Textnormveränderung durch verdeckte Übersetzung angloamerikanischer Aktionärsbriefe ins Spanische


Magisterarbeit, 2006

297 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen und Begriffsklärung
2.1 Unternehmenskommunikation
2.1.1 Ziele der Unternehmenskommunikation
2.1.2 Kommunikationsinstrumente
2.1.3 Der Geschäftsbericht als Instrument der Unternehmenskommunikation .
2.2 Der Aktionärsbrief
2.3 Zusammenfassung

3 Das Analysemodell: House´s Translation Assessment Model
3.1 Unterschiedliche Formen von Übersetzung: Overt versus Covert
3.2 Kultureller Filter
3.3 Zusammenfassung

4 Das Projekt K4 Covert Translation - Verdecktes Übersetzen
4.1 Bisherige Untersuchungsergebnisse
4.1.1 Subjektivität und Adressatenorientierung
4.1.2 Textarten ‚Beschreiben‘, ‚Berichten‘ und ‚Erzählen‘
4.2 Zusammenfassung

5 Empirische Untersuchung: Metaanalysen der Aktionärsbriefe des Sprachenpaars Englisch-Spanisch
5.1 Fragestellung
5.2 Das Korpus
5.3 Analysevorgehen
5.4 Metaanalyse exemplarischer spanischer Originalaktionärsbriefe 1997-2000
5.5 Metaanalyse exemplarischer spanischer Originalaktionärsbriefe 2001-2004
5.6 Zusammenfassung: Metaanalysen der spanischen Originalaktionärsbriefe beider Zeitfenster
5.7 Kontrastive Metaanalyse exemplarischer englischer Originalaktionärsbriefe und ihrer spanischen Übersetzungen 1997-2000
5.8 Kontrastive Metaanalyse exemplarischer englischer Originalaktionärsbriefe und ihrer spanischen Übersetzungen 2001-2004
5.9 Zusammenfassung: Kontrastive Metaanalysen der englischen Originalaktionärsbriefe und ihrer spanischen Übersetzungen beider Zeitfenster
5.10 Auswertung

6 Schlussbemerkung und Ausblick

7 Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur

Anhang (s. gesonderten Band)

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Ein Modell zur Analyse und zum Vergleich von Original- und Übersetzungstexten (vgl. Baumgarten et al.: 2004: 24; in Anlehnung an House 1997: 108)

Abb. 2: Carta a los accionistas. In: Informe anual Telefónica, 1997

Abb. 3: Carta del Presidente. In: Informe anual Inditex S.A., 1998

Abb. 4: Carta del Presidente. In: Informe anual Telefónica, 1998

Abb. 5: Carta del Presidente. In: Informe anual Repsol YPF S.A., 1999

Abb. 6: Carta del Presidente. In: Informe anual Repsol YPF S.A. 2000

Abb. 7: Carta del Presidente. In: Informe anual Inditex S.A., 2002

Abb. 8: Carta del Presidente. In: Informe anual Inditex S.A.,, 2003

Abb. 9: Carta del Presidente Ejecutivo. In: Informa anual Repsol YPF S.A., 2003

Abb. 10: Carta del Presidente Ejecutivo. In: Informe anual Repsol YPF S.A., 2004

Abb. 11: Carta del Presidente. In: Informe anual Telefónica S.A., 2003

Abb. 12: Letter to shareholders. In: Annual Report ADM, 1998

Abb. 13: Letter to shareholders. In: Annual Report Cisco Systems Inc., 1997

Abb. 14: Letter to shareholders. In: Annual Report Cisco Systems Inc., 1998

Abb. 15: Letter to shareholders. In: Annual Report Cisco Systems Inc., 2000

Abb. 16: Letter to shareholders. In: Annual Report Microsoft Corp. 1999

Abb. 17: Letter to shareholders. In: Annual Report ADM, 2001

Abb. 18: Letter to shareholders. In: Annual Report Cisco Systems Inc., 2002

Abb.: 19: Letter to shareholders. In: Annual Report Cisco Systems Inc., 2003

Abb.: 20: Letter to shareholders. In: Annual Report Microsoft Corp., 2002

Abb.: 21 Letter to shareholders. In: Annual Report Microsoft Corp., 2004

1 Einleitung

Im Zuge der Globalisierung in Wirtschaft, Politik und Kultur haben in der internationalen Wirtschaftskommunikation einschneidende standardisierende Entwicklungen sowohl in den nationalen Bilanzierungsrichtlinien, die der Finanzkommunikation zugrunde liegen, in der Zusammensetzung der Adressatengruppen unternehmensspezifischer Berichterstattung als auch im Einfluss des Englischen als globaler Lingua franca stattgefunden. Diese Entwicklungen haben zu einer Veränderung der Form und Funktion des Geschäftsberichts als zentrales Instrument der Unternehmenskommunikation geführt. Angesichts des Wachstums des internationalen Kommunikationsnetzes, welches ebenfalls mit zunehmender Internationalisierung einhergeht, ergibt sich die Notwendigkeit einer erhöhten Produktion von Texten, die sich an Adressaten verschiedener Sprach- und Kulturgemeinschaften gleichzeitig richten. Diese Texte werden entweder sofort in englischer Sprache verfasst oder sie entstehen als Übersetzungen eines Originals, das immer häufiger in englischer Sprache verfasst wird. Die Übersetzungstexte richten sich folglich nach dem englischen Ausgangstext, erheben aber gleichzeitig den Anspruch, selbst als Originale zu erscheinen, d.h. sie stellen gemäß der Terminologie von House verdeckte Übersetzungen dar. Aufgrund der sich durch die weltweite politische, wirtschaftliche und kulturelle Dominanz der englischen Sprache ergebende Rolle des Englischen als globaler Lingua franca lässt sich die Vermutung äußern, dass Übersetzungen aus dem Englischen von englischen oder amerikanischen1 Einflüssen geprägt sind.

Im Projekt Covert Translation - Verdecktes Übersetzen, das zurzeit im Sonderforschungsbereich Mehrsprachigkeit der deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. hc. House durchgeführt wird, geht es in diesem Zusammenhang um die Spannung zwischen den Anforderungen an Vertextungen durch globale, anglophone kommunikative Konventionen auf der einen Seite und durch kulturspezifische Vertextungskonventionen auf der anderen Seite. Es untersucht in diesem Zusammenhang, ob und wie die Dominanz des Englischen in verdeckten Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche und in andere europäische Sprachen sowie in Paralleltexten zu Angleichungen an angloamerikanische Textnormen führt. Dazu hat das Projekt einschlägige Untersuchungen vorrangig am Sprachenpaar Englisch-Deutsch, Englisch- Deutsch-Französisch für den Bereich der Populärwissenschaft und auch Englisch Deutsch-Spanisch für den Bereich der Wirtschaftskommunikation vorgelegt. Die bisherigen Projektergebnisse haben die Fragestellung in Bezug auf bestimmte funktionale Kategorien des Deutschen bestätigt und geben erste Hinweise auf durch das Englische ausgelöste Veränderungen in sprachspezifischen Strategien der Informationsorganisation im Deutschen. Sie erlauben die Annahme, dass die Annäherung an die ausgangssprachlichen angloamerikanischen Textformen und Textkonventionen in den übersetzten deutschen Aktionärsbriefen einerseits durch die Dominanz des Englischen determiniert ist. Andererseits ist sie möglicherweise auf eine Änderung der nationalen Bilanzierungspraktiken nach dem Vorbild der US-amerikanischen Bilanzierungsrichtlinien US-GAAP sowie auf die zunehmenden Heterogenisierung der Adressatengruppen der Berichterstattung zurückzuführen.

In direkter methodologischer Anknüpfung an das Projekt untersucht die vorliegende linguistisch orientierte Arbeit als Desiderat anhand einer qualitativen, diachron-kontrastiv angelegten Analyse von Fallstudien englisch-spanischer Übersetzungen von Aktionärsbriefen exemplarisch, ob - so die Projekthypothese - die ausgangssprachlichen Textkonventionen und typischen Textformen der angloamerikanischen Aktionärsbriefe in den zielsprachlichen spanischen Übersetzungen und spanischen Paralleltexten übernommen werden. Bei der Untersuchung des Genres Wirtschaft lag der Schwerpunkt bisher lediglich auf der diachronen Analyse englischer und deutscher Firmenvisionen und Aktionärsbriefe sowie auf der synchronen englisch-spanischen Übersetzungsanalyse der Textsorte Firmenvisionen. Da jedoch noch keine Untersuchungsergebnisse für diese Textsorte und dieses Sprachenpaar auf diachroner Ebene erzielt wurden, hofft diese Arbeit, die bisherigen Projektergebnisse zum Bereich der mehrsprachigen Wirtschaftskommunikation auf eine breitere Basis zu stellen, indem sie zum einen spanischsprachige Originaltexte erstmalig diachron untersucht und zum anderen die bereits erarbeiteten Ergebnisse für das Sprachenpaar Englisch-Deutsch weiterführend differenziert.

Um dieses Ziel zu erreichen, liegt dieser Arbeit folgende Vorgehensweise zugrunde: Zunächst werden im zweiten Kapitel zentrale Begriffe wie Unternehmenskommunikation, Geschäftsbericht und Aktionärsbrief definiert, erläutert und der Zusammenhang zwischen ihnen beleuchtet. Dabei wird auf aktuell gültige wirtschaftliche und rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen in den USA und in Spanien Bezug genommen. Das dritte Kapitel widmet sich dem Übersetzungsbewertungsmodell von House, welches in der Analyse für den Vergleich von Original und Übersetzung als tertium comparationis fungiert. In diesem Zusammenhang wird auch die im Rahmen dieses Modells verwendete relevante Terminologie, z.B. der kulturelle Filter, erläutert. Das vierte Kapitel stellt die bisher erzielten Forschungsergebnisse des Projektes Covert Translation vor und führt weitere zusätzliche Begriffsbestimmungen an, z.B. von ‚Subjektivität‘, bevor sich das fünfte Kapitel mit der empirischen Untersuchung befasst. Dabei wird zunächst die Fragestellung abgeleitet und erläutert, das Korpus präsentiert und das Analysevorgehen beschrieben. Anschließend werden die vergleichenden Metaanalysen der monolingualen spanischen, der monolingualen englischen sowie ihrer spanischen Übersetzungen aus den Zeitfenstern 1997-2000 und 2001-2004 exemplarisch vorgestellt und ausgewertet. Das sechste Kapitel beinhaltet die Gesamtbilanz der vorliegenden Arbeit sowie einen Ausblick auf weitere Forschungsschritte zum Einfluss des Englischen in der mehrsprachigen Wirtschaftskommunikation. Nach jedem Kapitel folgt eine kurze inhaltliche Zusammenfassung.

2 Grundlagen und Begriffsklärung

Dieses Kapitel erläutert die grundlegenden Begriffe, auf die im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit Bezug genommen wird.

Im Zentrum steht dabei die Herausarbeitung der zentralen kommunikativ-instrumentellen Zusammenhänge, innerhalb derer sich die Geschäftberichterstattung heute einordnet. Da der Geschäftsbericht das zentrale Instrument der Unternehmenskommunikation und damit das Herzstück eines kommunizierenden Unternehmens darstellt, wird zuerst der Begriff ‚Unternehmenskommunikation‘, ein vielgebrauchtes und oft strapaziertes Schlagwort für den boomenden Kommunikationsbereich von Wirtschaftskommunikationen, näher beleuchtet und eingegrenzt. Im Abschnitt 2.1.3 erfolgt die Einordnung des Geschäftsberichts in diesen Kontext sowie die kontrastive Darstellung seiner Funktion und Adressatenstruktur im spanischen und angloamerikanischen Raum. Dabei werden einige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und wesentliche Rechtsgrundlagen der Bericht- erstattung aufgeführt. Dem Aktionärsbrief, der den höchsten Grad an Personalisierung enthält und einen in kommunikativer Hinsicht sehr wichtigen Teil des Geschäftsberichts darstellt, widmet sich der Punkt 2.2.

2.1 Unternehmenskommunikation

Obwohl Unternehmenskommunikation2 als viel verwendetes und oft strapaziertes Schlagwort für den Kommunikationsbereich von Wirtschaftsorganisationen heutzutage sowohl innerhalb der Betriebswirtschaftslehre als auch im Rahmen der Kommunikationswissenschaft einen häufig betrachteten Gegenstand darstellt, fehlt bisher eine eindeutige und kritische Begriffsdefinition. Dies stellen neben anderen auch die Marketingtheoretiker Bruhn (2003, 2004) und Derieth (1995) kritisch fest3. Die präzise, auf dem Bruhnschen Erklärungsansatz basierende terminologische Neubestimmung von Derieth, deren Defi-nitionskriterien der Orientierung an Standards der realen Kommunikationspraxis obliegen, wird in dieser Arbeit zugrunde gelegt. Bruhn (1995: 8) bezeichnet Unternehmenskommunikation4 als „die Gesamtheit sämtlicher Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen eines Unternehmens, die eingesetzt werden, um das Unternehmen und seine Leistungen bei den relevanten Zielgruppen der Kommunikation darzustellen“. Diese Definition vereint die Begriffe ‚Gesamtheit’ und ‚Leistungsdarstellung’: Unternehmenskommunikation bezieht sich auf die Gesamtheit von Instrumenten und Maßnahmen und dient zum Zwecke der Leistungsdarstellung gegenüber den relevanten Zielgruppen. In Anlehnung an diesen Erklärungsansatz legt Derieth (1995: 25 ff.) dem Begriff der Unternehmenskommunikation drei konstitutive Merkmale zugrunde.

