Ausschreibungspflicht bei Verlängerungen und Veränderungen von Verträgen


Seminararbeit, 2007

24 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Auslegung des Tatbestands der Ausschreibungspflicht
1. Ausgangspunkt
2. Rechtsprechung und Literatur
3. Stellungnahme
a) Änderungen wesentlicher Bestandteile
b) Änderung der essentialia negotii
c) Änderung durch zwei selbständige Willenserklärungen
d) (Un-)möglichkeit einer selbständigen Vergabe
e) Änderung in Ausschreibung nicht vorgesehen
f) Zusammenfassung
4. Konkretisierung des Kriteriums „Änderung wesentlicher Bestandteile“

III. Verlängerung von Verträgen
1. Allgemeines
2. Verlängerung durch Vertrag
3. Unbefristeter Vertrag mit Kündigungsmöglichkeit – Pflicht zur Kündigung
a) Zulässigkeit des Abschlusses unbefristeter Verträge
b) Nichtwahrnehmung einer Kündigungsmöglichkeit
4. Befristeter Vertrag mit automatischer Verlängerung
5. Verlängerungsrecht als Option
a) Einräumung des einseitigen Verlängerungsrechts
b) Ausübung des einseitigen Verlängerungsrechts
6. Einvernehmliche Rücknahme einer Kündigung

IV. Sonstige Änderungen von Verträgen
1. Allgemeines
2. Auftragnehmerwechsel
3. Inhaltsänderungen im engeren Sinne

V. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I Einleitung

Das Vergaberecht verpflichtet öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen ein bestimmtes Verfahren einzuhalten. Diese Verpflichtung kann auf zwei verschiedenen Gründen beruhen. Zum einen wird sie durch den Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – §§ 97ff – bestimmt, wenn die Auftragswerte bestimmte Schwellen überschreiten. Unterhalb dieser Schwellenwerte besteht die Pflicht zur Einhaltung des Vergabeverfahrens aufgrund haushaltsrechtlicher Bestimmungen (vergleiche. § 30 HGrG), für den Bund beispielsweise § 55 BHO. Diese Zweiteilung ist entstanden, da oberhalb der Schwellenwerte aufgrund europarechtlicher Vorgaben ein subjektiver Rechtsschutz erforderlich wurde, der unter dem Dach des Haushaltsrechts nicht verwirklicht werden konnte. Das Vergabeverfahren soll als Wettbewerbsrecht in erster Linie eine wettbewerbsneutrale Vergabe öffentlicher Aufträge sichern, als Haushaltsrecht zu einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel anhalten.[1]

Die Regelungen sind durch die erhebliche ökonomische Bedeutung öffentlicher Aufträge gerechtfertigt.[2] Auf die öffentlichen Auftraggeber entfällt also eine erhebliche Marktmacht. Schon aus ordnungsökonomischen Gründen scheint daher eine wettbewerbsneutrale Ausübung dieser Marktmacht notwendig zu sein.[3] Aber auch grundrechtlich ist ein neutrales Verhalten der öffentlichen Auftraggeber geboten (Art. 3 Abs. 1 GG). Weiterhin dient das Vergaberecht auch der Verwirklichung des europarechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 12 EG).[4] Und nicht zuletzt ist auch eine wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel ein wichtiges Gebot.[5]

Nicht immer unproblematisch ist die Frage, welche Vorgänge dem Vergabeverfahren unterfallen, also wann eine Ausschreibungspflicht gem. § 3 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A, § 3(a) Nr. 1 Abs. 1 VOL/A bzw. § 5 Abs. 1 VOF (Vergabebekanntmachung) besteht. Es handelt sich um eine Frage des sachlichen Anwendungsbereichs des Vergaberechts. Oberhalb der Schwellenwerte richtet sich dieser nach § 99 GWB. Danach ist das Vergabeverfahren auf alle öffentlichen Aufträge anzuwenden. Das sind nach dem § 99 GWB zugrundeliegenden Auftragsbegriff alle entgeltlichen Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben.[6]

Für Verträge, auf die der vierte Teil des GWB mangels Erreichen der Schwellenwerte nicht anwendbar ist, ergibt sich eine ähnliche Regelung aus § 55 Abs. 1 BHO bzw. entsprechend aus den Landeshaushaltsordnungen (LHO) oder den sonstigen Haushaltsordnungen. Sie schreiben vor, dass vor Abschluss von Verträgen über Lieferung und Leistung grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung stattfinden muss.

