Katastrophenmanagement. Handeln in Ausnahmesituationen als Herausforderung für die Pflege


Diplomarbeit, 2005

109 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definitionen und Abgrenzungen
2.1 Unfall
2.2 Großschadensereignis
2.3 Katastrophe
2.4 Katastrophenmedizin

3 Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in der BRD
3.1 Zivilschutz/Bevölkerungsschutz
3.2 Katastrophenschutz
3.3 Der Katastrophenschutz im Land Berlin
3.4 Zusammenfassende Betrachtung

4 Die Pflegekraft in der Katastrophenhilfe
4.1 Historische Aspekte
4.2 Aktuelle Relevanz bezüglich des Krankenpflegegesetzes
4.3 Der Wissensstand der Pflegeberufe
4.3.1 Themenrelevante Aspekte der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und deren Umsetzung
4.3.2 Studienergebnisse zu Ausbildungsinhalten an Krankenpflegeschulen
4.4 Das Pflegemanagement im Führungsstab
4.5 Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Pflegefachkräfte
4.6 Zusammenfassende Betrachtung

5 Großschadenslagen und Katastrophen als kritische Situationen in der medizinisch-pflegerischen Versorgung
5.1 Ursachen von Großschadenslagen und Katastrophen
5.1.1 Naturereignisse
5.1.2 Technische Unglücksfälle
5.1.3 Zivilisationsbedingte Gefahren
5.2 Ethische Grundlagen der Katastrophenmedizin
5.3 Personelle und materielle Grundlagen medizinischer Katastrophenhilfe
5.3.1 Rettungsdienst
5.3.2 Ärztlicher Dienst
5.3.3 Hilfsorganisationen
5.4 Die Ablauforganisation im Großschadens- und Katastrophenfall
5.4.1 Die sanitätsdienstliche Organisation im Großschadensfall
5.5 Die Aufgaben der Krankenhäuser
5.5.1 Der Alarmplan bei internen und externen Schadenslagen
5.5.2 Die Krankenhauseinsatzleitung
5.6 Spezielle Anforderungen an das Krankenhaus bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV)
5.6.1 Personalrekrutierung und Einteilung
5.6.2 Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten
5.6.3 Die Sichtung und Versorgung der Verletzten
5.6.4 Die Aufgaben- und Kompetenzbereiche der Pflegekräfte
5.6.5 Psychologisch-seelsorgerische Aspekte
5.6.6 Der Umgang mit den Medien
5.7 Zusammenfassende Betrachtung

6 Resümee und Fazit

Literaturverzeichnis

Verwendete Webseiten

Erklärung

Danksagung

Für die Bereitschaft zur Betreuung dieser Thematik sowie für die umfassende Unterstützung und Beratung während der gesamten Bearbeitungszeit möchte ich ganz besonders Frau Prof. Dr. E. Feldhaus-Plumin und Frau Dipl. Soz.päd. MPH C. Ehlers danken.

Ein großer Dank gilt auch Susann Figura für Anregungen und Kritik sowie für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Korrektur und Überarbeitung.

Erwähnen möchte ich ebenso Lukas Ohrnberger, der mir so manche Literatur und Information zur Verfügung stellte sowie die Pflegedienstleitung einer Berliner Klinik, die sich für ein Gespräch bereit erklärte.

Abschließend bedanke ich mich insbesondere bei meinen Eltern sowie bei allen denjenigen, die mich mit Interesse, Verständnis und Geduld in dieser Zeit begleitet und unterstützt haben.

Berlin, November 2005 Magret Werth

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Lerneinheit I.17

Abbildung 2: Lehrinhalte zum Katastrophenschutz

Abbildung 3: Gustave Dore’ (1833- 1883) Abbildung 4: Lukas von Leyden (1494- 1533)

Abbildung 5: Die Komponenten der Lagefeststellung

Abbildung 6: Die Dynamik des Führungsvorgangs

Abbildung 7: Die Führungsorganisation unterhalb der Katastrophenschwelle

Abbildung 8: Die sanitätsdienstliche Organisationsstruktur

Abbildung 9: Bettenkapazitäten im stationären Akutbereich

Abbildung 10: Übergang vom Routine- in den Ausnahmebetrieb

Abbildung 11: Grundschema der Raumaufteilung

Abbildung 12: Verbrauchsmaterialien und Geräteausstattung bei einem MANV

Abbildung 13: Materialmodulwagen zur notfallmäßigen Versorgung von 40 Patienten

Abbildung 14: Sichtungskategorien

Abbildung 15: Untersuchungsalgorithmus bei der Triage

Abbildung 16: Sichtungsalgorithmus im Krankenhaus nach externem Schadensereignis

Abbildung 17: Krankenhausversorgungsplan für den Massenanfall

Abbildung 18: Akute Symptome nach extremen psychischen Belastungssituationen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

„Alle Geheimnisse liegen in vollkommener Offenheit vor uns.
Nur wir stufen uns gegen sie ab, vom Stein bis zum Seher.
Es gibt kein Geheimnis an sich, es gibt nur Uneingeweihte aller Grade.“

- Christian Morgenstern -[1]

Die Bilder von Großschadensereignissen und Katastrophen mit nationalem sowie internationalem Kontext drängen sich zunehmend in unseren Alltag. Von Eschede bis New Orleans sind gerade in jüngster Zeit Katastrophen von bisher ungekannten Ausmaßen zu bewältigen gewesen. Auch in Deutschland hat man sich spätesten seit dem Elbe-Hochwasser 2002 eingehender mit der Problematik des Katastrophenschutzes beschäftigt. Politik und Gesellschaft drängen auf Reformen, um für zukünftige Szenarien besser gerüstet zu sein.

Auch der Bereich der gesundheitsmedizinischen Versorgung ist gefordert, über schnell umsetzbare Interventionsstrategien für eine große Anzahl Geschädigter nachzudenken.

Die Deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) widmet sich, neben wenigen weiteren Organisationen, seit Jahren der Erforschung und Entwicklung katastrophen-medizinischer Aufgabenfelder. Mit einem interdisziplinären Verständnis dieses Fachgebietes bietet die DGKM nicht nur Lösungsansätze für die katastrophenmedizinische Versorgung am Schadensort durch Rettungskräfte und Hilfsorganisationen, sondern auch für die Weiterbehandlung in Krankenhäusern. Zudem geben die ländergebundenen legislativen Grundlagen zum Katastrophenschutz den Krankenhäusern für einen Katastrophen- oder Großschadensfall mit vielen geschädigten Personen gesetzliche Vorgaben bezüglich vorbereitender Maßnahmen. Das lässt erkennen, dass die Patientenversorgung im Hospitalbereich unter Katastrophenbedingungen gewisse Herausforderungen implementiert, die von der individualmedizinischen Versorgungsstrategie abweichen.

Da in Kliniken nach wie vor Pflegekräfte die zahlenmäßig größte Berufsgruppe darstellen, werden sie unweigerlich an der Bewältigung eines Schadensereignisses mit vielen Geschädigten beteiligt sein. Doch was wissen Pflegekräfte über katastrophenmedizinische Grundsätze und Behandlungsmöglichkeiten? Was beinhaltet hier Katastrophenschutz bzw. Katastrophenhilfe und wie kann sich dabei interdisziplinäre Zusammenarbeit gestalten? Die vordergründigste Frage dürfte jedoch sein: Was verbindet Pflege und Katastrophenschutz bzw. –hilfe miteinander?

Die Bewältigung von Katastrophen und Schadensereignissen mit einer Vielzahl Geschädigter konnte zu keiner Zeit ohne die Hilfe von Pflegekräften stattfinden. Gerade die Schadens-ereignisse der jüngsten Zeit zeigten auf, dass sich eine Zusammenarbeit beider Seiten aufgrund von Unsicherheiten bezüglich der jeweiligen Aufgaben- und Kompetenzbereiche nicht immer einfach gestaltete. Pflegekräfte in Krankenhäusern werden ferner per se in die Bewältigung von internen sowie externen Schadensereignissen eingeplant, ohne über katastrophenmedizinische Grundkenntnisse zu verfügen.

