Von Laura zu Juana Inés - der Petrarkismus bei Sor Juana


Hausarbeit, 2006

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsangabe

1 Einleitung

2 Petrarca
2.1 Petrarcas Canzoniere
2.2 Die Rolle der Frau bei Petrarca
2.2.1 Die Schmerzliebe
2.2.2 Symbolik und Selbstdarstellung
2.2.3 Stil
2.2.4 Metaphern
2.2.5 Antithesen
2.2.6 Euphonie
2.3 Sonett-Interpretation
2.3.1 Pragmatik
2.3.2 Semantik
2.3.3 Syntaktik

3 Sor Juana Inés de la Cruz
3.1 Die Rolle der Frau bei Sor Juana
3.2 Der Petrarkismus bei Sor Juana
3.3 Sonett-Interpretation
3.3.1 Pragmatik
3.3.2 Semantik
3.3.3 Syntaktik und Phonologie

4 Schluss

5 Bibliographie

1 Einleitung

Auf den ersten Blick haben ein italienischer Dichter des 14. Jahrhunderts und eine mexikanische Nonne des 17. Jahrhunderts nicht gerade viel gemeinsam. Doch auf den zweiten Blick lohnt es sich durchaus das Augenmerk auf diese beiden für ihre jeweilige Epoche überaus wichtigen Lyriker zu lenken und es finden sich einige interessante Parallelen, die eine Art Vergleich ermöglichen.

Dazu ist es zunächst unerlässlich, sich mit der Wichtigkeit Petrarcas als literarischem Leitbild mehrerer Generationen von Dichtern auseinanderzusetzen, um zu verstehen, welchen Einfluss er sogar drei Jahrhunderte später auf einem anderen Kontinent hatte.

Nach einem Abriss zum lyrischen Werk Petrarcas möchte ich zur zweiten Protagonistin dieser Arbeit kommen – Sor Juana. Sie steht als Kind ihrer Zeit wie alle anderen damaligen Dichter in der petrarkistischen Tradition, sucht aber in auffälliger Art und Weise immer wieder bewusst den Bruch mit dem Petrarkismus und geht sogar so weit, den lyrischen Übervater Petrarca in ihren Gedichten zu parodieren.

Die Lyrik Sor Juanas kann man nicht verstehen, wenn man den gender -Aspekt bei Seite lässt. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist und Frauen in der mexikanischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts eine äußerst marginale Rolle spielten, prägt ihr Schaffen grundsätzlich. In vielerlei Hinsicht bricht sie mit den literarischen Traditionen des siglo de oro und bringt in ihren Werken revolutionäre Neuerungen hervor.

Ich möchte in dieser Arbeit besonders die Fragestellung verfolgen, ob Sor Juana als frühe Feministin bezeichnet werden kann beziehungsweise inwiefern ihre Darstellung der Frau von der typischen der damaligen Zeit abweicht. Die Dichter des Barock schrieben vornehmlich im Stil Petrarcas, insofern stellt sich vor allem die Frage, ob die Liebeslyrik Sor Juanas bezüglich des gender -Aspekts petrarkistisch war oder nicht.

Anhand einer Analyse je eines Sonetts von Petrarca und Sor Juana möchte ich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden lyrischen Größen konkretisieren.

2 Petrarca

2.1 Petrarcas Canzoniere

Francesco Petrarca lebte von 1304 bis 1374 in Italien. Er gilt zusammen mit Dante und Boccaccio als wichtigster Dichter der nachantiken Zeit. Seine Liebeslyrik war Vorbild für Generationen von Dichtern nach ihm.

Die Gedichte Petrarcas sind in einem Werk gesammelt, dem er selber in affektierter Bescheidenheit den abwertenden Titel Rerum vulgarium fragmenta (Bruchstücke muttersprachlicher Dinge) gab. Später wurde der ursprüngliche Titel von Abschreibern in Le Rime sparse abgeändert, ab dem 16. Jahrhundert bürgerte sich jedoch allmählich der Name Canzoniere für Petrarcas Gedichtsammlung ein, der als offizieller Titel erstmals 1883 von G.A. Scartazzini für seine Ausgabe verwendet wurde.