Damit steht fest, dass der ursprüngliche Abschluss solcher Verträge ausschreibungspflichtig ist. Den Regelungen lässt sich aber prima facie kein Hinweis darauf entnehmen, ob das auch für die Verlängerung und Veränderung bestehender Verträge gilt. Der Wortlaut der entsprechenden Vorschriften gibt dafür wenig her. Die Gefahr einer engen Auslegung des sachlichen Anwendungsbereiches, die eine Ausschreibungspflicht auf den erstmaligen Abschluss von Verträgen beschränkt, ist eine großes Potenzial zur Umgehung des Vergaberechts. Das Grundmuster einer solchen Umgehung des Vergaberechts sieht folgendermaßen aus: Ein bestehender, nach den Regeln des Vergaberechts zustandegekommener Vertrag wird erheblich verändert. Die Änderung stellt die Wirtschaftlichkeit des Vertrags oder die Eignung des Auftragnehmers in Frage. Sollte keine Ausschreibungspflicht bestehen, würden diese nicht durch das Vergabeverfahren ausgeräumt werden.

In der vorliegenden Arbeit soll dieses Problem analysiert werden. Ziel ist es, die widerstreitenden Zwecke und Prinzipien zu einem ausgewogenen Ausgleich zu bringen.

II Auslegung des Tatbestands der Ausschreibungspflicht

1 Ausgangspunkt

Ausgangspunkt sind nach dem oben gesagten die Vorschriften über den sachlichen Anwendungsbereich des (jeweiligen) Vergaberechts.

Dabei muss zwischen dem haushaltsrechtlichen und dem wettbewerbsrechtlichen Vergaberecht nicht weiter differenziert werden. Die jeweiligen Vorschriften, wie sie einleitend bereits dargestellt wurden, haben einen sehr ähnlichen Ausgangspunkt. Sie sind auch gleich auszulegen. Zwar lässt die unterschiedliche Aufhängung des Vergaberechts über- und unterhalb der Schwellenwerte zunächst vermuten, dass sie sich in ihren Zwecken erheblich unterscheiden und daher die Auslegung der Vorschriften zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Wie bereits erwähnt ist es primärer Zweck des wettbewerbsrechtlichen Vergaberechts, eine wettbewerbsneutrale Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen. Konzeptionell liegt dem zugrunde, dass eine Vergabe genau dann wettbewerbsneutral ist, wenn sie aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte erfolgte und nicht aufgrund sonstiger, grundsätzlich unzulässiger Kriterien. Der öffentliche Auftraggeber wird also verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Genau das ist auch Sinn und Zweck des haushaltsrechtlichen Vergaberechts, das die Einhaltung des Prinzips der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit fordert. Es liegt somit eine Zielkonformität vor. Da sich damit sowohl die Rechtsvorschriften als auch der auslegungsrelevante Hintergrund nicht wesentlich unterscheiden, braucht im folgenden nicht weiter zwischen dem Bereich oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte differenziert werden.

Verlängerungen und Veränderungen von Verträgen lassen sich grundsätzlich nach den gleichen Gesichtspunkten beurteilen. Die Verlängerung kann auch als Vertragsänderung im weiteren Sinne verstanden werden, denn auch die Laufzeit eines Vertrags ist Teil seines Inhaltes. Im folgenden können daher zunächst die allen Vertragsänderungen im weiteren Sinne zugrundeliegenden Fragen gemeinsam erörtert werden.