Auch durch die Forderungen des neuen Krankenpflegegesetzes aus dem Jahre 2004 bedarf es einer aktuellen Auseinandersetzung der Pflegeberufe mit der Katastrophenhilfe.

Dabei geht es nicht darum, dass Pflegekräfte bis in die Aufgabenbereiche der Katastrophenschutzorganisationen vordringen oder an Unglücksorten Verletzte bergen und versorgen, wie es einige Kritiker vermuten. Vielmehr sollten den Pflegeberufen Grundkenntnisse des Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Katastrophenmedizin vermittelt werden, um von ihren festen Aufgabenfeldern aus auch im Katastrophenfall eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten. Eine derartige Wissensvermittlung würde ebenso die Grundlage für eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit schaffen, die gerade in einem Katastrophenfall unerlässlich ist.

Unter dem Titel „Katastrophenmanagement – Handeln in Ausnahmesituationen als Herausforderung für die Pflege“ hat diese Arbeit das Ziel, die Berufsgruppe der Pflegenden für diese Thematik zu sensibilisieren sowie deren Aufgabenfelder in möglichen Katastrophensituationen zu eruieren. Ferner liegt es im Fokus dieser Ausführungen, ein Basiswissen für mögliche Schadenszenarien zusammenzutragen, das insbesondere Helfern im Klinikbereich eine Handlungsgrundlage bietet. Hierfür wurde im Rahmen der Literaturarbeit eine kompilatorisch begründete Bearbeitungsmethode gewählt.

Die Leitfragen: „Auf welche Krisenszenarien sollten Pflegekräfte vorbereitet sein?“ und „Welche Aufgaben hat die Pflegekraft im interdisziplinären Team der Helfer?“ werden durch dieses komplexe Themengebiet führen.

Einleitend dienen die Begriffsbestimmungen und gesetzlichen Grundlagen zum Katastrophen- und Zivilschutz als Basis für die weiteren Ausführungen. Im nachfolgenden Kapitel wird die Stellung der Pflegekraft in der Katastrophenhilfe unter historischen sowie aktuellen Gesichtspunkten beleuchtet. Hier wird ausgehend von den Grundlagen des Krankenpfle-gesetzes sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung über die Betrachtung einer ausgewählten Ausbildungsrichtlinie bis hin zu neusten Studienergebnissen der Wissensstand der Pflegekräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege bezüglich der Thematik eruiert. Mit den Aufgabengebieten und Führungsgrundsätzen leitender Pflegekräfte im Katastrophenfall sowie aktuellen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten schließt dieses Kapitel ab.

Der Hauptteil dieser Arbeit ist den allgemeinen Herausforderungen der katastrophen-medizinischen Versorgung sowie weiterführend den Besonderheiten unter klinischen Bedingungen gewidmet. Einleitend werden hier die Ursachen von Schadensereignissen sowie ethische Fragestellungen der Katastrophenmedizin die Grundlage bilden. Im Folgenden soll elementares Wissen organisierter Katastrophenhilfe im präklinischen Bereich unter personellen, materiellen und strukturellen Gesichtspunkten vermittelt werden, um auch die klinischen Versorgungsbedingungen besser nachvollziehen zu können. Ausgehend davon werden anschließend die Planungsaufgaben eines Krankenhauses sowie nötige Leitungsstrukturen erläutert. Anhand des Beispiels eines Massenanfalls Verletzter werden die klinikrelevanten Bedingungen der Personalrekrutierung und -einteilung, der Kapazitätserweiterung als auch der Versorgungsmöglichkeiten unter einer akuten Leistungssteigerung dargestellt. Da dieses Schadensszenario einen größtmöglichen Praxisbezug bietet, sollen hier weiterführend die Aufgaben- und Kompetenzbereiche der Pflegekräfte untersucht werden. Im Anschluss daran werden die psychologisch-seelsorgerischen Aspekte und auch der Umgang mit Pressevertretern als ‚Randgebiete’ der klinischen Versorgung eines Massenanfalls Verletzter thematisiert.

In einer abschließenden Betrachtung werden die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Leitfragen zusammengefasst und mögliche Schlussfolgerungen formuliert.

Letztlich möchte ich darauf hinweisen, dass die in der Personenbezeichnung verwendete weibliche oder männliche Form das jeweils andere Geschlecht keineswegs ausschließt, sondern lediglich der besseren Lesbarkeit dient.

2 Definitionen und Abgrenzungen

Die im Folgenden diskutierten Begrifflichkeiten wurden nach dem Umfang der benötigten medizinischen Personalressourcen bezüglich eines Schadensereignisses ausgewählt und sollen in ihrer Wahl den Wissensanforderungen von Pflegepersonen im Krankenhausbereich Rechnung tragen.

2.1 Unfall

Bei der Recherche zum Unfallbegriff zeigte sich eine recht breite Verwendung dieser Bezeichnung. Allgemein kann ein Unfall als ein schädigendes Ereignis bezeichnet werden.

Die Unterteilung des Begriffs nach Umfeld und Art des Ereignisses (z.B. Arbeitsunfall mit Verbrennung) sowie nach der Art des Verschuldens (Eigenverschulden, Fremdverschulden, höhere Gewalt) ist möglich und sinnvoll (vgl. wikipedia 2005).

Insbesondere in der Versicherungswirtschaft hat man sich verstärkt um eine klare Definition des Begriffes bemüht. Während der Recherche fand sich eine größere Anzahl von Definitionen zum Unfallbegriff der Versicherungen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schreibt zusammenfassend: "Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.“ (ilexikon 2005).

Die Auswahl an Definitionen zum Unfallbegriff in den medizinisch-pflegerischen Fachbüchern ist dagegen vergleichsweise gering. Im „Handbuch der medizinischen Katastrophenhilfe“ (1991) wird der Unfall als „Unbeabsichtigtes, zufälliges, kurzfristig einwirkendes Ereignis, durch das eine oder mehrere Personen und/oder Sachgüter Schaden erleiden und das weder örtlich noch zeitlich vorhersehbar ist.“ (Rebentisch 1991, S. 12) definiert.

Für den deutschsprachigen Raum fand sich während der Recherche auch eine Definition des rettungsdienstlichen Bereichs in Österreich. Ein Unfall wird hier als ein Schadensereignis beschrieben, “[…] das räumlich begrenzt und mit den vorhandenen Mitteln in angemessener Zeit bewältigt werden kann. Bei einer Katastrophe gilt dies nicht mehr.“(Gschanes 2001). Weiterhin werden Unfälle hier nach „klein“, „mittel“ und „groß“ eingeteilt, was die fehlende Kategorie des Großschadensereignisses erklärt. Ein Unfall in der Kategorie „groß“ ist dem sehr wahrscheinlich gleichzusetzen (vgl. Gschanes 2001).

Zum Unfallbegriff bezüglich der Thematik dieser Arbeit lässt sich zusammenfassend sagen, dass es sich hierbei um eine oder mehrere geschädigte Person(en) handelt, die mit den örtlichen oder regionalen Ressourcen in angemessener Zeit problemlos medizinisch versorgt werden kann/können. Die Versorgungskapazitäten sind in jeglicher Hinsicht ausreichend vorhanden.

2.2 Großschadensereignis

In vielen Definitionen finden sich zum Großschadensereignis gleichgesetzte Begrifflichkeiten wie Massenunfall, Massenanfall Verletzter und Großunfall. Allen ist eine recht gute Abgrenzung zum Begriff der Katastrophe gemein. Eine eindeutige und einheitliche Abgrenzung der aufgeführten Bezeichnungen untereinander bleibt jedoch zumeist offen. Lediglich im „Handbuch für Schnell-Einsatz-Gruppen“ (2001) wird klar zwischen einem Massenanfall von Verletzten und einem Großschadensereignis im notfallmedizinischen Sinn unterschieden. Bei ersterem reichen die vorhandenen und einsetzbaren Kräfte des Rettungsdienstes aus, bei letzterem reichen diese nicht mehr aus. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass diese Typologie aus rein notfall- und katastrophenmedizinischer Sicht erstellt wurde (vgl. Peter 2001, S. 25f.).

