Expressionistische Kriegsgedichte


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Thema, Epoche und Forschungsstand

II. Die Gedichte
1. „Die Schwermut“ (Georg Trakl, Juni 1914)
1.1. Grundhaltung des Gedichts und Gesamtwirkung
1.2. Handlung, Geschehen, dargestellte Situation im Gedicht
1.3. Stilmittel/Ausdrucksmittel
1.3.1. Bilder, Bildersprache und Wahrnehmungsweise
1.3.2. Wortwahl und Stilebene
1.3.3. Metrum, Rhythmus und andere Klangwirkungen
2. „Nach der Schlacht“ (Heym, Juni 1910)
2.1. Grundhaltung des Gedichts und Gesamtwirkung
2.2. Dargestellte Situation im Gedicht
2.3. Stilmittel/Ausdrucksmittel
2.3.1. Bilder, Bildersprache und Wahrnehmungsweise
2.3.2. Wortwahl und Stilebene
2.3.3. Metrum, Rhythmus und andere Klangwirkungen
3. „Ballade vom Landsknecht“ (Klabund, Juni 1914)
3.1. Grundhaltung des Gedichts und Gesamtwirkung
3.2. Handlung, Geschehen, dargestellte Situation im Gedicht
3.3. Stilmittel/Ausdrucksmittel
3.3.1. Bilder, Bildersprache und Wahrnehmungsweise
3.3.2. Wortwahl und Stilebene
3.3.3. Metrum, Rhythmus und andere Klangwirkungen

III. Kurze vergleichende Gegenüberstellung der drei Gedichte

I.Thema, Epoche und Forschungsstand

Der in den drei hier behandelten Gedichten vorherrschende Stil ist der des Expressionismus, neben dem sich allerdings auch andere Elemente wie die einer realistischen, teils auch impressionistischen Sehweise finden. Der etwa mit der Jahrhundertwende 1900 einsetzende Epochenstil des Expressionismus brach mit fast allen bisherigen Traditionen. Er brachte eine künstlerische Revolte nicht nur gegen das konservative Bürgertum und dessen ästhetische Konventionen - besonders die des "bürgerlichen" Realismus (in Verbindung mit Psychologisierung, Poetisierung, klaren Wertbezügen und teils naturalistischem Detail) -, sondern auch gegen das zunehmend von Technisierung, Naturwissenschaft und Industrialisierung beherrschte Denken einer vornehmlich mechanistischen und positivistischen Richtung. Man hat darin Parallelen zu Nietzsches Radikalkritik an der Bourgeoisie gesehen, dessen Gedanken in der Tat „zu einem der geistigen Kristallisationspunkte der Epoche“ wurden.[1]

Dennoch kommt für die Dichtung des Expressionismus etwas Grundsätzlicheres hinzu. Es geht nicht nur um eine Abkehr von bürgerlichen oder technisch-naturwissenschaftlichen Vorstellungs- und Formschemata. Es findet vielmehr eine Loslösung der Darstellung von übergreifenden Zusammenhängen überhaupt statt - etwa solchen räumlicher, zeitlicher, rationaler oder psychologischer Art. Zwar läßt sich die jeweils implizierte Gesamtsituation meist erschließen oder auch als Hintergrund erkennen, aber es kommt zu einer mitunter drastischen Isolierung und zugleich "expressiven" Steigerung von Einzelheiten. Der Wirklichkeitsbegriff des Realismus spielt keine Rolle mehr. Ein wichtiges Beispiel ist die Hervorhebung realitätsferner, absolut gesetzter Farben und entsprechend greller Kontraste. Sie werden zum Spiegel einer komplexen inneren Befindlichkeit und symbolischem Träger einer Botschaft. Manche expressionistische Gedichte werden so zu einer Folge ausdrucksstarker Einzelbilder. Dennoch scheinen die Einzelheiten, so scharf sie auch beleuchtet werden, oft merkwürdig reduziert und typisiert.

Es findet keine Individualisierung von Raum, Zeit, Personen oder einer Situation statt. Alles scheint vielmehr auf Grundhaltungen, Abstraktionen oder archetypische Bilder und Erlebnisse, mitunter auch Traumvisionen zurückgenommen. Die Vermeidung des Individuellen könnte im Hinblick auf die Kriegslyrik eine ihrer Wurzeln im Erleben der unmenschlichen Grabenkämpfe der Massenheere während des ersten Weltkriegs gehabt haben. Sie war zwar schon vorher da, aber unter den rigorosen Bedingungen einer fast mechanistisch gesteuerten Kriegsmaschinerie erfuhr das Individuum plötzlich und erbarmungslos eine nie zuvor gekannte Bedeutungslosigkeit und Ohmacht. Zeitgenössische Dichter wie Georg Trakl, Georg Heym und Alfred Henschke (Klabund) verarbeiteten diese selbst gewonnenen traumatischen Erfahrungen oder sahen das drohende Unheil bereits Jahre zuvor kommen. In dieser Arbeit sollen besonders die expressionistischen Merkmale berücksichtigt werden. Dabei steht Georg Trakls „Die Schwermut“ im Vordergrund. Zum Vergleich behandele ich je ein Gedicht von Georg Heym und Klabund. Zur literarhistorischen Einordnung und Orientierung lege ich die 2004 erschienene Epochendarstellung von P. Sprengel als Forschungsstand zugrunde.[2]

