Zweisprachige Erziehung der Kinder im Elementarbereich mit Migrationshintergrund


Examensarbeit, 2006

71 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis Seite

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der Begriff „Zweisprachigkeit“
2.1.1 Arten der Zweisprachigkeit
2.1.1.1 Simultane Zweisprachigkeit
2.1.1.2 Natürliche Zweisprachigkeit
2.2 Theorien zum Zweitspracherwerb
2.2.1 Identitätshypothese
2.2.2 Kontrastivhypothese
2.2.3 Interlanguagehypothese
2.2.4 Interdependenzhypothese
2.3 Zusammenfassung

3. Fördernde und hemmende Einflüsse auf die Zweisprachigkeit
3.1 Der Erwerb der Zweitsprache des Kindes 15
3.1.1 Kann zweisprachige Erziehung eine Überforderung für das Kind sein?
3.2 Die Wichtigkeit der Muttersprache für Migrantenkinder
3.3 Zusammenfassung

4. Sprachliche Sozialisationsinstanzen
4.1 Die Rolle der Eltern
a) Mit dem Kind so viel wie möglich sprechen
b) Sprachmischungen vermeiden
c) Beide Sprachen mit gleicher Zuwendung nahe bringen
4.1.1 Bildung und sozioökonomische Rahmenbedingungen der Eltern
4.1.2 Literacy-Erfahrung
4.2 Die Rolle des Kindergartens
4.2.1 Sprachförderung im Kindergarten
4.2.2 Erzieherinnen als Vorbild
4.2.3 Einbeziehung der Familiensprachen der Kinder in die Einrichtung
4.2.4 Elternarbeit
4.3 Sprachliche Förderkonzepte
4.3.1 HIPPY - Home Instruction Program for Preschool Youngsters
4.3.1.1 Ziele von HIPPY
4.3.1.2 Der Aufbau von HIPPY
4.3.1.3 Der Umgang von HIPPY mit Zweisprachigkeit
4.3.2 Mama lernt Deutsch
a) Lerngruppen
b) Materialien
c) Methoden
4.3.3 „Rucksack“-Projekt
4.3.4 „SISMIK - Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern im 52 Kindergarten“
a) Beobachtung des Ist-Zustandes
b) Teilnahme der Kinder an sprachbezogenen Aktivitäten
c) Sprachbezogene Situation
d) Einschätzung von Sprachkompetenzen
e) Familie und Familiensprache
4.3.5 Das Projekt Interkulturelle Elternarbeit (IEA)
Die deutsch- t ü rkischen Elternbriefe
4.3.6 PIQUE - Projekt Interkulturelle Qualifizierung für Erzieherinnen
4.4 Zusammenfassung
5. Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Die Pisa-Studien aus den Jahren 2000 und 2003 haben dargelegt, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Deutschland insgesamt niedrigere Schulleistungen zeigen als einheimische Kinder. Als wichtigster Grund werden hierfür Defizite im Erwerb der deutschen Sprache ausgemacht. Da die betroffenen Kinder keine ausreichende sprachliche Förderung erhalten haben, zeigen sie Schwächen in allen Schulfächern. Um dem wirkungsvoll begegnen zu können, wird gegenwärtig besonders die Bedeutung einer möglichst frühen Sprachförderung - also mit Eintritt in den Kindergarten und nicht erst bei Schuleintritt - diskutiert.

In den letzten Jahrzehnten hatte Sprachförderung im Elementarbereich keinen angemessenen Platz. Die Erzieherinnen wurden für die sprachlichen Probleme der Kinder, mit denen sie im Kindergarten konfrontiert werden, nicht ausgebildet. Deshalb konnten sie den sprachlichen Mängeln nicht entsprechend begegnen (Merkel 2005a, 10). Kinder mit Sprachauffälligkeiten wie Stottern oder fehlerhafter Aussprache wurden an Sprachtherapeuten überwiesen, bei den übrigen Kindern wurde davon ausgegangen, dass sich der Spracherwerb durch das „Sprachbad“ im Kindergartenalltag von allein entwickeln würde (ebd., 11). Diese Auffassung ist gegenwärtig jedoch mehr als umstritten und es wurden zahlreiche Methoden zur Sprachförderung im Elementarbereich entwickelt, die in die tägliche Arbeit im Kindergarten integriert werden sollen (siehe Ulich et al. 2005a).

Bedingt durch mein Studium des Zweitfaches „Deutsch als Fremdsprache/ Deutsch als Zweitsprache (DaF/ DaZ)“ und meinen eigenen Migrationshintergrund, interessiere ich mich für die Erziehung der in Deutschland lebenden Kinder mit nicht deutscher Muttersprache im Elementarbereich. Daher möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit mit den Grundlagen und Theorien des Zweitspracherwerbs ebenso befassen wie mit Fördermaßnahmen, die bereits im Kindergartenalltag und im Elternhaus zweisprachiger Kinder durchgeführt werden können. Der Schwerpunkt meiner Ausführungen liegt dabei auf Kindern mit Migrationshintergrund, die Deutsch als Zweitsprache erwerben im Gegensatz zu Kindern, die bereits von Geburt an zwei- bzw. doppelsprachig aufwachsen. In der Arbeit sollen wesentliche theoretische Grundlagen insoweit dargestellt werden, als sie für die praktische Arbeit im Kindergarten von Bedeutung sind. Die Arbeit gliedert sich daher in drei Bereiche:

Im 1. Teil werden theoretische Grundlagen des Begriffs „Zweisprachigkeit“ skizziert, was insbesondere deshalb notwendig erscheint, da der Begriff sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der umgangssprachlichen Verwendung uneindeutig erscheint. Es sollen hier vor allem die Begriffe „simultane“ und „natürliche“ Zweisprachigkeit voneinander abgegrenzt und anschließend Hypothesen zum Zweitspracherwerb vorgestellt werden.