Rebentisch (1991) definiert ein Großschadensereignis als ein „Außergewöhnlich schwer-wiegendes und/oder umfangreiches, unvorhergesehen eintretendes Ereignis, von dem zahlreiche Menschen und/oder Sachwerte und/oder Infrastrukturen betroffen sein können, dessen Folgen jedoch mit den örtlich oder regional frühzeitig verfügbaren Kräften und Mitteln in angemessener Zeit beherrscht und überwunden werden können.“ (Rebentisch 1991, S. 12).

Bittger (1996) setzt das Wort Großschadensereignis mit dem Wort Großunfall gleich und spricht von einem „[…] Ereignis, bei dem die Verletztenzahl überschaubar ist und bei dem zur Bewältigung der Abläufe schnelle Entscheidungen erforderlich sind.“ (Bittger 1996, S. 1).

Er bestimmt die Begriffe Großunfall und Katastrophe in Abhängigkeit von den individuellen örtlichen und personellen Gegebenheiten. Nach Linde et al. (1992) handelt es sich bei Großschadensereignissen um Schadensereignisse, die sich durch ihre schwierigeren und umfangreicheren Bewältigungsmaßnahmen von denen der Unglücksfälle und Notfälle abgrenzen. Weiterhin wird die Grauzone zwischen einem Notfall und einer Katastrophe hier als ein ‚Massenanfall Verletzter’ bezeichnet. In nachfolgender Abgrenzung zum Katastrophen-begriff wird ein „Massenanfall von Verletzten“ folgendermaßen definiert: „Wird bei einem Schadensereignis die Kapazität des Rettungsdienstes einschließlich seiner Reserven und der in Anspruch genommenen Nachbarschaftshilfe durch die Größenordnung und die zeitliche Entwicklung der Einsatzanforderungen überschritten, ist die Schnittstelle zur Katastrophe erreicht.“ (Linde et al. 1992, S. 27).

Zur Begriffsklärung des Großschadensereignisses bezüglich der Personenschäden lässt sich allgemein feststellen, dass es sich stets um mehre geschädigte Personen handelt, die nur unter einem deutlich erhöhten, örtlichen, regionalen und eventuell überregionalen Ressourcenaufgebot in angemessener Zeit medizinisch versorgt werden können.

2.3 Katastrophe

Wie bei den beiden vorangegangenen Begriffsbestimmungen Unfall und Großschadens-ereignis wird auch der Katastrophenbegriff von den jeweiligen Fachgebieten und Institutionen unterschiedlich definiert. Der Begriff Katastrophe ist lateinisch/griechischen Ursprungs und bedeutet Wende oder Umkehr (vgl. Duden Band 5 1997, S. 410).

Man spricht in einem Katastrophenfall allgemein von Ereignissen, „[…] die akut oder chronisch, von kurzer oder protrahierter Dauer auf ein System einwirken und es dadurch vor Aufgaben stellen, die es selbst nicht lösen kann.“ (Kirchhoff; Linde 1984, S. 9).

Rebentisch (1991) definiert Katastrophe unter dem medizinischen Gesichtspunkt etwas genauer als „Außergewöhnlich schwerwiegendes und/oder umfangreiches, meistens überraschend eintretendes Ereignis, das das Leben und die Gesundheit sehr vieler Menschen und/oder erhebliche Sachwerte und/oder die Lebensgrundlagen einer großen Bevölkerungsgruppe in so erheblichem Maße schädigt oder gefährdet, dass es mit den örtlichen oder regional verfügbaren Kräften und Mitteln allein nicht zu bewältigen ist“ (Rebentisch 1991, S. 12).

Die Auslöser von Katastrophen können Naturereignisse oder direkt bzw. indirekt Menschen sein. Schadensereignisse werden jedoch nur dann zu Katastrophen, wenn die verfügbaren Ressourcen zur zeitgerechten Hilfeleistung unzureichend sind. Demnach wird ein Ereignis erst dann zum Katastrophenfall erklärt, wenn der zuständigen Behörde diese Mängel bewusst werden (vgl. Rebentisch 1991, S. 12).

Eine Definition im Sinne des Rettungsdienstes benennt eine Katastrophe als „Schadensereignis mit einer Zerstörung der örtlichen Infrastruktur […]“ und „kann mit den Mitteln und Einsatzstrukturen des Rettungsdienstes nicht alleine bewältigt werden“ (DIN 130 050 „Rettungswesen-Begriffe“ in Holle; Pohl-Meuthen 2002, S. 18).

Im Gesetz zur Neuordnung des Brandschutzes, Rettungsdienstes und Katastrophenschutzes im Freistaat Sachsen (2004) ist eine Katastrophe sehr umfassend beschrieben als „[…] ein Geschehen, welches das Leben, die Gesundheit, die Versorgung zahlreicher Menschen mit lebensnotwendigen Gütern und Leistungen, die Umwelt oder erhebliche Sachwerte in so außergewöhnlichem Maße gefährdet oder schädigt, dass Hilfe und Schutz wirksam nur gewährt werden können, wenn die zuständigen Behörden und Dienststellen, Organisationen und eingesetzten Kräfte unter der einheitlichen Leitung einer Katastrophenschutzbehörde zusammenwirken.“ (sachsen/staatsregierung/ministerien 2005).

Als besonders wichtig wird in dieser Begriffsdefinition die einheitliche Koordination aller Maßnahmen angesehen, was auf die Erfahrungen des Landes Sachsen nach dem Elbehochwasser 2002 schließen lässt.

Zusammenfassend wird insbesondere unter medizinischen Gesichtspunkten von einer Schädigung oder Gefährdung einer großen Anzahl an Personen ausgegangen, die durch örtliche oder regionale Ressourcen allein nicht bewältigt werden können. Weiterhin sind die Lebensgrundlagen, insbesondere die örtliche Infrastruktur einer großen Anzahl von Menschen zerstört oder gefährdet, so dass in der Folge mit gesundheitlichen Risiken vermehrt gerechnet werden muss.

In den Definitionen und Erklärungen zu den Begriffen Unfall, Großschadensereignis und Katastrophe zeigt sich allgemein ein fließender Übergang zwischen den Kategorien. Insbesondere bei den beiden letztgenannten Bezeichnungen sind die individuellen Gegebenheiten vor Ort entscheidend für die Zuordnung und Kategorisierung eines Geschehens durch die zentrale Leitstelle oder den Gesamteinsatzleiter. In einer dünnbesiedelten Gegend kann beispielsweise ein Massenunfall aufgrund geringerer Rettungsmittelressourcen eher zu einer Katastrophe führen als in einer Großstadt mit vergleichsweise hoher Rettungsmitteldichte.

Das optimale Zusammenspiel aller Rettungskomponenten ist hier entscheidend, doch eine Rettungskette kann nur so stark sein, wie es ihr schwächstes Glied ist (vgl. Ahnefeld in Grashey 2004).

2.4 Katastrophenmedizin

Zur Annäherung an den Begriff Katastrophenmedizin ist eine kurze Erklärung des Kontextes den Definitionen vorweg zu nehmen.

Die Ursprünge der Katastrophenmedizin finden sich in der Kriegs- bzw. Feldchirurgie.

Aus dieser Historie heraus stellen sich noch heute viele Ärzte als überzeugte Kriegsgegner gegen das noch recht junge Fachgebiet. Die zunehmenden zivilen Gefahren der vergangenen Jahre stellten jedoch im Zusammenhang mit der Reform des Katastrophen- und Zivilschutzes[2] auch die Katastrophenmedizin wieder in die Diskussion. Die deutsche Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) sowie weitere Institutionen setzten sich für eine Weiterentwicklung der medizinischen Hilfe im Katastrophenfall ein. In den Mitgliederlisten der DGKM finden sich nicht nur engagierte Mediziner sondern auch Pflegekräfte und Mitarbeiter von Krankenhausverwaltungen etc. Die Katastrophenmedizin ist demnach kein reines Fachgebiet von Ärzten und Rettungsdienstlern, auch wenn dieses einige Definitionen suggerieren, vielmehr sind sämtliche im Gesundheitswesen beschäftigte Berufsgruppen in diesem Bereich des Katastrophenschutzes zusammengefasst.