1) Gesamtheit (Universalität): Unternehmenskommunikation umfasst jegliche Art kommunikativen Verhaltens. Dementsprechend bezieht sie sich sowohl auf interpersonales Kommunikationsverhalten, d.h. auf interne Kommunikation zwischen den Mitarbeitern untereinander sowie externe Kommunikation zwischen den Unternehmensmitgliedern und der Umwelt, als auch auf massenmediale, an relevante Teilöffentlichkeiten gerichtete Kommunikation. Jeder Kommunikationsprozess trägt zur Unternehmensdarstellung bei. Der Eindruck, den eine Person oder eine Gruppe von einem Unternehmen erhält, resultiert aus allen Wahrnehmungen, da sich Vorstellungen aus dem Zusammenspiel von vorhandenem Wissen, bestehenden Meinungen und Einstellungen sowie neu gewonnenen Erkenntnissen bilden. Alle internen und externen Kommunikationsaktivitäten des Unternehmens bilden einen permanenten, wechselseitigen und dynamischen Prozess zwischen den an der Unternehmenskommunikation beteiligten Personen und Gruppen.

2) Bezug zu anderen Instrumenten (Relationalität) Den Bruhnschen Erklärungsansatz erweitert Derieth (1995: 27ff.) um das Kriterium der Relationalität, nach welchem alle Kommunikationsinstrumente hinsichtlich ihrer Unternehmens- und Leistungsdarstellung in Interdependenz zueinander stehen. Neben die Einzelwirkung eines eingesetzten Instruments tritt unter Beteiligung einer Vielzahl von deklassiere, die gerne aufgegriffen wird, um neuzeitliche Kommunikationskonzepte marktfähig zu kommunizieren. Faktoren immer eine Wechselwirkung zu anderen Kommunikationsmedien. So beeinflussen zusätzlich zu der Struktur der Aussage auch die Situation des Rezipienten, seine persönlichen Prädispositionen5 sowie der Prozess der Wahrnehmung die eintretende Wirkung (vgl. Merten 1991: 38ff.). Unternehmenskommunikation umfasst demzufolge die Summe der Instrumente sowie die dazugehörigen interdependenten Beziehungen zwischen allen verwendeten Kommunikationsmedien. Im Interesse einer erfolgreichen Unternehmenskommunikation gilt es entsprechend, zwischen allen Instrumenten einen möglichst hohen Grad an Konsistenz herzustellen. Je komplexer und vielschichtiger der gesamte Kommunikationsprozess verläuft, desto schwieriger lässt sich nämlich der Wirkungsgrad einzelner Instrumente hinsichtlich ihres Beitrags zur Zielverwirklichung nachweisen. Der Einfluss situations- und rezipientenspezifischer Variablen erschwert zudem die Zielrealisierung. Die besondere Bedeutung und das Potenzial, die der Relationalität der Kommunikationsinstrumente bei-gemessen werden, um mittels Unternehmens- kommunikation beabsichtigte Wirkungen zu steuern, v.a. aber um einen konsistenten Gesamteindruck zu erreichen, wird in Abschnitt 2.1.1. herausgestellt.

3) Bewusste Leistungsdarstellung (Intentionalität)

Unternehmenskommunikation ist stets mit einer strategischen Intention, einem konkreten Kommunikationsziel verbunden: Dies kann die Erhöhung des Bekanntheitsgrades, aber auch Verbesserungen des Images, der Kaufmotivation oder des internen Kommunikationsflusses sein. Hinter der kommunikativen Absicht eines Unternehmens steht in der Regel das Kommunikationsziel, möglichst vielen Rezipienten und Teilöffentlichkeiten ein im Sinne des Unternehmens geprägtes, positives Bild zu vermitteln. Insgesamt betrachtet dient sie immer dem Gesamtziel der Unternehmensdarstellung. So zählen zur Unternehmenskommunikation ausschließlich Kommunikationsprozesse, die intentional angelegt sind und demnach zur Erreichung des Gesamtzieles beitragen.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen nach Derieth (1995: 30ff.) lässt sich Unternehmenskommunikation zusammenfassend als Gesamtheit aller intentional ausgerichteten Kommunikationsprozesse und relational - im Hinblick auf die wechselseitig beein-flussenden Beziehungen der Instrumente und deren Wirkung - miteinander verbundenen Kommunikationsmaßnahmen und -instrumente beschreiben, die ein Unternehmen bewusst einsetzt, um seine Leistungen bei den relevanten internen und externen Zielgruppen6 der Kommunikation darzustellen.

2.1.1 Ziele der Unternehmenskommunikation

Unternehmenskommunikation basiert auf den kommunikativen Aktivitäten eines Unternehmens. Es handelt sich hierbei um sukzessiv geplante, funktional ausgerichtete und zielorientiert operierende Prozesse. Die Betriebswirtschaft betrachtet die Ziele der Unternehmenskommunikation im Rahmen des Marketing7 - und dort im Kontext des kommunikationspolitischen Zielsystems (vgl. Derieth 1995: 34ff.). Dem Marketingkonzept liegt die Beeinflussung des Austauschprozesses zwischen Unternehmen als Anbietern und Konsumenten als Nachfragern zugrunde, wobei Marketing auf eine bestmögliche Realisierung unternehmenspolitischer Ziele und Strategien zielt. Die systematische Marktbeeinflussung plant, koordiniert und kontrolliert unter Berücksichtigung der Wünsche des Marktes alle auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten (vgl. Bruhn 2004: 14f.). In der Marketingtheorie wird Kommunikationspolitik dabei als die bewusste Gestaltung der auf den Markt gerichteten Informationen definiert, um das Unternehmen, seine Produkte und Leistungen im Markt zu positionieren sowie um Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen aktueller und potenzieller Marktteilnehmer gemäß spezifischer Zielsetzungen zu beeinflussen und zu steuern (vgl. ebd: 199). Sie soll Kommunikation in Gang setzen, die sich in Richtung einer Nachfragesteigerung auswirkt. Aufgrund der Kommunikationsausrichtung auf den Absatzbereich wird sie auch als Marktkommunikation bezeichnet (vgl. Böcker & Helm 2003: 410).

Die marktgerichteten Kommunikationsprozesse beinhalten zwei zentrale Funktions- bzw. Zielkomponenten: Sie sollen zum einen über das Angebot informieren, d.h. die Informationsfunktion erfüllen, und zusätzlich die Empfänger im Sinne des Marketing beeinflussen (vgl. Böcker & Helm 2003: 411f.). Aus ökonomischer Sicht stellt die Beeinflussungskomponente für die Erfüllung der Unternehmensziele die dominierende der beiden Funktionskomponenten dar (vgl. Derieth 1995: 36).

Im Rahmen der marketingbezogenen Marktkommunikation kann zwischen kommunikativen und ökonomischen Zielen unterschieden werden (vgl. Bruhn 2004: 26f.). Ökonomische Ziele sind durch ihre mengen- und wertmäßige Operationalisierbarkeit gekennzeichnet, d.h. sie sind durch monetäre oder wirtschaftliche Größen konkret messbar. Hierzu zählen beispielsweise die Vorgabe absoluter oder relativer Umsatz- und Absatzziele sowie der Ausbau und Erhalt von Marktanteilen. Kommunikative Ziele hingegen beziehen sich auf qualitative Merkmale wie die Steigerung des Bekanntheitsgrades oder die Veränderung von Einstellungen gegenüber dem Unternehmen. Sie sind nur schwer messbar, da die Zielumsetzung in valide Messgrößen am nicht auszuschließenden Einfluss anderer, wie z.B. rezeptionsspezifischer Faktoren scheitert. Ihre primäre Aufgabe besteht darin, die Positionierung des Unternehmens im Markt mittel- und langfristig zu unter-stützen, d.h. zur Realisierung der ökonomischen Ziele beizutragen.

Kommunikative Ziele gelten innerhalb des Marketing daher als derivate Ziele und stellen in Bezug auf das gesamte Marketing- und Unternehmenszielsystem untergeordnete Teilziele dar (vgl. Bextermöller 2001: 99). Da ökonomische Wirkungen nicht eindeutig auf kommunikative Aktivitäten zurückzuführen sind, werden für sie in erster Linie psychologische Zielgrößen formuliert. So liegt den kommunikativen Zielen eine hierarchische Einteilung in kognitive (die Erkenntnis betreffende, z.B. Bekanntheit, Information), affektive (das Gefühl betreffende, z.B. Image, Emotion) und konative (Aktivitäten betreffende, z.B. Kaufabsicht, Kaufverhalten) Kommunikationsziele zugrunde (vgl. Bruhn 2004: 205). Diese Zielerreichung erfolgt im Idealfall sukzessive8.

Die Betriebswirtschaft bettet die Ziele der Unternehmenskommunikation in ein marketing- und kommunikationspolitisches Zielsystem, das in erster Linie absatzorientiert ist. Bei der Zielformulierung handelt es sich um ein Hierarchiesystem, in dem sich kommunikative Ziele an den Marketingzielen und diese sich wiederum an den ökonomischen Unternehmenszielen ausrichten müssen. Angesichts stagnierender Märkte und verstärktem Wettbewerbsdruck verzeichnet die Kommunikationspolitik einen wachsenden Stellenwert im Marketing-Mix9. Derieth (1995: 38f.) stellt diesbezüglich fest, dass unternehmerische Erfolgsziele wie Gewinnmaximierung oder Umsatzsteigerung zunehmend auf indirektem Wege, insbesondere über imageorientierte Zwischenziele erreicht werden. Sie macht auf die zwei folgenden Tendenzen aufmerksam: Zum einen hat die Bedeutung der Unternehmenskommunikation in den letzten Jahren deutlich zugenommen und dabei haben meinungs- und imagebildende Instrumente einen wachsenden Stellenwert eingenommen. Das kommunikationspolitische Zielsystem hat sich zum anderen zugunsten ganzheitlicher Faktoren wie Goodwill und Image10 verschoben.

Ein wesentlicher Teil der kommunikativen Ziele bleibt dennoch durch die klassischen kommunikationspolitischen Marktziele bestimmt. Danach stellt die erfolgsorientierte Beeinflussung von Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen aktueller und potenzieller Marktteilnehmer eine zentrale Zielsetzung der Unternehmenskommunikation dar (vgl. Meffert 2000: 6f.). Wie in den vorher skizzierten Zusammenhängen dargestellt, ist auch das immer stärker an Bedeutung gewinnende Ziel ‚Image und Identität’ als weiteres zu nennen. Eine zentrale Intention eines Unternehmens besteht hiernach darin, eine positive soziale Bewertung der internen und externen Zielgruppen zu erreichen sowie durch den Aufbau eines individuellen Selbstverständnisses zu seiner Identitätsstiftung beizutragen (vgl. Bextermöller 2001: 101).

Das erfolgreiche Verfolgen der Markt,- Image- und Identitätsziele führt im Idealfall zu konkreten Adressatenhandlungen im Sinne des Unternehmens, beispielsweise zum Erwerb eines Produkts oder einer Leistung. Verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre erschweren es Unternehmen jedoch zunehmend, diese Ziele zu erreichen. Heutzutage wird nämlich nicht mehr nur das einzelne Produkt, sondern das gesamte Verhalten eines Unternehmens11 geprüft:

Gegenwärtig geht es in der Öffentlichkeitsarbeit weniger um Produkte […], sondern um die gesellschaftliche Akzeptanz der in Unternehmen eingesetzten Techniken und Technologien. (Röglin 1996: 232, zit. nach ebd.: 102) Als weiteres Ziel der Unternehmenskommunikation lässt sich demnach das Bestreben ableiten, mit dem Umfeld Konsens im weiten Sinne zu erreichen, d.h. die Herstellung einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit seinen gesellschaftlichen und juristischen Zielgruppen. Den Unternehmen geht es dabei v.a. darum, bei den Adressaten Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft zu erzielen (vgl. Bextermöller 2001: 102).

Je größer die Abhängigkeit zwischen einem Unternehmen und seiner Zielgruppe ist, desto wichtiger wird für die Unternehmenskommunikation die Offenheit und Transparenz12 der Informationsvermittlung. Ein Unternehmen eröffnet sich nämlich erst mit einer auf Offenheit basierenden Kommunikation die Möglichkeit der Akzeptanz, weil es sich der Erörterung der Akzeptabilität stellt. Die Transparenz ermöglicht dem Unternehmen wiederum, abstrakte Kommunikationsziele wie Glaubwürdigkeit13 und Vertrauen zu erzielen (vgl. Röglin 1996: 235f., Bextermöller 2001: 103).

