Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen


Diplomarbeit, 2006

40 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Gründe für die Auswahl dieses Themas

B. Rechtlicher Kontext
I. Die Doppelnatur des Tarifvertrags
1. Schuldrechtlicher bzw. obligatorischer Teil
2. Normativer Teil
Tarifbindung
II. Differenzierungsklauseln
1. Einfache bzw. unverbindliche Differenzierungsklauseln
2. Qualifizierte bzw. verbindliche Differenzierungsklauseln
a) Organisations- bzw. Absperrklauseln (Closed-Shop-Klausel)
b) Spannenklauseln bzw. Spannensicherungsklauseln
c) Tarifausschlussklauseln
3. Differenzierung über eine gemeinsame Einrichtung
4. Zusammenfassung und Fazit des Bisherigen: Grundsätzliche Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln
III. Die Koalitionsfreiheit
1. Die individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit
a) Betätigungsgarantie
b) Die Bestandsgarantie
2. Die positive und negative Koalitionsfreiheit
a) Die positive Koalitionsfreiheit
b) Die negative Koalitionsfreiheit
aa) Die negative Koalitionsfreiheit als Spiegelbild von Art. 9 Abs. 3 GG
bb) Die negative Koalitionsfreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit
3. Zusammenfassung und Fazit zur Koalitionsfreiheit
IV. Rechtssprechung zur tarifvertraglichen Differenzierung
1. Urteil des Großen Senats vom 21. Februar 1967
a) Der Sachverhalt
b) Tarifrechtliche Argumentation des Großen Senats: Die mangelnde Tarifmacht
aa) Unzulässige Beitragserhebung
bb) Überschreiten der Grenze des Zumutbaren
c) Verfassungsrechtliche Argumentation des Großen Senats: Die negative Koalitionsfreiheit
2. Urteil des 4. Senats vom 21. Januar 1987
a) Der Sachverhalt
b) Begründung des 4. Senats
3. Urteil des LAG Hamm vom 11. Januar 1994
a) Der Sachverhalt
b) Begründung des LAG Hamm
V. Das Günstigkeitsprinzip und tarifliche Differenzierung
VI. Zulässigkeit tariflicher Differenzierung
1. Tarifrechtliche Überschreitung der Tarifmacht
2. Verfassungsrechtliche Überschreitung der Tarifmacht
VII. Ergebnis: Im Rahmen der Rechtsordnung zulässige tarifliche Differenzierungen

C. Bonusregelungen für Mitglieder der IG Metall
I. Übersicht Bonusregelungen
II. Darstellung einzelner Bonusregelungen
1. Zusätzliches Einkommen durch Jahressonderzahlung
2. Zusätzliches Einkommen durch geringere Einkommenskürzung
3. Zusätzliches Einkommen durch Rückerstattung des Mitgliedsbeitrags
4. Ausschluss betriebsbedingter Kündigung
5. Einstellung von zusätzlichen Auszubildenden

