Sozialisationsstörungen infolge von ungewollter Schwangerschaft in der Adoleszenz


Hausarbeit, 2001

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Entstehung einer ungewollten Schwangerschaft
2.1 Herkunft, soziales Umfeld
2.2 Die Pubertät
2.3 Sexualität - Verhütung
2.4 Weitere Gründe

3. Mutterschaft in der Adoleszenz
3.1 Die familiäre und außerfamiliäre Sozialisation
3.2 Die besondere Rolle adoleszenter Mütter in der Gesellschaft
3.3 Spezifische Problemstellungen für junge Mütter
3.4 Die Rolle des Kindsvaters
3.5 Zukunft und Beruf

4. Schluss

5. Anlagen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieser erschreckende Zeitungsbericht löst wohl bei jedem Leser große Betroffenheit und vor allem Unverständnis aus. Wie kommt eine Mutter dazu ihr eigenes Kind auf solch brutale Weise zu behandeln[1], ja gar zu töten? Bezeichnenderweise ist es in diesem Falle aber eine „20-jährige Mutter“! Die widersprüchlichen Aussagen dieser jungen Frau legen die Vermutung nahe, dass es für Mütter dieser Altersgruppe im allgemeinen keine leichte Aufgabe zu sein scheint ihr Kind verantwortungsbewusst und adäquat großzuziehen ohne dabei selbst in schwerwiegende Krisensituationen zu geraten. Wer betrachtet, dass Mädchen zwischen 14 und 23 Jahren, auf die ich mich im folgenden beziehen werde, selbst im konfliktreichen Jugendalter stecken, beurteilt obenstehende Situation unter Umständen mit weniger Kopfschütteln. Dieses Lebensalter ist vor allem durch seinen dichotomen Charakter gekennzeichnet, der die Pubertät als körperliche Reifung und die Adoleszenz als „seelische Auseinandersetzung mit den körperlichen und psychosozialen Veränderungen an der Schwelle zum Erwachsenwerden“[2] vereint. Im Hinblick auf die überwiegend ungewollten Schwangerschaften der jungen Mädchen, spielt vor allem die Entwicklung im Sinne des psychologischen Begriffs der Adoleszenz eine wichtige Rolle, der durch Dieter Bürgin wie folgt sehr anschaulich definiert wurde. „Der Adoleszente in dieser mehrjährigen Übergangszeit lässt sich mit einem Trapezkünstler vergleichen, der seinen schwingenden Halt losgelassen hat, nun frei durch die Luft wirbelt und die gegenüberliegenden Trapezteile noch nicht gefasst hat – eine Phase höchster Verletzlichkeit, in welcher Erscheinungen wie Suizidversuche, Anorexie, Depression, psychotische Zustände, sexuelle Abartigkeiten, Drogenkonsum und Delinquenz unvermittelt gehäuft auftreten.“[3] Andererseits ist die Adoleszenz im Wesentlichen eine Entwicklungsaufgabe, die Herausforderungen wie die Ablösung von den Eltern, die Schaffung einer reifen Sexualität, den Abschluss der kognitiven Entwicklung und die Bildung einer stabilen Identität mit einem eigenständigen Über-Ich an die Jugendlichen stellt.[4] Als entscheidenden Entwicklungsschritt möchte ich an dieser Stelle „die Fähigkeit, den Verlust der Primärobjekte zu betrauern“[5], herausgreifen, die bei adoleszenten Müttern nicht erreicht wird. Diese Mädchen sind unfähig ihre eigene Identität, aber auch ihre Rolle in der Gesellschaft aufzubauen und zu akzeptieren. Das Kind wird als Substitut für die abgebrochene Beziehung zu den eigenen Eltern oder früheren Bezugpersonen genutzt und ist lediglich eine Attrappe für so viele bewusste und unbewusste Wünsche der Adoleszentin.[6]
Im folgenden wird der Zusammenhang zwischen der Sozialisation der jungen Frauen und ihrer ungewollten Schwangerschaft beziehungsweise Mutterschaft erörtert, um diese Vermutungen und Rückschlüsse in empirischer Vorgehensweise zu überprüfen.

