Die Philosophie Friedrich Nietzsches


Zwischenprüfungsarbeit, 2000

20 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
Der Begriff des Leidens
Die griechische Tragödie als Heilmittel
Die Wissenschaft als Heilmittel

III. Genealogie der Moral
Dionysische Lehre versus asketisches Ideal
Erste Abhandlung
Zweite Abhandlung
Dritte Abhandlung

IV. Schluss

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Nietzsche entwickelt bereits in seiner Erstschrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ die für sein Denken und seine Philosophie tragenden Ideen und Gedanken, die dann in den späteren Werken noch eine Vertiefung erfahren. In dieser Hausarbeit soll es darum gehen, einige der Grundgedanken der Geburt der Tragödie darzustellen und zu untersuchen, inwieweit sie in der Genealogie der Moral einem seiner Spätwerke, noch eine Rolle spielen. Dabei wird ein grundlegender Gedanke der Geburt der Tragödie die, aus der Perspektive der Kunst vorgenommene Kritik an der Wissenschaft und an der Wissenschaftsgläubigkeit zur Zeit Nietzsches sein. Dabei spielt der Begriff des Leidens eine zentrale Rolle.

Im ersten Teil der Arbeit wird es darum gehen, die in der Geburt der Tragödie eingeführten Begriffe der Wahrheit und des Wissens, bzw. der Erkenntnis zu erläutern. Dabei werden Nietzsches Auffassung der dionysischen Wahrheit als dem Menschen einzig erlebbare und damit erkennbare Wahrheit eingeführt, sowie die damit verbundenen Begriffe der Heiterkeit und des Leidens.

Den zweiten Teil der Arbeit wird die Auseinandersetzung mit der Genealogie der Moral einnehmen, wobei der Akzent auf der zuvor im ersten Teil der Arbeit aufgeworfenen Problematik und Kritik der Wissenschaft und der damit verbundenen besonderen Rolle des Leidens liegt. Hatte Nietzsche in der Geburt der Tragödie seine Kritik aus der Perspektive der Kunst vorgenommen, so kommt im Spätwerk die Auseinandersetzung mit dem moralischen Phänomen hinzu. Dabei soll dargestellt werden, inwieweit der Begriff der Wahrheit immer noch als metaphysischer Glaube über jegliche Wissenschaft schwebt und insofern gerade auch die Moral nicht frei von diesem Glauben ist.

II. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

In der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik[1] stellt Nietzsche eine epochengeschichtliche Entwicklung der Kunst dar, die ihren Höhepunkt im Zusammentreffen zweier Kunstauffassungen in der griechischen Tragödie findet. Er wendet sich damit gegen die zu seiner Zeit vorherrschende Wissenschaft der Ästhetik, da er die theoretisch begriffliche Erkenntnis nicht für das geeignete Mittel hält, das Wesen der Kunst in adäquater Weise zu beschreiben. Da die Sprache und damit die Begriffe selbst zur Welt der Erscheinungen gehören, läßt sich mit ihnen nicht ins Innere der Welt und der Kunst vordringen. Nietzsche geht es aus diesem Grunde um einen anderen, inneren Zugang zur Kunst, bei dem die Erfahrung des Menschen eine besondere Rolle spielt. Sein Ansatz basiert gerade nicht auf dem Vernunftvermögen des Menschen - wie vorher bei Kant - sondern setzt bei der Leiblichkeit des Menschen an. Nietzsche spricht in diesem Zusammenhang auch von der „großen Vernunft des Leibes“, die er gegen „die kleine Vernunft“, den Logos, absetzt.[2]

Hieraus leitet er im weiteren Verlauf des Werkes sein Hauptanliegen ab, welches in der Kritik an der Wissenschaft der Ästhetik, aber auch in einer allgemeinen Kritik an der Wissenschaft besteht. Gerade die griechische Tragödie stellt für ihn den Höhepunkt der Kunstentwicklung dar, denn sie vereint in sich die für die Kunstauffassung Nietzsches maßgeblichen Aspekte des Apollinischen und des Dionysischen. In diesen aus der griechischen Götterwelt entlehnten Begriffen des Dionysischen und des Apollinischen spiegelt sich für Nietzsche das Wesen der Welt und damit der für die Welterkenntnis maßgebliche Zugang. Sie bezeichnen zwei grundlegende sich gegenseitig widerstrebende Kräfte in der Natur, die jeweils eine bestimmte Kunstauffassung repräsentieren. So steht das Apollinische für die plastische Kunst, für die Kunst der Form und des schönen Scheins, die dionysische Kunst hingegen steht für die Musik, die Lyrik und das grenzüberschreitend Rauschhafte. Dieser Gegensatz findet sich auch im Menschen wieder. Nietzsche beschreibt zwei Bewusstseinszustände, in denen der Mensch jeweils die eine oder andere Kunstart wahrnimmt oder hervorbringt. Zum einen wird der Traum als das Scheinhafte und damit Apollinische dargestellt, zum andern benennt er den Rausch als das grenzüberschreitend Dionysische.

