Die Modalitätslehre der scholastischen Grammatik und ihr Niederschlag in den romanischen Grammatiken bis zur grammaire générale et raisonnée


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

33 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Historischer Überblick über die Sprachphilosophie in der Scholastik

3. Die Suppositionslehre

4. Satzanalyse der Logik

5. Modalitas de re und modalitas de dicto

6. Die Lehre der Modisten

7. Die Weiterführung der Modalitätslehre in den romanischen Grammatiken
7.1 Italienische Grammatikschreibung
7.2 Spanische Grammatikschreibung
7.3 Französische Grammatikschreibung bis zur Grammaire générale et raisonnée

8. Zusammenfassung

9. Literatur

1. Einleitung

Im Laufe dieses Seminars Modalität und Evidentialität in den romanischen und anderen Sprachen haben wir mehrfach Konzepte kennen gelernt, die auf knapp tausend oder zweitausend Jahre zurückgehen. So existierte das Konzept von Modalität bereits vor der Jahrtausendwende in der Modallogik des Aristoteles. Hier kann insbesondere eine Beziehung mit den alethischen Modalitäten Notwendigkeit, Möglichkeit, Kontingenz und Unmöglichkeit hergestellt werden.[1] Darüber hinaus zeigt die alethische Modalität als Modalität der Wahrheit auch an, ob eine Aussage notwendig wahr, möglich wahr, eventuell wahr oder unmöglich war ist.[2] Die Modalität von Wahrheit und Falschheit sind in der Scholastik, besonders auf theologischem Gebiet, von entscheidender Bedeutung.

Auch werden diese zwei Modalitäten, bezogen auf die Aristotelische Logik, in der Arbeit über die Negation im Italienischen zum Ausgangspunkt genommen, ebenso wie die Kontradiktionsregel dargelegt wird.[3] Aristoteles unterscheidet hinsichtlich dieser vier Arten von entgegengesetzten Sätzen: konträr - Jedem und keinem zukommen, kontradiktorisch - einem und keinem zukommen sowie jedem und einem nicht zukommen und nur verbal - einem und einem nicht zukommen. Ein weiteres Mal wird sich in dieser Arbeit auf Aristoteles mit der Unterscheidung zwischen der „Negation des ganzen Prädikatsausdrucks“ und der „Negation des Prädikatstermes“ bezogen[4], eine Unterscheidung, die besondere Bedeutung in den modalitas de re und de dicto, dem Modalitätskonzept der scholastischen Grammatiker, erlangte.

In meiner Arbeit wird innerhalb des scholastischen Modalitätskonzepts vor allem auf die Modalitäten notwendig und möglich eingegangen, die auch ausführlich, bezogen auf das Englische, von Sophia Lui in ihrer Arbeit diskutiert werden.[5] Um die logische Äquivalenz der Negation der epistemischen Möglichkeit und Notwendigkeit zu erläutern, stellt sie einen Teil des logischen Quadrats[6] dar, welches Aristoteles zur Erklärung von Aussagen mit Modalfunktoren und deren Negation aufgestellt hat.

An Hand dieser Beispiele aus den Arbeiten meiner Kommilitonen sollte gezeigt werden, dass einzelne Konzepte der heutigen Sprachwissenschaft auf Konzepten beruhen, die bereits eine lange Tradition vorweisen können. Diese Arbeit soll genau das zum Gegenstand haben- die Tradition und die Geschichte einzelner sprachphilosophischer und grammatikalischer Konzepte der scholastischen Grammatik und deren Fortführung in den Grammatiken des Italienischen, Spanischen und Französischen bis zur Grammaire génerale et raisonnée.

Insgesamt wird also ein Überblick über die Grammatikschreibung vom 12. bis ins 17. Jahrhundert gegeben, beginnend mit den scholastischen Grammatikern. Einige Konzepte ihrer Lehre sollen dabei detaillierter ausgeführt werden- die Suppositionslehre, die logische Satzanalyse und das Modalitätskonzept der modalitas de re und de dicto. Da letzteres seinen Ursprung in der Aristotelischen Modallogik hat, soll auch diese näher erläutert werden.

Da die Lehre der Modisten den Höhepunkt mittelalterlicher Grammatiktheorien darstellt, soll auch auf diese Gruppe und auf deren Lehre näher eingegangen werden. Ausgehend von den verschiedenen Konzepten soll als nächstes geschaut werden, inwiefern sich diese bzw. Ideen dieser Konzepte in den frühen Grammatiken der romanischen Sprachen Italienisch, Spanisch und Französisch wieder finden. Den zeitlichen Endpunkt wird hierbei die Grammaire générale et raisonnée bilden. Abschließend sollen die Ergebnisse zusammengefasst werden.