Katastrophenmedizin bedeutet allgemein individualmedizinisches Handeln auf ein Handeln in Form der ‚ Massenmedizin’ umzustellen. Das folgende Zitat zeigt mit der Begriffsklärung auch einige Teilaspekte katastrophenmedizinischen Handelns.

„Die Katastrophenmedizin widmet sich einer Teilaufgabe im Gesamtkonzept des Schutzes der Bevölkerung vor unversehens eintretenden Großschäden und Katastrophen […].“ „Katastrophenmedizin zu betreiben ist der Ausdruck für die ethisch begründete Bereitschaft und Verpflichtung des Arztes, Verletzten, Kranken oder anderweitig gesundheitlich Geschädigten auch dann nach besten Kräften zu helfen, wenn die Zahl der Opfer es nicht erlaubt, jeden Betroffenen so bald und so umfassend zu behandeln, wie dies der Eid des Hippokrates dem Arzt auferlegt.“ (Weidringer 2003, S. 25).

Hier wird klar, dass es sich nicht um die umfassende Versorgung des einzelnen Verletzten handelt, sondern vielmehr um ein Abwägen von medizinischen Prioritäten in einer Gruppe Hilfebedürftiger. Der ethische Aspekt in der Katastrophenmedizin rückt somit unweigerlich in den Vordergrund[3]. In der folgenden Definition werden der Zeit- und Ressourcenfaktor in die Versorgung mit einbezogen. „Katastrophenmedizin ist die Gesamtheit der im Rahmen des KatS durchgeführten medizinischen Maßnahmen, mit denen unter geringstem Zeit- und Ressourcenaufwand eine möglichst große Zahl von Erkrankten und Bedrohten am Leben erhalten werden soll.“ (Pfenniger et al. 2004, S. 35).

Das Fachgebiet Katastrophenmedizin partizipiert am Wissen vieler Disziplinen. Ausgehend von der Prävention über die Notfallversorgung bis hin zum Krankenhaus- und Rehabilitationsbereich zeigt es somit einen deutlichen interdisziplinären Ansatz (vgl. Pfenniger et al. 2004, S. 35).

3 Der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in der BRD

Die beiden Bereiche Zivilschutz und Katastrophenschutz unterliegen recht klarer Definitionen und gesetzlicher Bestimmungen im Rahmen des Schutzes der Bevölkerung. Die Differenzierung erfolgt durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund und Ländern sowie durch ein Friedens- bzw. Kriegsgeschehen, wobei Kompetenzdelegierungen und Neuerungen in den Bereichen recht diffizil wirken. Der Zivilschutz wurde im Zuge der Eingliederung in das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit der neuen Bezeichnung Bevölkerungsschutz weitergeführt, wobei im Folgenden beide Formen gleichrangig zu betrachten sind.

3.1 Zivilschutz/Bevölkerungsschutz

Der Zivilschutz hat völkerrechtlich eine gesonderte Stellung, die mit dem weltweiten Ansehen als humanitäre Aufgabe verbunden ist. Seit dem vierten Genfer Abkommen 1949 stehen der Zivilschutz und seine Institutionen unter besonderem Schutz (vgl. zivilschutz-online 2005).

In der Bundesrepublik steht der Zivilschutz für die nichtmilitärischen Maßnahmen der Krisenbewältigung in einem Verteidigungsfall und fällt nach Artikel 73 des Grundgesetzes in den Zuständigkeitsbereich des Bundes (vgl. Linde et al. 1992, S. 27).

Die Aufgaben des Zivilschutzes sind im Zivilschutzgesetz (ZSG) von 1997, in der überarbeiteten Fassung von 2004 gesetzlich festgelegt (vgl. Zivilschutzgesetz 2005). Den Gesetzesvollzug übernehmen jedoch häufig die einzelnen Bundesländer in Form der Bundesauftragsverwaltung. Auf Bundesebene sind das Bundesministerium des Inneren (BMI), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)[4], weitere Ministerien im Rahmen der Zuständigkeiten sowie das Technische Hilfswerk (THW) verantwortlich.

Zu den Aufgabenbereichen des Zivilschutzes, welche von Bund und Ländern geteilt wahrgenommen werden, zählen neben den vorbeugenden Schutzmaßnahmen:

- der Selbstschutz
- die Warnung der Bevölkerung
- der Schutzbau
- die Aufenthaltsregelung
- der Katastrophenschutz
- Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit
- Maßnahmen zum Schutz von Kulturgut.

Die Initiative des einzelnen Bürgers (Selbsthilfe) wird in § 1 ZSG gesondert hervorgehoben und steht vor den staatlichen Aufgaben (vgl. zivilschutz-online 2005).

Die Schadensereignisse der vergangenen Jahre verlangten auch in der Bundesrepublik nach Reformen im Zivil- bzw. Katastrophenschutz. Zum 01. Mai 2004 entstand das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und übernahm die Aufgabengebiete der bis dahin im Bundesverwaltungsamt (Abteilung V) angesiedelten Zentralstelle für Zivilschutz. Diese neue zentrale Koordinierungsstelle gliedert sich in sieben Kompetenzzentren:

- Krisenmanagement/ Katastrophenhilfe
- Notfallvorsorge/ Notfallplanung; internationale Angelegenheiten
- Schutz kritischer Infrastrukturen
- Katastrophenmedizin
- Zivilschutzforschung, ABC-Schutz/ -vorsorge
- Zivilschutzausbildung
- Ergänzender Katastrophenschutz, Technik und Ausstattung

(vgl. Katastrophenschutz im Land Berlin, Zivilschutz 2005).

Mit dieser neuen Führungsstelle werden insbesondere der Ausbildung und Forschung auf diesem Themengebiet sowie auch der einheitlichen Hilfskoordination bei Katastrophen im Ausland Rechnung getragen.

3.2 Katastrophenschutz

Der Katastrophenschutz (KatS) ist in den Zivilschutz eingegliedert, liegt jedoch im Bereich der Länderhoheit einzelner Bundesländer und beinhaltet die Gefahren- und Schadensabwendung im Katastrophenfall zu Friedenszeiten. Weiterhin beinhaltet er „[…] alle von Bund und Ländern organisierten Maßnahmen zur Verminderung, Milderung oder Beseitigung von Katastrophen.“ (Bittger 1996, S. 2).

Wie im vorangegangenen Zitat deutlich wird, ist der Katastrophenschutz primär Aufgabe der einzelnen Bundsländer nach Artikel 30 des GG. Der Bund hat für einen Spannungs- oder Verteidigungsfall, welcher demnach nicht dem friedensgemäßen Katastrophenschutz zuzuordnen ist, den erweiterten Katastrophenschutz eingeführt. Er gilt als ein Teilbereich des Zivilschutzes, ist daher nach Art. 73, 1. GG dem Bund unterstellt und umfasst alle Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall (vgl. Bittger 1996, S. 2)[5]. Für die Zwecke des erweiterten Katastrophenschutzes stellt der Bund den Ländern finanzielle Mittel bereit, die diese auch in einem nichtmilitärischen Katastrophenfall nutzen können.

Eine etwas genauere Aufgabenbeschreibung des Katastrophenschutzes zeigt folgende Definition. Nach Rebentisch (1991) ist der Katastrophenschutz die „Gesamtheit der Maßnahmen organisatorischer, personeller und sächlicher Art einschließlich der Planung und Vorbereitung, die dazu dienen, Katastrophen zu verhindern, eintretende Großschadensereignisse in den Grenzen der Bewältigungsfähigkeit zu halten, dennoch ausbrechende Katastrophen in geordneter Weise frühzeitig und umfassend zu bekämpfen sowie weitere Schäden zu vermeiden und die Wiederherstellungsmaßnahmen im betroffenen Gebiet durchzuführen.“ (Rebentisch 1991, S. 14).

3.3 Der Katastrophenschutz im Land Berlin

Anhand der Organisationsstrukturen des Katastrophenschutzes im Land Berlin sollen im Folgenden die einzelnen Institutionen mit ihren Aufgaben erläutert werden.

