Kirche und Vereine im 19. Jahrhundert


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkungen

Einführung: Vereinswesen im 19. Jahrhundert

Kirchliche Vereine im 19. Jahrhundert

Entwicklung in Phasen
Entstehung (1780-1815):
Entfaltung (1830-1848):
Aktivierung (1848-1850):
Konsolidierung (1860-1890):
Politisierung (1890-1914):

Fazit

Literatur:

Vorbemerkungen

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen eines Territorialkirchengeschichtlichen Hauptseminars an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Im Mittelpunkt der Lehrveranstaltung stand die Entwicklung der Kirchen im 19. Jahrhundert sowie deren Interdependenzen zur allgemeinen Ereignis- und Sozialgeschichte. Als eine bedeutsame Schnittstelle zwischen den kirchlichen und den zunehmend säkularen Lebensbereichen dieser Epoche können die konfessionellen Vereine, der Gegenstand dieser Arbeit, gelten. Sie beginnen in der Frühphase des 19. Jahrhunderts ihre Entwicklung, nehmen in dessen Mitte einen regen Aufschwung und erreichen bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs einen gewissen Kulminationspunkt. Dabei wird deutlich, daß das „lange Jahrhundert“ keineswegs mit dem Jahre 1900 als abgeschlossen betrachtet werden darf, seine Kontinuität vielmehr bis 1914 bzw. 1918 reicht und seine Wirksamkeit weit in das folgende Jahrhundert ausstrahlt.

Die Thematik soll hierbei in drei Abschnitten untersucht und dargestellt werden: In einem einführenden Teil sollen zunächst die Rahmenbedingungen der Epoche und die daraus folgende allgemeine Entwicklung des Vereinswesens im 19. Jahrhundert betrachtet werden. Im folgenden Abschnitt wird dann der Fokus speziell auf die konfessionellen Vereine gelenkt. Hier sollen grundsätzliche und strukturelle Fragestellungen erörtert werden. Im dritten Teil wird dann auf die chronologische Entwicklung eingegangen. Aufgrund der Vielzahl der Vereine und Vereinstypen kann jedoch diese Darstellung, besonders im letzten Kapitel, nur unvollständig sein und einen Ansatz bilden - eine tiefgründige Untersuchung würde den hier vorhandenen Rahmen sprengen.

Noch ein kurzes Wort zur ist zur Literaturlage zu sagen: Es erschienen in den letzten Jahren eine Fülle von Einzeluntersuchungen, die allerdings nicht alle Berücksichtigung finden konnten. Es fehlt jedoch ein grundlegendes Standardwerk zu dieser Thematik. Für den interessierten Leser findet sich am Ende der Arbeit ein knappes Literaturverzeichnis, weiterführend seien die Literaturangaben im entsprechenden Artikel der Theologischen Realenzyklopädie (TRE) empfohlen. Abkürzungen wurden lediglich für die Titel der benutzten Lexika und Zeitschriften verwandt. Hierbei wurde sich an den allgemein üblichen orientiert, die bei Bedarf im entsprechenden Zusatzband „Abkürzungsverzeichnis“ der TRE nachgeschlagen werden können. Im weiteren wurde auf die im Historischen Seminar der Universität Leipzig übliche Art der Literaturangabe, auch im Bereich der Anmerkungen, zurückgegriffen.

Einführung: Vereinswesen im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert darf zweifelsohne als das Jahrhundert der Vereine gelten, jedermann stand, oft mehrfach, in ihrem Netzwerk. In nahezu atemberaubender Geschwindigkeit breiteten sich, wenn auch nicht linear, Vereine und Korporationen in Deutschland aus. „Geselligkeit, Bildung, Dienst an Kunst und Wissenschaft, öffentliches Wirken, Verändern und Verbessern, das waren die selbst gesetzten Ziele der Vereine – von den ,Casinos’ und ,Ressourcen’, den Lesegesellschaften und ,Museumsvereinen’, von den Freimaurern, von wissenschaftlichen Vereinen, den Kunst- und Musikvereinen, den beruflichen bis zu den wirtschaftlichen Vereinen, den halb oder ganz politischen, von den Burschenschaften, den Sänger- und Turnvereinen bis zu den Wohltätigkeitsvereinen und den Arbeiterassoziationen.“[1] Wie aber konnte eine solche dynamische Entwicklung zustande kommen?