Im 2. Teil werden spezielle Aspekte der Entwicklung zweisprachiger Kinder dargestellt, wobei insbesondere auf die zweisprachige Entwicklung fördernde und hemmende Aspekte sowie die Bedeutung der „Muttersprache“ eingegangen werden soll.

Im 3. Teil werden die sprachlichen Sozialisationsinstanzen näher erläutert. Hierzu zählen das Elternhaus ebenso wie der Kindergarten und hier noch einmal speziell die jeweiligen sprachlichen Förderkonzepte, die berücksichtigt oder durchgeführt werden.

Ziel meiner Arbeit ist es, darzustellen, wie zweisprachige Kinder mit Migrationshintergrund im Kindergarten und im Elternhaus gefördert werden sollten. Es wird versucht, Hindernisse ebenso wie geeignete Fördermaßnahmen für die zweisprachige Erziehung herauszuarbeiten. Darüber hinaus sollen auch solche Projekte dargestellt werden, die auf dem Weg über die Eltern versuchen, insbesondere auf die schulischen Leistungen von Migrantenkindern präventiv einzuwirken.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Der Begriff „Zweisprachigkeit“

Heute sprechen täglich 70 Prozent der Menschheit mehr als eine Sprache und 50 Prozent der Kinder dieser Welt in der Schule andere Sprachen als im Elternhaus. In Deutschland wachsen 20 Prozent der Kinder zweisprachig auf (Günther/Günther 2004, 44).

Die Definition des Begriffs „Zweisprachigkeit“ erweist sich dennoch nach wie vor als schwierig; der Begriff wird daher auch in der Fachliteratur nicht eindeutig verwendet. So wird einerseits von Zweisprachigkeit bereits dann gesprochen, wenn „ in minimalem Umfang eine andere Sprache als die Muttersprache verwendet wird “ (MacNamara 1986, zitiert nach Kupfer- Schreiner 1994, 47). Andere Autoren sprechen von Zweisprachigkeit hingegen erst dann, wenn sich die jeweilige Person in beiden Sprachen „ wie in der Muttersprache “ ausdrücken kann (Bloomfield 1933, in: Günther/Günther 2004, 36). Nach dieser Definition wäre die Zahl der zweisprachigen Menschen auf der Welt sehr gering (Triarchi 2003, 20). In ihr kommt Montanari zufolge jedoch die alte Vorstellung zum Ausdruck, dass Zweisprachige zwei Einsprachige in einer Person seien (1+1=2) (Montanari 2005, 16). Demzufolge ist es vorstellbar, dass ein Kind zwei Erstsprachen gleichzeitig auf hohem bzw. gleichem Niveau erwirbt, wenngleich, in der Realität regelmäßig eine der beiden Sprachen besser gesprochen und beherrscht wird. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass ein gleichzeitiger Erwerb zweier Sprachen speziell in Grenzregionen ein natürliches Ereignis ist. So gibt es z.B. in der deutsch-dänischen Grenzregion viele Menschen, die sich sowohl in Deutsch als auch in Dänisch ausdrücken können (Apeltauer 1997, 11).

Die Schwierigkeit, Zweisprachigkeit zu definieren, zeigt sich auch dort, wo mit verfeinerten Begriffsinstrumentarien gearbeitet wird. Zweisprachigkeit wird dann oft als Bilingualismus oder Gebrauch zweier Sprachen (bi= zwei; lingua=Sprache) bezeichnet (Günther/Günther 2004, 36). Für MacNamara ist jeder Mensch bilingual, der minimale Fähigkeiten im Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben in einer anderen Sprache vorweisen kann (MacNamara 1967, Günther/Günther 2004, 37). So wären fast alle Menschen auf der Welt zweisprachig (Triarchi 2003, 20) und sogar

Touristen könnten - mit rudimentären Kenntnissen - zur Gruppe der zweisprachigen Personen gehören (Apeltauer 1997 in: Jampert 2002, 64). Nach der Definition von Weiss kann eine Person dagegen als zweisprachig angesehen werden, wenn sie beim Gebrauch der Zweitsprache nicht aus der Muttersprache übersetzt (Weiss 1959, in: Fthenakis, 1985, 15). Für Mackey (1968) hingegen ist ein entscheidendes Kriterium von Zweisprachigkeit die Verwendung von zwei oder mehr Sprachen je nach Person, mit der kommuniziert wird (Lengyel 2001, 14). Nach Oksaar ist eine Person zweisprachig, wenn sie die Fähigkeit besitzt, den Code „automatisch“ zu wechseln (Oksaar 1971 in: Fthenakis, 1985, 16).