Da der Wortlaut für die Frage, ob außer beim ursprünglichen Vertragsschluss auch bei späteren Vertragsänderungen eine Ausschreibungspflicht anzunehmen ist, nichts hergibt, kommt es entscheidend auf eine teleologische Auslegung dieser Vorschriften an.

Das Vergaberecht verlangt im Grundsatz, dass jeder öffentliche Auftrag dem Vergabeverfahren unterworfen wird und zwar vor Abschluss des Vertrags. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die öffentliche Hand wirtschaftlich handelt. Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit stellt sich aber auch, wenn ein bestehender Vertrag nachträglich verändert wird oder seine Laufzeit verlängert wird. Der Inhalt dieser Verlängerung oder Veränderung ist jedoch regelmäßig bei Abschluss des ursprünglichen Vertrags nicht Gegenstand des Vergabeverfahrens gewesen und damit auch nicht Gegenstand der Entscheidung über das wirtschaftlichste Angebot geworden. Diese Lücke kann zur Umgehung der Ausschreibungspflicht und damit des Vergabeverfahrens führen.

Auf der anderen Seite ist auch zu berücksichtigen, dass das Handeln der öffentlichen Auftraggeber durch die Ausschreibungspflicht stark eingeschränkt würde. Das Vergabeverfahren ist sehr langwierig. Gerade bei Vertragsänderungen kann jedoch eine zeitnahe Umsetzung von großer Bedeutung sein. Häufig handelt es sich um Fälle, in denen ein Vertrag an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Eine Behinderung von Vertragsänderungen kann zu einem Festhalten an unwirtschaftlichen Verträgen führen, was das Ziel des Vergaberechts konterkarieren würde.

Außerdem ist zu beachten, das regelmäßig eine vertragliche Bindung besteht und eine Neuausschreibung daher in vielen Fällen für einen öffentlichen Auftraggeber keinen gangbaren Weg darstellt, weil es keine Möglichkeit gibt, sich von der vertraglichen Bindung zu lösen. Eine Ausschreibungspflicht schränkt daher die Handlungsmöglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers in vielen Fällen nicht unbedeutend ein.

Es sollten daher nur genau diejenigen Vorgänge dem Vergabeverfahren unterworfen werden, bei denen dies vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots erforderlich ist.

2 Rechtsprechung und Literatur

In Rechtsprechung und Literatur wird daher versucht, die Umgehungsmöglichkeiten möglichst weit einzuschränken, andererseits aber keine Verfahren vorzuschreiben, die nach dem Zweck des Vergaberechts nicht erforderlich und daher entbehrlich sind.

So soll eine Ausschreibungspflicht dann bestehen, wenn die Veränderung eines Vertrags einem Neuabschluss gleichkommt.[7] Das sei dann der Fall, wenn wesentliche Bestandteile eines bestehenden Vertrags geändert werden.[8] Zum Teil wird auch darauf abgestellt, ob die inhaltlichen Veränderungen die essentialia negotii des Vertrags betreffen.[9]

An anderer Stelle wird eine Ausschreibungspflicht grundsätzlich bereits dann angenommen, wenn eine Vertragsänderung durch zwei selbständige Willenserklärungen zustande kommt.[10]

Andere vertreten, eine Ausnahme von einer grundsätzlichen Ausschreibungspflicht läge nur dann vor, wenn eine selbständige Vergabe von der Sache her nicht möglich ist.[11]

Schließlich wird vertreten, dass eine Vertragsänderung eine Ausschreibungspflicht dann nicht auslöst, wenn sie bereits in der ursprünglichen Ausschreibung vorgesehen war.[12]