Der Canzoniere ist der erste durchkomponierte Gedichtband seit der Antike, der von Petrarca als großes Ganzes geschaffen wurde und dessen Einzelteile aufeinander abgestimmt sind und in Beziehung zueinander stehen. In der Tat nahm Petrarca jahrzehntelang Änderungen am Canzoniere vor, um ihn in die endgültige, perfekte Form zu bringen.[1]

Der Canzoniere umfasst 366 Gedichte, davon der Großteil Liebeslyrik, die einer Dame mit Namen Laura gewidmet ist.

Dabei ist zu bemerken, dass die Gedichte des Canzoniere nicht chronologisch nach ihrem Entstehungsdatum sortiert, sondern nach einer inhaltlichen Reihenfolge angeordnet sind, die die Entwicklung der Laura-Liebe dokumentieren.

Der Canzoniere lässt sich thematisch in zwei Teile gliedern – In vita di Madonna Laura (Sonette 2-266) und In morte di Madonna Laura (Sonette 267-366), wobei der erste Teil besonders aus der ersten Begegnung mit Laura, dem Liebesschmerz nach erfolglosem Werben um sie und der Verzweiflung über die unerfüllte Liebe zu ihr besteht, während der zweite Teil nach dem Tod Lauras vor allem die Erinnerung an die Geliebte zum Thema hat bis die Liebe zu Laura schließlich verschwimmt und einer Himmelsliebe weicht, die sie in ihm geweckt hat.[2]

Das lyrische Ich, der Liebende, ist Petrarca selber.

Es deutet viel darauf hin, dass die Laura-Liebe Fiktion ist, ein erdachter Liebesschmerz, der dem Autor ein Motiv für sein Dichten liefert und ihm dazu verhilft, seine Gefühle und Gedanken auszusprechen. Der Canzoniere darf also nicht als streng autobiographisches Werk aufgefasst werden, auch wenn womöglich tatsächlich eine Dame existiert haben mag, die ihn zur Rolle der Laura inspirierte.[3]

Laut Ugo Foscolo ist der Canzoniere mehr die Dichtung eines Künstlers als die eines Liebenden.[4]

2.2 Die Rolle der Frau bei Petrarca

Das Weibliche bei Petrarca wird verkörpert von Laura, der Dame, der die Gedichte des Canzoniere gewidmet sind und die daher gleichsam als Motivation für Petrarcas Dichtkunst aufgefasst werden kann.

Ganz in der Tradition des dolce stil novo wird Laura als etwas erhöht dargestellt, so dass sie ein fast überirdisches Wesen zu sein scheint. Diese Vergötterung des Weiblichen stellt eine Parallele zu Dante dar, der in seinem Werk Vita Nova seine Angebetete Beatrice in gleicher Weise als himmelsgleiche Lichtgestalt stilisiert. Auch Petrarca verleiht Laura göttliche Züge, indem er beispielsweise ihre Umgebung auf sie reagieren lässt: oftmals wird Lauras Umfeld als liebliche Frühlingslandschaft beschrieben, die mit ihrem Erscheinen aufblüht und bei ihrem Abschied Trauer zeigt. Geht Laura über eine Wiese, lässt Petrarca Blumen unter ihren Füßen erwachsen und Blütenschnee auf sie herabrieseln.

Petrarcas Laura-Liebe ist jedoch irdischer als Dantes Liebe zu Beatrice, wenngleich auch die Laura-Liebe keine körperliche, sondern eine Wortliebe ist und die Herrin keinesfalls als sinnliches Wesen dargestellt wird. Trotzdem befinden sich in Petrarcas Sonetten Momente, die Laura in gewisser Weise menschliche Züge verleihen – mal betrachtet sie sich selbstzufrieden in einem Spiegel (Sonette Nr. 45 und 46), mal wird ihr Altern beschrieben (Nr. 12), mal legt sie eine gewisse Koketterie an den Tag (Nr. 87). Diese Sonette weisen darauf hin, dass sich Petrarca langsam von der Vergötterung des Weiblichen des dolce stil novo entfernt, auch wenn er in vielerlei Hinsicht bewusst an die literarische Tradition des dolce stil novo anknüpft.