Die angeführten Beispiele zeigen das breite Spektrum möglicher Definitionen auf. Ich selbst möchte Zweisprachigkeit in dieser Arbeit in der Mitte der Extreme positionieren: So bezeichne ich eine Person dann als zweisprachig, wenn sie sich in zwei Sprachen verständlich ausdrücken und an Gesprächen in ihrer Umgebung durch die Kompetenzen Hören/Verstehen und Sprechen in einem Maße teilnehmen kann, das für sie selbst und für ihre Gesprächspartner zufriedenstellend ist. Ob sie also allen bzw. besonders komplizierten Gesprächen folgen oder sich fehlerlos ausdrücken kann, hängt von den (sprachlichen) Bedingungen ab, unter denen sie gerade lebt, bzw. von den Personen, mit denen sie in einen sprachlichen Austausch tritt. Die Fähigkeit, sich verständlich in beiden Sprachen auszudrücken, muss sich durch den Kontakt mit der zweisprachigen Umgebung und durch die emotionalen, psychischen und soziokulturellen Voraussetzungen der Person entwickelt haben (Triarchi 2003, 20) und ist in deren Zusammenhang zu bewerten. Zwei Beispiele sollen dies veranschaulichen:

Kemal ist acht Jahre alt und besucht die zweite Klasse. Zu Hause wird T ü rkisch und Deutsch gesprochen, sie sind eine gro ß e Familie. Seine Klassenlehrerin findet, dass er im Unterricht sehr gut mitmacht und bei den Hausaufgaben wenige Fehler macht. Das Gespr ä ch beim Telefonieren mit den Verwandten in der T ü rkei klappt nicht immer, aber auf T ü rkisch erz ä hlt er tolle Witze. (Montanari 2005, 15). Montanari behauptet, dass Kemal trotz seiner Sprachdefizite im T ü rkischen zweisprachig ist (ebd.). Selma kam mit neunzehn Jahren nach Deutschland und heiratete ihren Landsmann, der bereits viele Jahre in Deutschland lebt. Es sind f ü nfzehn Jahre vergangen und sie haben Kinder bekommen, die zur Schule gehen. Selma hat Schwierigkeiten, sich mit den Lehrern ihrer Kinder zu unterhalten. Sie kann das meiste verstehen, was die Lehrer zu ihr sagen, kann sich aber kaum ausdr ü cken. Trotz ihres f ü nfzehnj ä hrigen Lebens in Deutschland kann sie nicht als zweisprachige Person betrachtet werden, weil ihre Sprachdefizite sie von der Teilnahme am t ä glichen zweisprachigen Leben ausschlie ß en. Sie spricht mit ihrem Mann, den Kindern, Verwandten und Freunden nur in der Heimatsprache (Triarchi 2003, 21).

Ebenso uneinheitlich wie die Definition von Zweisprachigkeit ist auch deren Bewertung durch die Wissenschaft, wobei die Annahme, dass sich Zweisprachigkeit überwiegend negativ auf die kindliche Entwicklung auswirke, heute zunehmend der Überzeugung weicht, dass eine zweisprachige Erziehung - wenn sie unter bestimmten Bedingungen stattfindet - sich überwiegend positiv auf die kindliche Entwicklung und insbesondere auf sprachliche/kognitive Prozesse auswirkt.

Eine positive Bewertung findet sich vor allem in der kanadischen, amerikanischen und belgischen Fachliteratur nach 1960. Man geht hier davon aus, dass zweisprachige Kinder eine zweite Sprache „spielend leicht“ erwerben, während einsprachige Kinder sie in der Schule nur mit Mühe erlernen (Kielhöfer/Jonekeit 2004, 9).

Negative Aussagen über Zweisprachigkeit aus der älteren deutschen Fachliteratur vor 1950 beruhen oftmals auf einer emotionalen Ablehnung, während die eher positiven Aussagen rationalen Begründungen folgen.So sah Blocher Zweisprachigkeit als Gefahr an und behauptete, „ dass

Zweisprachigkeit einen gro ß en Aufwand an Zeit und Kraft koste, das Sprachgef ü hl abstumpfe, sie zu Sprachmischung f ü hre und ‚ sittliche Gefahren ’ mit sich bringe. Unter sittlichen Gefahren versteht er bspw. ‚ eine Schw ä chung des Heimatgef ü hls, der Vaterlandsliebe und der Freude am angestammten Volkstum ’ “ (Kupfer-Schreiner 1994, 51).

Andere Autoren benennen als negative Auswirkungen von Zweisprachigkeit z.B. einen geringen Wortschatz in beiden Sprachen und Probleme bei der Begriffsbildung (Apeltauer 1987, 10). Apeltauer bewertet Zweisprachigkeit allerdings nicht allein von den negativen Auswirkungen her; seiner Ansicht nach betreffen mögliche positive Aspekte „ bessere Wahrnehmungsfertigkeiten “ und eine „ h ö here Intelligenz “ - im Vergleich zu Einsprachigen (ebd.).

