulp
3.1 Bildentstehung
3.2 Bildbeschreibung
3.2.1 Dr. Tulp
3.2.2 Die übrigen Teilnehmer der Anatomie

4. Vergleich mit anderen Gruppenporträts
4.1 Die Anatomie von Aert Pietersz
4.2 Die Anatomie von Thomas de Keyser
4.3 Die Anatomie von Rembrandt

5. Konklusion und Schlusswort

Literaturverzeichnis

7. Abbildungsverzeichnis

8. Abbildungen

1. Einleitung

Mehrpersonenbilder haben in der holländischen Kunst seit jeher einen speziellen Platz eingenommen. Die Gemälde mit zahlreichen, meist lebensgrossen Ganz- und Halbfiguren, die entweder in loser Verbindung stehen, oder auch ohne jede Form von Wechselbeziehung als blosse Aufreihung von Porträts gestaltet sind, werden in der Umgangssprache als Gruppenbilder bezeichnet. Oftmals weisen diese Bilder gewaltige Dimensionen auf und hängen noch heute in Rathäusern, Spitälern oder Gildenhäusern. Die Gruppenporträts scheinen dabei eine eigentliche nord-holländische Spezialität gebildet zu haben. Während man sie in Amsterdam, Haarlem, Haag oder Leiden leicht und in grosser Zahl entdecken kann, so muss man sie in den Städten der südlichen Niederlanden schon mit mehr Aufwand suchen. Über die Landesgrenzen hinaus sind solche Gruppenporträts dann kaum noch zu finden.

Ebenso wie ihre Herstellung durch die Maler, war auch das Interesse des Publikums an den Gruppenporträts seit jeher auf Holland beschränkt. Holländische Einzelporträts, Stilleben und Genrebilder wurden im 18. und 19. Jahrhundert vom Ausland in Massen angekauft. Die meisten Gruppenporträts dagegen sind bis heute an Ort und Stelle geblieben. Das liegt sicher einerseits daran, dass die meisten Bilder dieser Gattung sich nicht im Besitz von Privatleuten, sondern von Kooperationen befinden. Es deutet aber andererseits auch darauf hin, dass ausländische Kunstsammler an ihnen keinen Geschmack gefunden haben. Das oftmals handlungslose und scheinbar beliebige Nebeneinander der Figuren wirkte auf ausländische Betrachter wohl allzu langweilig.

In dieser Arbeit soll ein Blick auf die Entwicklung der holländischen Gruppenporträts als Bildgattung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gerichtet werden. Im Zentrum wird dabei das Gemälde Die Anatomie des Dr. Tulp von Rembrandt van Rijn aus dem Jahre 1632 stehen (Abb. 1). Es soll aufgezeigt werden, welches die damaligen Anforderungen an diese Form der Bildgattung waren und welchen künstlerischen Mittel sich Rembrandt bediente, um die gestellte Aufgabe zu lösen.

Zuerst werden ein paar zentrale Aspekte der Gattungsdiskussion behandelt werden. Dies geschieht durch die Vorstellung von drei frühen und wichtigen Autoren, die sich zu diesem Thema geäussert haben. Dieser erste Teil der vorliegenden Arbeit wird mit der eigentlichen Problemstellung der Bildgattung Gruppenporträt, wie sie im besagten Zeitraum bestanden hat, abgeschlossen.

Im zweiten Teil der Arbeit wird dann die Anatomie des Dr. Tulp näher vorgestellt. Einem kurzen Abschnitt zur Bildentstehung folgt eine ausführliche Bildbeschreibung.

Im letzten Teil wird dann Rembrandts Bild mit zwei früheren Gruppenporträts der Amsterdamer Chirurgengilde verglichen werden. In dieser Gegenüberstellung wird exemplarisch veranschaulicht werden, mit welchen Mitteln der Bildgestaltung in den Gruppenporträts neben der herkömmlichen äusseren, auch eine neue, innere Einheit angestrebt worden ist.