Bei der Beschreibung ihres Aussehens beispielsweise hält sich Petrarca strikt an die Tradition der italienischen Lyrik, in der der Idealtypus weiblicher Schönheit und die dazu gehörigen Metaphern von Kopf bis Fuß klar definiert waren – Lauras Lippen sind Rosen, ihre Zähne Perlen, die Augen leuchten als paradiesisches Feuer.

Eine gewisse Ausnahme hierzu bilden nur drei Sonette (Nr.199-201), die der Hand und dem Handschuh Lauras gewidmet sind und hierin etwas vom strikt vorgegebenen Metaphernkatalog abweichen und ein etwas individuelleres Augenmerk auf Laura werfen.

Laura schenkt jedoch ihrem Verehrer keine Aufmerksamkeit, sie hat für ihn kaum mehr als einen raschen Blick übrig. Dies jedoch gehört nicht minder zur Tradition der damaligen Lyrik seit den italienischen Trobadors – man spekuliert nicht mit der Erwiderung der eigenen Liebe, sondern leidet unter der Unnahbarkeit der Angebeteten. Die Liebe, die Petrarca im Canzoniere zu Laura beschreibt, ist eine auf den Verzicht aufbauende Schmerzliebe, deren herausragende Merkmale Unkörperlichkeit und Anbetung sind. In diesem Sinn – der klaren Abgrenzung zwischen geistiger und sinnlicher Liebe - kann Petrarca durchaus als Platoniker gesehen werden.

Davon abgesehen wird Laura durch Petrarca eine eindeutig passive Rolle zugewiesen – sie ist das Objekt der Verehrung, zur Passivität bestimmt, da keine Reaktion ihrerseits erwartet wird und erwartet werden darf. Sie zeichnet sich gerade durch ihr Sich-Versagen und ihre Unnahbarkeit aus, die Liebe spielt sich allein im Liebenden selber ab. Dem Innenleben der Herrin wird keine Beachtung geschenkt, ihrer Wirkung auf den Verehrer allerdings umso mehr. Der aktive Part ist eindeutig der männliche, die Frau ist nicht mehr als Projektionsfläche für die Gefühle des Mannes.

Der Canzoniere kann insofern als Selbstdarstellung begriffen werden – das beschriebene Liebesleiden ist die Ausgangsposition und Motivation für Petrarcas Dichtkunst und dient ihm primär dazu, über sich selbst, seine Leiden, Hoffnungen und Eitelkeiten sprechen zu können.[5]

2.2.1 Die Schmerzliebe

Die Liebe bei Petrarca ist eine Schmerzliebe, die mit dem Oxymoron dulce malum umschrieben werden kann – ein Begriff, den der antike Dichter Ovid prägte und der die gegensätzlich scheinenden Gefühle Liebe und Schmerz zu einer Metapher vereint. Die Dichter der Antike verstanden unter dulce malum das Liebeswirren, dem der Verliebte erlegen ist; die Liebeskrankheit, als deren Verursacher der Liebesgott Amor in zahlreichen Dichtungen auftritt und für die eine Heilung gesucht wird.

Petrarca jedoch sucht in seinen Versen keine Heilung für seine Schmerzliebe, er genießt das Leiden förmlich und geht in gewisser Weise in ihm auf. Die Kontrastmetapher tritt bei ihm in unterschiedlichsten Variationen auf, so zum Beispiel „süßer Schmerz“, „glückliche Qual“, „wohltätiges Gift“.