2. Entstehung einer ungewollten Schwangerschaft

2.1 Herkunft und das soziale Umfeld

„Die Wahrscheinlichkeit weiblicher Jugendlicher mit niedrigem Bildungsniveau Mutter zu werden, ist 2 ½ mal so groß wie bei Jugendlichen mit durchschnittlichem Bildungsstand“[7]. Diese Aussage betont die enorme Beeinflussung der Jugendlichen durch das soziale Umfeld, beziehungsweise die Herkunftsfamilie, welche den betreffenden Mädchen nur selten die nötige Stabilität, Verlässlichkeit oder den erforderlichen Rückhalt in der Kindheit und frühen Jugend bieten konnte. Die Indikatoren reichen von Scheidung, Alkoholismus oder Drogensucht bis hin zum Tod einer Bezugsperson. Als Effekt schlägt sich allerdings immer wieder der Mangel an verlässlichen und positiven zwischenmenschlichen Beziehungen nieder.[8] Infolgedessen zeigen die jungen Mädchen später ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein und die Unfähigkeit stabile Beziehungen aufzubauen, so kommt es neben sozialen Defiziten auch zu Schulproblemen oder fehlender beruflicher Motivation. Vor allem die unsichere Zukunftsperspektive veranlasst einen großen Anteil dieser weiblichen Jugendlichen zur Wiederaufnahme des tradierten Geschlechtsrollenbildes der Frau als Hausfrau und Mutter. Obwohl eigentlich "schulische und berufliche Ausbildungsprozesse im Vordergrund stehen“[9] sollten, halten die Mädchen oft an der „alleinigen... Perspektive Mutterschaft fest“[10]. Das Kind soll dem Leben der verunsicherten Teenager einen Sinn geben, soll ihnen eine Rolle in der Gesellschaft zuweisen, auch eine Befriedigung der emotionalen Bedürfnisse wird vom ungeborenen Kind erwartet. „Sie suchen nach Zuwendung und Sinnerfüllung, wenn sie mit dem Säugling spielen und herumknuddeln.“[11] Dass diese Erwartungen und Wünsche bald niederschmetternd von einer ganz anderen Realität abgelöst werden, ist aufgrund der mangelnden Bindungsfähigkeit und der nie selbst erfahrenen Mutter- bzw. Elternliebe nicht verwunderlich, wird allerdings an späterer Stelle noch genauer beleuchtet werden. Auffallend hoch ist auch die Zahl der jungen Mütter, die selbst das Ergebnis einer Teenagerschwangerschaft sind. Logisch wird dieser Zusammenhang, wenn man bedenkt, dass die eigene Mutter in bezug auf Sexualität und Verhütung die Funktion des Vorbilds für ein junges Mädchen übernehmen kann, das zwar nicht ausgesucht wird wie ein Popstar oder ähnliches, aber gerade im Unterbewusstsein ihr Verhalten und die weitere Sozialisation beträchtlich beeinflusst. Der unterbliebene Besuch beim Frauenarzt beispielsweise beruht in entscheidendem Maße darauf, dass in der Herkunftsfamilie Sexualität und Verhütung nicht thematisiert werden und als angsteinflössendes und ambivalentes Tabu gelten. Durch die unterbliebene Aufklärung wiederum steigt das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft im Jugendalter um ein Vielfaches an.

Die größte Gruppe der jungen Mütter hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kontakte zu Institutionen der Jugend- und Sozialhilfe. In diesem Zusammenhang spielt auch der Gedanke mit diesem Kind zum ersten Mal „etwas Eigenes im Leben zu haben, über das Kind ein Gefühl von Macht zu entwickeln, sie, die sonst selbst Adressatinnen der Machtausübung sind“[12], eine beträchtliche Rolle. Auch in diesen Fällen sind durch die mehrfach wechselnden Bezugspersonen oft Sozialisationsstörungen Grund und Folge einer ungeplanten Schwangerschaft in der Adoleszenz.