3 Stellungnahme

Zunächst besteht noch weitgehende Einigkeit darüber, dass die Tatbestände der Veränderung von Verträgen selbst öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 GWB sein können, nämlich wenn sie in ihren Wirkungen einem Neuabschluss gleichkommen. Dem ist zuzustimmen. Das Vergaberecht fordert keine formelle, sondern eine funktional-wirtschaftliche Betrachtungsweise.[13] Die gilt für den Auftragsbegriff genauso wie für den Auftraggeberbegriff. Zwar beziehen sich Vertragsänderungen formal gesehen nur auf Änderungen bestehender Verträge und haben daher formal-juristisch keine Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand. Sie können aber nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise die gleichen Auswirkungen haben wie ein Neuabschluss. Eine formale Betrachtung würde einen großen Freiraum für Umgehungsmöglichkeiten eröffnen. Allein ein Abstellen auf die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Funktionsweise rechtlicher Gestaltungen wird daher einer effektiven Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben (Grundsatz des effet utile) gerecht.

Ein weiterer Gehalt ist dieser Aussage, „wenn sie in ihren Wirkungen einem Neuabschluss gleich kommt“ jedoch nicht zu entnehmen. Sie ermöglicht allein ohne weitere Kriterien keine Abgrenzung von ausschreibungspflichtigen und nicht ausschreibungspflichtigen Veränderungen. Es ist daher stets erforderlich, im Einzelfall zu prüfen, ob diese einem Neuabschluss gleichkommenden Wirkungen vorliegen. Benötigt werden also weitere Kriterien, anhand derer das Vorliegen festgestellt werden kann. Im Folgenden soll daher auf die einzelnen von Rechtsprechung und Literatur ausgearbeiteten und bereits knapp dargestellten Kriterien eingegangen werden und ihre Tauglichkeit für eine Abgrenzung zwischen ausschreibungspflichtigen und nicht ausschreibungspflichtigen Vertragsänderungen geprüft werden.

[...]


[1] Zeiss in: jurisPK, Einleitung Rn. 29.

[2] In Deutschland beträgt das Gesamtvolumen der öffentlichen Aufträge jährlich 200-250 Mrd. Euro, Zahl nach Bungenberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, vor §§97ff, Rn. 2.

[3] Vgl. Dreher in: Immenga/Mestmäcker, vor §§ 97ff, Rn. 1-4.

[4] Prieß, Handbuch, S. 8f.

[5] Dreher in: Immenga/Mestmäcker, vor §§ 97ff, Rn. 1.

[6] Bungenberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 99 Rn. 5.

[7] OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14. 2. 2001 – VerG 13/00, veröffentlicht in NZBau 2002, 54 = VergabeR 2001, 210; zustimmend Bungenberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 99 Rn. 36; Weyand, § 99 GWB Rn. 628.

[8] OLG Düsseldorf, ebendort.

[9] Prieß in: Jestedt/Kemper/Marx/Prieß, S. 52; nachdrücklich Zeiss in: jurisPK, § 99 Rn. 59.

[10] Prieß, Handbuch S. 112; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Bungenberg, § 99 Rn. 34.

[11] Marx in: Motzke/Pietzcker/Prieß, § 99 GWB Rn. 8 (bezogen nur auf Änderungen durch Vertrag); Kulartz/Kus/Portz-Eschenbruch, § 99 GWB Rn. 78 (bezogen auf Auftragserweiterungen).

[12] So Prieß, Handbuch, S. 112f. in Anlehnung an OLG Jena, VergabeR 2004, 113. Ob das OLG tatsächlich so verstanden werden muss, ist m. E. fraglich.

[13] So auch Hausmann, Der öffentliche Auftrag, S. 86.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Ausschreibungspflicht bei Verlängerungen und Veränderungen von Verträgen
Hochschule
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (ehem. Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V67424
ISBN (eBook)
9783638603829
ISBN (Buch)
9783656807339
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ausschreibungspflicht, Verlängerungen, Veränderungen, Verträgen
Arbeit zitieren
Nils Reuter (Autor:in), 2007, Ausschreibungspflicht bei Verlängerungen und Veränderungen von Verträgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67424

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