Zins und Wucher im Mittelalter


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkungen

Begriffsbestimmung

Antike Vorbilder

Wuchergesetzgebung in karolingischer Zeit

Ökonomischer Aufschwung und Zinspolitik ab 11./12. Jahrhundert

Die Zinstheorie des Thomas von Aquin

Umgehungsstrategien

Juden und Wucher

Bedeutung der Wuchergesetze in der Praxis

Legalisierung von Zins- und Kreditgeschäften

Wirtschaftliche Bedeutung des mittelalterlichen Kreditwesens

Fazit

Literatur

Vorbemerkungen

Die vorliegende Arbeit über ein zentrales Thema mittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte entstand im Rahmen eines Hauptseminars am Historischen Seminar der Universität Leipzig. Auch wenn auf den ersten Blick nur die Wirtschaftsgeschichte berührt zu sein scheint, muß doch, und das wird sich nachfolgend noch verdeutlichen, zugestanden werden, daß hierbei verschiedenste Spezialbereiche der Geschichtswissenschaft berührt sind. Nicht nur die ökonomische Entwicklung wird aufgezeigt, sondern auch Theologie, Mentalitäts- und Dogmengeschichte erhalten Streiflichter, natürlich nur in sehr eingeschränkter Weise.

In einem knappen Abriß sollen zunächst die historische Entwicklung und sodann ausgewählte Fragestellungen, die ich für die Beurteilung der Thematik für bedeutsam hielt, erörtert werden. Daß dabei nicht alle Aspekte dieser facettenreichen Fragestellung erfaßt werden können, ergibt sich allein schon aus Art und Umfang dieser Arbeit. Trotz der für die mittelalterliche Wirtschaftsgeschichte recht hohen Bedeutung ergibt sich doch ein im wesentlichen magerer Literaturumfang insbesondere aktuellerer deutschsprachiger Literatur. Offensichtlich haben sich in den letzten Jahrzehnten nur wenige dieser Fragestellung angenommen. Es kann jedoch auf recht umfangreiche ältere Literatur zurückgegriffen werden, die in ihrer Mehrzahl noch immer dem heutigen Kenntnisstand entspricht.

Begriffsbestimmung

Zunächst erscheint es nützlich, beide Termini Zins und Wucher sowie deren Begrifflichkeit im Mittelalter näher zu erläutern.

Der Ursprung des Wortes Zins findet sich im lateinischen census und stand in seiner ursprünglichen, antiken Bedeutung für ‚Abschätzung‘. Aber auch Übersetzungen wie ‚Vermögen‘, ‚Steuerkataster‘ und schließlich ‚Abgabe‘ sind überliefert. In letzterer Bedeutung hat es sich als Lehnwort ‚Zins‘ für Abgaben jeglicher Art im Mittelalter durchgesetzt: Natural- und Geldabgaben hoheits-, besitz- und personenrechtlicher Art wurden damit erfaßt.

Für den verengten Gebrauch als Geldkapitalzins begegnet es jedoch nur vereinzelt.[1] Hierfür waren in der Antike die Worte fenus sowie usu aeris gebräuchlich. Während allerdings die erste Bezeichnung im Mittelalter nur als wenig gebräuchlich nachweisbar ist, setzte sich aus letzterer Bezeichnungen usura als Terminus technicus der mittelalterlichen Kirchensprache für den verbotenen Zins, den Wucher, durch.[2] Hierbei wurde darunter zunächst lediglich der verbotene Darlehenszins verstanden. Legale, dem Wesen des Zinses ähnliche oder gleiche Einnahmen aus fruchtbringenden Gütern wie Miet-, Pacht- und Leihzins wurden hingegen unter den Begriffen census oder reditus subsumiert. Da allerdings die Wuchergesetzgebung häufig in enger Beziehung und inhaltlicher Nähe zu Bestimmungen gegen Betrug im Handel standen, konnten Grenzen teilweise verwischen und konnte usura auch den betrügerisch erworbenen Gewinn bezeichnen, der eigentlich mit turpe lucrum benannt wurde.[3] Ein weiteres Spezifikum mittelalterlicher Wucherregelung ist die Nähe zu Preisregulierungen im Sinne eines gerechten Preises (pretium iustum), dessen Überschreiten als sog. Preiswucher charakterisiert wird.[4]