Die Markt-, Image- und Identitätsziele markieren die für Unternehmenskommunikation charakteristische Intentionalität, indem sie klar erkennbare Unternehmensinteressen verfolgen. Ihre Realisation erfordert ein entsprechend variables und facettenreiches Instrumentarium, welches im nächsten Abschnitt vorgestellt wird.

2.1.2 Kommunikationsinstrumente

Das klassische Marketing erfasst die unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente unter dem Begriff des ‚Kommunikationsmix‘. Als die vier grundlegenden Instrumente dieses Kommunikationsmix gelten Werbung, (Advertising), Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations oder PR), Verkaufsförderung (Sales Promotion) und persönlicher Verkauf (Sales Force) (vgl. Derieth 1995: 40). Der Stellenwert einzelner Kommunikationsinstrumente variiert unternehmensspezifisch je nach Branchenzugehörigkeit und Art des Unternehmens. Jedem dieser vier Kommunikationsinstrumente werden eine Reihe sog. Kommunikationsmittel14 zugeordnet. So umfasst z.B. der Bereich der Werbung sowohl Anzeigen in Printmedien als auch Rundfunk- und Fernsehspots. Der Geschäftsbericht fällt nach dieser Einteilung in den Kontext der Öffentlichkeitsarbeit. Dieser Bereich liefert im Hinblick auf die Unternehmensdarstellung und die Pflege des Unternehmensimages - trotz der zugleich bestehenden Relevanz der übrigen unternehmensbezogenen Kommunikationsinstrumente

- das zentrale Instrumentarium der Kommunikationspolitik (vgl. Derieth 1995: 52ff.). Während die anderen drei klassischen Instrumente letztlich darauf ausgerichtet sind, den Absatz des betrieblichen Leistungsangebots am Markt sicherzustellen und zu fördern, versuchen Public Relations durch interessengerichtete Informations- und Kommunikations- prozesse mit Teilöffentlichkeiten ein spezifisches und positives Bild des Unternehmens zu vermitteln, es innerhalb seiner Umgebung zu positionieren und von seinen Konkurrenten zu differenzieren (vgl. Bruhn 2004: 233). Sie wirken im Vergleich zu den anderen klassischen Kommunikationsinstrumenten somit nur mittelbar absatzfördernd: Die Schaffung einer für das Unternehmen wohlwollenden Marktatmosphäre und eines guten Verhältnisses zur Öffentlichkeit erweitert die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens, da ein positives Unternehmensimage das Kauf- oder Nutzungsverhalten der Adressaten positiv beeinflusst. Die vorrangige Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit besteht darin, das Ansehen des jeweiligen Unternehmens bei den relevanten gesellschaftlichen und politischen Gruppen zu fördern und günstige Rahmenbedingungen für die weitere Unternehmenstätigkeit zu schaffen (vgl. Böcker & Helm 2003: 426). Public Relations etablieren eine informelle Beziehung zwischen dem Kommunikationsinitiator und der Öffentlichkeit. Sie verfolgen das Ziel, langfristig Meinungen und Einstellungen der Adressatengruppen zu ändern sowie Verständnis für die eigenen unternehmensspezifischen Anliegen und eine Akzeptanz- und Vertrauensbasis in der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen. Dabei bewirken sie, dass unternehmerisches Handeln transparenter und gleichzeitig öffentlich kontrollierbarer wird (vgl. Hütten 2000: 87). Vor dem Hintergrund zunehmender Produkthomogenisierung zählt Öffentlichkeits-arbeit somit zur grundlegenden Voraus-setzung für langfristig erfolgreiches Handeln im Markt, da von einem positiven Verhältnis zur Öffentlichkeit eine absatzfördernde Wirkung ausgeht. Innerhalb der Öffentlichkeitsarbeit setzt sich mit den Investor Relations (IR) in den letzten Jahren zunehmend ein Teilbereich ab, in welchem es v.a. um die Beziehungspflege gegen- über finanzmarktbezogenen Adressaten15 geht. Der Begriff ‚Investor Relations’ definiert sich nach dem weltgrößtem US-amerikanischen Landesverband für Investor Relations NIRI (National Investor Relations Institute) als a corporate marketing activity combining disciplines of communications and finance, providing present and potencial investors with an accurate portrayal of a company´s performance and prospects. Conducted effectively, IR can have a positive impact on a company´s total value relative to that of the overall market and a company´s cost of capital (Dürr 1995: 3).

Im Vergleich mit den Public Relations verschiebt sich bei den Investor Relations mit dem spezifischen Adressatenkreis auch die Aufgabenstellung: Neben das Ziel der Schaffung von Vertrauen beim Anlegerpublikum sowie der Erhöhung des Bekanntheitsgrades und Herstellung eines positiven Unternehmensimages treten nun verstärkt die ökonomischen Interessen der Beteiligten. Das Erreichen eines langfristig maximalen Aktienkurses sowie einer angemessenen Aktien- und Unternehmensbewertung, die das gegenwärtige Geschäft und zukünftige Wachstumsmöglichkeiten reflektiert, gelten als Hauptziele von Investor Relations (vgl. Hütten 2000: 56). Mit den IR-Aktivitäten verbinden sich drei weitere Ziel- felder: die Erfüllung der von den Finanzzielgruppen gestellten Informationsansprüche (reale Unternehmens- und Aktienbewertung, Shareholder Value16 ), Pflege des Unternehmensimages (z.B. Erhöhung der Bekanntheit, Goodwill an den Finanzmärkten) sowie Gestaltung des Unternehmens- und Aktienumfelds (breite Publikumsstreuung der Aktien, Kursstabilisierung, Reduzierung von Konfliktpotenzialen) (vgl. Gaulke 1997: 22).

2.1.3 Der Geschäftsbericht als Instrument der Unternehmenskommunikation

Die Art und Weise der Unternehmensdarstellung in der Öffentlichkeit ist darauf angelegt, v.a. die Finanzzielgruppen zu Einschätzungen des Unternehmens anzuregen und ihre Akzeptanz für das eigene unternehmerische Handeln zu gewinnen. Wichtigstes Kommunikationsmittel des Unternehmens an die Finanzwelt dabei ist der Geschäftsbericht, die „Visitenkarte eines Unternehmens“ (Baetge & Kirchhoff 1997).

Der Geschäftsbericht stellt ein in unpersönlichen Kommunikationsprozessen eingesetztes Übermittlungsmedium verschiedener äußerlicher Erscheinungsformen dar, mit dessen Hilfe ein Unternehmen gewöhnlich im geschäftsjährlichen Turnus unternehmensbezogene Nachrichten an meist verschiedene, v.a. unternehmensexterne Adressatengruppen vermittelt (vgl. Hütten 2000: 32). Dabei verfolgt er neben der Erfüllung gesetzlicher Informationspflichten zumeist auch das Ziel ihrer Verhaltensbeeinflussung.

Er richtet sich - formal meistens ausschließlich die Aktionäre ansprechend - schwerpunktmäßig an Finanzadressaten, die in einem mehr oder weniger engen finanzbezogenen Verhältnis zum Unternehmen stehen. Sie sind in erster Linie an den finanzwirtschaftlichen Informationen und der zukünftigen Strategie des Unternehmens interessiert. Neben den Finanzadressaten zählen auch eine ganze Reihe anderer Gruppen zu seinen Lesern, z.B. die Unternehmensmitglieder selbst, Zulieferer, Kunden, Interessengemeinschaften, Vertreter aus Politik, Bildung, Wissenschaft etc. Ihr Interesse richtet sich nicht so sehr auf öko-nomische Fragen, sondern mehr auf Gebiete wie Branchen- und Arbeitsplatzsituation, Unternehmensperspektiven und -pläne, Unternehmensbeziehungen zur Umwelt u.ä. (vgl. Bextermöller 2001: 90).

Für Unternehmen, die die Steigerung des Shareholder Value als oberstes Unternehmensziel betrachten und die IR als eine zur Erreichung des Unternehmensziels zwingend notwendige Maßnahme sehen, stellt die Financial Community den Hauptadressatenkreis der Berichterstattung dar. Die Aktionäre bilden dabei die zentrale Gruppe unter ihnen, da von ihrer finanziellen Kooperationsbereitschaft in besonderem Maße die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit und damit der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen abhängen (vgl. Hütten 2000: 265). Eine Bevorzugung ihrer Informationsbedürfnisse bedeutet jedoch nicht, dass die übrigen Adressatengruppen nicht berücksichtigt werden, denn damit würden die Möglichkeiten der ‚Multifunktionalität‘ des Geschäftsberichts vertan. Im Sinne einer Kombination von IR und PR ist vielmehr eine angemessene Berücksichtigung aller Adressatengruppen anzustreben, die durch die Orientierung an den Interessen der Finanzadressaten nicht weiter beeinträchtigt werden sollte. Somit richtet sich der Geschäftsbericht i.d.R. nicht nur an eine Adressatengruppe, sondern wird für verschiedene Zielgruppen erstellt (vgl. Hütten 2000: 27)17.

Durch die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse der Adressaten und deren teilweise miteinander in Konflikt stehenden Interessen wird die jährliche Berichterstattung für die Unternehmensverantwortlichen oftmals zu einer inhaltlichen und formalen Gradwanderung18. Aufgrund der mitunter sehr unterschiedlichen, z.T. konträren Interessenlage des breiten Adressatenkreises ist die Aufstellung eines Geschäftsberichts zwangsläufig mit Zielkonflikten verbunden. Er kann nie allen Interessen und Informationswünschen in gleichem Maße gerecht werden, so dass er jedes Mal einen Kompromiss zwischen den Eigeninteressen des Unternehmens und den Interessen der Adressaten sowie zwischen den unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen der Adressaten darstellt (vgl. Bextermöller 2001: 378f.). Auch wenn der Kreis der Finanzadressaten die Kernzielgruppe der Berichterstattung markiert, so wächst mit zunehmendem Interesse anderer - fachlich nicht so kundiger - Adressatenkreise, wie etwa der Kleinaktionäre, der Anspruch an die Darstel-lungs- und Erläuterungsqualität des Geschäftsberichts. Während man bei finanzwirtschaftlichen Zielgruppen nämlich von einem hohen bis sehr hohen fachlichen Wissen ausgehen kann, ist diese Voraussetzung bei teil- bzw. nichtprofessionellen Adressaten, Privatanlegern und Lesergruppen, wie Kunden, Zulieferern oder anderen Personenkreisen aus der Öffentlichkeit, nicht unbedingt gegeben (vgl. Bextermöller 2001: 93).

Der Anteil nichtprofessioneller Berichtsadressaten, v.a. privater Kleinaktionäre, ist größer als von den Berichtsverfassern heute angenommen - und er wächst rasant (vgl. Bexter- möller 2001: 93). Bei spanischen Geschäftsberichten zeichnet sich in den letzten Jahren diese Entwicklungstendenz einer zunehmenden Diversifizierung in der Zusammensetzung der Leserschaft ab19. Anders als in den USA, wo Geschäftsberichte seit längerem aufgrund einer ausgeprägteren Aktienkultur - die Aktie ist dort eine verbreitete, volksnahe Form der Investition (vgl. Zingel 2005: 9) - von einer heterogeneren Zielgruppe gelesen werden, setzte sich die Leserschaft und Zielgruppe in Spanien bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich aus institutionellen Anlegern, d.h. Banken und Beratern zusammen: „los principales destinatarios de este tipo de documento son profesionales y estudiosos del área; es decir; un lector cualificado.“ (Pizarro Sánchez 2002: 257). Erst seit dem in der Öffent- lichkeit gestiegenen Interesse am Börsengeschehen aufgrund der v.a. von Kleinanlegern in der New-Economy-Euphorie vermehrt getätigten Investitionen in Aktien und des anschliessenden weltweiten Börsencrashs20 richtet sich der Geschäftbericht in Spanien an eine sehr viel breitgefächertere Leserschaft. So ist der Anteil nichtprofessioneller Leser, der sich aus Klein- und Kleinstaktionären zusammensetzt, gewachsen. Der Adressatenkreis ist heutzutage des Weiteren auch vor internationalem Hintergrund zu betrachten, denn viele, gerade finanzwirtschaftlich international agierende Unternehmen beschaffen sich ihr Kapital zunehmend im Ausland. Bextermöller (2001: 92) fixiert dabei die Tendenz eines steigenden Anteils ausländischer Investoren. Diese Entwicklung in Richtung einer stärkeren Heterogenität in der Zusammensetzung der Leserschaft bringt aufgrund anderer fachlicher Voraussetzungen und kulturell bedingter verschiedener Erwartungen ihrerseits eine Optimierungsnotwendigkeit bisheriger Berichterstattungsmodalitäten, v.a. der Adressatenansprache, mit sich. Als Standardwerk der schriftlichen Berichterstattung gilt der Geschäftsbericht im Vergleich zu den übrigen Mitteln der Unternehmenskommunikation21 zumeist als das umfassendste und wichtigste Informationsmedium; er wird auch als die „Königsdisziplin der Unternehmenskommunikation“ (Willhardt Pressemeldung Nr. 191, 08/2001, zit. nach Gohr 2002: 3) sowie als „das Herzstück eines kommunizierenden Unternehmens“ (Bextermöller 2001: 84) bezeichnet. Im Vergleich mit anderen Kommunikationsinstrumenten weist er eine größere Informationsfülle auf, so dass er in der jährlich erfolgenden Berichterstattung die wirtschaftliche Unternehmenssituation möglichst genau und umfassend wiedergeben kann. Dabei kommt ihm primär eine Bestätigungs- und Verdichtungsfunktion zu, d.h. elementare Neuigkeiten oder alte Gewinneinschätzungen werden überprüft, erhärtet und mit Hintergrundinformationen angereichert (vgl. Hütten 2000: 85)22. Er kann sowohl allge-meine wie auch vertiefende Einblicke in die aktuelle wirtschaftliche Situation als auch unternehmenskulturelle Entwicklungen der Gesellschaft vermitteln.