2.2 Die Pubertät

Die Adoleszenz selbst spielt bei der Ergründung der Schwangerschaft jugendlicher Mütter ebenfalls eine herausragende Rolle. In dieser Lebensphase sind die Mädchen zahlreichen Sozialisationsvorgängen in einer relativ kurzen Zeit ausgesetzt. Um zu einer stabilen Erwachsenenidentität zu gelangen, muss zum einen die „Integration der körperlichen Veränderungen der Pubertät in ein integres geschlechts(rollen) adäquates Selbstbild“[13] vollzogen werden, zum anderen sollten eine „Vorbereitung auf die gesellschaftliche Arbeit als Erwachsene“[14] und eine „psychische, emotionale und ökonomische Ablösung von den Eltern“[15] stattfinden. Die positive Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben setzt allerdings eine vollzogene Sozialisation in der Kindheit voraus, die ja wie bereits erwähnt nur bei den wenigsten schwangeren Mädchen erfolgt ist. Gerade die Loslösung von den Eltern wird ja durch eine frühe Schwangerschaft entweder unterbrochen oder teilweise sogar gänzlich verhindert, in beiden Fällen bleibt die materielle Abhängigkeit zunächst bestehen. Die Schwangerschaft an sich kann also zugleich Folge und Ursache schwerwiegender Konflikte in der Pubertät sein. Sie ist nicht allein das Ergebnis physischer und biologischer Vorgänge, sondern sie beinhaltet darüber hinaus das Ergebnis von „Fruchtbarkeit, Weiblichkeit, Erwachsensein, Unabhängigkeit“[16] und den gesellschaftlich anerkannten Status der Mutterrolle, der mit dem Chaos der Unsicherheit kontrastiert. Für viele junge Frauen ist sie deshalb die naheliegende Lösung, um ihre Identität zu festigen. Selbst in unserem heutigen Rollenbild der Frau werden Mutterschaft und die Tätigkeit der Kindererziehung als zentrale Wesensbestimmung und natürliche Aufgabe jeder Frau angesehen. So erzeugen die widersprüchlichen gesellschaftlichen Anforderungen an Mädchen - in Bezug auf berufliche Orientierung und Mutterschaft - in der Adoleszenz eine konfliktgeladene Situation, auf die vor allem die Mädchen aus einer schlechten Kindheit nicht vorbereitet und der sie auch nicht gewachsen sind.

In ihren Beziehungen streben viele von ihnen noch eher nach einem freundschaftlichen, kumpelhaften Partner und selbst diejenigen, die sich nach der romantischen Liebe sehnen werden vor die Wahl gestellt: „Gefühl gegen Sachlichkeit, Traum gegen Technik“[17]. „Wie sollen verliebte, romantisch denkende und fühlende Mädchen und Jungen, die noch unsicher auf der Suche sind, die mit sich und anderen experimentieren und zwischen Abwarten und Erproben pendeln, wie sollen sie diese Anforderungen erfüllen?“[18] Denn sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen, ohne an Verhütung gedacht zu haben, kann bald eine ungewollte Schwangerschaft nach sich ziehen, mehr dazu allerdings im folgenden Kapitel.

Ferner gilt vor allem bei verliebten Teenagern die Tatsache die Schwangerschaft als eine Art Beziehungstest zu provozieren, um anhand der Reaktion des Partners festzustellen, wie er wirklich zur Verbindung steht, ob er bereit ist, sich auf Dauer einzulassen. In extremeren Fällen der psychischen Einsamkeit wird sie gar dazu benutzt, den Partner an sich zu binden. Die Mädchen hoffen mit dem erwarteten Kind auf eine idyllische Familiensituation, wie sie sie selbst meist nicht erfahren haben, aber aus einer Idealvorstellung heraus zutiefst wünschen.

In der Entwicklungsphase der Pubertät ist aber noch ein ganz anderer, biologischer Gesichtspunkt zu betrachten, der vor allem bei der Entscheidungsfindung, aber auch bei der Planung und Bewertung der Zukunft in den Vordergrund rücken kann.

So fanden amerikanische Forscher in einer Untersuchung mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomographie heraus, „dass das Gehirn des Menschen bis ins frühe Erwachsenenalter wächst und sich ausdifferenziert.“[19] Kompetente Verhaltensreaktionen dürfen deshalb von Pubertierenden, vor allem wenn es um emotionale Dinge geht nicht generell erwartet werden.

[...]


[1] NWZ vom 22.05.2001

[2] Resch, 1996, S. 231

[3] Bürgin, 1988, S. 65

[4] vgl. Jongbloed-Schurig, 1998, S.99

[5] Berger, 1988, S. 33

[6] vgl. Berger, 1988, S. 35

[7] Bier-Fleiter/Grossmann, 1989, S. 21

[8] vgl. Osthoff, 1995, S. 60

[9] Der Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, 1990, S. 160

[10] ebd.

[11] Osthoff, 1995, S. 63

[12] Wagner-Kröger, 1991, S. 223

[13] Klees-Möller, 1993, S. 93

[14] ebd.

[15] ebd.

[16] Helfferich, 1983, S. 93

[17] Häußler, 1983, S.66

[18] Osthoff, 1995, S. 28

[19] Milhoffer, 2000, S. 15

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Sozialisationsstörungen infolge von ungewollter Schwangerschaft in der Adoleszenz
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart  (Fachbereich Sozialwesen)
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V681
ISBN (eBook)
9783638104463
ISBN (Buch)
9783638676090
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialisationsstörungen, Schwangerschaft, Adoleszenz
Arbeit zitieren
Tina Weil (Autor:in), 2001, Sozialisationsstörungen infolge von ungewollter Schwangerschaft in der Adoleszenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/681

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