Als „natürliche“ Folge von Zweisprachigkeit gilt, dass sie zu „ Erweite- rungsm ö glichkeiten mit Mitgliedern anderer Sprachgruppen “ führt (Schönpflug 1977, 144). Ob sie in diesem Zusammenhang allerdings positiv oder negativ bewertet wird, hängt wesentlich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab (Lengyel 2001, 17), sowie davon, welches Prestige der jeweiligen Zweitsprache in ihrer Umgebung zukommt. So stellt Swain fest, dass Zweisprachigkeit nur dann positiv bewertet wird, wenn die Personen „ keiner diskriminierten Minderheit angeh ö ren und die Muttersprache eine Prestigesprache “ ist, d.h. Akzeptanz in der Gesellschaft findet (Swain 1981, in: Kupfer-Schreiner 1994, 50).

2.1.1 Arten der Zweisprachigkeit

Aus dem bisher Gesagten wurde deutlich, dass sowohl die Definition von Zweisprachigkeit als auch deren Bewertung sehr widersprüchlich ausfallen können. Dies liegt u.a. daran, dass der Begriff Zweitspracherwerb sowohl für den simultanen als auch für den natürlichen Zweitspracherwerb verwendet wird (vgl. Günther/Günther 2004, 99). Bevor ich unter Punkt 2.2 daher auf wichtige Theorien zum Zweitspracherwerb eingehe, möchte ich im Folgenden zumindest den „simultanen“ vom „natürlichen“ Zweitspracherwerb unterscheiden.

2.1.1.1 Simultane Zweisprachigkeit

Simultane Zweisprachigkeit liegt dann vor, wenn beide Sprachen von Geburt an gleichzeitig erworben werden (Triarchi 2003, 23; Günther/Günther 2004, 99). Man spricht in diesem Falle auch von„Doppelsprachigkeit“. Dies ist z.B. in binationalen Partnerschaften der Fall, in denen Eltern, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die Entscheidung treffen, ihr Kind zweisprachig zu erziehen. Dabei wird i.d.R. das von Ronjats (1913) entwickelte „Eine-Person-eine-Sprache-Prinzip“ empfohlen (vgl. Kielhöfer/ Jonekeit 2004, 17). Bei der simultanen Zweisprachigkeit besitzt das Kind demnach zwei „Muttersprachen“ bzw. Erstsprachen, die es mit je einer Bezugsperson spricht (ebd. 18). Triarchi (2003), die ihr Kind zweisprachig erzogen hat, betrachtet ausschließlich die simultane Zweisprachigkeit als „echte Zweisprachigkeit“ (Triarchi 2003, 23).

2.1.1.2 Natürliche Zweisprachigkeit

Bei dieser Art von Zweisprachigkeit wird die Zweitsprache in einer natürlichen Umgebung, d.h. im Kontakt mit muttersprachlichen Personen erworben (Triarchi 2003, 24), nachdem der Erstspracherwerb monolingual verlaufen ist (Lengyel 2001, 20). Natürliche Zweisprachigkeit tritt dann ein, wenn im Elternhaus eine andere Sprache gesprochen wird als in der Umgebung, wie im Falle der Migration. Ein weiterer Unterschied zur simultanen Zweisprachigkeit ist, dass die Eltern nicht bewusst entschieden haben, ihr Kind zweisprachig zu erziehen (ebd.).

Die natürliche Zweisprachigkeit wird in der Literatur auch als „ungesteuerter Zweitspracherwerb“ betrachtet (Klein 1992, 28). Man versteht unter natürlicher Zweisprachigkeit bzw. ungesteuerter Zweisprachigkeit „ den Erwerb einer zweiten oder weiteren Sprache ‚ ohne ‚ Unterricht ’ in t ä glichen Kommunikationssituationen mit Partnern, die nur

die zu erlernende Sprache benutzen “ (Schönpflug 1977, 119). Natürliche Zweisprachigkeit lässt sich daher nicht allein gegen simultane Zweisprachigkeit abgrenzen, sondern auch gegen den „gesteuerten Zweitspracherwerb“, der anders als der ungesteuerte Erwerb nicht in der natürlichen Umgebung, sondern im Fremdsprachenunterricht stattfindet (Klein 1992, 31). Daher muss Klein zufolge in beiden Fällen auch zwischen dem Erwerben und dem Lernen einer Sprache unterschieden werden (ebd., 32). „ Der Lerner ist in der ungesteuerten Zweisprachigkeit gleichsam in einer paradoxen Lage: Um kommunizieren zu k ö nnen, muss er die Sprache lernen, und um die Sprache zu lernen, muss er kommunizieren k ö nnen “ (Klein 1992, 28).