In der Sprache der Kaufleute, den Verträgen und Urkunden allerdings versuchte man, diese Begriffe weitgehend zu vermeiden. Man „kaufte Geld gegen Geld“ oder unterschied zwischen Hauptgut und Gesuch. Das heutige Wort „Wucher“ wiederum leitet sich über wuocher vom althochdeutschen wuohhar für Ertrag oder Gewinn ab. Bis zum Ende des Mittelalters dauerte die Konsensbildung über den Begriff des Wuchers, die daraus folgenden Strafen und die damit verbundene notwendige Bußleistung.

Antike Vorbilder

Die Wucherlehre des Mittelalters findet seine theologische Begründung in der biblischen Ablehnung der Kreditverzinsung als Ausbeutung von Bedürftigen.[5] Als Sünde gegen die Nächstenliebe und Brüderlichkeit verboten das göttliche Recht des Alten Testaments und Jesus im Neuen Testament Zinsnahmen. Alle Darlehen sollten unentgeltlich sein. Die Hoffnung oder die Absicht, an dem Darlehen zu verdienen, wurde verurteilt.[6] Zu dieser theologischen Moralauffassung traten noch ethische und Rechtstraditionen der Antike hinzu. Dabei begründete man eine naturrechtliche Ablehnung der Kapitalverzinsung aus der dem Geld nach aristotelischem Verständnis eigenen Funktion als Wertmesser und Tauschmittel.[7] Somit, so die Folgerung eines Textes des 4./5. Jahrhunderts, der Palea „Eiciens“, die noch vor 1160 Eingang in das Dekret Gratians fand, seien Zinserträge widernatürliche Früchte des Geldes.[8] Die für das gesamte Mittelalter bedeutsame Wucherdefinition formulierte Ambrosius in seiner Schrift de Tobia:

„Alles, was über das Kapital hinaus gefordert wird, ist Wucher.“[9] Die durchaus erlaubten Pacht-, Miet- und Leihezinsen fruchttragender Güter bezeichneten die Begriffe census und reditus.[10]

Auch die Bekämpfung des Preiswuchers hat seinen Ursprung in einem durch die Kirchenväter der Antike vermittelten Mißtrauen gegen den Handel und seine Gewinne, die nicht in der Produktions- sondern in der Distributionssphäre erzielt werden.[11] Da jede Ware nur einen gerechten Preis haben könne, müsse der Kaufmann entweder zu billig ein- oder zu teuer verkaufen und somit Lieferanten oder Kunden betrügen. Bereits zu Zeiten des Römischen Kaiserreiches wurden vor allem in Teuerungsperioden Höchstpreise festgesetzt, an die im frühen Mittelalter, so bei den Ostgoten und unter den Karolingern, erneut angeknüpft werden konnte.[12]

Dennoch ist auch aus der Zeit der jüngeren Römischen Republik der legale Zinssatz von 12% für Gelddarlehen überliefert. Dies splitterte sich unter Justinian bei gleichzeitiger Absenkung auf 6% für Regelfälle, 8% für Kaufleute und Bankiers, 12% für das Seedarlehen.

Auch erste kirchenrechtliche Regelungen datieren noch aus vormittelalterlicher Zeit: Bereits im Rahmen des Nicaenum im Jahr 325 ergingen explizite Wucherverbote an Kleriker.[13] Deren Ausdehnung auf die Laien konnte sich zwar erst im 7. Jh. durchsetzen, war jedoch schon weitaus früher Bestandteil der innerkirchlichen Diskussion: Das Konzil von Elvira bedrohte um 306 rückfällige Laien, 345 setzte das Karthagoer Konzil bereits Wucherverbote für Laien voraus.