Der Katastrophenschutz ist in der Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung III angesiedelt und Teil der allgemeinen Gefahrenabwehr. Im Gesetz über die Gefahrenabwehr bei Katastrophen (Katastrophenschutzgesetz – KatSG) des Landes Berlin sind als Schwerpunkte die Katastrophenvorsorge und die Katastrophenabwehr geregelt (vgl. Katastrophenschutz im Land Berlin, Gefahrenabwehr 2005).

Zu den Berliner Katastrophenschutzbehörden zählen:

- die Senatsverwaltungen (und deren Nachgeordnete Sonderbehörden soweit sie Ordnungsaufgaben wahrnehmen)
- die Bezirke
- die Berliner Feuerwehr
- die Polizei.

Diese Behörden sind zur Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung verpflichtet. In ihr Aufgabenfeld fallen auch sämtliche organisatorische Vorsorgemaßnahmen die den Katastrophenschutz betreffen.

Das Land Berlin unterscheidet Schadensereignisse in den Kategorien:

- Alltagsgefahren
- außergewöhnliche Schadensereignisse
- Katastrophen.

Unter Alltagsgefahren werden Brände, Explosionen, Überschwemmungen, Unfälle und ähnliche Ereignisse angesehen, welche vorwiegend durch die Berliner Feuerwehr abgewehrt werden sollen. Da diese auch die rettungsdienstliche Hoheit innehat, ist hier die rettungsmedizinische Versorgung implementiert. Falls Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehen, sind die Ordnungsbehörden sowie die Polizei zuständig. Alle weiteren zuständigen Behörden sind bei Bedarf zur Mitwirkung verpflichtet und haben mit der Polizei und der Feuerwehr eine gemeinsame Einsatzleitung zu bilden. Eine einheitliche Koordination steht bei größeren Schadensereignissen mit im Vordergrund (vgl. Katastrophenschutz im Land Berlin, Gefahrenabwehr 2005).

Dies gilt auch bei außergewöhnlichen Schadensereignissen mit einer Vielzahl an Betroffenen oder Verletzten, wie Flugunfällen, Seuchengeschehen etc. Hier können des Weiteren die privaten Hilfsorganisationen und freiwilligen Feuerwehren unterstützend hinzugezogen werden. Bei Bedarf stehen auch die Einrichtungen des Bundes wie die Bundeswehr und das THW zur Verfügung.

Zu den privaten Hilfsorganisationen[6] zählen bundeseinheitlich:

- der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB)
- die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG)
- das Deutsches Rotes Kreuz (DRK)
- die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH)
- der Malteser Hilfsdienst (MHD)

(vgl. Katastrophenschutz im Land Berlin, Gefahrenabwehr 2005).

In Katastrophen sieht das Land Berlin Großschadensereignisse, die sich von anderen Schadensereignissen durch den Umfang ihrer Auswirkungen unterscheiden und von den o.g. Behörden nicht angemessen bewältigt werden können. Hier kommt eine zentrale Einsatzleitung als wichtigstes Element zum tragen. Es ist zu vermuten, dass im Katastrophenfall ähnliche Kräfte und Institutionen agieren wie bei einem außergewöhnlichen Schadensereignis. Die Senatsverwaltung für Inneres hat die Aufgabe den Katastrophenalarm auszulösen (vgl. Katastrophenschutz im Land Berlin, Gefahrenabwehr 2005).

Die Katastrophenschutzbehörden und die Hilfsorganisationen bilden den Katastrophen-schutzdienst, der in einem Katastrophenfall mit seinen einzelnen Fachdiensten zum tragen kommt. Zur Verfügung stehen der ABC-Dienst, der Betreuungsdienst, der Sanitätsdienst sowie die Schnelleinsatzgruppen (SEG). Ziel ist deren Einteilung in taktische und flexibel einsetzbare Einheiten (vgl. Verordnung über den Katastrophenschutzdienst 2001).

Das Berliner Notarztsystem und die Arbeitsanweisungen der Berliner Feuerwehr bezüglich der Großschadensereignisse sollen an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden. Vielmehr bietet es sich im Sinne der Thematik an, die Einbeziehung der Krankenhausversorgung in den Katastrophenschutz kurz zu erläutern.

Für die Berliner Krankenhäuser gilt das Landeskrankenhausgesetz (LKG) sowie die Krankenhauskatastrophenschutzverordnung (KhKatSVO) von 1999. Sie sind nach der KhKatSVO verpflichtet, Notfallpläne für den Katastrophenschutz aufzustellen, Einsatzleitungen festzulegen (einschließlich dem ärztlichen Beauftragten für den Katastrophenschutz) sowie nach Anordnung der Behörden Übungen durchzuführen. Für die

3.388.477 Einwohner[7] der Stadt stehen rund 18.000 Betten in 6 Unfallschwerpunkt-krankenhäusern, 16 Unfallkrankenhäusern und 16 Erste-Hilfe-Krankenhäusern zur Verfügung. Bei Bedarf geht man davon aus, dass innerhalb von sechs Stunden bis zu 7.000 Betten (40%) zur Verfügung gestellt werden können (vgl. Schirrmeister 2004).

Die o.g. Katastrophenschutzübungen erfolgen zur Überprüfung der Alarmpläne für externe Schadensereignisse und finden in einer zeitlichen Abfolge von ca. 1½ Jahren statt. Sie werden durch die Senatsverwaltung organisiert und einem Krankenhaus im Vorfeld terminlich nicht mitgeteilt. Die Übungen werden nach Größe und Spektrum des jeweiligen Hauses auf eine bestimmte Anzahl von Notfallpatienten ausgerichtet. Weitere Erläuterungen zu den Alarmplänen der Krankenhäuser erfolgen in Kapitel 5.5.1.

3.4 Zusammenfassende Betrachtung

Es zeigte sich in der Bearbeitung der Bereiche Bevölkerungs- bzw. Zivilschutz sowie Katastrophenschutz dass eine stärkere Verzahnung beider Schwerpunkte sinnvoll wäre. Da beide Systeme nebeneinander stehen, verhindern sie somit eine einheitliche Strukturierung. Das neu gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe spricht für einen politischen Reformansatz, welcher jedoch noch ausbaufähig ist. Weiterhin stellen die unterschiedlichen Landesgesetzgebungen im Katastrophenschutz länderübergreifende Planungen vor große Herausforderungen. Diese sind jedoch spätestens nach den Erfahrungen während des Elbe-Hochwassers 2002 dringend nötig.

Auch der bis Oktober 2005 amtierende Bundesinnenminister Schily sprach sich für eine Kompetenzstärkung des Bundes in einem Katastrophenfall aus. Eine strikte Trennung von Katastrophen- und Zivilschutz sei nicht mehr zeitgemäß. Er forderte die Einführung eines Bevölkerungsschutzgesetzes anstelle des gültigen Zivilschutzgesetzes, was jedoch nur mit einer Verfassungsänderung möglich wäre. Angesprochen wird hier der Artikel 35 GG, welcher dem Bund nur in Ausnahmenfällen Kompetenzen einräumt. Die Union plädiert hingegen für den Aufbau einer nationalen Sicherheitsbehörde, was möglicherweise einen höheren Verwaltungsaufwand zur Folge hätte (vgl. Welt 2005).

Die Beiden Bereiche der Schadensabwehr wurden mit dem Ende des Kalten Krieges eher nachlässig behandelt. Die Gründe lagen hier vermutlich in der immer geringer werdenden Wahrscheinlichkeit für ein Kriegsgeschehen in Europa. Auch anderweitige zivile Schadensereignisse waren in ihrer Häufigkeit und ihrem Ausmaß offenbar so gering, dass kein Handlungsbedarf gesehen wurde. Erst die aktuellen Bedrohungen der letzten Jahre stellten die Schadensabwehr wieder in die Diskussion und entfachten auch auf politischer Ebene Aufmerksamkeit. Anzumerken ist weiterhin, dass Pflegekräfte und andere im Gesundheitswesen tätige Berufsgruppen, mit Ausnahme des Rettungsdienstes, keine Erwähnung im Katastrophen- bzw. Zivilschutz finden. Mit dieser fehlenden offiziellen Einbindung von medizinisch- pflegerischem Personal sind qualifizierte Personalressourcen für den Katastrophenfall nicht in dem möglichem Umfang gesichert. Gemeint sind an dieser Stelle vor allem Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, wie sie auch den ehrenamtlichen Kräften der Hilfsorganisationen[8] regelmäßig zuteil werden.