2.2 Theorien zum Zweitspracherwerb

2.2.1 Identitätshypothese

Die Identitätshypothese wird in der Literatur auch als L1=L2 bezeichnet (Dulay/ Burt 1974 in: Günther/ Günther 2004, 104). Nach dieser Hypothese spielt es für den Zweitspracherwerb keine Rolle, ob zuvor bereits eine Sprache gelernt wurde oder nicht (Klein 1992, 36), da der Erwerb einer zweiten Sprache nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten verläuft wie der Erwerb der ersten Sprache (Günther/ Günther 2004, 104). Die Vertreter der Identitätshypothese gehen daher von einer Identität angeborener kognitiver/mentaler Prozesse beim Erst- und Zweitspracherwerb aus (Zimmermann 1991, 4). Fehler beim Zweitspracherwerb entstehen ihrer Ansicht nach nicht durch Interferenzen oder falsche Regelableitungen von der ersten zur zweiten Sprache, sondern aus der Zweitsprache selbst - identisch zum Erstspracherwerb. Zu den bekanntesten Vertretern gehören Jakobisch, Burt and Dulay, Wode, Erwin-Tripp (vgl. Klein 1992, 36). Ein erfolgreicher Zweitspracherwerb kann dieser Hypothese zufolge daher nicht in Abhängigkeit vom Erfolg des Erstspracherwerbs angesehen werden, sondern die Zweitsprache wird so gut erlernt, wie sie in der jeweiligen Lernumgebung gesprochen wird. Daher ist es für einen Erwachsenen auch ungewöhnlich, eine zweite Sprache akzentfrei zu sprechen (Klein 1992, 36).

2.2.2 Kontrastivhypothese

Im Gegensatz zur Identitätshypothese geht die Kontrastivhypothese davon aus, dass der Erstspracherwerb den Zweitspracherwerb beeinflusst, da bereits erlernte Strukturen der Erstsprache auf die zweite Sprache übertragen werden (Zimmermann 1991, 5). Die erstsprachlichen Gewohnheiten werden auf die Zweitsprache fehlerfrei übertragen, wenn beide Sprachen identische Regeln und Strukturen aufweisen. Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sprachen führen zu „ positiven Transfers “. Unterschiedliche Elemente und Regeln der beiden Sprachen führen zu Lernschwierigkeiten und so wird von einem negativen Transfer gesprochen (Günther/ Günther 2004, 105). „ Je ä hnlicher sich die beiden Sprachen sind, umso leichter ist es, die Zweitsprache zu erwerben; je weiter die Sprachen auseinander liegen, umso schwieriger ist es “ (Kupfer- Schreiner 1994, 39). Die Kontrastivhypothese wird in der Literatur auch als „Transfer-Hypothese“ bezeichnet (Günther/Günther 2004).

2.2.3 Interlanguagehypothese

Der Begriff „Interlanguage“ wurde von Selinker (1969 in: Günther/ Günther 2004, 105; 1972 in: Klein 1992, 40) eingeführt. Im Deutschen wird hierfür auch die Bezeichnung „Interimssprache“ verwendet (http://de.wikipedia. org/wiki/Interimssprache), wodurch betont wird, dass es sich um einen noch im Wandel befindlichen Spracherwerb handelt, der durch das ständige Bilden, Überprüfen und Verwerfen von Hypothesen durch den Lerner gekennzeichnet ist.

So wird der gesamte Zweitspracherwerb von Vertretern der Interlanguagehypothese als „ eine Reihe von Ü berg ä ngen von einer Lernvariet ä t zur n ä chsten “ betrachtet. Die Strategien des Lernens und Kommunizierens unterliegen dabei wichtigen psycholinguistischen Prozessen (Kupfer-Schreiner 1994, 41). „ Mit Hilfe der Lernstrategien bildet der Lerner hypothetische Regeln, ü berpr ü ft und revidiert sie. Mit Hilfe der Kommunikationsstrategien erweitert er seine kommunikativen M ö glichkeiten in den Situationen, in denen seine Interlanguage f ü r seine Kommunikationsbed ü rfnisse noch nicht ausreicht “ (Hedy 1990, 21 zit. nach Kupfer-Schreiner 1994, 43). Der Zweitspracherwerb gleicht der Interlanguagehypothese zufolge dem Erstspracherwerb darin, dass es auf dem Weg zur Zielsprache infolge der Hypothesenbildungen zu zahlreichen Regelverletzungen kommt; er unterscheidet sich vom Erstspracherwerb im Wesentlichen darin, dass die Hypothesen sich bereits stärker auf sprachliche Erscheinungsweisen (Morpheme) selbst beziehen und weniger wie beim Erstspracherwerb - aus einem kontextbezogenen Sprachgebrauch abzuleiten sind. Die einzelnen Stufen werden sowohl von der Erstsprache als auch von Übergeneralisierungen beeinflusst.

2.2.4 Interdependenzhypothese

Diese Hypothese wurde vor mehr als zwei Jahrzehnten von Jim Cummins formuliert. Die Hypothese besagt, dass die sprachliche und kognitive Entwicklung des Menschen von der Muttersprache abhängig ist und die Erstsprache während des frühen Zweitspracherwerbs eine wesentliche Rolle spielt. Das Niveau, das das zweisprachige Kind in der zweiten Sprache erreichen kann, ist demnach von seinen Kompetenzen in der Muttersprache abhängig. Die zweite Sprache des Kindes entwickelt sich auf dem Fundament der ersten Sprache; daher wird sich eine Förderung in der Muttersprache ebenfalls positiv auf den Erwerb der Zweitsprache auswirken. Wird die Muttersprache hingegen vernachlässigt oder wird das Kind in seiner Erstsprache abgewiesen, bzw. erlangt es hierin bereits nur defizitäre Kenntnisse, so kann diese Behinderung negative Folgen für den Zweitspracherwerb verursachen (Küpelikilinc in: http://bebis.cidsnet.de/faecher/feld/inter- kultur/llw/praxisbeispiele/raa/lexikon/indehyp.htm) Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn dem Kind bei Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule eine Sprachnorm entgegentritt, die ein monolinguales Verhalten verlangt und eine weitere Entwicklung auch in der Erstsprache verhindert.