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts lösten sich die althergebrachten Lebensordnungen mehr und mehr auf und machten einer allgemeinen Individualisierung Platz.[2] Zu dieser Individualisierung gehörten der neue aufgeklärt-bürgerliche Glaube an Bildung, Fortschritt, Veränderung und Veränderbarkeit der Welt, die Emanzipation vom Obrigkeitsstaat und der Anspruch auf freies Zusammenwirken auch in öffentlichen Angelegenheiten.[3] Nicht mehr Traditionen und Geburtsstand leiteten das Leben des Menschen, sondern er selbst mittels Bildung und Leistung, aus denen sein persönlicher Stand erwuchs.

Bereits im 18. Jahrhundert hatten sich konkrete Vorstellungen einer solchen bürgerlichen Gesellschaft als antitraditionalen, antiständischen, aufklärerisch-modernen Bewegungs- und Zielbegriff entwickelt. In der Spätphase dieses Jahrhunderts löste sich dieser vom Staat und gewann dadurch vor allem in den absolutistisch regierten Ländern Europas eine gegen den Obrigkeitsstaat gewichtete Stoßrichtung. Eben diese civil society benötige, so Kant, „Mitgenossenschaft“, brauche die sich selbst organisierende Freiwilligkeit der Bürger, den Verein.[4] Dort artikulierte sich der Wille der bürgerlichen Gesellschaft zur Mitgestaltung des öffentlichen Lebens, was bislang ausschließlich Aufgabe der Obrigkeit gewesen war. Die Partei als politischer Verein kann als konsequenteste Form der Einflußnahme gelten.

Nachdem im 18. Jahrhundert die Vertretungsorgane in politischen, gewerblichen und anderen Lebensbereichen rein ständisch strukturiert gewesen sind und somit die Repräsentation von Körperschaften, Familien, Territorien und damit verbundenen Berechtigungen zum Ziel und Mittelpunkt ihres Wirkens hatten, setzte sich nun im „nachständisch-bürgerlichen 19. Jahrhundert“[5] das moderne Prinzip der individuenbezogenen Vertretung durch.[6] Die Assoziation trat an die Stelle der alten Ordnungen, die für neue, individuelle Bedürfnisse nach diskutierender Selbstverständigung und gemeinsamen Handeln keinen Platz geboten hatten.[7] Dabei konnte jedoch auf gewisse Grundlagen der alten ständischen Korporationen zurückgegriffen werden.

Die rechtliche Grundlage für diese Blüte moderner Zusammenschlüsse wurde bereits 1794 mit dem preußischen Allgemeinen Landrecht gelegt. Nach einer ersten Welle von Neugründungen und Ausbreitung zahlreicher Vereine im Vormärz, erfuhr das Vereinswesen vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts infolge der mit den Ereignissen um 1848 / 1849 zunehmenden Demokratisierung einen weiteren starken Entwicklungsschub. Weiterhin bewirkte die Reichsgründung 1871 und die allgemeine Aufbruchstimmung der Gründerzeit erneut eine erhebliche Schwungkraft für die Entwicklung von Vereinen, Interessengruppen und politischen Zusammenschlüssen, besonders auch im Bereich der Arbeiterbewegung.[8] Seit 1848/49 reichte der Wirkkreis vieler Vereinigungen, vor allem aber der Parteien, im Grunde bereits über die partikularstaatliche Ebene hinaus. Das Vereinswesen spiegelte dabei die Spezialisierung, Komplizierung und Differenzierung der modernen Welt, es entstanden mit jeder Besonderung immer neue Vereine. Ganz wichtig war die konfessionelle Scheidung: Das katholische Milieu hattte seine eigenen Vereine. Auch der Aufstieg der Frauen vollzog sich vorzugsweise in weiblich dominierten oder weiblichen Vereinen.