II. Die Gedichte

1. Die Schwermut

1.1. Grundhaltung des Gedichts und Gesamtwirkung

„Die Schwermut“ erscheint zunächst schwer zugänglich und von der Wirklichkeit abstrahiert. Man muß sich in den ungewöhnlichen, aber auch faszinierenden Bildern erst zurechtfinden, sich auf sie einlassen, bevor sie sich erschließen. Erst allmählich wird auch die konkrete Situation hinter der semantisch und besonders metaphorisch entfremdeten Wirklichkeit erkennbar: das blutige Kampfgeschehen und das Sterben zahlloser junger, unbekümmerter Soldaten in der Dämmerung zwischen den Föhren in der Höhe und einem „in braunen Bildern absterbenden“ Dorf einer Berglandschaft. Aber von vornherein deutlich ist die eigentümlich gemischte Stimmung des Gedichts, die Verbindung von Elegie und Heroisierung, von tiefer Welt-Schwermut und durchgehender Ästhetisierung, die besonders deutlich aus den kraftvollen, farbintensiven Bildern und der odenhaften metrischen Stilisierung spricht.

Beides ist schon mit dem feierlich-hymnenartigen, aber auch unheimlich-apokalyptischen Ton der Anrufung der ersten Zeile gegeben. („Ge'waltig bist du | 'dunkler | 'Mund“). Hier verbindet sich eine sehr starke rhythmische Bewegtheit und Variation im Hölderlin-Ton (Aufgipfelung des ersten Wortes in dreisilbigem Takt, gefolgt von einem zweisilbigen und einem einsilbigen Takt) mit der unheilvollen Bildvorstellung des gewaltigen dunklen Mundes im Innern des Herbstgewölks. Mit dieser Metapher wird die Schwermut mit einem alles verschluckenden Mund gleichgesetzt, der das Heroische und Schöne wie auch alles Individuelle in seine Dunkelheit aufnehmen wird. Die Zweigesichtigkeit der Zeile wirkt wie ein „Auftakt“, und diese Grundhaltung wird beibehalten. Am Ende steigert sie sich zum Bild der durch die Sterne „erglänzenten“, kühlen Herbstnacht. Dem Erhabenen, Feierlichen und Idealisierten steht das Todbringende, Zerstörerische und Zerbrechende gegenüber, das an Föhren und Männern erkennbar wird. Dieser Kontrast erzeugt die zweifelnde Haltung des Gedichtes/ des Autors an der wohl mehr vom Zeitgeist forcierten Glorifizierung und Idealisierung des Krieges und vielleicht auch an der Welt im allgemeinen. Der durchgehende Gegensatz belegt ferner die tiefe innere Spaltung der Person Georg Trakl, wahrscheinlich „den Grundkonflikt zwischen einer im Drogen‑ und Alkoholrausch, vielleicht auch im Geschwisterinzest erfahrenen Sinnlichkeit und einer stark christlich geprägten Reinheitssehnsucht [oder auch „Erlösungsbedürftigkeit“]. Aus dem Widerspruch beider Grundimpulse resultiert ein umfassendes Schuldbewußtsein sowie ein kulturkritisch und geschichtsphilosophisch unterlegter Pessimismus.“[3]

1.2. "Handlung", Geschehen, dargestellte Situation im Gedicht

Lyrische Gedichte, gerade expressionistische, müssen keine „Handlung“ im klassischen Sinne haben. Aber sie können durchaus einen Vorgang innerer oder äußerer Art, eine sich entwickelnde Situation und eine entsprechende Zeitfolge als tragende Grundstruktur aufweisen, auch wenn diese zunächst hinter den isolierten Einzelheiten verborgen bleibt. In Trakls „Die Schwermut“ ist das der Fall. In der Abenddämmerung eines kühlen Herbsttages bricht lautes Kampfgeschehen in die schwermütige Stille einer bereits vom Krieg gezeichneten, schroffen Gebirgslandschaft. Dann, bei Einbruch der Nacht, sind nur die Verwundeten und die Gefallenen zurückgeblieben („zerbrochenes Männergebein“, wobei „Gebein“ auch auf Gräber deutet).

Angedeutet wird weiter, daß die Verwundeten und Toten nun eigentlich geborgen und von Nonnen oder Krankenschwestern versorgt werden müßten. Wahrscheinlich geschieht aber nichts dergleichen. In den Stunden zwischen Dämmerung und Nacht hat der Angriff der Soldaten stattgefunden, die aus dem höhergelegenen Wald auf das Dorf zugestürmt sind. Daß der hier vergegenwärtigte Frontabschnitt - trotz der scheinbaren ländlichen Idylle - möglicherweise schon lange umkämpft und durch Artilleriebeschuß aufgewühlt worden ist, lässt sich aus den „zerbrochenen Föhren“ und dem „in braunen Bildern“ „fromm“ absterbenden Dorf herauslesen. Dazu kommt, daß sowohl die Jahreszeit als auch der endende Tag das Vergehende symbolisieren, obwohl sie als Naturphänomene in den Rhythmus der Wiederkehr eingebunden sind und nicht das absolute Ende bedeuten, ebensowenig wie die feierlich, mit Sternen heraufziehende Herbstnacht.