2.3 Zusammenfassung

Zweisprachigkeit wird häufig als modernes Problem angesehen, hat aber eine lange Tradition. Dennoch ist das Phänomen gerade seit dem vergangenen Jahrhundert, das häufig auch als „Jahrhundert der Migration“ bezeichnet wird, von dringlichstem Interesse. Denn der Erwerb einer Zweitsprache - ob nun simultan oder natürlich - lässt sich insbesondere seit den Migrationswellen des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr als Privileg gebildeter Schichten verstehen, sondern als existenzielles Problem, das über den schulischen, beruflichen und sozialen Status großer Bevölkerungsschichten entscheidet. Und die Tatsache, dass gegenwärtig 70 Prozent der Menschheit alltäglich mehr als eine Sprache verwenden, muss zwangsläufig zu einer intensiveren Auseinandersetzung damit führen, wie insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten im Erwerb von Zweitsprachen gefördert werden können, welche Maßnahmen hierzu förderlich sind und welche sich als hemmend erweisen. Tatsächlich musste aber zunächst festgestellt werden, dass sich die Forschung in der Definition von Zweisprachigkeit ebenso uneinig ist wie in deren Bewertung. Daher erschien es notwendig, zunächst verschiedene Verlaufsformen des Zweitspracherwerbs voneinander abzugrenzen und sich einen Überblick über wesentliche Hypothesen des Zweitspracherwerbs zu verschaffen.

Nach der Identitätshypothese werden sprachliche Strukturen und Elemente der zweiten Sprache analog zum Erwerb der ersten Sprache erlernt. Der Erst- und Zweitspracherwerb sind dabei identisch. Dem widersprechen allerdings Beobachtungen aus der Praxis: So lässt sich z.B. feststellen, dass Kinder, die im Alter von 3 Jahren eine Zweitsprache erwerben, bestimmte Stufen des Erstspracherwerbs überspringen, da sie bereits andere kommunikative Strukturen aufgebaut haben. Wenig Bezug wird in dieser Hypothese auch auf die sog. Interferenzen genommen, die beim Zweitspracherwerb immer wieder beobachtet werden. Die Identitätshypothese kann daher im Wesentlichen nur für den simultanen Zweitspracherwerb Gültigkeit erlangen; selbst in diesem Falle kann es aber zu Interferenzen, Regelübertragungen kommen.

Die Kontrastivhypothese geht davon aus, dass sprachliche Erfahrungen der Erstsprache auf die Zweitsprache übertragen werden. Die Übertragung ist dann fehlerfrei, wenn beide Sprachen dieselben Regeln haben. In diesem Falle spricht man von einem positiven Transfer; von einem negativen Transfer spricht man, wenn abweichende Regeln von einer Sprache auf die andere übertragen werden. Auch hier werden meiner Einschätzung nach aber Beobachtungen aus der Praxis vernachlässigt. Dazu gehört z.B. die Erfahrung des Fremdsprachenlehrers, dass es häufig gerade die ähnlichen Strukturen zweier Sprachen sind, die zu Fehlern führen, wogegen besonders klar zu unterscheidende Regelbildungen leichter aufgenommen werden (man denke hier z.B. an die sog. „false friends“ im Englischunterricht). Darüber hinaus wird zu wenig berücksichtigt, dass gerade der kindliche Spracherwerb bis zu einem bestimmten Alter nicht in Formen des „Übersetzens“, also des kontrastiven Vergleichens, erfolgt, sondern dass mehrsprachig erzogene Kinder in der Regel nur eine Sprachregion im Gehirn ausbilden. Die Kontrastivhypothese lässt sich daher wohl vor allem auf einen gesteuerten, schulischen Spracherwerb beziehen.

Der Interlanguagehypothese zufolge wird beim Erlernen der Zweitsprache ein Sprachsystem gebildet, welches Züge der Erst- und Zweitsprache besitzt. Der Einfluss der Erstsprache wird ebenso berücksichtigt wie Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Erwerb der Zweitsprache im Vergleich zum Erstsprachenerwerb. Diese Hypothese scheint mir daher am geeignetsten dort, wo der Zweitspracherwerb im Vorschulalter nach dem Erstspracherwerb erfolgt.