Zu keinem weiteren Kommunikationsinstrument gibt es derart detaillierte Vorschriften zur Regelung bestimmter gesetzlich vorgeschriebener Inhalte und Informationen wie zum Geschäftsbericht (vgl. Hütten 2000: 84). Die USA haben im Vergleich zu anderen westlichen Ländern äußerst strenge Vorschriften für die Rechnungslegung. Dennoch gibt es keine entsprechende bundeseinheitliche Gesetzesregelung (vgl. Bolten et al. 1996: 400). Die Unternehmen selbst sind normalerweise nach Bundesstaatsgesetz statt nach Bundes- gesetz als Gesellschaften eingetragen Aktiengesellschaften müssen ihre Abschlüsse der US- amerikanischen Aufsichtbehörde präsentieren, der Securities and Exchange Commission (SEC), deren Regularien die Pflicht zur Erstellung eines Geschäftsberichts kodifizieren23. Die den US-amerikanischen Annual Reports24 zugrunde liegende Bilanzierung erfolgt nach den Generally Accepted Accounting Standards (GAAP), welche wie kein anderes System der Rechnungslegung an die Bedürfnisse der Aktionäre und Investoren angepasst sind, da in den USA die Finanzierung über den Kapitalmakt eine große Bedeutung hat. Zu wichtigsten Bilanzierungsprinzipien gehört die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden fundierten Einblicks in die finanzwirtschaftliche Lage des Unternehmens, d.h. das Prinzip der Transparenz, Offenheit und wahrheitsgemäßen Darstellung (true and fair view/fair presentation) (vgl. Zingel 2005: 14).

Für spanische Geschäftsberichte werden die Inhalte und die Form gesetzlich durch die Ley de Sociedades Anónimas (1989), Código de Comercio (1985), Reglamento del Registro Mercantil (1996), Ley de Reforma Parcial (1989), Plan General de Contabilidad (1994) u.a.festgelegt (vgl. Pizarro Sánchez 2002: 250). Als Prinzipen der Rechnungslegung sind in der Ley de Sociedades Anónimas, in der die Erstellungspflicht des Geschäftsberichts kodifiziert ist25, die Grundsätze der Klarheit und Genauigkeit aufgeführt. Beherrschender Gedanke dabei ist der Schutz der Gesellschaftsgläubiger, die davor bewahrt werden sollen, dass auf dem Wege des bilanzmäßigen Ausweises von Scheingewinnen das Grundkapital an die Aktionäre zurückfließt. Vorkehrungen zum Schutz der Aktionäre gegen die Unterbewertung von Aktiven und die Bildung stiller Reserven sind hingegen nicht vorgesehen (vgl. von Hoffmann & von Waldheim 1975: 36).

Im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte wurde eine Standardisierung der nationalen Bilanzierungspraktiken auf der Basis der US-GAAP eingeführt. Diese Standardisierung sieht vor, dass die in Spanien bisher übliche Bilanzierung nach einer noch andauernden Übergangsphase bis 2007 durch die internationalen Bilanzierungsrichtlinen, die International Financial Reporting Standards (IFRS)26, abgelöst wird. Im Gegensatz zu den US-GAAP steht als Adressat jedoch nicht der Investor im Mittelpunkt, sondern eine breite Zielgruppe, Personen, die mit Hilfe der Daten ökonomische Entscheidungen treffen. Die Rechnungs- legung soll dabei folgenden Grundsätzen entsprechen: Verständlichkeit27, Entscheidungsrelevanz, Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit (vgl. Förschle et al. 1994: 96f.). Auf diese Weise wird das spanische Rechnungswesen in erheblicher Weise internationalisiert und übernational vereinheitlicht.

Für die einst professionelle Leserschaft eines spanischen Geschäftsberichts hat dieser in der Tradition eines Protokolls stehend vorrangig die Funktion des Berichterstattens bzw. Informierens: Er legt Rechenschaft über den Geschäftsgang des vergangenen Jahres ab und vermittelt die Unternehmenskultur (vgl. Pizarro Sánchez 2002: 252). Neben der gesetzlich vorgeschriebenen Informationsfunktion gegenüber den Aktionären, die ihm primär zukommt, verfolgt er auch eine Beeinflussungsfunktion28 (vgl. ebd.: 251):

El cumplimiento de la normativa legal vigente, origen de los textos, lleva implícita la segunda intencionalidad de este tipo de textos: informar. Las cuentas anuales, al igual que los documentos que las componen, incluyen información sobre la situación de la empresa; Finalmente, la tercera intencionalidad [...] es persuadir.

Die Beeinflussung zielt primär darauf ab, bei den Adressaten ein den Unternehmenszielen dienliches Bild des Unternehmens zu erzeugen. Zwar hat der Geschäftsbericht in den USA ebenfalls die Finanz- und Unternehmenspolitik zum Inhalt und vermittelt auch die Corporate Identity29 ; für eine weitaus heterogenere Zielgruppe fungiert er jedoch auch als „Marketinginstrument“ (Bolten et al. 1996: 404) und soll eine Geschichte, die Erfolgs- geschichte des Unternehmens, erzählen. Dieses verleiht ihm einen gewissen Unter- haltungswert.

Mehr als andere Instrumente ermöglicht der Geschäftsbericht neben der reinen Informa- tionswiedergabe somit auch die Vermittlung des Unternehmensimages. Da an keiner anderen Stelle in der Unternehmenskommunikation so ausführlich umfangreiche unternehmensspezifische Informationen vorgestellt werden, kann man ihn auch als unternehmenseigene Publikation im Sinne einer positiven Darstellung des Unternehmens einsetzen. Er bietet sich also auch als Instrument der PR für die Schaffung eines dem Unternehmen wohlwollenden Images sowie einer positiven Marktatmosphäre an.30. Das Erscheinungsbild des Geschäftsberichts ist somit zum Großteil dafür verantwortlich, wie das Unternehmen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird (vgl. Günther & Otterbein 1996: 404).

Keller (2001: 7f.), der die Berichterstattung in ein kommunikatives Funktionsgefüge stellt, schreibt dem Geschäftsbericht folgende fünf Grundfunktionen zu: Er soll seine Adressaten informieren, sie überzeugen, das Unternehmensimage prägen, die Beziehung zu den Adressaten pflegen und die Leser unterhalten. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmen eine Kombination der Ziele Information und Verhaltensbeeinflussung verfolgen. Die Unterhaltungsfunktion ergibt sich bei zahlreichen Geschäftsberichten als Nebenprodukt der primär auf die Präsentation des Unternehmensimages bzw. auf die Vermittlung von Leseanreizen ausgerichteten Gestaltung des Berichts (vgl. Hütten 2000: 32).

Angesichts der Entwicklungstendenz einer stärkeren Heterogenität in der Zusammensetzung der Leserschaft spanischer Geschäftsberichte hat sich ihre traditionell vorrangige Informationsfunktion zugunsten der Selbstdarstellungsfunktion verschoben (vgl. Bolten 2000: 1). Die Bedeutung des Geschäftsberichts als strategisches Instrument zur unter-nehmerischen Selbstdarstellung ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Der Aufbau, die Pflege und Verteidigung eines positiven Images, welches z.B. über die Darstellung des Unternehmensprofils oder die Formulierung eines Unternehmensleitbildes transportiert wird, haben dabei zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auch die Entwicklung der Vereinheitlichung der europäischen Rechnungslegungsvorschriften nach dem Vorbild der US-amerikanischen Bilanzierungsregeln hat, wie jüngste Studien zeigen (vgl. Ditlevsen 2002, Bolten et al. 2000) Einfluss auf Form und Funktion des Geschäftsberichts:

Die Funktion des Geschäftsberichts hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Der Geschäftsbericht hat sich von einem protokollhaften, im Wesentlichen rückwärts gewandten Text zu einem vorwärts orientierten Instrument des Aktienmarketings gewandelt. Damit muss sich auch die Sprache des Geschäftsberichts ändern. (Keller 2001: 10)

2.2 Der Aktionärsbrief

Der Aktionärsbrief übernimmt in den meisten Geschäftsberichten die Rolle eines in Brief- form abgefassten Vorworts der Vorstandsmitglieder. Das Vorwort bildet innerhalb des Geschäftsberichts mit seiner Funktion, die Rezipienten in die Berichterstattung einzuführen, das einzige Textelement, das sich direkt und explizit an die Adressaten richtet und so den innerhalb der Berichterstattung unmittelbarsten Kontakt zu ihnen herstellt (vgl. Ebert 2004: 280).

Obwohl es zu den freiwilligen Teilen der Berichtserstattung gehört und im Vergleich zu anderen Berichtsteilen einen verhältnismäßig geringen Umfang hat, stellt es ein aufschlussreiches und wichtiges Berichtselement dar. Zum einen erfüllt es nämlich als erster längerer Text gleich zu Berichtsbeginn eine Eröffnungsfunktion und stellt den Kontakt zu den Adressaten her. Zum anderen messen dem Vorwort der hohe inhaltliche Freiheitsgrad sowie der Umstand, dass es in der Regel von der ranghöchsten und zentralen Persönlichkeit des Unternehmens, dem Vorstandsvorsitzenden, verfasst bzw. unterzeichnet ist, eine wichtige Bedeutung bei (vgl. Keller 2005: 5).

Das Vorwort vermittelt ausgewählte und unter Umständen kommentierte Inhalte bzw. unternehmensspezifische Kernaussagen und liefert Aufschluss über das Bild, welches die Verfasser von ihren Adressaten und deren Interessen haben (vgl. Bextermöller 2001: 392). Ihre Fokussierung auf die Finanzadressaten - vornehmlich die Aktionäre - wird besonders in der Adressatenansprache deutlich. Dementsprechend beziehen sich die inhaltlichen Ausführungen der Vorstandsansprachen zumeist auf Themen, die v.a. Informationsinteressen finanzbezogener Zielgruppen berücksichtigen.

Die zentrale Kontakt- und komprimierende Informationsfunktionen des Vorworts tragen in besonderer Weise zur Beziehungspflege hinsichtlich der Adressaten bei. Die meisten Unternehmen wählen für das Vorwort zumeist die Briefform, auch wenn es bezüglich der inhaltlichen Gestaltung häufig signifikante Unterschiede zu einem klassischen Brief gibt31. Die Briefform erlaubt es dem Vorstandsvorsitzenden nämlich, sich unmittelbar an sie Leser zu wenden und sich persönlich zu äußern, somit auch Vertrauen aufzubauen bzw. zu festigen (vgl. Ebert 2004: 280). Wie keine andere Textart ist der Brief geeignet, Nähe und Verbindlichkeit aufzubauen und auf diese Weise die Beziehung zu den Adressaten zu pflegen. Damit das Vorwort die Fiktion eines Briefes erfüllen kann, muss es auch wie ein Brief geschrieben sein. Dazu gehört z.B., dass der Autor in dem Aktionärsbrief den Leser persönlich anspricht. Der Brief sollte des Weiteren die Informationen enthalten, die der Leser vom Vorstandsvorsitzenden erwartet, und er sollte im Briefstil geschrieben sein. Dieser ist stärker an der mündlichen Rede als am Stil des schriftlichen Berichts32 angelehnt.