D. Fazit

E. Literatur

F. Erklärung gemäß § 17 Abs. 5 DiplPO

G. Materialanhang

A. Gründe für die Auswahl dieses Themas

Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele und gesellschaftlichen Ideale benötigen Gewerkschaften eine stabile, möglichst steigende Anzahl von Mitgliedern. Wer sich jedoch die Mitgliederzahlen der deutschen Gewerkschaften ansieht, wird schnell feststellen, dass seit Jahren die Mitgliederstärke abnimmt. Beispielhaft hierfür ist die Mitgliederentwicklung der letzten 10 Jahre. Ende 1994 waren im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) 9,7 Mio. Mitglieder und in der damals größten DGB-Einzelgewerkschaft IG Metall (IGM) 2,9 Mio. Mitglieder organisiert. Ende 2004 zählte der DGB noch gut 7 Mio. Mitglieder, in der IGM hatten sich zu diesem Zeitpunkt 2,4 Mio. Mitglieder zusammengeschlossen. Binnen einer Dekade verlor demnach der DGB knapp 30 Prozent seiner Mitglieder, die IGM musste einen Mitgliederverlust in Höhe von 20 Prozent hinnehmen.[1] Diese nackten Zahlen können natürlich nicht eindimensional interpretiert werden. Externe Faktoren wie der stetige Beschäftigungsrückgang und demographische Aspekte müssen bei der Bewertung der Mitgliederentwicklung berücksichtigt werden. Zusammengenommen muss jedoch festgestellt werden, dass Gewerkschaften das mögliche Potential an Mitgliedern nicht zufrieden stellend ausschöpfen.[2] Sicherlich ergibt sich die Kampffähigkeit von Gewerkschaften nicht alleine aus den Mitgliedszahlen. Überzeugte Mitglieder und Funktionäre sind das Rückrat einer intakten Gewerkschaftsarbeit. Nur mit ihnen können Strategien für zukünftige Auseinandersetzungen geplant und letztendlich umgesetzt werden. Die hierfür notwendige Finanzierung kann jedoch einzig und allein durch eine möglichst hohe Zahl an vollbeitragszahlenden Mitgliedern gesichert werden. Dass diese Erkenntnis sich in den Gewerkschaften durchgesetzt hat, spiegelt sich in den unterschiedlichen Aktivitäten zur Mitgliedergewinnung wieder – auch im Bereich der Tarifpolitik. In diesem Zusammenhang wird aktuell die nicht zu übersehende Tatsache ausgiebig diskutiert, dass auch nichtorganisierte Arbeitnehmer – die so genannten Außenseiter – tarifliche Leistungen erhalten, an deren Erringung sie finanziell nicht beteiligt waren. Zwar gelten Tarifverträge grundsätzlich nur zwischen den beidseitig Tarifgebundenen, nämlich zwischen dem Arbeitgeber, der Mitglied der tarifschließenden Arbeitgeberkoalition bzw. firmentarifvertraglich gebundenen ist, und den in der tarifschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmern (§ 3 Abs. 1. TVG i.V.m. § 4 Abs. 1 TVG). In der Praxis werden jedoch durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln auch mit den Außenseitern die jeweiligen tarifvertraglichen Leistungen vereinbart (z.B.: „Das Monatsentgelt wird entsprechend der geltenden Tarifverträge gezahlt.“). Hierdurch wird Außenseitern der materielle Anreiz genommen, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten. Diesbezüglich wird derzeit eine Frage öffentlich und innergewerkschaftlich kontrovers erörtert: Wie können Tarifverträge so gestaltet werden, dass Gewerkschaftsmitglieder durch Bonusleistungen besser gestellt werden als Nichtorganisierte? Über diesen Weg soll ein Beitritt zur Gewerkschaft für Nichtorganisierte interessanter gemacht und die Organisierten für die solidarische Aufbringung des Gewerkschaftsbeitrags entschädigt werden. Diese Idee ist nicht neu. In zahlreichen Tarifverträgen in den frühen Zeiten der Bundesrepublik, aber auch schon in der Weimarer Republik und im Kaiserreich, existierten Vereinbarungen, die Leistungsansprüche ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder enthielten.[3] Es wurde zwischen Organisierten und Nichtorganisierten differenziert. In den 1960er Jahren entbrannte in der Bundesrepublik eine lebhafte Diskussion um die juristische Zulässigkeit dieser tarifvertraglichen Differenzierung. Mit dem Urteil des BAG von 1967[4] setze die Arbeitsgerichtsbarkeit der Differenzierung zwar enge Grenzen, die kontroverse Diskussion in der Literatur wurde damit jedoch nicht beendet. Ziel dieser Arbeit ist es, rechtlich zulässige Möglichkeiten tariflicher Differenzierung aufzuzeigen. Des Weiteren werden aktuelle Tarifverträge der IGM, in denen Bonusleistungen für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart wurden, auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Hierzu wird diese Arbeit sich zunächst mit den rechtlichen Zusammenhängen der tarifvertraglichen Differenzierung auseinandersetzten. Das Kapitel B.I. befasst sich mit dem Doppelcharakter von Tarifverträgen. Im Kapitel B.II. werden die wichtigsten Arten tariflicher Differenzierungsklauseln und im Kapitel B.III. die Einflussgrößen der Koalitionsfreiheit auf die Differenzierung dargestellt. Die rechtliche Analyse dieser Differenzierungsarten beginnt im Kapitel B.IV. anhand der wesentlichen Entscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit und Diskussionen in der Literatur (Kapitel B.V.). Bezugnehmend auf das vorherig festgestellte werden im Kapitel B.VI. Kriterien zur Zulässigkeit tariflicher Differenzierung erarbeitet und diese im Kapitel B.VII. zusammenfassend dargestellt. Im Anschluss an die Darstellung neuer Differenzierungsansätze der IGM im Kapitel C.I. werden diese rechtlich bewertet (Kapitel C.II.). Schlussendlich folgt im Kapitel D. ein Fazit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