Die Interdependenzhypothese geht davon aus, dass das Erlernen der zweiten Sprache abhängig vom Kenntnisstand in der Muttersprache ist. Die zweite Sprache wird auf der Grundlage der ersten Sprache entwickelt. Wird die Muttersprache der Kinder gefördert, so weisen sie gute Leistungen in der zweiten Sprache auf. Dies deckt sich weitgehend mit Beobachtungen aus der Praxis, denen zufolge Kinder, die ihre Erstsprache nur rudimentär erlernen konnten, kaum eine Chance haben, die Zweitsprache erfolgreich zu lernen oder zu erwerben und hat bereits zu zahlreichen Diskussionen darum geführt, wie insbesondere die Erstsprachen von Kindern mit Migrationshintergrund in den institutionellen Rahmen von Kindergarten und Schule sinnvoll einbezogen werden können. Die Interdependenzhypothese erscheint daher ebenfalls vor allem dort nachvollziehbar, wo Kinder nicht simultan, sondern zeitlich nacheinander zwei oder mehr Sprachen erlernen, wobei der Muttersprache nur eine untergeordnete Funktion in ihrer schulischen Sozialisation zukommt.

3. Fördernde und hemmende Einflüsse auf die Zweisprachigkeit

Die unter Punkt 2.2 dargestellten Hypothesen gehen im Wesentlichen auf einen Spracherwerb ein, der nicht simultan verläuft. Diese Form des Zweitspracherwerbs soll im Folgenden noch einmal in Bezug auf hemmende und fördernde Aspekte dargestellt werden. Dabei wird auf die Bedeutung, die dem Erwerb der Erst- bzw. Muttersprache zukommt ebenso eingegangen wie auf allgemeine Voraussetzungen einer erfolgreichen Zweisprachigkeit.

3.1 Der Erwerb der Zweitsprache des Kindes

Wie bereits erwähnt, muss zwischen einem simultanen Erwerb und einem zeitlichen Nacheinander des Erwerbs zweier oder mehrerer Sprachen unterschieden werden. Im Folgenden möchte ich mich vor allem auf den Zweitspracherwerb von Migrantenkindern beschränken, die die zweite Sprache erst im Alter von etwa drei Jahren - also in der Regel bei Eintritt in den Kindergarten - erwerben.

Der Erwerb der Zweitsprache unterscheidet sich in seiner Regelhaftigkeit nur wenig vom Erstspracherwerb. Das Migrantenkind benutzt allerdings bereits sein Vorwissen und seine Vorerfahrung, um in der neuen Sprache zu kommunizieren, soziale Kontakte zu knüpfen, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen und die deutschen Kinder kennen zu lernen. Es erwirbt die deutsche Sprache im Rahmen einer natürlichen Lernumgebung (siehe Kapitel 2.1.1.2). Von außen gesehen erscheint dies häufig wie eine Selbstverständlichkeit, eine Art Spiel, in dem das Kind nahezu unbewusst aufnimmt, dass die Sprache durch Sätze gebildet wird, dass Kommunizieren nicht einfach durch zufälliges Ordnen von Wörtern geschieht, sondern nach bestimmten Regeln verläuft (Ulich/ Oberhuemer 2005, 18).

Wenn Kinder die neue Sprache beim Spielen hören, so integrieren sie sich sofort und passen sich an, weil sie mitspielen wollen. „ Sie versuchen, irgendwie mitzumachen, imitieren, gestikulieren und setzen sich notfalls auch nonverbal durch “, was Erwachsene kaum tun würden, weil sie sich lächerlich vorkämen (Apeltauer 1997, 12). Durch diese spielerische Konfrontation mit seinem Umkreis entwickelt das Kind seine Denkfähigkeit, seine Phantasie (Friedrich 2003, 119) und erwirbt erste Kenntnisse in der neuen Sprache. Doch das „Sprachbad“ allein scheint für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb nicht ausreichend, insbesondere dann nicht, wenn das Kind ausschließlich im Kindergarten Deutsch spricht. Daher sind zusätzliche fördernde Maßnahmen erforderlich. Diese lassen sich unterteilen in Maßnahmen, die das allgemeine Sprachverhalten in der gesamten Gruppe betreffen und solche, die eine gezielte Förderung einzelner Kinder zum Inhalt haben. Zu den allgemeinsten Voraussetzungen gehört unbedingt die Schaffung einer sprachanregenden Umgebung, in der das Kind die neue Sprache ungezwungen erwerben und seine Kenntnisse ausprobieren kann. So muss sich der Zweitspracherwerb Deutsch an folgenden Prinzipien orientieren (vgl. Günther/ Günther 2004, 129- 130):

1. Beim Erlernen der Zweitsprache sprechen die Kinder nicht nur das nach, was vorgesprochen wird, sondern ordnen selbständig Wörter nach ihrer individuellen Situation.
2. Da die Kinder ihre Erfahrungen und das Wissen aus dem Erstspracherwerb auf den Zweitspracherwerb beziehen, nutzen sie ihre
gemachten Erfahrungen wie z.B. Aufbau der Lautbildung, Wortschatz und Satzbau. Deshalb besitzen diese Kinder oft die Fähigkeit, den Spracherwerbsprozess der zweiten Sprache Deutsch bestimmter zu gestalten
3. Das Kind erwirbt seine zweite Sprache nicht in einer Reihenfolge, die vorgegeben ist, sondern es nähert sich der Zielsprache an.
4. Kinder besitzen im Kindergarten unterschiedliche Sprachniveaus. Einige Kinder, die bereits über ausreichendes Sprachverständnis verfügen und sich in der Umgebung sicher fühlen, sprechen nach ein paar Monaten, andere versuchen mitzumachen und „irgendwie“ zurechtzukommen. Hier gilt die Regel, den Kindern sprachliche Angebote zu machen, sich ihnen dabei auch emotional zuwenden; sie aber auf keinen Fall zu zwingen, das Gesagte in irgendeiner Form nachzusprechen bzw. sich in der Zweitsprache zu äußern.