2. Aspekte der Gattungsdiskussion

Zu Lebzeiten Rembrandts (1609-1669) wird das holländische Gruppenporträt als Gattung nicht diskutiert, weder in Holland noch ausserhalb. Der weiten Verbreitung dieser Bildform im 16. und im 17. Jahrhundert steht ein eigentliches kunsttheoretisches Desinteresse gegenüber. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein bleiben die Gruppenporträts als Gattung namenlos. In Lebensbeschreibungen holländischer Maler dieser Zeit nimmt das Sprechen über diese Form der Bildgattung entweder militärische Gruppenbezeichnungen auf oder nennt es nur mit einem allgemeinen Begriff „Stuk“.[1] Diese Namenlosigkeit des Gruppenporträts als Gattung steht ganz im Gegensatz zum Bezeichnungsreichtum, den zum Beispiel die verschiedenen Untergattungen der Stilleben im 17. Jahrhundert erfahren haben.[2] Im Folgenden soll nun in einem knappen Überblick aufgezeigt werden, wie das holländische Gruppenporträt Eingang in die kunstgeschichtliche Betrachtung gefunden hat.

2.1 Samuel van Hoogstraten

Die älteste schriftliche Überlieferung, die sich mit einem holländischen Gruppenporträt auseinandersetzt, stammt vom holländischen Maler Samuel van Hoogstraten (1627-1678). Er behandelt in seinem 1678 erschienenen Buch Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst[3] (Einführung in die Hohe Schule der Malkunst) Rembrandts berühmtes Gruppenporträt Die Nachtwache von 1642 (Abb.2). Die engere Umgebung der Bilderwähnung beschäftigt sich dabei mit der Figurenanordnung in den Historienstücken, dieser damals häufig am höchsten bewerteten Bildgattung der Malerei. Die Figurenanordnung formt sich laut van Hoogstraten auf der Basis einer Nachahmung der Natur, die die Dinge einzeln gibt.

Erst in der Phantasie der Künstler entsteht dabei ein Bild des Ganzen. Dieses Ganze ist vom Künstler durch ein doppeltes Masshalten ausgewogen zu gestalten: Der Darstellung der einzelnen Figuren einerseits, sowie der Gesamtkomposition der festgehaltenen Bildszene andererseits, muss der Künstler gleich viel Beachtung schenken.[4] Rembrandts Nachtwache, die im Anschluss an diese Überlegungen ihre Erwähnung findet, dient van Hoogstraten als Beispiel einer gelungenen kompositorischen Ausgewogenheit.

Van Hoogstraten setzt die Rembrandtsche Nachtwache von anderen Bildern zeitgenössischer Künstler ab, welche durch einen stark additiven Charakter in der Anordnung ihrer Porträtköpfe gekennzeichnet sind. Er benennt diese Bilder nicht mit einem eigenen Namen. Sie sind für ihn lediglich als eine Anzahl von Porträtköpfen bestimmt, die im Sinne eines gestalterischen Anspruchs bildlich zusammengefasst sind. Genau auf diesen Punkt zielt seine Kritik: In der blossen Aufreihung der Porträtköpfe fehlt ihnen jegliche vereinheitlichende Wirkung.[5]

Van Hoogstratens Kritik wiederholt sich unter veränderten Vorzeichen auch an Rembrandt: Er mahnt hier die Betonung der Einheitlichkeit unter Vernachlässigung der eigentlichen Porträtaufgabe an. Damit deutet Hoogstraten bereits die beiden Pole an, innerhalb deren sich die noch immer namenlose Bildgattung bewegt: Das Einzelporträt und die Einheitlichkeit. Zwischen dem Einzelnen und der Vereinheitlichung besteht eine Spannung, die für das Gruppenporträt konstitutiv erscheint.

Damit tauchen hier bereits erste nähere Bestimmungen für das Gruppenporträt auf. Es wird von van Hoogstraten allerdings noch nicht als solches benannt und auch nicht gattungstheoretisch reflektiert. Seine impliziten Bestimmungen des Gruppenporträts ruhen in der Folgezeit so lange, wie auch die Beschäftigung der holländischen Gruppenporträts in der Kunstliteratur ruht. Erst knapp 100 Jahr später, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach der langsamen Entdeckung der holländischen Malerei in der ersten Jahrhunderthälfte, wird ihm verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist die akademisch sich etablierende Kunstgeschichte, die es jetzt systematisierend zu erfassen beginnt.