Der Aktionärsbrief wird auch als fingierter Dialog bezeichnet, den folgende Kriterien kennzeichnen: direkte Ansprache des Adressaten, kataphorischer Verweis auf Vorgängerbriefe, Thematisierung des sozialen und kommunikativen Verhältnisses zwischen Sender und Empfänger und Sequenzbildung durch Frage/Antwort (vgl. Langeheine 1983: 195f.). Als sog. offener Brief setzt er demnach ‚Gespräche’ in Gang und baut eine Texttradition auf, wenn er beispielsweise Bezug auf den vorangegangenen Brief nimmt. Da sich im Brief dialogische Elemente gut umsetzten lassen und der Dialog als die „prototypische Form des auf Wahrheit gerichteten philosophischen Diskurses“ (Glück 1993: 139, zit. nach Gohr 2002: 125) gilt, wodurch ihm „eine erhebliche, manchmal geradezu empathische Bedeutung zugemessen wird“ (ebd.), ist die Verwendung dieser Textart als einleitendes Kapitel im Geschäftsbericht besonders geeignet, Verbundenheit mit den Aktionären herzustellen, Glaubwürdigkeit zu erreichen sowie Vertrauen aufzubauen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei den Briefen an die Aktionäre zweifels- ohne um den Teil des Geschäftsberichts handelt, der den höchsten Grad an Personalisierung erfährt. Sie erfüllen komplexe kommunikative Zwecke: Ihnen kommt sowohl eine Informationsaufgabe zu, d.h. sie verdeutlichen und begründen den Wert des Unternehmens, erläutern die Unternehmensstrategie, kommentieren die wichtigsten Ergebnisse des Geschäftsjahres und zeigen Zukunftsperspektiven des Unternehmens auf, als auch eine Beziehungsaufgabe, welche darin besteht, Verbundenheit und Vertrauen mit den Aktionären herzustellen.

2.3 Zusammenfassung

Die vorausgegangenen Ausführungen des zweiten Kapitels erläutern ausführlich grund- legenden Begriffe, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit Bezug genommen wird. Unternehmenskommunikation ist durch spezifische Strukturen geprägt: Universalität, Relationalität und Intentionalität. Sie bezeichnet eine bewusste Unternehmens- und Leistungsdarstellung gegenüber relevanten (internen und externen) Zielgruppen mit Hilfe von relational miteinander verbundenen Kommunikationsinstrumenten und -maßnahmen. Mit der Unternehmenskommunikation verbindet sich ein komplexes marketing- und kommunikationspolitisches Zielsystem, welches neben klassischen Marktzielen auch direktes Feedback, ohne Möglichkeit der Rückfrage und des Einspruchs, von Produzenten und Situation abgelöstes Produkt (Textautorität), situationsenthoben, verselbstständigt (Nussbaumer 1991: 279, vgl. Gohr 2002: 127f.). Das Merkmal der Monologizität im strengen Sinne trifft nicht auf den Aktionärsbrief zu, da er mehrere dialogische Elemente enthält (vgl. Gohr 2002: 128).

Image- und Identitätsziele sowie Konsensziele beinhaltet. Der Geschäftsbericht stellt ein zentrales Instrument der Unternehmenskommunikation dar, das meistens dem Bereich der Public Relations bzw. Investor Relations zugeordnet wird. Die Betrachtungen der Adressaten- strukturen lassen erkennen, dass im Kreis der Finanzadressaten der Anteil nichtprofessioneller Berichtsadressaten sowie ausländischer Investoren steigt. In der spanischen Berichterstattung beginnt sich eine Heterogenisierung der Leserschaft abzuzeichnen, die aufgrund anderer fachlicher Voraussetzungen und kulturell bedingter verschiedener Er-wartungen eine Optimierungsnotwendigkeit bisheriger Berichterstattungsmodalitäten mit sich bringt. Die traditionell vorrangige Informationsfunktion, die ein spanischer Geschäftsbericht für die einst homogene, meist professionelle Leserschaft erfüllt, verschiebt sich zugunsten der Selbstdarstellungsfunktion und Imagepflege, die ein angloamerikanischer Geschäftsbericht bereits erfüllt. Dieser richtet sich nämlich seit längerem an eine weitaus heterogenere Zielgruppe und fungiert als Marketinginstrument. Die Standardisierung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften nach den auf der Basis der US-amerikanischen Bilanzierungsregeln (US-GAAP) eingeführten International Financial Reporting Standards (IFRS) trägt ebenfalls zu dieser Veränderung von Form und Funktion des Geschäfts-berichts bei, dessen Bedeutung als Instrument zur unternehmerischen Selbstdarstellung in den vergangen Jahren erheblich gestiegen ist.

Der Aktionärsbrief stellt als der Teil des Geschäftsberichts, der den höchsten Grad an Personalisierung erfährt, ein aufschlussreiches und zentrales Berichtselement dar, insbesondere in Bezug auf die Adressatenansprache. Ihm kommt neben der Informationsaufgabe auch die Beziehungsaufgabe zu, die darin besteht, sowohl den Kontakt zu den Adressaten herzustellen als auch die Beziehung zu ihnen zu pflegen.

3 Das Analysemodell: House´s Translation Assessment Model

Bei dem Vergleich der englischen Originale mit ihren spanischen Übersetzungen sowie der spanischsprachigen Originale mit den spanischen Übersetzungen der Aktionärsbriefe im fünften Kapitel fungiert das Housesche Übersetzungsbewertungsgmodell (1997) als tertium comparationis. Das Modell basiert v.a. auf der systemisch-funktionalen Theorie Hallidays (1994), stützt sich aber auch auf Konzepte der Prager Funktionalstilistik33, der Sprechakt- theorie sowie der Diskursanalyse. So kombiniert es linguistische Textanalyse und - vergleiche mit daten- und methodentriangulierenden Verfahren. Es baut auf dem Verständnis von Sprache als einem im Wesentlichen soziokulturellen Phänomen auf und misst dem „context of situation“ (Halliday 1994) bei der Bedeutungsstiftung in Interaktionen einen zentralen Stellenwert bei. Für die Bewertung einer Übersetzung ist der Erhalt der ausgangssprachlichen Textfunktion in der Zielsprache maßgebend, die sich in einem durch eine detaillierte Analyse herauskristallisierten Textprofil widerspiegelt34. Die Funktion des Textes setzt sich aus zwei Funktionskomponenten zusammen: einer interpersonalen, sozial-affektiven und einer ideationalen, kognitiv-referentiellen. Sie spiegeln die beiden Grundfunktionen von Sprache wider, wie sie aus zahlreichen Klassifikationen von „Sprach-funktionen“ erkennbar sind (vgl. z.B. Bühler 1965)35. Beim Übersetzen eines Textes gilt es, diese textkonstitutionellen Komponenten äquivalent zu halten. Sie werden mit Hilfe des Modells ermittelt, welches eine Textanalyse auf den Ebenen von Sprache/Text, Register und Genre36 vorsieht (vgl. House erscheint: 8). Die

Beziehung zwischen diesen Ebenen stellt sich als eine Beziehung zwischen verschiedenen semiotischen Ebenen dar, die sich nach Art der Hjelmslevschen „Content-Expression“- Beziehung zueinander verhalten:

The relationship between these levels can be seen in terms of semiotic planes which relate to one another in a Hjelmslevian ‚content-expression’ way, with Genre being the content-plane of Register, and Register being the expression plane of Genre. Register in turn is the content plane of Language, and Language is the expression plane of Register. (House 2000: 5).

Es ergibt sich folgendes Schema für die Erstellung von Übersetzungen und zur Analyse sowie zum Vergleich von Übersetzungen und Originalen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Ein Modell zur Analyse und zum Vergleich von Original- und Übersetzungstexten (vgl. Baumgarten et al.: 2004: 24; in Anlehnung an House 1997: 108).

gekennzeichnet sind. Genres verbinden Texte mit der Kultur, in der sie generiert werden.“ Gill & Whedbee (1997) bezeichnen Genre als „a group of texts that share specific discourse features. When a speaker employs a genre, expectations are created both in the speaker and in the audience.”

House übernimmt in ihrem Modell die Trinität der Registerdimensionen Hallidays Field, Tenor, Mode als übergeordnete Faktoren.

Die Dimension Field of Discourse erfasst den Gegenstandsbereich und die Natur der sozialen Handlung, die in dem Diskurs thematisiert bzw. durchgeführt wird. Auf dieser Ebene wird untersucht, wie Sprache Realität abbildet und anhand welcher sprachlicher Mittel diese Realität festzumachen ist (vgl. House 1997: 108f.). Unter dieser Dimension werden hauptsächlich lexikalische und syntaktische Mittel untersucht. Die lexikalischen Mittel geben Auskunft darüber, wie der Leser informiert wird, d.h. welcher Realitätsausschnitt dargelegt wird. Auf syntaktischer Ebene werden die Prozesstypen festgehalten37.

Die zweite Dimension Tenor of Discourse umfasst vier Komponenten. Sie bezieht sich auf die Natur der für den Text relevanten Interaktanten und die Rollenbeziehung zwischen ihnen. Über die Subdimension Stance erfasst sie die persönliche kognitive und affektive Einstellung des Autors zum thematisierten Gegenstandsbereich, zu den im Text implizierten Partizipanten sowie zu den Adressaten (vgl. House 1997: 108f.). Dabei kann u.a. auf die Dimension Field zurückgegriffen werden, da die dort veranschaulichte Aufbereitung von Informationen auch den persönlichen Standpunkt des Autors zum dargestellten Inhalt preisgeben kann. Es ist z.B. durch den Gebrauch von Fachvokabular zu erkennen, ob der Verfasser ein Experte auf seinem Gebiet ist. Weitere lexikalische und syntaktische Mittel können darauf verweisen, ob er eine positive oder negative Einstellung zum thematisierten Inhalt hat und ob er persönlich oder emotional involviert ist (vgl. Baumgarten et al. 2004: 4f.). Die zweite Subkategorie Social Role Relationship beschreibt die an sprachlichen Merk-malen festzumachende Rollenkonstruktion/-beziehung zwischen Autor und Adressaten gemäß der soziolinguistischen Variablen Autorität, soziale Distanz und Affekt. Hierzu wird z.B. die Frage zu beantworten sein, welche Rollen Autor und Adressaten vom Autor zugeteilt werden (vgl. House 1997: 109). Über die dritte Subkategorie Social Attitude wird der Grad an sprachlicher Formalität ausgedrückt und auch durch die Frage nach der sozialen Distanz zwischen Autor und Adressaten ermittelt. Die vierte Komponente Participation, welche in dem Modell eigentlich unter die Dimension Mode fiel, erfasst das Ausmaß und die Art und Weise der an sprachlichen Formen ablesbaren potenziellen oder realen Beteiligung der Adressaten (interaktiv/interaktional) am Diskurs, z.B. in Form eines Monologs oder Dialogs des Autors mit den Adressaten (vgl. House 1997: 109). Hierbei wird versucht herauszufinden, mit welchen sprachlichen Mitteln die Adressaten in den Text miteinbezogen werden, z.B. durch den Einsatz unterschiedlicher Modi und Modalitäts-markierungen oder durch die Verwendung von Personalpronomina und Deiktika38 (vgl. Baumgarten et al. 2004: 5). Infolge der Projektanalysen wurde Participation der Dimension Tenor zugeordnet, da der Adressat und seine ihm im und durch den Text zugewiesenen Rollen dort vorrangig sind. Die Einbeziehung des Adressaten kann jedoch auch weiterhin als Indiz für Mündlichkeit gesehen werden und somit auch eine Rolle innerhalb der Dimension Mode einnehmen.

Die Dimension Mode of Discourse bezieht sich auf die Art der Vertextung, Thema- Rhema-Gliederung, Kohäsion und Kohärenz sowie auf den im Text zu findenden Grad an Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Relevante Parameter zur Erfassung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind nach Biber (1988): ‚emotional involvierte vs. informationale Textproduktion‘, ‚explizite vs. situationsabhängige Referenz‘, ‚abstrakte vs. nichtabstrakte Informationspräsentation‘. Gemäß Biber zeichnen die jeweiligen Endpole dieser drei Dimensionen informelle Konversationen einerseits und akademische Artikel andererseits aus. Entlang der Dimension involvierter gegenüber informativer Textproduktion sind gesprochene Genres eher am involvierten Ende einzuordnen (vgl. auch Chafe 1982, vgl. House 1997: 109). Dieses lässt sich an der Verwendung folgender sprachlicher Mittel feststellen: emotive Lexik, Modalpartikel, Interjektionen, Exklamationen, am Wechsel vom Deklarativmodus zum Interrogativ- und/oder Imperativmodus, Kontakt- und kommentierende Parenthesen und andere ‚interaktive‘ sprachliche Mittel, die sowohl die emotional involvierte Einstellung des Autors anzeigen als auch den Adressaten gezielt involvieren (vgl. House 1997: 40). Zu letzteren gehören z.B. die Verwendung von Adressatenwissen voraussetzenden Ellipsen39, der Einsatz von Redundanz, der das Adressatenwissen und die Adressatenaufmerksamkeit bewusst lenkt, sowie alle Mechanismen des Deautomatisierens, Entroutinisieren von sprachlichen Formen und deren Kombination zum Zwecke erhöhter Expressivität (Wortspiele, Alliterationen, Metaphern etc.).

Als sprachliche Formen, an denen die Dimension ‚explizite‘ gegenüber ‚situationsabhängige Referenz‘ abzulesen ist, werden in der Analyse Pronominaldeixis, Temporal- und Lokaldeixis herausgearbeitet, die bei mündlichen Interaktionen kopräsent sind. Explizite Referenz ist dagegen in der „zerdehnten Sprechsituation“ (Ehlich 1983) notwendig. Sie ist typisch für schriftliche Texte.