B. Rechtlicher Kontext

I. Die Doppelnatur des Tarifvertrags

Gamillscheg definiert den Tarifvertrag wie folgt:

„Tarifvertrag ist der Vertrag zwischen zwei oder mehreren tariffähigen Personen
über die Begründung von Normen über Arbeitsbedingungen, darunter betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen, und gemeinsame Einrichtungen (normativer Teil), und über Rechte und Pflichten der Vertragsschließenden im Verhältnis zueinander (schuldrechtlicher Teil); auch ein Vertrag, der nur Rechte und Pflichten der Vertragsschließenden enthält, kann Tarifvertrag sein.“[5]

Tarifverträge unterscheiden sich somit deutlich von rein privatrechtlichen Verträgen. Zwar regeln auch sie im schuldrechtlichen Teil, der je nach Quelle auch obligatorischer Teil genannt wird, die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien (§ 1 Abs. 1 Halbsatz 1 TVG) und sind in diesem Teil gegenseitige schuldrechtliche Verträge mit arbeitsrechtlichen Inhalt. Darüber hinaus enthalten sie gemäß § 1 Abs. 1 Halbsatz 2 TVG jedoch auch Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. In diesem normativen Teil sind Tarifverträge „für dritte rechtsverbindliche zweiseitige korporative Normenverträge“ und somit Gesetze im materiellen Sinn.[6]

1. Schuldrechtlicher bzw. obligatorischer Teil

Im schuldrechtlichen Teil von Tarifverträgen werden die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt. Diese obligatorischen Regelungen werden wie Verträge ausgelegt und dürfen jeden - nach dem Vertragsrecht des BGB - zulässigen Inhalt haben. Nicht jeder Tarifvertrag bedarf ausdrücklich eines schuldrechtlichen Teils, da die wichtigsten obligatorischen Regelungen, die Friedens- und Einwirkungspflichten, dem Tarifvertrag immanent sind.[7] Friedensklauseln beinhalten das Versprechen der Tarifvertragsparteien, auch im Namen ihrer Mitglieder, den Wirtschaftsfrieden einzuhalten und jegliche Art von Kampfmaßnahmen zu unterlassen.[8] Einwirkungsklauseln enthalten Innehaltungs- und Durchführungspflichten. Durch Innehaltungsvereinbarungen wird die Verpflichtung zwischen den Tarifpartnern aufgestellt, mit verbandsrechtlichen Mitteln dafür zu sorgen, dass sich die Mitglieder tarifmäßig verhalten. Mittels Durchführungsvereinbarungen verpflichten sich die Tarifpartner, die normativen Inhalte des Tarifvertrags auch tatsächlich durchzuführen.[9] Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit darzustellen sein wird, sind auch bestimmte Differenzierungsklauseln, nämlich Organisations- und Tarifausschlussklauseln, Bestandteil des schuldrechtlichen Teils von Tarifverträgen (siehe Kapitel B.II.2.).