4 Die Pflegekraft in der Katastrophenhilfe

Ausgehend von der Frage nach den Aufgaben einer Pflegekraft im interdisziplinären Team der Helfer bezüglich möglicher Katastrophensituationen werden im Folgenden historische, rechtliche sowie bildungs- und managementrelevante Aspekte betrachtet. In der gewählten Abfolge und Darstellung der Themenpunkte sollen auch Argumente für eine umfassendere Auseinandersetzung der Pflegeberufe mit der Thematik entstehen. Einleitend wird ein historischer Exkurs die Bedeutung von Pflege und Katastrophenhilfe in einen Zusammenhang setzen um im Anschluss daran aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen und ausbildungsrelevante Aspekte zu erläutern. Die besondere Rolle einer Führungskraft während eines Schadensereignisses wird anhand der Analyse ihrer Aufgaben beschrieben. Abschließend werden ausgewählte Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Pflegekräfte in ihren Inhalten aufgezeigt, die auch Lösungsansätze für die Bewältigung von Defiziten darstellen.

4.1 Historische Aspekte

Um die historische Stellung der Krankenpflege in Krisen- und Katastrophensituationen zu erläutern, bedarf es im Besonderen einer Betrachtung der Kriegskrankenpflege. Die Stellung der Krankenschwester in den Kriegen der letzten Jahrhunderte trug auch zur Entwicklung der Pflegeberufe bei. Wenngleich die Einflüsse der Kriegskrankenpflege nicht immer vorteilhaft waren, so zeigt sie doch recht deutlich, welchen Stellenwert Pflegeberufe in Krisen- und Katastrophenfällen hatten, bevor es die Berufe der Rettungssanitäter und -assistenten sowie den Katastrophenschutz im heutigen Sinne gab.

Ab dem 19. Jahrhundert finden sich erste Belege für den Einsatz von ausgebildeten Pflegekräften hinter den Frontlinien. Unter Florence Nightingale erfuhr das englische Heer während des Krimkriegs 1854 pflegerische Unterstützung. Ihre beispielhafte Organisation der Verwundetenpflege und -ernährung wurde selbst von vorerst skeptischen Armeeärzten und Offizieren bewundert. Weiterhin kümmerte sich Florence Nightingale um den Ausbau des Heeressanitätswesens, noch bevor sie die erste unabhängige Krankenpflegeschule gründete (vgl. Grundhewer 1987, S. 31).

Die Kriegskrankenpflege wurde vor und auch nach 1900 vorwiegend von freiwilligen Krankenpflegern und -pflegerinnen übernommen. Diese wurden durch verschiedenste Organisationen, u.a. das Rote Kreuz, den evangelischen Diakonissen, den Schwestern des Johanniterordens, den katholischen barmherzigen Schwestern, geschult und ausgebildet.

Rupprecht (1905) erkannte die Notwendigkeit zur Unterstützung des Heeressanitätswesens durch die freiwillige Kriegskrankenpflege und schrieb schon zu damaliger Zeit: „Die Erfahrung hat gelehrt, dass selbst die besten militärischen Einrichtungen nicht ausreichen, der ungeheuren Not des Krieges zu steuern, dass vielmehr im Kriege die Mitwirkung der sog. Freiwilligen Krankenpflege unentbehrlich ist […]“ (Rupprecht 1905, S.391, in Panke-Kochinke 2001, S. 129).

Das männliche Pflegepersonal übernahm dabei die Funktionen der Lazarettaufseher und Militärkrankenwärter vorwiegend im Kriegsgebiet. Auch auf Lazarett- und Krankenzügen wurden sie eingesetzt. Das weibliche Pflegepersonal wurde hingegen vorwiegend den Inlandslazaretten zugeordnet, jedoch bei Bedarf ebenso für Lazarettzüge sowie für Kriegslazarette eingeteilt. Rupprecht (1905) forderte hier u.a. Mut, Gehorsam und Kenntnis der bestehenden Einrichtungen, was auch mit den soldatischen Tugenden gleichzusetzen ist (vgl. Panke-Kochinke 2001, S. 129f.).

Mit der Forderung des Kennens der bestehenden Einrichtungen lassen sich hier Aufbau und Organisation in Lazaretten, Feldlazaretten, Lazarettzügen etc. unter recht spärlichen Bedingungen vermuten. Demnach wurden schon zu damaligen Zeiten Kompetenzen in Krisen- und Katastrophenbedingungen vom Pflegepersonal verlangt.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass mit der Kriegssanitätsordnung von 1875 die freiwillige Hilfe im Kriegsfall unter die militärische Befehlsgewalt gestellt wurde. Somit galten auch für die freiwillige Kriegskrankenpflege die Militärgerichtsbarkeit, die Kriegsgesetze und die Disziplinarverordnungen (vgl. Grundhewer 1987, S. 42).

Während des ersten Weltkrieges arbeiteten rund 25.000 Krankenschwestern aus den verschiedensten Orden und Verbänden im Kriegsdienst. Ihr Einsatz erfolgte vornehmlich in den Kriegs- und Festungslazaretten der Etappe[9], später auch in Feldlazaretten. Je nach Bedarf wurden sie in der Operations- und Verwundetenpflege, in Seuchenlazaretten, Nervenstationen, in Lazarettzügen und -schiffen eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörte es zudem, Lazarette einzurichten, ihren Wirtschafts- und Versorgungsbetrieb aufrechtzuerhalten und diese Einrichtungen auch wieder zu schließen, bzw. sie zu verlegen (vgl. Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 14f.).

Während des zweiten Weltkrieges wurden Kriegskrankenschwestern vorrangig nach den nationalsozialistischen Ideologien ausgewählt. Das Rote Kreuz hatte sich dem Dienst der Wehrmacht verpflichtet und forderte bei Bedarf auch Schwestern anderer Orden und Gemeinschaften an. „Die Schwesternschaften hatten die erforderliche, entsprechend ausgebildete Zahl von Schwestern für den Sanitätsdienst der Wehrmacht zu stellen […]“ (Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 19).

Im zweiten Weltkrieg kümmerten sich eigens für den Kriegsdienst abgestellte Oberinnen um die Pflegekräfte. Somit war ihnen ein gewisser ‚Schutz’ durch eine ihnen bekannte Vorgesetzte gegeben. Diese Oberinnen kamen zumeist vom Roten Kreuz, unterstanden dem Armeearzt und nahmen vorwiegend administrative Aufgaben war (vgl. Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 160).

Daran zeigt sich, dass auch leitende Pflegekräfte in den Kriegsgebieten ihr Organisationstalent unter Beweis stellen mussten. Ihre Erfahrungen wurden jedoch kaum ausgewertet und genutzt.

Dem während der ersten Kriegsjahre abzusehenden Schwesternmangel wurde durch die Ausbildung von Hilfsschwestern und Schwesternhelferinnen[10] begegnet, deren Ausbildungszeit sich zumeist auf 3-7 Monate beschränkte. Die Schwesternhelferinnen werden von den Hilfsorganisationen bis heute ausgebildet und in Betreuungseinheiten im Rahmen des Katastrophenschutzes eingesetzt[11]. Die Einsatzbereiche ähnelten denen des ersten Weltkriegs. Man versuchte die Kriegsschwestern möglichst frontfern erst in den Etappengebieten einzusetzen, was nicht immer gelang. Mit dem Bewegungskrieg fanden sich auch medizinische Versorgungseinheiten des Hinterlandes immer häufiger in unmittelbarer Frontnähe wieder, was vom Pflegepersonal große Flexibilität insbesondere in der Verwundetenversorgung verlangte (vgl. Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 19ff.).