Der Parameter ‚abstrakte vs. nichabstrakte Informationspräsentation‘ bezieht sich auf die Art der im Text vorkommenden Substantive, welche abstrakte Konzepte oder konkrete, sinnlich wahrnehmbare Einheiten darstellen können (vgl. House 1997: 110). Neben dem Medium, welches den Grad an Mündlichkeit und Schriftlichkeit erfasst, werden unter der Kategorie Mode auch verschiedene sprachliche Formen untersucht, die der Erzeugung von Kohäsion und Kohärenz40 im Text dienen. Diese werden durch konnektierende sprachliche Mittel realisiert, welche die unterschiedlichen Teile des Textes zusammenhalten und somit die Art und Weise steuern, wie Wissen aufbereitet und an die Leser weitervermittelt wird. Konnektivität erzeugende sprachliche Formen haben nämlich die Funktion, Gesagtes mit zuvor Gesagtem oder noch zu Sagendem zu einem Zusammenhang äußerungsübergreifend bzw. äußerungsintern zu verknüpfen (vgl. Rehbein 1995). Zu diesen sprachlichen Mitteln gehören v.a. Substitution, - hierbei werden Wörter verwendet, die auf dasselbe Referenzobjekt verweisen, z.B. Synonyme, Metaphern oder Ober- und Unterbegriffe (Hyperonyme und Hyponyme) - Verwendung von Proformen41, endophorische Referenzen (Anaphora und Kataphora), lexikalische Wiederholung, Verwendung zusammengesetzter Verweiswörter, grammatische Parallelität oder ikonische Verknüpfung verschiedener Satzteile durch Konnektoren verschiedenster Art (additiv, 40 Die Kohäsion oder Textkohäsion ist der syntaktische Zusammenhang von Texten in Rede bzw. Schrift. Sie bezieht sich auf die äußere Gestalt des Textes, z.B. auf Tempusformen, Pronomen oder Deiktika und damit tendenziell auf die Oberflächenstruktur, während sich die Textkohärenz auf den inhaltlichen Zusammenhang, die logische Form, bezieht (vgl. Rabadán 1991: 100). Nach Halliday & Hasan (1976) ist die Kohäsion eine textkonstitutive semantische Relation, „cohesion refers to relations of meaning that exist within the text, and that define it as a text” (ebd.). Sie sichert, dass Sätze syntaktisch zusammen- hängen oder als zusammenhängend betrachtet werden, im Gegensatz zu einer (grammatisch oder inter- aktiv) zusammenhanglosen Folge von Sätzen oder Wörtern.

adversativ, alternativ, kausal, explanatorisch oder illativ) sowie die den Informationsfluss im Satz charakterisierende Thema-Rhema-Gliederung (vgl. Baumgarten et al. 2004: 5). Die Analyse entlang Mode beinhaltet auch die Berücksichtigung der Makrostruktur eines Textes, wie sie sich z.B. in der Kohärenz zwischen einzelnen Paragraphen niederschlägt, in der Präsenz narrativer Formeln und in der An- oder Abwesenheit von Redundanz (vgl. ebd.).

Mit Hilfe der genannten Parameter wird versucht, den Text als ‚gefrorenes‘ sprachliches Gebilde zu ‚öffnen‘ und den lebendigen Diskurs in seiner Einbindung in und Wirkung auf eine soziale Situation zu erkennen. Das sich in einer detaillierten Analyse der Verwendung der sprachlichen Mittel ergebende Textprofil spiegelt die individuelle Textfunktion wider42. Die Anwendung dieses Analysemodells gibt Aufschluss über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Originaltext und dessen Übersetzung(en) und somit darüber, ob durch den Einsatz eines kulturellen Filters die Funktionsgleichheit zwischen ausgangs- und zielsprachlichem Text aufrecht erhalten wird (vgl. House erscheint: 7).

3.1 Unterschiedliche Formen von Übersetzung: Overt versus Covert

House (1997: 66-78) unterscheidet zwischen zwei Übersetzungstypen, und zwar zwischen dem offenen (overt) und dem verdeckten (covert) Übersetzungstyp, in denen die funktionale Äquivalenzrelation43 verschieden ist. In der offenen Übersetzung wird die Diskurswelt des Ausgangstextes koaktiviert, was bei denjenigen Texten der Fall ist, die eng mit ihren ausgangssprachlichen/-kulturellen Bedingungen verbunden sind. Während eine Äquivalenz auf den Ebenen von Sprache, Register und Genre hergestellt wird, die die Koaktivierung des Frames44 und der Diskurswelt45 des Ausgangstextes ermöglichen, kann keine Funktionsäquivalenz der individuellen Textfunktion erreicht werden. Für den Übersetzungstext kann nur eine sog. Second Level Function angestrebt werden, d.h. eine Art ‚aktualisierte Funktion‘ der ursprünglichen Funktion des Ausgangstextes. Lediglich eine Äquivalenz of a ‚removed‘ nature can be achieved: its function is to enable access to the function which the original has (had) in the discourse world or frame. [...] the translation operates in its own discourse world, and can thus reach only the aforesaid ‚second level equivalence‘, featuring a sort of ‚topicalization’ of the original´s textual function. (House 2000: 6)

Der Zieltextleser erfährt die Textfunktion des Originals nicht direkt, sondern aus einer gewissen sprachlichen und kulturellen Distanz. Die Übersetzung muss den anderssprachigen und -kulturellen Lesern einen Eindruck von dem kulturellen Gehalt, den der Leser des Ausgangstextes erfährt, vermitteln (vgl. House 1997: 66).

Bei verdeckten Übersetzungen dagegen ist es sowohl möglich als auch notwendig, die Funktion des Ausgangstextes äquivalent zu halten, denn bei diesem Übersetzungstyp genießt der Zieltext den Status eines originalen Ausgangstextes in der zielsprachlichen Sprach- und Kulturgemeinschaft (vgl. House 1997: 69). Die verdeckte Übersetzung erscheint als ein zweites Original: „The translation is covert, because it is not marked pragmatically as a translation at all, but may, conceivably, have been created in its own right.“ (ebd.). Ein Ausgangstext und sein verdeckt übersetzter Zieltext haben äquivalente Zielsetzungen, die auf äquivalenten Bedürfnissen zweier vergleichbarer Adressatengruppen in beiden Sprach- und Kulturgemeinschaften beruhen. Texte, die eine verdeckte Übersetzung verlangen, z.B. Werbe- und Wirtschaftstexte, sind alle ‚überkulturell‘ für bestimmte Adressatengruppen gültig. Der Übersetzer muss ein äquivalentes Sprecherereignis kreieren, d.h. die Funktion reproduzieren, die der Originaltext in seinem sprachlich-kulturellen Kontext hat. Eine verdeckte Übersetzung operiert ganz ‚offen‘ in dem neuen, in der Zielkultur konstituierten Frame und der neuen Diskurswelt der Zielkultur, ohne dass ein Versuch unternommen würde, die Diskurswelt, in der sich das Original entfaltet, zu koaktivieren. Das Original ist nicht kulturspezifisch, sondern spricht Mitglieder unterschiedlicher Kulturkreise an, ist demnach von allgemeinem, übergreifendem Interesse.

A covert translation is thus a translation whose original is, in terms of status, or uniqueness, not particularly tied to the target culture. An original and its covert translation are - one might say - ‚universal‘ in the sense that they differ ‚only‘ accidentally in their respective languages. (House 2000: 7)

3.2 Kultureller Filter

Um die Textfunktion des ausgangssprachlichen Textes im zielsprachlichen Text zu erhalten und die eben angesprochene Originalität zu erzielen, müssen auf den Ebenen von Sprache und Register Veränderungen vorgenommen werden. Der Text wird durch den Einsatz eines sog. „kulturellen Filters“ (House 1997: 71) an die Zielsprache bzw. die Zielsprachenkultur angepasst. Eventuell unterschiedliche kulturelle Präsuppositionen, Erwartungsnormen, Textkonventionen und kommunikative Stile werden ausgeglichen, um eine eigene Diskurswelt im Kontext der Zielsprache zu bilden. Der kulturelle Filter ist daher das Mittel, mit dem der Übersetzer auf der Basis seines Wissens um unterschiedliche Erwartungsnormen in der Zielkultur kulturspezifische Phänomene kompensiert und notwendige „translation shifts“ (House erscheint: 11) vornimmt. Um einen kulturellen Filter erfolgreich anzuwenden, muss der Übersetzer den Ausgangstext gewissermaßen durch die Brille des Zielsprachen/-kulturadressaten betrachten und kulturelle Annahmen sowie Voraus-setzungen innerhalb der zwei Sprach- und Kulturgemeinschaften berücksichtigen (vgl. House 1997: 70). Da ‚echte‘ funktionale Äquivalenz angestrebt wird, dürfen Änderungen auf den Ebenen Sprache/Text und Register vorgenommen werden. Das Ergebnis kann eine große Distanz zum Originaltext beinhalte, weshalb verdeckte Übersetzungen meist so rezipiert werden als seien sie tatsächlich Originaltexte. Funktionale Äquivalenz ist bei ihnen besonders dann schwer zu erzielen, wenn die interpersonale Funktionskomponente im Ausgangstext stark markiert ist, wie sich in der Analyse entlang der Dimensionen Tenor und Mode zeigt (vgl. House 1997: 75).

Die Entscheidung für den Einsatz eines kulturellen Filters ist ein sowohl wichtiges als auch schwieriges Vorhaben, da sein Einsatz auf empirischen sprach- und kulturvergleichenden Forschungsergebnissen und nicht auf der Intention des Übersetzers beruhen sollte. Kenntnisse über sprach- und kulturspezifische kommunikative Präferenzen sind v.a. aus sprachvergleichenden Untersuchungen auf der pragmatischen Ebene zu erzielen. House hat eine Reihe kontrastiv-pragmatischer Diskursanalysen durchgeführt, in denen deutsche und angloamerikanische, mündliche und schriftliche Texte und Diskurse verglichen worden sind (vgl. House 1996, House 199746 ). Aus diesen Untersuchungen wurden Tendenzen für kommunikative Präferenzen abgeleitet. Den Ergebnissen zufolge zeichnen die englischen Sprecher und englische Textkonventionen mehr Implizitheit, Indirektheit, Adressatenorientierung und Präferenz sprachlicher Routinen aus, während deutsche Sprecher in ihren Äußerungen in bestimmten Kontexten und Diskursen eher durch Explizitheit, Direktheit, Inhaltsorientierung und Präferenz situationsspezifischer Ad-hoc- Formulierungen charakterisiert werden (vgl. House 1997: 84). Werden diese Befunde mit zwei von Hallidays (1994) drei Metafunktionen von Sprache korreliert - der ideationalen und der interpersonalen - so betonen deutsche Textkonventionen in der Tendenz die ideationale Funktionskomponente und englische eher die interpersonale.

3.3 Zusammenfassung

In den vorangegangen Ausführungen wurde das Übersetzungsbewertungsmodell von House (1997) vorgestellt, das der Analyse dieser Arbeit zugrunde liegt und für den Vergleich von Original und Übersetzung als tertium comparationis fungiert. Die mehrschrittige Analyse sieht zuerst die Untersuchung des ausgangssprachlichen Texts entlang der Hallidayschen (1994) Dimensionen Field, Tenor und Mode vor. Auf der Grundlage der Analyseergebnisse auf der lexikalischen, syntaktischen und textuellen Ebene wird ein Text- profil erstellt, das die individuelle Textfunktion widerspiegelt. In einem zweiten Schritt unterzieht sich der zielsprachliche Text der Analyse entlang den gleichen Dimensionen. Dieses Vorgehen ermöglicht in einem dritten Schritt, Ähnlichkeiten und Unterschiede der untersuchten Texte aufzuzeigen und somit zu beurteilen, ob durch den Einsatz eines kulturellen Filters die Funktionsäquilvalenz zwischen Original und zielsprachlichem Text aufrechterhalten wird.

House (1997) unterscheidet zwei unterschiedliche Übersetzungstypen: die offene (overt) und die verdeckte (covert) Übersetzung. Bei der ersteren wird dem Adressaten durch das Medium der Übersetzung Zugang zum Original verschafft. Sie ist ganz offensichtlich eine Übersetzung, kein Original, da keine Funktionsäquivalenz der individuellen Textfunktion erreicht werden kann. Bei der verdecktenn Übersetzung wird das Original durch den Einsatz eines empirisch ermittelten kulturellen Filters den sprachlich-kulturellen Normen der Zielkultur und Zielsprachengemeinschaft angepasst, so dass sie als Original erscheint.

[...]


1 Die Unterschiede zwischen angelsächsischem und amerikanischem Englisch werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.