2.2 Hermann Riegel

1882 veröffentlicht Hermann Riegel (1834-1900) in seinen Beiträgen zur niederländischen Kunstgeschichte eine Studie zur Geschichte der Schutter- und Regentenstücke.[6] Riegel beschreibt dort die Entstehung einer neuen Bildform, welche die Bildnisse selbst zum alleinigen Zweck und Inhalt der Darstellung macht. Der Aufschwung dieser neuen Bildform steht für ihn in einem direkten Zusammenhang mit der wichtigen Funktion, welche die militärischen Schützengilden in der holländischen Gesellschaft zu dieser Zeit spielen. Die Schützengilden haben im Befreiungskampf der nördlichen Niederlanden ihre Blütezeit erlebt und schnell einen Rang von nationaler Bedeutung erlangt. Die von ihnen zahlreich in Auftrage gegebenen Bildnisse – die so genannten „Schützenstücke“ – sind für Riegel wichtige Komponenten in der Etablierung einer neuen, säkularisierten Bildform und treten zu der national sich entfaltenden Kunst Hollands in ein nahes und sehr bedeutendes Verhältnis. In der Konsequenz dieser Verbindung von nationaler Geschichte und nationaler Kunst, werden die Schützenstücke für Riegel zu Werken einer holländischen Historienmalerei.[7]

Riegel bestimmt die Schützenstücke als Gemälde, welche eine grössere oder geringere Zahl von Schützen darstellen.[8] Als erster entwickelt er ihre gestalterische Problemlage. Er diskutiert sie als Anforderung an die Anordnung der Porträtfiguren. Sowohl die einzelnen Porträts in ihrer Gestaltung, als auch die Anordnung der Einzelporträts in ihrer Gruppierung sind dabei Gegenstand seiner Erörterungen. Er spricht von der Doppelaufgabe „treu abzuschildern“ und jeden Porträtierten voll zu seinem Recht und Geltung kommen zu lassen.[9] Damit schliesst er sich in den Grundzügen den kunsttheoretischen Überlegungen Hoogstratens an. Durch seinen besonderen Anspruch auf historische Authentizität sanktioniert Riegel die einzelnen Bildnisse zum nationalen Anliegen der niederländischen Kunst. Die Gruppierungsfrage von Einzelbildnissen mit dem Anspruch auf Bildnisähnlichkeit stellt sich ihm im Schützenstück als gestalterisches Problem.

[...]


[1] Carasso-Kok 1988, S. 383-384

[2] Siehe hierzu L. Pauw de Veen: De begrippen “schilder”, “schilderij” en “schilderen” in denzeventiende eeuw, Verhandelingen van de Konincklijke Vlaamse Academie voor Wetenschapen, Lettern en Schone Kunsten van Belgie. Klasse der Schone Kunsten 31, 1669, Nr. 22, Brüssel 1969, 141-157

[3] Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst, Rotterdam 1678

[4] Van Hoogstraten 1678, S. 176

[5] Van Hoogstraten 1678, S. 178

[6] Hermann Riegel: Zur Geschichte der Schutter- und Regentenstücke, in: Ders., Beiträge zur niederländischen Kunstgeschichte, Berlin 1882, 105-162.

[7] Riegel 1882, S.116

[8] Riegel 1882, S.116

[9] Riegel 1882, S.128

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Rembrandt und die Entwicklung holländischer Gruppenportraits als Bildgattung
Hochschule
Universität Bern  (Institut für Kunstgeschichte)
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V68689
ISBN (eBook)
9783638611220
ISBN (Buch)
9783638727297
Dateigröße
3423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rembrandt, Entwicklung, Gruppenportraits, Bildgattung
Arbeit zitieren
Mike Bucher (Autor:in), 2006, Rembrandt und die Entwicklung holländischer Gruppenportraits als Bildgattung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68689

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