2. Normativer Teil

Laut § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG entfalten die normativen Inhalte des Tarifvertrags unmittelbare und zwingende Wirkung auf die beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Sie können den Abschluss, den Inhalt und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln. Das Zustandekommen neuer, die Wiederaufnahme alter bzw. die Fortsetzung unterbrochener Arbeitsbeziehungen werden durch Abschlussnormen geregelt.[10] Den Kern eines Tarifvertrags bilden die Inhaltsnormen. Sie regeln Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.[11] Alle im Kontext der Beendigung von Arbeitsverhältnissen stehenden Fragen werden durch Beendigungsnormen geregelt.[12] Aber auch betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen können über den normativen Teil von Tarifverträgen geregelt werden. Betriebsnormen sind alle Regelungen, die die Organisationsgewalt des Arbeitsgebers regeln und im Interesse der Arbeitnehmerschaft die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers einschränken. Sie entfalten bereits ihre Wirksamkeit bei der einseitigen Tarifbindung des Arbeitgebers.[13] Betriebsverfassungsrechtliche Normen regeln die Rechtsstellung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Organe im Betrieb. Mit ihnen können die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zum Positiven für die Arbeitnehmerschaft verändert werden.[14] Des Weiteren können die Tarifvertragsparteien im normativen Teil Regelungen über gemeinsame Einrichtungen schaffen (§ 4 Abs. 2 TVG). Beispielhaft zählt das Gesetz hierfür Lohnausgleichs- und Urlaubskassen auf.[15] Auch bestimmte Differenzierungsklauseln, diesmal in der Form der Spannensicherungsklausel, sind normative Regelungen (siehe Kapitel B.II.2.b.).

Tarifbindung

Voraussetzung für die Anwendung von Tarifnormen ist die Tarifgebundenheit. Laut § 3 Abs. 1 TVG sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, tarifgebunden. Abgesehen von den Spezialfällen der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und der betriebs- und betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen wird also zur Erreichung der Tarifbindung die beiderseitige Zugehörigkeit zu den vertragsschließenden Verbänden benötigt.[16] Laut § 4 Abs. 1 TVG entfalten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, soweit sie nicht unter die o.g. Spezialfälle fallen, unmittelbare und zwingende Wirkung nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Somit können die Tarifvertragsparteien lediglich Tarifnormen setzen, die auf die Arbeitsverträge der in der tarifschließenden Gewerkschaft Organisierten wirken. Tarifnormen, die die Arbeitsverhältnisse der Außenseiter regeln sollen, sind nicht möglich (siehe auch Kapitel B.VI.).

II. Differenzierungsklauseln

Mit Hilfe von Differenzierungsklauseln sollen bestimmte Leistungen ausschließlich für organisierte Arbeitnehmer festgeschrieben werden. Außenseiter und / oder anders Organisierte sollen hingegen zum Teil oder ganz von tarifvertraglichen Leistungen ausgeschlossen werden, um so einen Anreiz zu geben, der tarifschließenden Gewerkschaft beizutreten.[17] Hierbei muss - wie im folgenden darzustellen sein wird - zwischen solchen Klauseln unterschieden werden, die rechtlich ohne Probleme zu vereinbaren sind (einfache bzw. unverbindliche Differenzierungsklauseln) und solchen, die in Literatur und Rechtssprechung weitgehend als rechtswidrig angesehen werden (qualifizierte bzw. verbindliche Differenzierungsklauseln).

1. Einfache bzw. unverbindliche Differenzierungsklauseln

Weitgehend unproblematisch sind einfache Differenzierungen, die je nach Quelle auch als unverbindliche Differenzierungen bezeichnet werden.[18] Sie beziehen sich allgemein auf den
§ 3 Abs. 1 TVG i.V.m. § 4 Abs. 1 TVG und heben den dortigen Grundsatz vor, dass lediglich Tarifgebundene einen Rechtsanspruch auf tarifvertragliche Vereinbarungen haben (z.B. „Rechtsanspruch auf diesen Tarifvertrag haben nur Mitglieder der IG Metall“).[19] Hingegen werden Klauseln, die sich auf den § 3 Abs. 1 TVG i.V.m. § 4 Abs. 1 TVG beziehen und nur tarifgebundenen Arbeitnehmern eine Sonderleistung gewähren (z.B. „Mitglieder der IG Metall erhalten eine Sonderzahlung bei Urlaubsbeginn.“), unterschiedlich beurteilt. Während einerseits hierin eine rechtswidrige Verpflichtung des Arbeitgebers erkannt wird, lediglich Organisierten diese Leistung zu gewähren, wird anderseits überzeugend argumentiert, es handele sich nur um eine tarifvertragliche Empfehlung. Der Arbeitgeber könne ungeachtet dieser Empfehlung einzelvertraglich mit Außenseitern andere Regelungen treffen.[20]