1.3. Stilmittel/Ausdrucksmittel

1.3.1. Charakterisierung der Bilder, Bildersprache und Wahrnehmungsweise

Die oben beschriebene Gesamtwirkung verdeutlicht sich, wenn man auf die Einzelheiten eingeht. Wie einleitend bemerkt, entsteht unmittelbar mit dem Einsatz des Gedichts der Eindruck einer feierlichen Ode, einer Ode an die Schwermut, die als machtvolle Person angerufen und in ihrem Wesen bildhaft gekennzeichnet wird. Personifizierung und Anrufung sind alte, in der Gebetssprache oft anzutreffende Gestaltungsmittel.[4] Die Anrufung bewirkt einerseits vertrauensvolle Nähe zwischen Sprechendem und Angerufenem, andererseits aber auch ein Abstandhalten gegenüber dem Großen und Erhabenen der angerufenen Person. Die mit der Anrufung verknüpfte Wesensbestimmung der Schwermut jedoch ist zwiespältig im Sinne der Kontrastierung von Erhabenem und Zerstörerischen, von Dunkelheit und friedlicher Stille: sie ist „dunkler Mund im Innern“ und zugleich „goldne Abendstille“.

Diese Polarität setzt sich in Bildern der zerstörten Landschaft und des absterbenden Dorfes fort (Verse 5-9): den Zeichen der Verwüstung (zerbrochene Föhren; der dem Totenreich ähnelnde Schattenbezirk; das in braunen Bildern absterbende Dorf) stehen ein „grünlich dämmernder Bergstrom“, und die „Frömmigkeit“ des „fromm“ absterbenden Dorfes entgegen. Hier wird zugleich deutlich, daß die Bilder einerseits markante Gestaltumrisse hervorheben (aus Herbstgewölk geformte Gestalt, zerbrochene Föhren), andererseits vor allem intensive, elementare Farben (golden, braun) und Licht-Dunkel-Töne (dunkler Mund, Schattenbezirk), wobei im „grünlich dämmernder Bergstrom“ Farbe und bewegte Lichtwirkung ineinandergreifen.

Dieses Zusammenführen verschiedener Sinneswahrnehmungen entspricht hier dem real vorstellbaren optischen Eindruck. In der Verbindung „Goldner Abendstille“ jedoch liegt bereits eine Synästhesie vor, ein seit der Dichtung der Romantik nun auch wieder im Ästhetizismus der Jahrhundertwende (um 1900) sowie im Expressionismus sehr geschätztes Ausdrucksmittel; Ein anderes Beispiel dafür ist: "Ein Dorf, das fromm in braunen Bildern abstirbt". Unterschiedliche Wahrnehmungsdimensionen und metaphorische Ebenen werden hier zu einem einzigen intensiven Bild zusammengezogen: eine konkrete Farbwahrnehmung, das Absterben und eine innere Haltung (die Frömmigkeit). Die Komplexität der Bilder Trakls und sein hoher ästhetitischer Anspruch werden hier ganz deutlich. Die folgenden Verse bringen weitere visionär getönte Bilder. Auf nebliger Weide springen schwarze Pferde. Diese Szene wird mit den einen Hügel herabstürmenden Soldaten gleichgesetzt, die mit einem mitfühlenden Ausruf unmittelbar angesprochen werden („Ihr!“, Vers 12, vgl Hölderlin). Das Herabstürmen und Sterben wird (Verse 13 bis 14) in weiteren Bildtransformationen aufgenommen: im Bild einer parallel verlaufenden Abwärtsbewegung („sterbend die Sonne rollt“) und der abstrahierenden und synästhetisch gebildeten Metapher „das Blut lachend stürzt“.

[...]


[1] Jan Knopf u. Viktor Zmegac, Geschichte der deutschen Literatur, S. 2671 ("Expressionismus als Dominante").

[2] S. Literaturverzeichnis.

[3] Peter Sprengel, Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900-1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. München 2004), S.630f.

[4] Das Religiöse spielt bei Trakl eine essentielle Rolle. Nach dem Herausgeber der Trakl-Studien, Ignaz Zangerle, kann Trakls dichterischer Ausdruck nur verstanden werden, wenn man sein visionäres Sehen mit christliche Grundideen verbindet. Vgl. Geleitwort, Trakl Studien, S.8.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Expressionistische Kriegsgedichte
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V67413
ISBN (eBook)
9783638603720
ISBN (Buch)
9783638802697
Dateigröße
476 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Expressionistische, Kriegsgedichte, Proseminar
Arbeit zitieren
Bernhard Wetzstein (Autor:in), 2005, Expressionistische Kriegsgedichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67413

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