Es erhebt sich die Frage, warum gerade diese Auffassung etwas über das Wesen der Welt aussagen sollte. Handelt es sich nicht auch bei Nietzsche um eine Setzung zweier Begriffe? Wie unterscheidet sich seine Auffassung von der theoretischen Wissenschaft seiner Zeit, von der er sich abzusetzen sucht?

Für Nietzsche ist eine Erkenntnis, die etwas über das Wesen der Welt aussagen soll, stets mit der Erfahrung des Menschen vermittelt. Dies wird besonders in Nietzsches Schrift „Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen“ deutlich. Insbesondere Heraklid gilt ihm als ein Philosoph, dessen Intuition er hervorhebt und damit verbunden den Ausspruch Heraklids „Mich selbst suchte und erforschte ich[3]. Dagegen setzt er Parmenides, dem die begriffliche Erkenntnis die Höchste ist und der alle Sinneswahrnehmung als Täuschung und Schein erklärt und wendet sich damit gegen eine logozentrische Weltanschauung, die dem Geist im Sinne einer ordnenden Weltvernunft den Vorrang vor dem Leben gibt. „Während in jedem Worte Heraklit´s der Stolz und die Majestät der Wahrheit, aber der in Intuitionen erfaßten, nicht der an der Strickleiter der Logik erkletterten Wahrheit, sich ausspricht, während er, in sibyllenhafter Verzückung schaut, aber nicht späht, erkennt, aber nicht rechnet: ist ihm in seinem Zeitgenossen Parmenides ein Gegenbild an die Seite gestellt, ebenfalls mit dem Typus eines Propheten der Wahrheit aber gleichsam aus Eis und nicht aus Feuer geformt und kaltes, stechendes Licht um sich ausgießend.“ [4] Nietzsches Begriffe des Apollinischen und Dionysischen sind als Bewusstseinszustände des Menschen hingegen, anders als die theoretischen Begriffe der Wissenschaft, vom Menschen erlebbare Wirklichkeit. In der Selbsterfahrung hat der Mensch einen Zugang zu dem, was das Wesen der Welt ausmacht, und was Nietzsche später als „Willen zur Macht“ bestimmt.

Der Begriff des Leidens

Für Nietzsche ist das Leben durch Leiden gekennzeichnet. Nietzsche hebt sich vom Christentum ab, dass das Leiden als Konsequenz, der durch die Erbsünde verursachten Schuld, versteht. In der griechischen Tragödie findet gerade die Erkenntnis, dass die Welt an sich widersprüchlich ist und damit Leid unvermeidbar, ihren Ausdruck. Das Unheil wird nicht als selbstverschuldet, sondern als schon im Wesen der Dinge liegend, als ontologische Grundgegebenheit, verstanden.

Die vorsokratischen Griechen haben nicht nach Sinn und Zweck in der Welt gesucht, denn die dionysische Erkenntnis offenbart, dass das Werden und Vergehen an sich keinen Sinn und Wert hat. Es wird vielmehr mit dem Spiel eines Kindes verglichen, das etwas aufbaut und wieder zerstört, ohne einen Zweck darin zu sehen. „Ein Werden und Vergehen, ein Bauen und Zerstören, ohne jede moralische Zurechnung, in ewig gleicher Unschuld, hat in dieser Welt allein das Spiel des Künstlers und des Kindes. (...) Nicht Frevelmuth, sondern der immer neu erwachende Spieltrieb ruft andere Welten ins Leben.“[5]

Eine Versöhnung mit dem als leidvoll erkannten Leben erfährt der Mensch nach Nietzsche in der Kunst. Insbesondere in der Musik offenbart sich dem Menschen seine Einheit mit dem Weltwillen, der als „Wille zur Macht“ hinter allen Einzelerscheinungen steht und ewig währt. Die Kunst gewährt dem Menschen also gleichsam metaphysischen Trost. Hier liegt dann auch für Nietzsche der Grund der griechischen Heiterkeit, die nicht, wie von Winckelmann angenommen in einer naiven Heiterkeit begründet liegt, welche nicht um das Widersprüchliche und Leidvolle in der Welt weiß.[6] Diese Lösung der Griechen, die in der Versöhnung durch die Tragödie mit dem Leben liegt, war den Griechen nach Nietzsche allerdings nicht theoretisch begrifflich bewusst.