Der Verein entwickelte sich dabei zunächst als ein Kernstück bürgerlicher Kultur: Um 1800 fanden sich vor allem Beamtenschaft, Akademiker und Adel zusammen. Neben dem Ort der Geselligkeit war er vor allem Mittel zur selbständigen Erledigung gemeinsamer Aufgaben ohne Abhängigkeit von der Obrigkeit.[9] Später erfolgte dann eine Verallgemeinerung des ursprünglich rein bürgerlichen Vereinswesens sowie dessen Ausdehnung auf nahezu alle Bevölkerungsschichten und Stände, auf das ganze Volk.[10] Schließlich war das bürgerliche Modell Verein – jenseits von Stand, Beruf oder Nachbarschaft - auch Instrument gesellschaftlicher Modernisierung. So war zum Beispiel für die Modernisierung oder Verbürgerlichung der ländlichen Gesellschaft das Vordringen des Vereins auf dem Dorfe in Form von Genossenschaft, Feuerwehr, Gesangs- und Kriegervereinen von wichtiger Bedeutung.[11] Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung begleitete die Arbeiter von der Wiege über die Kinder-Krippen bis zur Bahre und darüber hinaus zur Feuerbestattung. Es war also für die sozialmoralischen Milieus oder Kulturen in Deutschland typisch, daß sie alle in einem solchen Netz von Vereinen nicht nur organisiert gewesen sind, sondern in ihnen lebten. Kurz - der Verein wurde und blieb Zentrum der freien Zeit und des Lebens insgesamt. Schließlich ermöglichte das Vereinswesen auch den nichtbesitzenden Schichten, dem Proletariat, Selbsthilfe, Wahrung realer Freiheit und artikulierte Selbständigkeit in den Arbeitervereinen und der Sozialdemokratie.[12]

Dabei wurden die Vereine für die freie Zeit nach Arbeitsschluß oder am Sonntag, für das tägliche Miteinander abseits von Familie, Beruf, Nachbarschaft und Kirche als Orte von Geselligkeit und unterschiedlichsten Aktivitäten ganz zentral. Besonders im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, daß ein Mann zumindest einen Abend der Woche mit Vereinsaktivitäten verbrachte.[13] Die reale Bedeutung der Vereinszugehörigkeiten für das Leben und den Status des Einzelnen ist zwar weitgehend unbekannt, doch kann die Tatsache, daß die Lokalpolitik und somit auch die Rekrutierung von Stadtverordneten-Kandidaten weitgehend mit dem Vereinsnetz einer Stadt verflochten waren, die Bedeutung des Vereines als Basis öffentlicher Geltung und Aktivität andeuten.[14]

Wie bei den allgemeinen Vereinen kann auch bei den kirchlichen eine gleichartige oder zumindest ähnliche strukturelle Entwicklung und soziale Prägung festgestellt werden. Sie erhalten jedoch durch das Merkmal der Konfession eine besondere Dimension.

[...]


[1] Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 267.

[2] Vgl. ebd., S. 265.

[3] Vgl. ebd., S. 267.

[4] Vgl. Kocka, Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft, (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 13), 10. A., Stuttgart 2001, S 129f.

[5] Ebd., S. 108.

[6] Vgl. ebd., S. 108.

[7] Vgl. Nipperdey, Bürgerwelt, S. 267 f.

[8] Vgl. Kocka, aaO., S. 19.

[9] Vgl.ebd., S. 119.

[10] Vgl. ebd., S. 121.

[11] Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. I Arbeitswelt und Bürgergeist, München² 1991, S. 168.

[12] Vgl. Nipperdey, Bürgerwelt, S. 269.

[13] Nipperdey, Arbeitswelt, S. 169.

[14] Vgl. Nipperdey, Arbeitswelt, S. 169.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kirche und Vereine im 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Leipzig  (Theologische Fakultät, Institut für Kirchengeschichte, Abt. Territorialkirchengeschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar „Schwerpunkte der Kirchengeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert“
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V68196
ISBN (eBook)
9783638609012
ISBN (Buch)
9783638672658
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirche, Vereine, Jahrhundert, Hauptseminar, Kirchengeschichte, Deutschlands, Jahrhundert“
Arbeit zitieren
M.A. Roy Lämmel (Autor:in), 2005, Kirche und Vereine im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68196

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