Dieser scheinbare Widerspruch wird von Petrarca in diversen Versen pointiert „Denn ich bin einer derer, denen Weinen Wohltat bringt“ (Canzone Nr. 37, Vers 69), „Es taugen tausend Freuden nicht so viel wir eine Qual“ (Nr. 231).[6]

Die Sehnsucht nach der Herrin ist ein Sich-Verzehren, es bestehen keine Hoffnungen auf ein erfolgreiches Werben um sie, doch gerade diese verzweifelte Situation ist der Anlass für den Dichter, seinen Klagen in Versen Luft zu machen, so dass die unerfüllte Liebe ihn letztendlich zu dem macht, was er ist – ein erfolgreicher Poet.[7]

2.2.2 Symbolik und Selbstdarstellung

In Petrarcas Sonetten stechen die unterschiedlichen Variationen ins Auge, die sich durch das Spiel mit Lauras Namen ergeben.

Hugo Friedrich bezeichnet diese Symbolik als Laura-System, da Laura nicht nur Inhalt der Sonette ist, sondern ihr Name auch zwischen den Zeilen und versteckt in klangähnlichen Wörtern auftritt. Beispiele hierfür sind l’aura, lauro, l’oro, aureo, l’aurora.[8] Dabei ist die Bedeutung dieser Wörter nicht etwa zufällig – sie beschreiben Eigenschaften, mit denen Laura andernorts in Verbindung gebracht wird. Aura beispielsweise steht in einigen Sonetten für den Frühling – ein treffendes Bild, wenn man sich daran erinnert, dass Petrarca zuweilen Blumen unter Lauras Füßen wachsen lässt.[9]

Eine nicht offensichtlich scheinende, aber die im Grunde wichtigste Verbindung ist die von Laura und lauro (Lorbeer), denn mittels dieses Wortspiels setzt sich Petrarca selber ein Denkmal. Dazu muss man wissen, dass der Lorbeer die Pflanze des Apollon, dem Gott der Dichter, ist. Weiß man ferner, dass die besten Dichter der damaligen Zeit in Rom zum poeta laureatus gekrönt wurden, und dass Petrarca selber diese Ehre zuteil wurde, wird die Anspielung deutlicher. Damit wird auch die Frage nach der Authenzität der Liebe des Dichters relevant. Wie bereits erwähnt, deutet einiges darauf hin, dass Petrarca die Liebe zu Laura um des Dichtens willen erfand. Petrarcas Lorbeer-Symbolik liefert weitere Beweise für diese These und lässt berechtigte Zweifel an der Existenz einer Dame namens Laura aufkommen. Es manifestiert sich der Gedanke, dass Petrarca die Liebeslyrik in erster Linie nutzte, um sich einen Namen als Dichter zu machen, und weniger, um über einen realen Liebesschmerz sprechen zu können.

Petrarca schafft durch die Namenssymbolik ein durchkomponiertes System, in dem Laura, Liebe und Dichten eine Einheit bilden, die untrennbar miteinander verknüpft und gegenseitig Bedingung füreinander sind.[10]

[...]


[1] Friedrich, Hugo, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt 1964, S.157-158.

[2] Friedrich, S.188-189.

[3] Friedrich, S. 163-164.

[4] Foscolo, Ugo, Essays über Petrarca, London 1823, S. 237.

[5] Friedrich, S. 202-209.

[6] Friedrich, S. 183.

[7] Friedrich, S. 217-219.

[8] Friedrich, S. 196-197.

[9] Kablitz, Andreas, „Die Herrin des Canzoniere und ihre Homonyme. Zu Petrarcas Umgang mit der Laura-Symbolik“, in: Romanische Forschungen, Band 110 , 1989, S. 21-22.

[10] Friedrich, S. 197-199.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Von Laura zu Juana Inés - der Petrarkismus bei Sor Juana
Hochschule
Universität zu Köln  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Sor Juana Inés de la Cruz
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V68171
ISBN (eBook)
9783638606776
ISBN (Buch)
9783638672610
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Laura, Juana, Inés, Petrarkismus, Juana, Inés, Cruz
Arbeit zitieren
Lisa Rauschenberger (Autor:in), 2006, Von Laura zu Juana Inés - der Petrarkismus bei Sor Juana, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68171

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