Die griechische Tragödie als Heilmittel

Nietzsche empfiehlt die Kunst als Heilmittel gegen den Pessimismus, worin sich seine bewusste Wendung gegen Schopenhauer ausdrückt. Auch Schopenhauer spricht der Musik bzw. der Kunst zu, vom Leiden zu erlösen. Allerdings soll die Kunst für Schopenhauer den Menschen zugleich vom Leben-Wollen erlösen, er soll sich in der kontemplativen Erfahrung als individuell Wollender vergessen. Nietzsche hingegen fasst den Kunstbegriff weiter und spricht von der „ästhetischen Rechtfertigung des Daseins“[7], er begreift die Kunst in einem umfassenderen und tieferen Sinn als schöpferische Gestaltung überhaupt.

In der griechischen Tragödie agiert der Zuschauer als Künstler, wodurch er eine Versöhnung mit dem Leben erfährt. Hierbei besteht für Nietzsche das entscheidende Moment darin, dass in der griechischen Tragödie keine Trennung von Publikum und Chor existiert, wie wir sie heute kennen, sondern dass der Zuschauer sich mit dem Satyrchor identifiziert, bzw. sich in diesen verwandelt. Durch die Identifikation mit dem Chor wird dem Zuschauer der metaphysische Trost zuteil, da der Chor den leidenden Helden überdauert und damit das Weiterbestehen des Lebens trotz des Leids des Einzelnen symbolisiert. Barbara von Reibnitz formuliert dies folgendermaßen: „Die unmittelbare dionysische Erfahrung wirke sich lebensverneinend weil „lethargisch“ aus, während die apollinische Vergegenwärtigung der dionysischen Wahrheit zu asketischer Lebensverneinung führe. Deshalb sei die Kunst in der Lage, mit dem Leben zu versöhnen - indem sie Unmittelbarkeit in Anschauung „transfiguriert“. Der Satyrchor symbolisiert, gegenüber dem in der tragischen Handlung vorgeführten Gleichnis von den Leiden des Dionysos, resp. des Ureinen, den metaphysischen Trost, „daß das Leben im Grunde der Dinge, trotz allem Wechsel der Erscheinungen unzerstörbar mächtig und lustvoll sei“.[8]

So erfährt nicht nur der Held eine Versöhnung durch seine Vernichtung, die ihn dem Ureinen wieder zuführt, sondern auch der Zuschauer, der, sich mit dem Chor identifizierend, die Erscheinung des Helden durch apollinische Wirkung als Vision hervorbringt und sie anschließend durch das Dionysische in ihm wieder verneint und dem Ureinen zuführt. Hier ist der Zuschauer wahrer Künstler, er schafft und zerstört ohne Zweck und Ziel und hat seine Freude daran, er ist sozusagen ästhetischer Zuschauer.

[...]


[1] Im Folgenden abgekürzt mit „GT“

[2] Vgl. Nietzsche; Also sprach Zarathustra I. Von den Verächtern des Leibes S.39f.

[3] Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (Im Folgenden mit PhtZ, abgekürzt) S.835.5

[4] PhtZ, S.835f.

[5] PhtZ S.830f.

[6] vgl. GT S. 78.10f.

[7] GT S.47.26

[8] Barbara von Reibniz: Ein Kommentar zu Friedrich Nietzsches „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“; S. 181 (Im Folgenden mit B.v.R. abgekürzt.)

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Philosophie Friedrich Nietzsches
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,5
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V68271
ISBN (eBook)
9783638609241
ISBN (Buch)
9783638844413
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie, Friedrich, Nietzsches, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Genealogie der Moral, Leiden, Kunst, Wissenschaftskritik, Wahrheit, Wissen, Erkenntnis, dionysisch, Friedrich Nietzsche
Arbeit zitieren
Agnes Uken (Autor:in), 2000, Die Philosophie Friedrich Nietzsches , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68271

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