Douglas Kellner: Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten. Miami Vice - Eine kritisch-hermeneutische Lektüre?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Populäre Kultur und die konstruktion postmoderner identitäten

III. Miami Vice
1. Moral
2. Identitäten
3. Das Spiel mit Identitäten

IV. Das Lokale trifft das Globale
1. Fernsehaneignung
2. Das „encoding-decoding“-Modell von Stuart Hall

V. Schluss

VI. Literaturliste

I. Einleitung

Anfang der 80er Jahre wurde die Serie Miami Vice nicht nur in den USA und in Deutschland als die beliebteste Fernsehserie gefeiert. Vor allem die atmosphärischen Bilder der Serie sorgten für eine Stimmung, die sich an der damals neuen, populären Videoclipästhetik orientierte. Auch die beiden Protagonisten Crockett (Don Johnson) und Tubbs (Philip Michael Thomas), die durch ihr unkonventionelles Aussehen und Verhalten auffielen, setzten für die nächsten Jahre Trends. Die Handlungen selbst thematisierten Drogenhandel, Prostitution und den Lebensstil des „kriminellen Milieus“, sowie Geldwäsche und die Rolle, die dabei die Banken einnehmen. Keine Stadt eignete sich dafür als Schauplatz besser als Miami, durch den Bezug zur lateinamerikanischen Kultur als Zwischenstation für den internationalen Drogenhandel geltend.

Vor den Kulissen des ‚Art Deco Districts’, der modernen Architektur der 30er und 40er Jahre und den kräftigen Farben Südfloridas spielt sich das Leben der ‘High-Tech-Überflussgesellschaft’ ab, das der kriminellen Banden und Verbrechersyndikate, der Reichen und Schönen. Rennboote und schnelle Autos sind längst schon fest integrierte Bestandteile eines konsum- und freizeitorientierten Lebens, das sowohl in der Stadt als auch an den weissen Palmenstränden pulsiert.

Im Mittelpunkt dieser Szenerie steht der Vietnam-Veteran Detective Crockett, der mit einem Alligator, dem ehemaligen Maskottchen eines Footballteams auf einem Segelboot lebt, schnelle Autos mag und unter seinem Armani-Blazer T-Shirts trägt und in Lederschuhen ohne Socken läuft. Sein Partner Tubbs, Afro-Amerikaner, kam ursprünglich von New York nach Miami, um den Mörder seines Bruders zu finden. Jetzt schwärmt er für alte Autos, hört Musik der 60er Jahre und stellt in dem Zweierteam im Gegensatz zum intuitiven Crockett den Strategen dar. Beide sind mit der Verbrechens- und Drogenszene vertraut. Als verdeckte Ermittler werden sie von ihrem Boss Castillo auf besonders prekäre Fälle angesetzt, wobei immer ein Einblick in die verschiedenen Milieus Miamis gewährleistet ist.

Aufgrund des großen Eindruckes, den die Serie damals bei den Zuschauerinnen / den Zuschauern hinterlassen hat, ist es nicht verwunderlich, dass Miami Vice einen idealen Ausgangspunkt für postmoderne Überlegungen bietet. Vertreter der Postmoderne (vgl. Baudrillard, Deleuze, Guattari, Foucault, Lyotard) weisen hier gerade den Medien eine große Bedeutung zu, aber nur wenige, wie zum Beispiel Winter oder Kellner, untersuchen konkret die Massenmedien mit ihren Texten und Produkten und beschreiben dabei bestimmte postmoderne Charakteristika. In dem Aufsatz: „Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten“[1] interessiert sich Douglas Kellner, wie der Titel schon verrät, vor allem für die Strukturierung von Identitäten bezüglich der massenmedialen Kultur. Für ein grösseres Verständnis hinsichtlich des Wandels skizziert er darin kurz die Auffassung von Identitäten in traditionellen und modernen Gesellschaften, bevor er sich schliesslich der Serie Miami Vice als seinem zentralen Thema zuwendet. Entgegen der Auffassung anderer Kulturtheoretiker ist Miami Vice für ihn ein sozialer Text, der als ein von polysemer Bedeutung gesättigtes Artefakt anzusehen sei. Erst durch das Aufbrechen der „neuen Art von Oberflächlichkeit“ (D.K. S. 220) sei es möglich, diese Bedeutungseinheiten aufzudecken und dabei die Fragmentierung und Zerbrechlichkeit der Identitäten zu erkennen.

Im Folgenden werde ich die zentralen Thesen und Argumentationsreihen des Textes „Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten“ herausstellen. Dabei werde ich selbige anhand der mir vorliegenden Folgen von Miami Vice[2] überprüfen und gegebenenfalls entkräften. Ziel dieser Arbeit ist es, eine kritische Untersuchung hinsichtlich der Perspektive Douglas Kellners auf die postmoderne Identität innerhalb der Medienlandschaft durchzuführen.

II. Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten

Kellner unterscheidet zu Beginn seines Aufsatzes drei theoretische Diskurse der Identitätsentwicklung. Aus anthropologischer Sicht wird zunächst der Identitätsbegriff traditioneller und moderner Gesellschaften verglichen. So wird Identität vormoderner Zeiten als etwas Starres und Unwandelbares begriffen, basierend auf der Determiniertheit des Lebensweges. Die „...im voraus festgelegten sozialen Rollen und ...ein System überlieferter Mythen, die Orientierung und religiöse Sanktionen hinsichtlich des eigenen Ortes in der Welt...“ (D.K. S. 214) bieten somit nicht die Möglichkeit der Reflektion und des flexibleren Umgangs mit der Wesenseinheit. Während über den Identitätsbegriff in traditionellen Gesellschaften also noch Einigkeit besteht, bricht er in der Moderne auf und wird erstmals als veränderlich in bezug auf die Wahrnehmung durch den „Anderen“ erkannt (Mead 1968). Identität wird durch die permanente Fortschreibung der Integration von Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung vielfältiger und in hohem Maße reflexiv, wobei jedoch weiterhin relativ eindeutig definierte Rollen zugewiesen und anerkannte, stabile Identitäten angestrebt werden.