2 Unternehmen stellen rechtliche und organisatorische Gestaltungseinheiten der Betriebe in marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen dar, die sich aus der Zielsetzung des Unternehmers ergeben, langfristig das Gewinnmaximum durch Erstellen und Verwerten von Leistungen zu erreichen (vgl. Wurm et al. 2001: 217). Im Gegensatz zu Betrieben, welche als technische Einheiten definiert werden, bezeichnen Unternehmen rechtliche, finanzielle oder Verwaltungseinheiten. Ihre systemspezifischen Strukturen und Formalität grenzen sie als „wirtschaftlich rational optimierende Akteure“ (Luhmann 1993: 335) von anderen Systemen ab. Die innere Systemkomplexität der Unternehmung wie auch die steigende Umweltkomplexität zwingt sie, sich formal stringent zu organisieren, um notwendigerweise Komplexität besser und produktiv zu verarbeiten (vgl. ebd.: 335-414).

3 Derieth (1995: 24) vermutet, dass die unkritische Begriffsverwendung aus der alltagssprachlichen Annahme resultiere, Unternehmenskommunikation sei im Sinne von Kommunikation von Unternehmen zu verstehen, welche sich als ein für alle sichtbares Phänomen von selbst erkläre. Bruhn (1995: V) kritisiert die oberflächliche, unpräzise Verwendung des Terminus, die ihn zu einer „Worthülse“ (ebd.) deklassiere, die gerne aufgegriffen wird, um neuzeitliche Kommunikationskonzepte marktfähig zu kommunizieren.

4 Es sei angemerkt, dass Kommunikation eines Unternehmens immer über personale oder mediale Hilfskonstrukte erfolgt, da eine Organisation per se nicht kommunikationsfähig ist, sondern erst über Strukturen oder bestimmte Organe artikulationsfähig wird. Diese können die Marketing-, Werbe- oder PR-Abteilung sein, ebenso auch ein Vorstandsbrief an die Aktionäre (vgl. Bruhn 2004: 29).

5 Hierzu zählen beispielsweise Wissen, Interessen, Erwartungen, Gewohnheiten etc. (vgl. Merten 1991: 38ff.)

6 Mit internen Zielgruppen (z. B. Geschäftsleitung, Belegschaft, Innenrevision) sind die Adressaten gemeint, die einen vollständigen oder nur wenig eingeschränkten Zugriff auf alternative unternehmensinterne Informationsquellen höherer Quantität und Qualität haben. Sie versuchen anhand des Geschäftsberichts u.a. die Informationsaufnahme und -verarbeitung der externen Zielgruppen nachzuvollziehen (vgl. Hütten 2000: 263). Zu diesen (z. B. Gläubiger, Lieferanten, Kunden, Prüfungsgesellschaften, Berater) gehören die Personenkreise, die keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu unternehmensinternen Informationsquellen haben (vgl. ebd.: 262).

7 In der betriebswirtschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche Definitionen des Begriffs ‚Marketing‘, die eine Begriffsbestimmung aus unterschiedlichen Perspektiven vernehmen (vgl. zu unterschiedlichen Interpretationen des Marketing einen Überblick bei Meffert 2000: 8ff.). Gemäß Bruhn (2004: 14) stellt Marketing eine unternehmerische Denkhaltung dar. „Sie konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Unternehmensaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung darauf abzielen, absatzmarktorientierte Unternehmensziele zu erreichen.“ Diese Arbeit begreift Marketing nach Meffert (2000: 6ff.) instrumentell als Einsatz von Marktbeeinflussungstechniken und -instrumenten.

8 Zuerst wird dem Adressaten durch ein Informationsangebot Wissen über ein Produkt oder ein Unternehmen vermittelt, so dass sich ein Bekanntheitsgrad aufbaut. Anschließend gilt es, das Produkt bzw. Unternehmen gegenüber Konkurrenten abzugrenzen und individuell zu positionieren. Infolgedessen kann sich eine Marken-, Produkt- und Unternehmenspräferenz entwickeln, so dass sich kognitive Ziele um affektive Zielgrößen erweitern (vgl. Bruhn 2004: 206f.).

9 ‚Marketing-Mix’ bezeichnet die in der Praxis angewandte Kombination unterschiedlicher Ausprägungen des absatzwirtschaftlichen Instrumentariums für die Marktsteuerung, dessen wesentliche Bereiche die Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik darstellen (vgl. Derieth 1995: 34).

10 Als Goodwill bezeichnet man den ideellen Firmenwert. Dieser Wert repräsentiert, was ein Käufer für den nicht quantifizierbaren Wert einer Firma unter Berücksichtigung künftger Ertragserwartungen über den Wert der einzenenen Vermögengensgegenstäne bezahlen würde. Firmenwertbildende Faktoren sind beispielsweise Loyalität von guten Kunden, das Wissen der Angestellten, die Betriebsorganisation, effiziente Herstellungsverfahren, der Markennamen sowie der Ruf des Unternehmens u.a. (vgl. Gabler 2004, Stichwort Goodwill). Image kann als der positive soziale Wert definiert werden, welchen man für sich durch die Verhaltensstrategie erwirbt, von der die anderen annehmen, man verfolge sie in einer bestimmten Interaktion. Image ist eine sich aus der individuellen Selbstdarstellung entwickelnde subjektive Vorstellung, ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Erscheinungsbild, das die anderen übernehmen können (vgl. Goffman 1996: 10).

11 Partielle Krisen, Entlassungen, Skandale o.ä. beispielsweise können Kommunikationswidersprüche zwischen Verhalten und Aussage eines Unternehmens aufdecken, die bei den Adressaten Irritationen auslösen (vgl. Bextermöller 2001: 102).

12 Transparenz in der Unternehmenskommunikation bedeutet sowohl kontrollierte Offenheit bezüglich konkreter Daten und Ereignisse des Unternehmens als auch hinsichtlich der verwendeten Strategien (vgl. Bextermöller 2001: 103).

13 Bextermöller (2001) versteht unter Glaubwürdigkeit „eine positiv bewertete Eigenschaft, die einem Kommunikator bei der Beurteilung entscheidungs- oder handlungsrelevanter Informationen unter Unsicherheit zugeschrieben wird. Kommunikatoren können Personen, Institutionen oder andere kommunikative Produkte (mündliche/schriftliche Texte, audiovisuelle Darstellungen) sein. Mit dem Bild eines glaubwürdigen Kommunikators verbinden sich die Merkmale Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und – eine zumindest intendierte – Objektivität“ (ebd.: 204). Glaubwürdigkeit ist die Bedingung für ein Vertrauensverhältnis.

14 Der Begriff ‚Kommunikationsmittel‘ ist dem Begriff ‚Kommunikationsinstrument‘ untergeordnet. Kommunikationsmittel bezeichnen in Abgrenzung zum Oberbegriff die aktive Umsetzung und Operationalisierung eines zugehörigen Instruments mittels formal festgelegter und strategisch vorgeschriebener Kommunikationsformen (vgl. Derieth 1995: 40).

15 Die Gesamtzielgruppe der IR umfasst die sog. Financial Community, die angebotsseitigen Teilnehmer des Kapitalmarktes. Hierzu gehören zum einen die aktuellen und potenziellen Investoren, welche die primäre Zielgruppe ausmachen, da sie die Anlageentscheidungen treffen und realisieren, die mittels IR im Endeffekt beeinflusst werden sollen. Zum anderen gehört auch der Personenkreis, der als Informationsvermittler (Multiplikatoren) zwischen dem Unternehmen und den Investoren auftritt, zur Financial Community, d.h. Finanzanalysten, Wirtschaftsjournalisten, Portfolio-Manager, Anlageberater (vgl. Hütten 2000: 70).

16 Shareholder Value, ein in den 80er Jahren in den USA kreiertes Schlagwort, steht für die Orientierung der Unternehmensaktivitäten am Aktionärsnutzen. Der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft soll durch alle Strategien, die er in seinem Unternehmen entwickelt und umsetzt, den Unternehmenswert im Sinne des Marktwertes des Eigenkapitals steigern. Der Unternehmenswert ist durch Erhöhung der Eigenkapitalrendite zu maximieren mit der Folge ständig steigender Börsenkurse, die den Aktionärsvermögen zugute kommt (vgl. Gabler 2004, Stichwort Shareholder Value).

17 Es sei angemerkt, dass eine bevorrechtigte Berücksichtigung der Informationsinteressen bestimmter Adressatengruppen dennoch notwendig erscheint, wenn verschiedene Adressatenkreise unterschiedliche Informationsbedürfnisse haben und deren gleichberechtigte Befriedigung unmöglich ist. Das Problem, eine gleichgestellte Berücksichtigung verschiedener Adressaten zu ermöglichen, könnte in gewissem Maße dadurch behoben werden, dass bei verschiedenen Informationsbereichen jeweils einer anderen Gruppe Vorrang eingeräumt würde. Da diese Vorgehensweise jedoch wahrscheinlich zu Unzufriedenheit bei allen betroffenen Adressatengruppen führt, ist es vorteilhafter, den Geschäftsbericht bevorzugt auf die Informationsbedürfnisse einer Adressatengruppe auszurichten und Informationswünsche anderer Rezipienten anderweitig zu befriedigen (vgl. Hütten 2000: 264).

18 Während die Mitarbeiter des Unternehmens z.B. im Geschäftsbericht Identifikations- und Motivationspotenzial sehen, betrachtet ihn die interessierte Öffentlichkeit eher unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Kontrolle (vgl. Bextermöller 2001: 371). Beispielsweise können bestimmte Informationen in den Augen einiger Adressaten dem Ziel der Vermittlung eines positiven Images nützlich sein, während sie bei anderen Adressatengruppen gegenteilige Wirkungen erzeugen.

19 Aufgrund der zurzeit fehlenden empirischen Forschungsbelege für diese Enwicklungstendenz sei an dieser Stelle Dr. Pizarro Sánchez für ihre fachkundige Einschätzung diesbezüglich gedankt.

20 Der weltweite Internetboom Anfang der 90er Jahre v.a. in den USA führte zu einer Vielzahl von Unternehmensneugründungen und durch die anfangs hohen Umsätze zu vermehrten Börsengängen. Im Zuge der Euphorie um diese New Economy und des explosionsartig erscheinenden Wachstums v.a. im Bereich des Internets (Dotcom-Blase) investierten Anleger verstärkt in Aktien dieser Unternehmen, was zu einer Vervielfachung der Kurse einiger Unternehmen und somit zu einer unkontrollierten Überbewertung der Aktien führte (vgl. Klodt et al. 2003: 5ff.). In Anlehnung an das Vorbild der amerikanischen Techno-logiebörse NASDAQ wurde im April 2000 der spanische Nuevo Mercado mit dem Ziel eingerichtet, jungen Unternehmen v.a. des Technologiesektors eine Möglichkeit der Eigenkapitalfinanzierung über einen Börsengang zu bieten (vgl. Ridruejo Gutiérrez de la Cámara 2003). Parallel zur Entwicklung an den inter-nationalen Börsen, v.a. am NASDAQ und im deutschen Neuen Markt, die den jungen Nuevo Mercado in Mitleidenschaft zogen, begannen im März 2000 weltweit jedoch die Aktienkurse dieser Unternehmen zu fallen. Verstärkt wurde dieser Effekt dadurch, dass eine Vielzahl unerfahrener Kleinanleger, die nur die jahrelangen Kurssteigerungen im zweistelligen Bereich betrachteten, durch den Kursverfall in Panik gerieten und ‚um jeden Preis’ verkauften, um die Verluste in Grenzen zu halten. Die Anschläge am 11. September 2001 in New York verschlechterten ebenfalls weltweit die Abschwungstimmung und die Börsenkurse. Das Platzen der New-Economy-Blase (2001-2003) erschütterte so das Vertrauen der Anleger in den Aktienmarkt nachhaltig (vgl. Flassbeck 2001: 35ff.).

21 Für mehr Informationen zu Kommunikationsinstrumenten und -mitteln vgl. vorangegangenen Abschnitt 2.1.2.

22 Er kann in diesem Sinne auch mit einem „Nachschlagewerk für das abgelaufene Geschäftsjahr“ (Hütten 2000: 85) verglichen werden.

23 Die meisten Vorschriften basieren auf historisch gewachsenen Konventionen zwischen wirtschaftsprüfenden Berufsverbänden, privaten Fachorganisationen, der normsetzenden Börsenaufsichtsbehörde (SEC) und den Bilanzerstellenden selbst (vgl. Bextermöller 2001: 16).

24 Die Jahresberichte müssen mindestens folgende Elemente enthalten: Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Kapitalflussrechnung und einen Erläuterungsteil (vgl. Bolten et al. 1996: 400).

25 Laut § 171 muss der spanische Rechenschaftsbericht binnen einer Frist von drei Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres aufgestellt sein. Er umfasst die Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, einen erläuternden Geschäftsbericht sowie einen Vorschlag für die Gewinnverteilung (vgl. Ley de Sociedades Anónimas 1989).