2. Historischer Überblick über die Sprachphilosophie in der Scholastik

Innerhalb der mittelalterlichen Scholastik wird zwischen der Frühscholastik (ca.1100-1240), der Hochscholastik (ca.1240-1300) und der Spätscholastik (bis ca. 1450/1500) unterschieden.[7]

Als Beiname für das Mittelalter kann sie im weitesten Sinne als die Geisteshaltung und für die philosophischen Methoden dieser Epoche stehen. Zutreffend ist die Bezeichnung hinsichtlich der philosophischen Erzeugnisse, da diese häufig Kommentare zu Lehrbüchern des Triviums sind und Scholastik Schulphilosophie bedeutet. Bereits in der Antike war die Scholastik eine wissenschaftliche Disziplin, wobei die aristotelische Scholastik sich vor allem mit der Logik beschäftigte, die stoische mit der Ethik und die platonische legte die Basis für andere Teildisziplinen. Die mittelalterliche Scholastik ging über das Trivium hinaus und beschäftigte ebenso sich mit den Teildisziplinen des Quadriviums. Des Weiteren fand im Bereich der Scholastik das erste Mal eine Konzentration auf Logik, Semantik und Grammatik statt, was im heutigen Sinne als Sprachphilosophie gedeutet wird. Bei der Betrachtung der Sprachphilosophie im Mittelalter ist die Verbindung der Sprache mit der Logik als eng verbundene Einheit anzusehen, die auch als philosophische Semantik und Grammatik beschrieben wurden. Logik bedeutete im Mittelalter vor allem, die Wahrheit bzw. Falschheit der Sätze (De sermone vero et falso) zu erkennen.

Über grammatische Theorien, die sich zwischen dem 6. und dem 11. Jahrhundert entwickelten weiß man wenig. In den Universitäten war Grammatik das erste Fach des Triviums[8] und das wichtigste der Artes liberales, als deren Voraussetzung sie galt, denn ihr kam es zu, die Aussagen aller Wissenschaften zu deuten.[9] Sie wurde als die Kunst des richtigen Lesens und Verstehens, insbesondere der klassischen Autoren und der Bibel, verstanden.

Als Vorlage galten die Ars Grammatica (Ars Minor und Ars Maior) von Aelius Donatus (um 330 n. Chr.) und insbesondere die Institutiones Grammaticae von Priscian (um 500 n. Chr.), auf deren wortgetreue Kommentierung sich die Grammatikschreibung zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert beschränkte.

Das Verständnis von Grammatik wandelte sich in der Zeit der so genannten „Renaissance des 12. Jahrhunderts“[10], die von Mitte des 11. Jahrhunderts bis Ende des 13. Jahrhunderts dauerte. Entscheidend für diesen Wandel war der Einfluss der Logik auf die Grammatik, hervorgerufen insbesondere durch die Wiederentdeckung der Werke Aristoteles’, wobei eine erste ‚Aristotelisierung’ der Grammatik bereits im 11. Jahrhundert stattgefunden hatte, doch das gesamte Werk erst zu Lebzeiten von Peter Abaelard (1079-1142) wiederentdeckt wurde. Dies führte dazu, dass man zur Lösung grammatischer Probleme die Logik zur Hilfe nahm und nicht mehr auf die Beispiele klassischer Autoren zurückgriff, da diese auch für die neu aufgekommenen Fragestellungen keine Hilfe mehr boten. So vollzog sich ein Wandel von Grammatik als pädagogisches und normatives Fach sowie als Schlüssel zum Studium der klassischen Literatur zu einem Fach, das sich vor allem mit philosophischen, theoretischen und spekulativen Fragen beschäftigte und daraus auch ihre Berechtigung bezog. Die zunehmende Vereinigung der Grammatik und der Logik sind insbesondere den Schriften der großen Denker der früher 12. Jahrhunderts wie Anselm von Canterbury (- 1109), Gilbert von Poitier (1154) und Abaelard zu entnehmen.

Des Weiteren führten die Wiederentdeckung der philosophischen Werke des Aristoteles, aber auch der Einfluss der scholastischen Philosophie und die sprachlogische Durchdringung der Grammatik im Werk des Petrus Helias dazu, dass um 1300 die spekulative Grammatik entstand.

Es werden insgesamt drei Stufen der ‚Logisierung der Grammatik’ angenommen. Vorab ist jedoch zu konstatieren, dass eine Logisierung der Grammatik nicht bedeutet, dass die Objekte der Wissenschaft der Grammatik nun den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgten wie jene der Logik, sondern zunächst einmal, dass die Grammatik als Wissenschaft logisch konstruiert und erst durch diese logische Durchdringung, Grammatik als Wissenschaft festgesetzt wird.[11]

Die erste Phase steht in Verbindung mit den Namen William of Conches, Petrus Helias und Ralph de Beauvais. William war der Lehrer von Peter Helias, doch weiß man relativ wenig über seine Arbeit. Helias hingegen, der als der berühmteste Grammatiker des 12. Jahrhunderts gilt, erweiterte die Priscian-Kommentare durch logische Überlegungen, doch vor allem gab er den logischen Termini Aristoteles’ eine eindeutige Definition im grammatikalischen Zusammenhang und konzipierte die Grammatik als eine von der Logik losgelösten und selbstständigen Disziplin.