Grundsätzlich stellt sich innerhalb dieses Diskurses die Frage, ob Identität als ein substantielles Selbst angesehen werden kann, indem eine Wesenseinheit als angeboren und fest dominiert, oder ob diese Wesenseinheit letztlich konstruiert ist und folglich nach Nietzsche oder Sartre substanzlos als „existenzielles Projekt“ (D.K. S. 215) zu verstehen ist. „In der Moderne bestand das Problem der Identität also in der Frage, wie wir unser Selbst konstituieren, wahrnehmen, interpretieren und uns selbst wie auch anderen präsentieren.“ (D.K. S. 216)

Wegen des zunehmenden medialen Einflusses auf die Identität rückt in der Postmoderne nun die Vorstellung des fragmentierten, zerbrechlichen und instabilen Fernseh-Ichs in den Vordergrund. Nach Baudrillard und Vertretern der Frankfurter Schule zerfällt Identität im Hinblick auf eine anwachsend rationalisierte, bürokratisierte und mediengeprägte Massengesellschaft. „Es wird behauptet, in der postmodernen Kultur habe das Subjekt sich in einem Strom euphorischen Intensitätserlebens aufgelöst...und (es) besitze nicht mehr die Tiefe, die Substanz und die Kohärenz, die das – gelegentlich erreichte – Ideal des modernen Selbst bildete.“ (D.K. S. 217) Demzufolge werden Bedürfnisse konditioniert und manipuliert ohne Miteinbeziehung einer eigenen, aktiven Teilhabe der Konsumentin/des Konsumenten.

Es soll hier ergänzend auf den Aufsatz „Die Frage der kulturellen Identität“[3] verwiesen werden, in dem Stuart Hall eine ähnliche historische Entwicklung des Identitätskonzeptes beschreibt. Vor allem der Abschnitt „Die De-Zentrierung des Subjekts“[4] dient durch die Beschreibung des Einflusses theoretischer Konzepte (Marx, Freud, Lacan, Saussure, Foucault und der Feminismus) einer Vervollständigung der Definition der fragmentierten Identität.

Die von Kellner zu Recht als bisher skizzenhaft und fragmentarisch bezeichneten Beschreibungen populärer Kultur veranlassen ihn zu einer genaueren Untersuchung von

Produkten der Massenmedien. Sein Augenmerk gilt allgemein der bisher antihermeneutischen

Einstellung gegenüber populären Texten und im Besonderen der Serie Miami Vice. So konstatiert er, dass Zuschauerinnen / Zuschauer sich konkrete Informationen aus dem Fernsehen holen und teilweise umfassendes Wissen über die „Objekte ihrer Faszination“ (D.K. S. 222) besitzen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass das bloße Rauschen der Bilder zu einer Verflachung der Aufnahmefähigkeit führt und vergängliches ästhetisches Erleben erzeugt, sondern dass beispielsweise in einer Serie wie Miami Vice neben der Vorherrschaft des Bildes gegenüber der Erzählung Bedeutungen transportiert werden, die die/der Zuschauer(in) generiert und zur Strukturierung seiner Identität benutzt. Das Fernsehen übernehme folglich die Rolle früherer Rituale, also „die Aufgabe, das Individuum in die soziale Ordnung zu integrieren, die herrschenden Werte zu propagieren, Denk- und Verhaltensmodelle sowie Geschlechterrollen zur Nachahmung bereitzustellen“ (D.K. S. 222). Kellner geht es hier um eine Neudefinition des ‚postmodernen Ichs‘, das nach Jameson, bar jeder Tiefe und Individualität, von oberflächlichen, substanz- und sinnlosen Produkten umgeben ist. (D.K. S. 220) Sein Ziel ist es also, sowohl die Bilder als auch den Inhalt von Miami Vice zu analysieren, um zu neuen Ergebnissen zu gelangen.

[...]


[1] Kellner, Douglas: „Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten“; in: Kuhlmann, Andreas (Hrsg.): „Philosophische Ansichten der Kultur der Moderne“; Frankfurt a. M. 1994, S. 214-237 Sigle: D.K.

[2] „Und vergib uns unsere Schuld“ (1986); „Am Boden Teil I“ (1987); „Am Boden Teil II“ (1987); „Cuba Libre“ (1987); „Eine Frage der Ehre“ (1987)

[3] Hall, Stuart: „Rassismus und kulturelle Identität, Ausgewählte Schriften 2“; Hrsg.: Mehlem, U.; Bohle, D.; Gutsche, J.; Oberg, M.; Schrage, D.; Hamburg 1994

[4] ebd. S. 193

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Douglas Kellner: Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten. Miami Vice - Eine kritisch-hermeneutische Lektüre?
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Soziologie/Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Seminar: Cultural Studies (Kultursoziologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V6799
ISBN (eBook)
9783638142915
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Miami Vice - eine kritisch-hermeneutische Lektüre?
Arbeit zitieren
Constanze Meier (Autor:in), 2001, Douglas Kellner: Populäre Kultur und die Konstruktion postmoderner Identitäten. Miami Vice - Eine kritisch-hermeneutische Lektüre?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6799

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