Wuchergesetzgebung in karolingischer Zeit

Diese Phase der Entwicklung ist im Wesentlichen durch die Übernahme der kirchlichen Gesetzgebung in den Bereich der weltlichen Rechtsprechung geprägt. 789 fand ein Wucherverbot in allgemeiner Form mit der Admonitio generalis Eingang in das römische Recht.[14] Dessen Bedeutung konnte jedoch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nicht abschließend geklärt werden.[15] Heute kann jedoch die bislang bevorzugte These Schneiders einer literarischen Rezeption kirchlicher Rechtsquellen ohne Realitätsbezug als überwunden betrachtet werden. Neue Quellenfunde[16] sowie Überlieferungen der Kreditpraxis und der Gesetzestexte, die explizit auf Mißernten und Versorgungskrisen und in diesem Zusammenhang auf den Schutz und Erhalt kleiner waffenfähiger Bauern Bezug nehmen, bestätigen dies.

Übernommen in das neue Rechtssystem wurden auch die alten römischen Kaisergesetze zu Höchstzinssätzen, die eine Verzinsung bestimmter Darlehen notwendigerweise voraussetzen mußten. Trotz der Aufnahme der Wuchergesetzgebung in den weltlichen Bereich des Rechtes und deren zunehmender Intensivierung der Durchsetzung, wurden wucherische Geschäfte betrieben. Durch Verwendung unterschiedlicher Maße und Gewichte, Rückzahlungen in anderen Formen (zum Beispiel Gelddarlehen in Naturalien), Kreditverkauf und Lieferungskauf von Naturalien zu überhöhten Preisen, Kauf der Ernte auf dem Halm oder spekulative Ankäufe versuchte man Verbotenes zu vertuschen und als legal erscheinen zu lassen. Andererseits sind jedoch auch Darlehen gegen Zinsen bis zu einem Drittel der Gesamtsumme oder in Form von Dienstleistungen belegt, die offensichtlich als erlaubt gegolten haben müssen. Dabei scheinen die gewährten Darlehen, wie bereits angedeutet, lediglich zur Überwindung von Mißernten und ähnlichen Notsituationen gebraucht worden sein, da zum einen die karolingische Gesetzgebung explizit darauf verweist und zum anderen die vorwiegend agrarisch geprägte Tauschwirtschaft verzinsliche Kreditvergaben ökonomisch nur wenig sinnvoll erscheinen und ihnen somit keinen Raum ließ.

Ökonomischer Aufschwung und Zinspolitik ab 11./12. Jahrhundert

Nachdem in den Rechtstexten nachkarolingischer Zeit die Thematik des Wuchers weitgehend zurücktritt, setzte mit der beginnenden Kirchenreform und der aufstrebenden Entwicklung der Wirtschaft und des Städtewesens zwischen dem Beginn des 11. und der Mitte des 14. Jahrhundert, vor allem aber im 12. Jahrhundert, eine erneute Phase der Intensivierung im Bereich der Wuchergesetzgebung ein.[17] Die Wucherdefinition des Hl. Ambrosius wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts in die Kirchenrechtssammlung Decretum Gratiani übernommen, fortgeschrieben und galt in altgläubigen Gebieten noch bis weit in die Frühe Neuzeit hinein.[18] Die Beschlüsse des II. und III. Laterankonzils (1139 &1179) bedrohten nun wuchernde Laien mit Infamie und Kirchenbann. Die Kanonisten beschäftigten sich seit Huguccio (ab 1188) eingehend mit diesen Problemen, die bis zum Ende des Mittelalters zu den zentralen Themen kanonistischer Philosophie blieben.