2. Qualifizierte bzw. verbindliche Differenzierungsklauseln

Differenzierungen, die zwangsläufig dazu führen, dass eine Gleichstellung von Außenseitern nicht möglich ist, werden in der Literatur als qualifizierte oder verbindliche Differenzierungen bezeichnet.[21] Hierzu zählen Organisations-, Spannen- und Tarifausschlussklauseln.

a) Organisations- bzw. Absperrklauseln (Closed-Shop-Klausel)

Die im schuldrechtlichen Teil der Tarifverträge angelegten allgemeinen Organisationsklauseln verpflichten den Arbeitgeber, ausschließlich organisierte Arbeitnehmer zu beschäftigen. Beschränkte Organisationsklausen gehen weiter und verpflichten den Arbeitergeber, auch anders organisierte Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.[22] Allgemeine sowie beschränkte Organisationsklauseln wurden in Deutschland bereits vor dem ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik vereinbart. Ihre Zulässigkeit war in der damaligen Literatur umstritten und wurde durch die Gerichtsbarkeit der Weimarer Republik nie geklärt. Heute sind Organisationsklauseln zweifellos unzulässig. Sie tangieren die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter (siehe Kapitel B.II.2.b.), indem ein sozial inadäquater Druck auf nicht organisierte Arbeitssuchende oder bereits Beschäftigte ausgeübt wird. Denn nur wer in der (tarifschließenden) Gewerkschaft organisiert ist, wird seinen Arbeitsplatz behalten können oder eine Chance auf Einstellung haben.[23] Außerdem wird die Auffassung vertreten, dass Organisationsklauseln einen Verstoß gegen Art. 12 GG darstellen, nachdem alle Deutschen das Recht haben Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.[24] Dieses Freiheitsrecht würde durch die tarifvertragliche Vorgabe, dass nur in der (tarifschließenden) Gewerkschaft Organisierte beschäftigt werden dürfen, konterkariert.

b) Spannenklauseln bzw. Spannensicherungsklauseln

Spannenklauseln- bzw. Spannensicherungsklauseln sollen tarifliche Differenzierungsklauseln absichern. Sie gewährleisten im normativen Teil des Tarifvertrags, dass bei (über-) tariflicher Bezahlung von Nichtorganisierten diese zusätzliche Zahlung auch an Organisierte gezahlt wird. Dies führt dazu, dass Organisierten gegenüber Außenseitern immer die Zahlung der zusätzlichen „Spanne“ garantiert wird.[25] Beispiel:

Differenzierungsklausel

„Mitglieder der IG Metall erhalten eine Sonderzahlung bei Urlaubsbeginn.“

Spannensicherungsklausel

Für den Fall, dass Beschäftigte, die nicht in der IG Metall organisiert sind, Leistungen erhalten, die den Leistungen dieses Tarifvertrages entsprechen oder darüber hinausgehen, so erhalten Beschäftigte, die in der IG Metall organisiert sind, zusätzlich zu den Leistungen dieses Tarifvertrages die gleichen zusätzlichen Leistungen, die an die Beschäftigten gezahlt werden, die nicht in der IG Metall organisiert sind.“[26]

c) Tarifausschlussklauseln

Auch Tarifausschlussklauseln dienen zur Absicherung von tariflichen Differenzierungsklauseln. Sie stellen Vereinbarungen im schuldrechtlichen Teil von Tarifverträgen dar, nach denen Außenseiter (allgemeine Tarifausschlussklausel) und anders Organisierte (beschränkte Tarifausschlussklausel) zu anderen Bedingungen als Organisierte beschäftigt oder ihnen bestimmte tarifliche Leistungen nicht gewährt werden.[27] Im Unterschied zu den Spannensicherungsklauseln haben einzelne Organisierte jedoch keine Möglichkeit, auf die Einhaltung zu drängen, da diese Vereinbarung lediglich zwischen den Tarifvertragsparteien gilt (schuldrechtliche Wirkung) und nicht unmittelbar auf den Arbeitsvertrag der Beschäftigten wirkt (normative Wirkung).[28] Beispiel:

Differenzierungsklausel

„Mitglieder der IG Metall erhalten eine Sonderzahlung bei Urlaubsbeginn.“

(Allgemeine) Tarifausschlussklausel

„Die Arbeitgeberseite verpflichtet sich, mit Beschäftigten, die nicht in der IG Metall organisiert sind, keine gleichwertigen oder höherwertigen Leistungen zu vereinbaren, wie sie Beschäftigten gewährt werden, die in der IG Metall organisiert sind.“[29]

3. Differenzierung über eine gemeinsame Einrichtung

Auch eine Differenzierung über gemeinsame Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 TVG ist möglich. Im Tarifvertrag können gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.) vorgesehen und geregelt werden. Prinzipiell gilt, dass durch die Erbringung einer Leistung über eine gemeinsame Einrichtung die rechtlichen Grundsätze tariflicher Normierung nicht verschoben werden.[30] Gamillscheg bringt diesen Zusammenhang auf eine kurze Formel:

„Was erlaubt ist, bleibt erlaubt, was rechtwidrig ist, bleibt rechtswidrig.“[31]

Folglich ist es möglich, dass die Tarifvertragsparteien vereinbaren, ausschließlich für organisierte Arbeitnehmer Leistungen über die gemeinsame Einrichtung zu erbringen. Rechtlich unbedenklich ist diese Vorgehensweise solange der Arbeitgeber tarifvertraglich nicht daran gehindert wird, Leistungen, die an die Organisierten über die gemeinsame Einrichtung erbracht werden, entsprechend einzelvertraglich auch mit Außenseitern zu vereinbaren.[32]

4. Zusammenfassung und Fazit des Bisherigen: Grundsätzliche Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln

Zunächst muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Rechtsnormen von Tarifverträgen lediglich die beiderseitig Tarifgebundenen binden. Somit sind normative Regelungen, die sich auf Außenseiter beziehen, nicht zulässig. Gleiches gilt selbstverständlich auch für tarifliche Differenzierungsklauseln, die im normativen Teil von Tarifverträgen geregelt sind (Unzulässig ist z.B. „Arbeitnehmer, die nicht in der IG Metall organisiert sind, erhalten die Sonderzahlung Mai nicht.“). Hierin liegt ein erstes Kriterium der Zulässigkeit von tariflichen Differenzierungsklauseln.

Als ein weiteres Kriterium muss die Möglichkeit genannt werden, eine wirksame arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den Tarifvertrag und / oder gleiche Regelungen, wie sie im Tarifvertrag geregelt sind, arbeitsvertraglich zwischen Außenseitern und Arbeitgeber zu vereinbaren zu können. So kann die im Kapitel B.III.2.b. näher beschriebene negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter garantiert werden. Da einfache Differenzierungsklauseln solche arbeitsvertraglichen Möglichkeiten nicht verhindern, können sie generell als zulässig betrachtet werden. Hingegen sollen mit qualifizierten Differenzierungsklauseln gerade diese Möglichkeiten der wirksamen Gleichstellung über den Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden:

- Organisationsklauseln lassen einen Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Außenseiter, mit dem Bezug auf den Tarifvertrag genommen oder gleichstellende Regelungen vereinbart werden könnten, erst gar nicht entstehen.
- Differenzierungsklauseln, die mittels Spannensicherungsklauseln abgesichert werden, ermöglichen zwar die Bezugnahme auf den Tarifvertrag oder sonstige arbeitsvertragliche Abreden zur Gleichstellung der Außenseiter. Jedoch wird hierdurch keine Gleich- oder Besserstellung der Außenseiter erreicht. Jede Leistung, die über die ursprünglich im Arbeitsvertrag vereinbarte hinausgeht, kommt unmittelbar auch den Organisierten zugute.
- Differenzierungsklauseln, die mittels Tarifausschlussklauseln abgesichert werden, lassen eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag oder andere gleichstellende arbeitsvertragliche Abreden nicht zu. Diese würden einen Verstoß gegen den Tarifvertrag darstellen und könnten somit rechtliche Konsequenzen, z.B. in Form einer Unterlassungsklage seitens der tarifschließenden Gewerkschaft, nach sich ziehen.