Zu den speziellen Qualifikationen dieser Schwestern für die Aufgaben im Kriegsdienst lässt sich in der Literatur wenig finden. In den Büchern „Frontschwestern und Friedensengel“ (2002) und „Die Geschichte der Krankenpflege (1679-2000)“ (2001) sind einige eindrucksvolle Schilderungen von Krankenschwestern im Kriegsdienst des zweiten Weltkrieges bezüglich der Anforderungen und Arbeitsbedingungen zu finden, wenngleich die ideologischen Bilder hier im Vordergrund stehen:

- „Im Feldlazarett arbeiteten erstmals Krankenschwestern und brachten in die Pflege Schwerstverwundeter und Schwerkranker fachliches Können und eine zarte frauliche Note ein.“ (Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 169)
- „Im OP wurde nur amputiert und wieder zusammengeflickt. Es wurde nicht mehr gefragt: „Kannst du das?“ Man musste alles können. Und ich konnte es auch.“ (Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 193)
- „Laufend wurden neue Verwundete gebracht. 16 Stunden wurde ununterbrochen operiert, [….]. Wie gut, dass wir schon während unserer Wartezeit im Hunsrück unsere Sanitätssoldaten in der Instrumentenlehre, in Erster Hilfe und Narkose geschult hatten […]“ (Panke-Kochinke 2001, S. 221)

In diesen Schilderungen lässt sich erkennen, dass fachlich gut ausgebildetes Pflegepersonal im Kriegsdienst unerlässlich war. Aber auch der Frau als solche wurde die Krankenpflege im Krieg durchaus eher zugetraut als den männlichen Kollegen. Der Härte des Krieges sollte die sanfte Genesungsphase im Lazarett gegenüberstehen, welche für die Verwundeten vorwiegend durch den Einsatz von Schwestern geprägt war. Vor allem die bildhafte Darstellung des Friedensengels mit Sanftheit und Mitgefühl lässt sich hier assoziieren.

Viel fachliches Können wurde vorausgesetzt, ebenso psychische und physische Stabilität. Eine gesonderte Schulung für die Kriegskrankenpflege wurde zwar gelegentlich in den Büchern erwähnt, was sie jedoch im Genauen beinhaltete, wird nicht vollständig geklärt. Bekannt ist, dass das Pflegepersonal in der ‚Fachausbildung’ insbesondere für die chirurgischen Erkrankungen, den Operations- und Narkosedienst sowie in der Seuchenpflege geschult wurde (vgl. Panke-Kochinke; Schaidhammer-Plake 2002, S. 31; S. 158).

Von ausgebildeten Krankenschwestern verlangte man in beiden Weltkriegen vor allem den aufopferungsvollen Einsatz für ‚Volk und Vaterland’. Was sie in Feldlazaretten, Lazarettzügen etc. erwartete, sagte man ihnen zumeist nicht. Die Situationen erforderten von den einzelnen Pflegekräften Kompetenzen und schnelle Entscheidungen, die sie häufig allein mit Intuition und gesundem Menschenverstand meistern mussten.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Leistungen der Frontschwestern kaum erwähnt. Zu eng waren sie mit dem System des Nationalsozialismus verwoben. Erst seit den letzten Jahren beschäftigen sich PflegewissenschaftlerInnen mit der Thematik.

Die allgemeinen Entwicklungen der Pflegeberufe in beiden deutschen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg sind hingegen gut erarbeitet. Während der Recherche waren allerdings nur wenige Anhaltspunkte zum Zivil- bzw. Katastrophenschutz im Pflegebereich erkennbar.

In der ehemaligen DDR waren die Angehörigen der Pflegeberufe, wie auch alle anderen Bürger, in das System der Zivilverteidigung eingegliedert. Es löste die bis in die 1970er Jahre bestehende Luftschutz-Konzeption[12] ab. In die Zivilverteidigung war der Katastrophenschutz, welchem auch der Gesundheitsdienst angehörte, integriert. Leitende Einheiten waren die Feuerwehren und das Deutsche Rote Kreuz der DDR. Ab 1981 hatten alle gesunden Bürger der DDR einmal in fünf Jahren die Pflicht, an einer Zivilschutzübung teilzunehmen, somit auch alle Angehörigen der Pflegeberufe (vgl. Greulich 2005).

Weiterhin wurden durch ministerielle Anordnungen in den 1980er Jahren die Fachgebiete Anästhesie und Intensivmedizin zur Mitwirkung bei ‚medizinischen Ausnahmesituationen’ verpflichtet. Die Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivtherapie der DDR hat daraufhin nicht nur Ärzte, sondern auch die in diesen Fachbereichen tätigen Pflegepersonen in ihre Aus- und Weiterbildungsprogramme zu diesem Themenpunkt einbezogen (vgl. Röse 1990, S. 83ff). Die Pflegekräfte der Anästhesie und Intensivmedizin der DDR hatten folglich eine staatlich geforderte Mitwirkungspflicht in Katastrophenfällen.

Anhaltspunkte für eine Einbeziehung der Pflegeberufe in den Katastrophenschutz der BRD ließen sich während der Recherche nicht finden. In den vergangenen Jahrzehnten wurde hingegen des Öfteren die Mithilfe von Pflegekräften bei der Versorgung von Massenverletzungen in Krankenhäusern erwähnt, jedoch meistenteils im Zusammenhang mit den allgemein zu rekrutierenden Personalressourcen im Alarmfall.

Die Pflegeberufe haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit der Thematik kaum auseinandergesetzt und auch von übergeordneten Stellen wurden keine berufsgruppenspezifischen Anforderungen entwickelt.

4.2 Aktuelle Relevanz bezüglich des Krankenpflegegesetzes

Anknüpfend an die historischen Ausführungen zur Thematik wird im Folgenden insbesondere die Bedeutung des Krankenpflegegesetzes für aktuelle Krisen- und Katastrophenereignisse untersucht. Weitere grundlegende Gesetzeslagen, z.B. die des Strafgesetzbuches zur unterlassenen Hilfeleistung, gelten für alle Bundesbürger gleichermaßen und werden an dieser Stelle nicht gesondert betrachtet.

Aufgrund der Schadensereignisse in den vergangenen Jahren wurden in den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens Reformen vorgenommen[13]. Mit der Überarbeitung des Krankenpflegegesetzes (KrPflG) im Jahr 2003 und dessen Inkrafttreten zum 1.1.2004, finden nun auch hier die Herausforderungen von plötzlichen Schadensereignissen und Katastrophen Berücksichtigung. Nach § 3, Absatz 2, Satz 2 KrPflG, gelten als „Aufgaben im Rahmen der Mitwirkung“ unter Punkt c) „Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“ (vgl. Dielmann 2004, S. 29)[14].

Aufgaben, die im Rahmen der Mitwirkung auszuführen sind, werden als ärztliche Anordnungen verstanden. Sie sind jedoch von einer Pflegekraft eigenständig umzusetzen. Diese Tätigkeiten liegen im haftungsrechtlichen Sinn in der Durchführungsverantwortung der jeweiligen Pflegekraft. Was die „Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“ jedoch im Genauen beinhalten könnten, abgesehen von den Maßnahmen der Ersten Hilfe, bleibt auch in dem Praxiskommentar zum Krankenpflegegesetz von Dielmann (2004) unklar.

Die erwähnten Maßnahmen der Ersten Hilfe sind unter § 3, Absatz 2, Satz 1d KrPflG gesondert verankert und zählen zu den eigenverantwortlich auszuführenden Aufgaben. Im genauen handelt es sich um die „Einleitung lebensrettender Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes“ (Dielmann 2004, S. 29). Hier ist davon auszugehen, dass jede Pflegefachkraft die Inhalte eines 16-stündigen Erste-Hilfe-Kurses während der Ausbildung vermittelt bekommen hat und diese auch anzuwenden weiß.

Bezüglich der Gesetzeslage ist abschließend § 3, Absatz 3 des KrPflG zu betrachten, in dessen Inhalt aufgrund der Spezialisierung des Berufsfeldes, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen gefordert wird (vgl. ebd., S. 92).

Aus dieser Zusammenarbeit heraus sollen multidisziplinäre und berufsübergreifende Lösungen von Gesundheitsproblemen entwickelt werden (vgl. ebd., S. 29).