Als eine Periode intensiver päpstlicher Gesetzgebung kann die Zeit der Pontifikate Alexanders III. (seit 1159) bis Gregors IX. (bis 1241) bezeichnet werden, einzelne Geschäftsformen wurden als nonkonform und somit wucherisch definiert: 1163 verbot Alexander III. die Satzung mit Nutzungspfand, die unter anderem durch Kleriker mit Erträgen bis 25% praktiziert wurde, und erklärte 1173 den Kreditkauf zu erhöhten Preisen als Sünde, den wiederum Urban III. dem Wucher gleichstellte. Gregor IX. verbot 1227/34 das Seedarlehen, auch wenn dabei stets das Risiko von Seiten des Gläubigers mitgetragen werden mußte. In seinen 1234 publizierten Dekretalen, die den Konzilstext von 1215 (Lateranense IV.) durch eine kurze Inhaltsangabe einführten, wurde Rückgabe der Wucherzinsen ohne Ausnahme und uneingeschränkt als zu erzwingen bestätigt, obwohl der betreffende Text vorher häufig differenziert ausgelegt und sich explizit nur gegen schweren und unmäßigen Wucher richtete. Gleichzeitig unterschieden die Konzilstexte jedoch scharf zwischen dem Gläubigen, dem die usura als Sünde unterlaufen konnte und dem publicus usurarius, dem öffentlichen Wucherer. Während der Gläubiger durch Restitution des unrechten Gewinnes und mittels seines Beichtvaters mit der Kirche versöhnt wurde, wurde der öffentliche Wucherer von den Sakramenten ausgeschlossen und wurde ihm das christliche Begräbnis verwehrt. Wer öffentlicher Wucherer war, wurde durch die Kanonisten definiert. Johannes von Erfurt gibt hierzu folgende Richtlinien an: Öffentlicher Wucherer sei, wer vom Bischof von der Kanzel herab als solcher benannt werde oder sein Geschäft vor den Augen aller betreibe. Er sitze „täglich hinter seinem Tisch und warte auf Kunden.“[19]

[...]


[1] Vgl. Sprandel, Rolf: Art. „Zins. Wirtschaftsgeschichte“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 9, München 1998, Sp. 622.

[2] Vgl. Kirshner, Julius: Art. „Wucher“, in: North, Michael (Hrsg.): Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 430.

[3] Vgl. Stuart, Jenks: Von den archaischen Grundlagen bis zur Schwelle der Moderne (ca. 1000 bis 1450), in: North, Michael (Hrsg.): Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S.30.

[4] Vgl. Schuler, Peter-Johannes: Art. „Zinsen“ in: Dinzelbacher, Peter (Hrsg.): Sachwörterbuch der Mediävistik, Stuttgart 1992, S. 919.

[5] Vgl. Ex 22, 25; Lev 25, 35–37; Dtn 23, 19-26; Ez 22, 10-12; Lk 6, 35.

[6] Vgl. Kirshner, ebd., S. 431.

[7] Vgl. Oexle, Otto Gerhard: Art. „Wirtschaft, Ökonomie. III. Mittelalter“ in: Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhard (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Stuttgart 1992, S. 537.

[8] Vgl. Rösch, Gerhard: Wucher in Deutschland 1200 – 1350. Überlegungen zur Normdidaxe und Normrezeption, in: HZ 259 (1994), S. 593.

[9] Kirshner, ebd., S. 430.

[10] Vgl. Gilomen, Hans-Jörg: Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in: HZ 250 (1990), S. 269.

[11] Vgl. Gilomen, Wucher, Sp. 342.

[12] Vgl. ebd., Sp. 343.

[13] Vgl. ders., Wucher und Wirtschaft, S. 270.

[14] Vgl. ders., Wucher, Sp. 344.

[15] Vgl. Schaub, Franz: Der Kampf gegen den Zinswucher, ungerechten Preis und unlauteren Handel im Mittelalter: Von Karl dem Großen bis Papst Alexander III., Freiburg i. Br. 1905 sowie Schneider, Fedor: Neue Theorien über das kirchliche Zinsverbot, in: VSWG 5 (1907), passim.

[16] Vgl. Schmitz, Gerhard: Wucher in Laon. Eine neue Quelle zu Karl dem Kahlen und Hinkmar von Reims, in: DA 37 (1981), passim.

[17] Vgl. Rösch, ebd., S. 594.

[18] Vgl. Kirshner, ebd., S. 430.

[19] Rösch, ebd., S. 595.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Zins und Wucher im Mittelalter
Hochschule
Universität Leipzig  (Historisches Seminar, Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften / Archivwissenschaften)
Veranstaltung
Hauptseminar 'Kaufleute im Mittelalter'
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V68194
ISBN (eBook)
9783638608992
ISBN (Buch)
9783638672641
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zins, Wucher, Mittelalter, Hauptseminar, Mittelalter“
Arbeit zitieren
M.A. Roy Lämmel (Autor:in), 2004, Zins und Wucher im Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68194

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