Wird also nur die Bezugnahmemöglichkeit auf den Tarifvertrag und die Möglichkeit arbeitsvertraglich gleichstellende Regelungen zwischen Außenseiter und Arbeitgeber als Zulässigkeitskriterium genommen, müssen alle qualifizierten Differenzierungsklauseln grundsätzlich als unzulässig angesehen werden. Wie im weiteren Verlauf jedoch darzustellen sein wird, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Zulässigkeit von qualifizierten Differenzierungen gegeben sein. Hierzu muss zunächst der Weg über die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit genommen und ein Überblick über die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zur tarifvertraglichen Differenzierung gegeben werden.

[...]


[1] DGB (2005)

[2] IG Metall (2005), S. 11 ff.

[3] Gamillscheg (1966), S. 12 f.

[4] BAG 20, 175

[5] Gamillscheg (1997), S. 482

[6] Reim (2003), § 1, Rn 34 ff.; Schaub (2002), § 198, Rn 16

[7] Schaub (2002), § 201, Rn 1 f.; Gamillscheg (1997), S. 628 u. S. 1075

[8] Kittner (2003), § 10, Rn 42; Schaub (2002), § 201, Rn 9 ff.; Gamillscheg (1997), S. 1074 ff.

[9] Kittner (2003), § 10, Rn 42; Schaub (2002), § 201, Rn 15

[10] Kittner (2003), § 10, Rn 58 ff.; Schaub (2002), § 202, Rn 8 ff.; Gamillscheg (1997), S. 584

[11] Kittner (2003), § 10, Rn 61 ff.; Schaub (2002), § 202, Rn 1 ff.; Gamillscheg (1997), S. 577 ff.

[12] Kittner (2003), § 10, Rn 58 ff.; Schaub (2002), § 202, Rn 14 ff.

[13] Kittner (2003), § 10, Rn 64; Schaub (2002), § 202, Rn 17 ff.; Gamillscheg (1997), S. 588 ff.

[14] Kittner (2003), § 10, Rn 70 f; Schaub (2002), § 202, Rn 20 ff.; Gamillscheg (1997), S. 595 ff.

[15] Kittner (2003, § 10, Rn 72 ff; Schaub (2002), § 202, Rn 23 f.; Gamillscheg (1997), S. 618 ff.

[16] Gamillscheg (1997), S. 711 ff.

[17] Söllner, Waltermann (2003), § 9, Rn 194

[18] Hensche (2003), S. 747, Rn 869; Däubler (2002), S. 1643; Zachert (1995), S. 323

[19] Däubler (2002), S. 1643; Seitenzahl, Zachert, Pütz (1976), S. 38 f.

[20] Däubler (2002), S. 1643; Seitenzahl, Zachert, Pütz (1976), S. 40 f.

[21] Däubler (2002), S. 1644¸ Zachert (1995), S. 323

[22] Hueck, Nipperdey (1967), S. 163

[23] Biedenkopf (1964), S. 95 f.; Gamillscheg (1966), S. 9 f.

[24] Gamillscheg (1966), S. 9 f.

[25] Söllner, Waltermann (2003), § 9, Rn 194

[26] Eigen erstelltes Beispiel

[27] Hueck, Nipperdey (1967), S. 162 f.

[28] Seitenzahl, Zachert, Pütz (1976), S. 61 ff.

[29] Eigen erstelltes Beispiel

[30] Seitenzahl, Zachert, Pütz (1976), S. 100

[31] Gamillscheg (1966), S. 101

[32] Seitenzahl, Zachert, Pütz (1976), S. 44 ff.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät Wirtschafts- und Soazialwissenschaften)
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
40
Katalognummer
V67354
ISBN (eBook)
9783638585675
ISBN (Buch)
9783638671958
Dateigröße
653 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Überzeugte Mitglieder und Funktionäre sind das Rückrat einer intakten Gewerkschaftsarbeit. Nur mit ihnen können Strategien für zukünftige Auseinandersetzungen geplant und letztendlich umgesetzt werden. Die hierfür notwendige Finanzierung kann jedoch einzig und allein durch eine möglichst hohe Zahl an vollbeitragszahlenden Mitgliedern gesichert werden. Ziel dieser Arbeit ist es, rechtlich zulässige Möglichkeiten tariflicher Differenzierung hierzu aufzuzeigen.
Schlagworte
Differenzierungsklauseln, Tarifverträgen
Arbeit zitieren
Sascha Dudzik (Autor:in), 2006, Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67354

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