26 Bis März 2002 hießen diese Regelwerke International Accounting Standards (IAS). Diese Umbenennung drückt die Erweiterung des Inhalts (von Accounting, also Buchführung, hin zu Financial Reporting, also Rechnungslegung) aus. Ab 2005 werden alle in der EU ansässigen kapitalmarktnahen Mutterunternehmen in die internationale Rechnungslegung miteinbezogen. Für Unternehmen, die bisher nach US-GAAP bilanzieren, gilt die Übergangsfrist bis 2007, was einerseits bedeutet, dass US-GAAP nach diesem Zeitpunkt in Europa nicht mehr angewandt werden darf, andererseits aber auch, dass US-GAAP und die IFRS dann möglicherweise so ähnlich geworden sind, dass die Umstellung keinen nennenswerten Aufwand mehr bedeutet (vgl. Zingel 2005: 4).

27 In der spanischen Rechnungslegung wird – im Gegensatz zur angloamerikanischen – von einem sachverständigen, potenziellen Leser ausgegangen (vgl. Pizarro Sánchez 2002: 257).

28 Die Beeinflussungsfunktion ist nicht von der Informationsfunktion zu trennen, da die Verhaltensbeeinflussung immer eine mit der Kommunikation verfolgte Zielsetzung bezeichnet: „Jede Kommunikation von Informationen wird mit dem Ziel vorgenommen, das Verhalten des Informationsempfängers zu verändern oder zu beeinflussen“(Drumm 1969: 24, zit. nach vgl. Hütten 2000: 31).

29 Die Corporate Identity bezeichnet das Selbstverständnis und das Erscheinungsbild eines Unternehmens. Ihre Merkmale ergeben sich entweder aus der Geschichte, den Traditionen und damit der Organisationskultur eines Unternehmens oder werden geschaffen, um das auf die Unternehmensziele ausgerichtete Leitbild des Unternehmens zu definieren und so eine unternehmensspezifische Identität zu schaffen. Sie soll Unternehmensangehörigen und Externen eine eindeutige positive Identifikation mit dem Unternehmen als Arbeitsstätte, als Produzent etc. erlauben und ein gewisses „Wir-Gefühl“ (Böcker & Helm 2003: 419) entstehen lassen. Die Unternehmensidentität setzt sich aus der Corporate Culture und dem Corporate Design zusammen (vgl. Dürr 1995: 36).

30 Er wird nicht ohne Grund als „Visitenkarte des Unternehmens“ (Baetge & Kirchhoff 1997) bezeichnet.

31 Für die klassische Briefform unüblich sind beim Aktionärsbrief z.B. die häufig verwendeten Zwischenüberschriften/Schlagwörter oder das Hinzufügen von Aufzählungen mit Hilfe von Aufzählungszeichen (vgl. Bextermöller 2001: 392). Bezüglich des Aufbaus eines klassischen Briefes sind folgende drei formale Konstituenten zu nennen: 1. Die Einleitungsphase oder der Initialteil umfasst den Briefkopf, die Anredeformel und die Briefkerneröffnung 2. Der Briefkern oder die Briefmitte enthalten das inhaltliche Haupt-anliegen des Textes 3. Der Terminalteil schließt die Briefkernbeendigung und die Schlussformel ein (Langeheine 1983: 202f.). Der Briefanfang dient der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung kommunikativer und sozialer Beziehungen sowie der Vorbereitung auf die Themenbehandlung. In der Briefmitte stehen die eigentlichen Nachrichten im Vordergrund, d.h. es werden „informierende Briefakte aneinander-gereiht.“ (ebd.: 203)

32 Folgende Charakteristika geschriebener Sprache gelten zum größten Teil jedoch auch für den Aktionärsbrief: schriftlich realisiert, monologisch, eher öffentlich, auch anonyme Kommunikationspartner, lange Planungszeit, Zeit-/Ortversetztheit von Produktion und Rezeption, ohnedirektes Feedback, ohne Möglichkeit der Rückfrage und des Einspruchs, von Produzenten und Situation abgelöstes Produkt (Textautorität), situationsenthoben, verselbstständigt (Nussbaumer 1991: 279, vgl. Gohr 2002: 127f.). Das Merkmal der Monologizität im strengen Sinne trifft nicht auf den Aktionärsbrief zu, da er mehrere dialogische Elemente enthält (vgl. Gohr 2002: 128).

33 Die Theorie der Prager Funktionalstilistik wurde in den 30er Jahren von der Prager Schule unter dem Einfluss des russischen Formalismus begründet. Ein zentraler Gedanke besteht darin, dass ein Sprachsystem kein homogenes Ganzes darstellt, d.h. keine uniforme Struktur aufweist, sondern dass sich durch Aspekte des Sprachgebrauchs verschiedene „Funktionalsprachen“ voneinander unterscheiden lassen (vgl. Becker 2005: 73). Bohuslav Havránek (1932, 1964) ist als ein Hauptvertreter der tschechischen Aus-prägung der Funktionalstilistik anzusehen.

34 Die Funktion eines Textes bezeichnet seine Verwendung in einem bestimmten situativen Kontext. Für die nähere Bestimmung dieser Funktion muss jeder Text mit der Situation, in der er eingebettet ist, in Beziehung gesetzt werden (vgl. House erscheint: 7).

35 Vermutlich inspiriert durch die Bühlerschen Funktionen von Sprache (1965: 28ff.) – Darstellung, Ausdruck, Appell – unterscheidet Halliday (1994) drei grundlegende Metafunktionen von Sprache: die ideationale, die interpersonale und die textuelle. Die ideationale Metafunktion vermittelt Informationsabläufe zwischen Mitgliedern der Gesellschaft, die interpersonale Metafunktion stellt Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft her, und die textuelle Funktion legt die ‚Textur‘ eines Textes und die situationsrelevante Diskursorganisation offen. Von diesen Metafunktionen leiten sich die seman-tischen Systeme sowie die kontextuellen Korrelate der Sprache ab: mood bzw. tenor von der inter-personalen, transitivity bzw. field von der ideationalen und theme bzw. mode von der textuellen (vgl. Halliday & Martin 1993).

36 House (erscheint: 9) schreibt dazu: „Mit dem Begriff ‚Genre‘ werden in dem [...] Analyseschema auf einer höheren semiotischen Ebene anzusiedelnde Strukturen charakterisiert, die sozial bedingt sind und durch die in einer Kultur etablierte typische Textquellen, Verwendungsweisen und kommunikative Zwecke gekennzeichnet sind. Genres verbinden Texte mit der Kultur, in der sie generiert werden.“ Gill & Whedbee (1997) bezeichnen Genre als „a group of texts that share specific discourse features. When a speaker employs a genre, expectations are created both in the speaker and in the audience.”

37 Halliday (1994) unterscheidet die Prozesstypen „material“, „mental“, „behavioural“, „verbal“, „existential“ und „relational“, die durch die Verbalphrase und der mit ihr in Zusammenhang stehenden „Participant Roles“ angezeigt werden (vgl. ebd.). Jeder Prozesstyp spezifiziert die Handlungen, die Ereignisse und die Beziehungen zwischen den implizierten Interaktanten. Die Wahl des Prozesstyps stellt nämlich die Art und Weise dar, wie die im Text repräsentierten Partizipanten ihre Erfahrungswelt enkodieren, d.h. wie ihr Handlungsraum und wie die durch die Art des Prozesses eingeführten Interaktanten und die temporalen, lokalen, ursächlichen und situativen Umstände im Text enkodiert worden sind (vgl. Halliday 1994: 106).

38 Als Bindeglied zwischen Semantik und Pragmatik bezeichnet Deixis diejenigen sprachlichen Ausdrucksmittel, mit denen ein Autor den Adressaten in einem Verweisraum (Situation, Vorstellung, Text, Diskurs) orientiert. Sie können auf Personen (Textproduzent, Adressat), Orte oder Zeit hinweisen. Basis ist die Hier-Jetzt-Ich-Origo, der Nullpunkt des Koordinatensystems, von dem aus gezeigt wird (vgl. Bühler 1934, 1965)

39 Unter Ellipsen versteht man Auslassungen von Wörtern oder Phrasen in Sätzen, soweit sie aufgrund von syntaktischen Regeln oder lexikalischen Eigenschaften überflüssig und für das Verständnis entbehrlich sind. Nach Bühler (vgl. 1934: 154-168) sind Ellipsen Auslassungen zugunsten der Sprechsituation, wenn Sprecher und Adressat das gleiche Verständnis über die besprochenen Sachverhalte haben, so dass Referenzen nicht ausformuliert werden müssen.

40 Die Kohäsion oder Textkohäsion ist der syntaktische Zusammenhang von Texten in Rede bzw. Schrift. Sie bezieht sich auf die äußere Gestalt des Textes, z.B. auf Tempusformen, Pronomen oder Deiktika und damit tendenziell auf die Oberflächenstruktur, während sich die Textkohärenz auf den inhaltlichen Zusammenhang, die logische Form, bezieht (vgl. Rabadán 1991: 100). Nach Halliday & Hasan (1976) ist die Kohäsion eine textkonstitutive semantische Relation, „cohesion refers to relations of meaning that exist within the text, and that define it as a text” (ebd.). Sie sichert, dass Sätze syntaktisch zusammenhängen oder als zusammenhängend betrachtet werden, im Gegensatz zu einer (grammatisch oder interaktiv) zusammenhanglosen Folge von Sätzen oder Wörtern.

41 Mittels Proformen, zu denen z.B. Pronomen, Adverbien, Pronominaladverbien gehören, wird auf ein Bezugselement des sprachlichen Kontextes verwiesen. Im Sinne Brinkers (1997) seien unter Proformen auch die Ausdrücke gefasst, „die […] aufgrund ihres mininalen Bedeutungsinhalts ausschließlich dazu dienen, andere sprachliche Einheiten referenzidentisch wiederaufzunehmen. Wichtig ist nun, dass die Bezugsausdrücke von unterschiedlicher Ausdehnung sein können. Es können nicht nur Wortgruppen, sondern auch Sätze oder Satzfolgen, kurz, Informationseinheiten unterschiedlicher syntaktischer Prägung durch Pro-Formen wiederaufgenommen werden.“ (Brinker 1997: 33).

42 Zunächst wird der ausgangssprachliche Text entlang der Dimensionen Field, Tenor und Mode analysiert. Auf der Grundlage der Analyseergebnisse auf der lexikalischen, syntaktischen und textuellen Ebene wird ein Textprofil erstellt, das die Textfunktion charakterisiert. In einem zweiten Schritt wird der zielsprachliche Text entlang derselben Dimensionen analysiert. Dieses Vorgehen ermöglicht in einem dritten Schritt, Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden untersuchten Texte aufzuzeigen (vgl. Baumgarten et al. 2004: 5).

43 Nach House (1997) stellt funktionale Äquivalenz die übergeordnete Anforderung an eine Übersetzung dar, d.h. um einem Original äquivalent zu sein, muss eine Übersetzung die gleiche Funktion erfüllen. Diese Funktion wird definiert als die Verwendung, die ein Text in der ihn umhüllenden Situation, dem situativen Kontext, hat. Der situative Kontext kann mittels des beschriebenen Kategorienapparates erfasst und mit den im Text verwendeten sprachlichen Mitteln korreliert werden.

44 Für Bateson (1972: 187f.) grenzt ein Frame eine Klasse oder einen Set von Botschaften oder bedeutungsvollen Handlungen ab und fungiert für Interaktanten als eine Art ‚Erklärungsprinzip‘. Ein Frame ist insofern metakommunikativ, als jede Botschaft, die einen Frame definiert, dem Empfänger Instruktionen darüber gibt, wie die Botschaft interpretiert werden soll (vgl. House erscheint: 12).

45 Der Begriff ‚Discourse World‘ bezieht sich auf einen übergeordneten Rahmen, in dem Äußerungen und Diskurse zu interpretieren sind: „A discourse world is to be understood as an application of the notion of a possible world derived from logical semantics to the pragmatic interpretation of conversational behaviour.“ (Edmondson 1981: 201).

46 Mit den für das Sprachenpaar Deutsch-Englisch relevanten kontrastiv-pragmatischen Forschungsergebnissen von House (1996) vergleichbare Ergebnisse finden sich z.B. auch bei Hawkins (1986), Clyne (1994), Doherty (1996, 2003) und Fabricius-Hansen (1996).

Ende der Leseprobe aus 297 Seiten

Details

Titel
Textnormveränderung durch verdeckte Übersetzung angloamerikanischer Aktionärsbriefe ins Spanische
Hochschule
Universität Hamburg  (Insitut für allgemeine und angewandte Sprachwissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
297
Katalognummer
V67986
ISBN (eBook)
9783638594097
ISBN (Buch)
9783638711647
Dateigröße
3265 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr umfangreicher Anhang!
Schlagworte
Textnormveränderung, Aktionärsbriefe, Spanische
Arbeit zitieren
Eva-María Romero Pérez (Autor:in), 2006, Textnormveränderung durch verdeckte Übersetzung angloamerikanischer Aktionärsbriefe ins Spanische, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67986

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