Insgesamt lassen sich die verschiedenen Regeln wohl auf den gemeinsamen Nenner bringen, dass im alltäglichen Sprachverhalten im Kindergarten sozial-kommunikative und emotionale Aspekte im Vordergrund stehen sollten, die vor allem die Motivation des Kindes anregen, sich am allgemeinen Gruppengeschehen auch sprachlich zu beteiligen und somit die Selbstbildungsprozesse des Kindes anregen sollen, anstatt allein auf gesteuerte Unterweisung in isolierten Fördermaßnahmen zu setzen. Darüber hinaus erscheint es von besonderer Bedeutung, sich klar zu machen, dass Spracherwerb nicht nur den Erwerb von Wörtern und grammatischen Regeln umfasst, sondern die gesamte Sozialisation des Kindes betrifft.

Die beiden Sprachen beeinflussen wesentlich die kognitive Entwicklung des Kindes. So lernt ein zweisprachiges Kind für jede Bedeutung zwei Begriffe (Triarchi 2003, 51). Es könnte aber sein, dass manchmal die Bedeutungen in beiden Sprachen nicht gleich sind. Das türkische Wort „ fırça “ (artikuliert wird: firtdscha = B ü rste) z.B. hat drei unterschiedliche Bedeutungen: “ elbise fırç as ı“ , „ dişfırç as ı“ und „ boya fırçası“ . Auf Deutsch wird das Wort „ Bürste “ nurfür „ Kleiderb ü rste “ und „ Zahnbürste “ benutzt.

F ü r die Bedeutung des Wortes „ boya f ı r ç as ı“ verwendet man in der deutschen Sprache kein Wort in Verbindung mit „ B ü rste “ , wie z.B. “ Malb ü rste “ , sondern das Wort „ Pinsel “ . Durch mögliche Vergleiche werden die Sprach- und Denkfähigkeit des Kindes und die Wahrnehmung feiner Unterschiede gefördert. Das Leben des Kindes wird mit Begriffen und deren Bedeutungen in beiden Sprachen - bestenfalls - bereichert (ebd. 52). Doch nicht nur die kognitive Entwicklung wird beeinflusst, bzw. von zwei Seiten „genährt“; auch die kulturelle Identität des Kindes wird durch die Zweisprachigkeit entscheidend mitgeprägt. Inwieweit das Kind diese „Zweiseitigkeit“ seiner Identität dabei als „gesund“, als „normal“, als erwünscht erfährt und erlebt, hängt dabei wesentlich auch davon ab, wie sein Umfeld darauf reagiert; zu den entscheidendsten Faktoren zählen hier u.a. das Elternhaus, das das Kind in seiner zweisprachigen wie interkulturellen Erfahrung unterstützt oder hemmt; der Kindergarten/ die Schule, die nicht rein monolingual ausgerichtet sind und in denen Sprachen nicht in „prestigevolle“ und „prestigelose“ eingeteilt werden; aber auch breiter gestreute Aspekte wie z.B. welche Freundschaften geschlossen werden oder ob das Kind über andere Anregungen wie Reisen, Literatur usw. seine eigene Zweisprachigkeit als produktiv erfahren kann, sind hier von Bedeutung.

Speziell die Erfahrungen, die das Kind in einer monolingual ausgerichteten Umgebung mit seiner Zweisprachigkeit und seinem Aufwachsen zwischen den Kulturen macht, sind wesentlich auch für sein psychisches Gleichgewicht und damit für die Frage, ob Zweisprachigkeit zu einer Überforderung für Kinder werden kann, entscheidend. Auf diesen Punkt möchte ich daher im Folgenden noch ausführlicher eingehen.

3.1.1 Kann zweisprachige Erziehung eine Überforderung für das Kind sein?

In der Fachliteratur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde häufig die Auffassung vertreten, dass Zweisprachigkeit eine Gefahr für das Kind darstelle, da sie für den kindlichen Spracherwerb sowie für die kognitive

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Details

Titel
Zweisprachige Erziehung der Kinder im Elementarbereich mit Migrationshintergrund
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Examensarbeit im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an öffentlichen Schulen
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
71
Katalognummer
V68311
ISBN (eBook)
9783638594462
Dateigröße
775 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Examensarbeit im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an öffentlichen Schulen
Schlagworte
Zweisprachige, Erziehung, Kinder, Elementarbereich, Migrationshintergrund, Examensarbeit, Rahmen, Staatsprüfung, Lehramt, Schulen
Arbeit zitieren
Nuran Ozan (Autor:in), 2006, Zweisprachige Erziehung der Kinder im Elementarbereich mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68311

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