Über die Zeit zwischen Helias und den Modisten, die rund 100 Jahre nach ihm wirkten, ist man noch im Unwissen hinsichtlich der Entwicklung grammatikalischer Theorien, doch sicher ist, dass in dieser Zeit Vorbereitungsarbeit zur den Theorienbildung der spekulativen Grammatik geleitet wurde. Eine solche Grammatik sieht Sprache vor allem als Spiegel (lat. speculum > daher spekulativ) der Realität, wobei sich Sprache allerdings nicht auf die gesamte Realität und deren Objekte bezieht, sondern auf einen Teil der erkennbaren Realität, denn Sprache fungiert im wesentlichen dazu Erkenntnisse zu formulieren. Es wird daraus eine entscheidende Neuerung zu der vorigen Grammatikschreibung deutlich, denn die spekulative Grammatik hat nicht mehr lediglich deskriptiven Charakter sondern geht erklärend-theoretisch vor. Die bekannteste Gruppe unter den spekulativen Grammatikern waren die Modisten, deren Lehre im 6. Kapitel dargestellt wird. Sie gelten auch als die zweite Generation spekulativer Grammatiker nach William von Conches und den Hochscholastikern.[12]

3. Die Suppositionslehre

Die Suppositionslehre gilt als eine der originellsten Schöpfungen der Scholastik und soll daher hier angeführt werden. Man nimmt für ihre Entstehungszeit die zweite Hälfe des 12. Jahrhunderts an, denn den Quellen nach scheint sie im 13. Jahrhundert bereits bekannt und anerkannt gewesen zu sein.

Vorweg ist anzumerken, dass es keine Entsprechung des Ausdrucks Supposition in der modernen Terminologie gibt. Supposition bedeutet allgemein das Stehen eines Wortes für Verschiedenes, ohne seine Bedeutung zu verlieren, d.h. ein Lexem kann in verschiedenen Kontexten einen andere Referenten besitzen. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass, da die Suppositionslehre in verschiedenen Traktaten dargelegt worden ist, es Abweichungen in der Bedeutung der einzelnen Termini gibt und auch die Einteilungen nicht in allen Traktaten übereinstimmen.

In der Scholastik wird sie definiert als „das Bedeuten von etwas Subsistierendem (significatio alicuius ut subsitentis)“[13], also als etwas, das von sich selbst bestehen kann in ihrer Erscheinung. Die andere Definition bezieht sich auf den Akt, wonach Supposition „die Setzung (ordinatio) eines Gemeinten (intellectus) unter ein anderes“[14] ist, denn nur wenn etwas subsistierend ist, kann es unter etwas anderes gestellt werden. Weiterhin ist die Supposition eine Grundeigenschaft von Termen, den Begrenzungspunkten der Proposition, im engeren Sinne von Subjekt und Prädikat in einer kategorischen Standardaussage.

Die Suppositionstheorie beschreibt die verschiedenen Modi der Supposition, die je nach Prädikation und Kontext verschieden sein können. So gibt es einmal eigentliche Suppositionen (suppositio propria) wozu die personale (suppositio personalis), die einfache (suppositio simplex), die materiale (suppositio materialis) und die formale Supposition (suppositio formalis) gehören. Daneben gibt es Fälle von uneigentlicher Prädikation (suppositio impropria) wie der metaphorische oder poetische Gebrauch. Die personale Supposition bezeichnet einen Terminus, der für seine Einzelinstanzen steht, so wie z.B. Mensch für den einzelnen Menschen steht.

[...]


[1] Siehe die Arbeit von Claudia Fischer: Modus und Modalität.: 8.

[2] Siehe die Arbeit von Daniela Ohlenschlegel: Root modality.:7.

[3] Siehe die Arbeit von Andea Raabe: Polarität und Pragmatik im Italienischen.:4/5.

[4] Ebd.:

[5] Siehe die Arbeit von Sohia Lui: 3ff.

[6] möglich- nicht möglich- nicht notwendig nicht nicht möglich- unmöglich- notwendig nicht möglich nicht- nicht unmöglich nicht- nicht notwendig nicht möglich nicht- unmöglich nicht- notwendig alle Ausdrücke in einer Zeile sind äquivalent; Bochénski 1956: 97.

[7] Gombocz 1992: 58.

[8] Das Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und das Quadrivium (Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik), welches danach gelehrt wurde, bilden die Artes liberales, die sieben freien Künste, die der mittelalterlichen Bildung den Curriculum bildeten.

[9] Pinborg 1967: 22.

[10] Bursill-Hall 1971: 23.

[11] Leuniger 1969: 9.

[12] Wolters 1992: 567.

[13] Bochénski 1956: 187.

[14] Ebd.: 186.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Die Modalitätslehre der scholastischen Grammatik und ihr Niederschlag in den romanischen Grammatiken bis zur grammaire générale et raisonnée
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Modalität und Evidentialität in romanischen und anderen Sprachen
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
33
Katalognummer
V68408
ISBN (eBook)
9783638610018
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modalitätslehre, Grammatik, Niederschlag, Grammatiken, Modalität, Evidentialität, Sprachen
Arbeit zitieren
Steffi Kny (Autor:in), 2006, Die Modalitätslehre der scholastischen Grammatik und ihr Niederschlag in den romanischen Grammatiken bis zur grammaire générale et raisonnée, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68408

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