Eine multidisziplinäre Zusammenarbeit sollte sowohl zwischen den unterschiedlichen Berufszweigen der Pflegeberufe, als auch im interdisziplinären Kontext unter den verschiedensten Professionen stattfinden. Gerade in Krisen- und Katastrophensituationen kommen diese Fähigkeiten entscheidend zum Tragen. Hier geht es auch darum, anderen Berufsgruppen und Spezialisierungsgraden Kompetenzen nicht abzusprechen und die eigenen situationsgemäß einzubringen. Diese Fähigkeiten werden unter den noch immer herrschenden hierarchischen Bedingungen, vor allem in den Krankenhäusern, häufig nur unzureichend beachtet und gefördert.

4.3 Der Wissensstand der Pflegeberufe

Ausgehend von den Forderungen des Krankenpflegegesetztes ist es erforderlich, die Umsetzung der Themenschwerpunkte zur Katastrophenhilfe nachzuvollziehen. Da diese Thematik für die Pflegeberufe zumindest nach der Gesetzeslage recht neu ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Pflegefachkräfte mit den Anforderungen des Themengebietes nicht vertraut ist. Auch auf Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Pflegewissenschaften kann mit Ausnahme der Arbeit von Ohrnberger (2004) zur Notfallevakuierung eines Krankenhauses nicht zurückgegriffen werden.

Während der Recherche wurde recht bald klar, dass spezielle Literatur zu dieser Thematik für die Pflegeberufe nicht vorrätig ist. Lediglich einige wenige Bücher angrenzender Berufsfelder bieten Hinweise für Pflegeberufe im Katastrophenfall. Ausgehend von dieser recht diffizilen Lage bieten für diesen Abschnitt vorwiegend die neu überarbeiteten Inhalte der Ausbildungsrichtlinien in der Krankenpflege einen Untersuchungsansatz. Weiterhin soll eine Studie zum Katastrophenschutz als Unterrichtsinhalt an Pflegeschulen Entwicklungs-möglichkeiten für die Pflegeberufe aufzeigen.

4.3.1 Themenrelevante Aspekte der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und deren Umsetzung

Da die „Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“ nach § 3, Abschnitt 2 KrPflG, im Zusammenhang mit der Ausbildung von Gesundheits- und KrankenpflegerInnen bzw. Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen stehen, ist es sinnvoll die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) näher zu betrachten. Parallel zu den Neuerungen des Krankenpflegegesetzes sind auch die Inhalte der KrPflAPrV überarbeitet worden. In der zur KrPflAPrV zugehörigen Anlage 1 (zu § 1 Abs. 1) sind Anforderungen und Inhalte des theoretischen und praktischen Unterrichts formuliert, von denen die folgenden Abschnitte auch dem Themenkomplex dieser Arbeit zugeordnet werden können.

Auszüge:

Themenbereich 3. „Unterstützung, Beratung und Anleitung in gesundheits- und pflegerelevanten Fragen fachkundig gewährleisten“

Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen,

- Pflegebedürftige aller Altersgruppen bei der Bewältigung vital oder existentiell bedrohlicher Situationen, die aus Krankheit, Unfall, Behinderung oder im Zusammenhang mit Lebens- oder Entwicklungsphasen entstehen, zu unterstützen, […]
- die Überleitung von Patientinnen oder Patienten in andere Einrichtungen oder Bereiche in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen kompetent durchzuführen sowie die Beratung für Patientinnen oder Patienten und Angehörige oder Bezugspersonen in diesem Zusammenhang sicherzustellen (Dielmann 2004, S. 70).

Themenbereich 8. „Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken“

Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen,

- in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten sowie den Angehörigen anderer Gesundheitsberufe die für die jeweiligen medizinischen Maßnahmen erforderlichen Vor- und Nachbereitungen zu treffen und bei der Durchführung der Maßnahmen mitzuwirken, […]
- ärztlich veranlasste Maßnahmen im Pflegekontext eigenständig durchzuführen und die dabei relevanten rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen (Dielmann 2004, S. 71).

Themenbereich 9. „Lebenserhaltende Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes einleiten“

Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen,

- in akuten Notfallsituationen adäquat zu handeln,
- in Katastrophensituationen Erste Hilfe zu leisten und mitzuwirken (Dielmann 2004, S. 71).

Themenbereich 12. „In Gruppen und Teams zusammenarbeiten“

Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen,

- pflegerische Erfordernisse in einem intra- sowie in einem interdisziplinären Team zu erklären, angemessen und sicher zu vertreten sowie an der Aushandlung gemeinsamer Behandlungs- und Betreuungskonzepte mitzuwirken,
- die Grenzen des eigenen Verantwortungsbereichs zu beachten und im Bedarfsfall die Unterstützung und Mitwirkung durch andere Experten im Gesundheitswesen einzufordern und zu organisieren, […] (Dielmann 2004, S. 72).

In den aufgeführten Punkten zeigt sich vorerst ein recht breites Spektrum an Kompetenzen, die sich auch in Krisen- und Katastrophensituationen anwenden lassen. Der Schwerpunkt im Anwendungsbereich findet sich jedoch im Pflegealltag und nicht in Ausnahmesituationen. Die „Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“ nach § 3 KrPflG finden sich zwar im Themenbereich 9 wieder, sind aber auch dort nicht ausführlicher beschrieben.

Anmerken lässt sich, dass diese insgesamt 12 übergreifenden und handlungsorientierten Themenbereiche auch der Vermittlung von so genannten Schlüsselqualifikationen dienen sollen (vgl. Dielmann 2004, S. 144). Zu diesen zählen fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen (vgl. Dielmann 2004, S. 89).

Ziel dieser Reformierung war es, mehrere fächerübergreifende Lernfelder zu schaffen und somit eine größere Flexibilität bezüglich der zukünftigen Anforderungen an Pflegekräfte zu gewährleisten (vgl. Dielmann 2004, S. 144).

Bezüglich der Gesetzesgrundlage zur Mitwirkung an „Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“ bietet es sich im Rahmen der Recherche weiterhin an, exemplarisch eine Richtlinie zur Ausbildung von Gesundheits- und KrankenpflegerInnen bzw. Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen näher zu betrachten. Hier soll die Ausbildungsrichtlinie für die staatlich anerkannten Kranken- und Kinderkrankenpflegeschulen des Landes Nordrhein-Westfalen als Grundlage dienen. An dieser Richtlinie orientiert sich u.a. auch die Ausbildung der Krankenpflegeschulen im Land Berlin.

Aufgrund der o.g. Lernfeldunterteilung dienen auch hier mehrere Lerneinheiten als Wissensgrundlage. Angelehnt an den aufgeführten Themenbereich 9 der KrPflAPrV „Lebenserhaltende Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes einleiten“, zeigt die Lerneinheit I.17 in Abbildung 1, „Als Erst-HelferIn in Notfall- und Katastrophensituationen handeln“ recht umfangreich, welchen Wissensstand Pflegekräfte in dementsprechenden Situationen haben sollten.

[...]


[1] In Crespin 2000, S. 229.

[2] Vgl. Kapitel 3.1.

[3] Vgl. Kapitel 5.2.

[4] Bis zum 1.5.04 Bundesverwaltungsamt.

[5] Vgl. Kapitel 3.1.

[6] Vgl. Kapitel 5.3.3.

[7] Statistisches Landesamt Berlin Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik - Land Brandenburg, Berlin/Potsdam, 2004.

[8] Vgl. Kapitel 3.3.

[9] Nachschubgebiet hinter der Front.

[10] Ohne Examen.

[11] Vgl. Kapitel 5.3.3.

[12] Beinhaltete den öffentlichen Luftschutz sowie den Selbstschutz.

[13] Vgl. Kapitel 3.

[14] Den folgenden Ausführungen liegt ebenfalls Dielmann (2004) zugrunde.

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Katastrophenmanagement. Handeln in Ausnahmesituationen als Herausforderung für die Pflege
Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
109
Katalognummer
V67510
ISBN (eBook)
9783638586177
ISBN (Buch)
9783640857760
Dateigröße
2441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Katastrophenmanagement, Handeln, Ausnahmesituationen, Herausforderung, Pflege, Großschadensereignis, Massenanfall Verletzter, Notfall Krankenhaus, Notfallplan, Triage
Arbeit zitieren
Magret Werth (Autor:in), 2005, Katastrophenmanagement. Handeln in Ausnahmesituationen als Herausforderung für die Pflege, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67510

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