"Auch das Schöne muss sterben!" - Schillers Schönheitsbegriff untersucht am Beispiel der Elegie "Nänie"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einführung

2 Schönheitsbegriff
2.1 Philosophische und literaturgeschichtliche Einordnung
2.2 Schillers Schönheitsbegriff in seinen theoretischen Schriften

3 „Nänie“
3.1 Einordnung
3.2 Interpretation
3.3 Verwendung des Schönheitsbegriffs

4 Fazit

5 Quellenverzeichnis

6 Literaturverzeichnis

„Auch das Schöne muss sterben!“[1]

1 Einführung

Mit diesem plakativen und viel zitierten Ausspruch leitet Schiller die Elegie „Nänie“ ein und setzt somit ein Fazit unter seine bisherigen Arbeiten über den Schönheitsbegriff.

Die Frage, was als schön gelte und wie der Schönheitsbegriff definiert werden kann, hat Schiller über eine breite Schaffensphase beschäftigt. Bereits 1793, also knapp sechs Jahre vor Entstehung der „Nänie“, hat er sich in den so genannten Kallias-Briefen mit der Frage nach einem „objektiven Prinzip für den Geschmack“[2] auseinandergesetzt. Schillers Definition des Schönheitsbegriffs verlief nicht stringent. In „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ findet eine Negierung seiner in den Kallias-Briefwechseln formulierten Darstellungen statt.[3] In „Nänie“, seinem oftmals als schönstes Gedicht tituliertem Werk, gipfeln seine bisherigen Ergebnisse im ersten Vers: „Auch das Schöne muss sterben!“. Was für eine provokative Aussage! Wie kommt Schiller zu seinem sich wandelnden Schönheitsbegriff? Kann die „Nänie“ als Abschluss seiner Betrachtungen zur Schönheit verstanden werden?

Über den Entstehungszeitpunkt der „Nänie“ herrscht in der Forschung Uneinigkeit, da keine sicheren Daten zur Entstehungsgeschichte überliefert sind.[4] Ungefähr kann die Entstehung der „Nänie“ auf das Jahr 1799 datiert werden[5]. Die gesamte Schaffensphase ab 1790, in der Schiller Kant-Lektüre studiert hat und sich vorwiegend mit Fragen nach der Ästhetik und Schönheit beschäftigt hat, war durch mehrfache Krankheitsschübe[6] geprägt, die sich wohl auch auf seine Arbeiten ausgewirkt haben. So schloss seine gesundheitliche Verfassung seit 1791 „eine aktive Teilnahme am öffentlichen Leben nahezu“[7] aus.

Im Zuge seiner Krankheitsgeschichte wurde so für Schiller das Thema Tod und Sterben immer präsenter. Und so ist auch der Tod in Verbindung mit dem Schönheitsbegriff ein zentrales Thema der „Nänie“.

Schillers Schönheitsbegriffs soll in dieser Arbeit anhand dieser Elegie untersucht und interpretiert werden. Zunächst gehe ich auf die philosophischen und theoretischen Schriften Schillers, insbesondere im Hinblick auf Kants „Kritik der Urteilskraft“ ein. Die ausführliche Interpretation des Gedichtes soll dabei vor allem Schillers Schönheitsbegriff einbeziehen.

2 Schönheitsbegriff

2.1 Philosophische und literaturgeschichtliche Einordnung

Schon vor Schillers Beschäftigung mit dem Schönen, fand diese Thematik reges Interesse. Das Konzept von Schönheit reicht bis in die Antike zurück und war „ein wesentliches Element der Trias der obersten Werte“[8]. Unterschieden wurde in der Frage nach dem Schönen in der Antike zwischen „Naturschönen“ und „Kunstschönen“[9]. So könnten auch Naturgegenstände und Phänomene als schön bezeichnet werden, wie beispielsweise ein schneebedeckter Berggipfel.[10] Dem gegenüber stehe das Kunstschöne (oder Kulturschöne), ein von Menschen geschaffener „zentraler Wert gelungener Werke der verschiedenen Kunstgattungen“.[11] Jedoch zielen beide Auslegungen auf eine äußerliche Betrachtungsweise ab. Im 18. Jahrhundert entwickelt vor allem Immanuel Kant den Schönheitsbegriff weiter und löst ihn von dieser äußerlichen Definition. In „Kritik der Urteilskraft“ (1790) definiert Kant Schönheit nicht mehr als Eigenschaft von Gegenständen, sondern als Urteil des Verstandes. Weiterhin führt er als Kategorie das Geschmacksurteil ein, was niemals objektiv sein könne:

Unter einem Prinzip des Geschmacks würde man einen Grundsatz verstehen, unter dessen Bedingung man den Begriff eines Gegenstandes subsumieren und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er schön sei. Das ist aber schlechterdings unmöglich.[12]

Besonders auf Kant konzentriert sich Schiller bei seiner Auseinandersetzung mit der Ästhetik und versucht dessen Theorien zu widerlegen, wie im nächsten Kapitel dargelegt wird.

Der Großteil von Schillers Arbeiten zur Ästhetik und zum Schönheitsbegriff sind der literaturgeschichtlichen Epoche der Klassik zuzuordnen. Eine Beziehung, die sinnvoll erscheint, da der Begriff „klassisch“ etwas Normbildendes, mustergültiges und absolut vollkommenes beschreibt[13]. Der Epochenbegriff „Klassik“, sowie das Adjektiv „klassisch“ müssen aber voneinander losgelöst betrachtet werden, da letzteres nicht zeitgebunden ist.[14]

Der Begriff „Klassik“ ist umstritten[15], überhaupt ist eine genau epochale Einordnung schwierig. Festzuhalten ist, dass zwischen 1786 und 1805 insbesondere Schiller und Goethe in ihrer Weimarer-Zeit vermehrt auf Themen und Stil der Antike zurückgegriffen haben.

Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten…sonderlich der Griechen[16]

Nach Johann Joachims Winckelmanns Überzeugung (1755) sei nur eben durch diesen Rückgriff auf antike Vorbilder „eine Neuschöpfung aus ihrem Geiste“[17] möglich. Auch in „Nänie“ bedient sich Schiller antikem Stoff, indem er drei Mythen zitiert, die in der folgenden Interpretation noch genauer analysiert werden.

In diesem Zeitraum der Klassik und der vermehrten Beschäftigung mit der Antike, wird auch das Thema „Schönheit“ und die Frage danach, was als schön zu gelten habe, wieder präsenter.

Doch der Schönheitsbegriff und was unter diesen zu fassen ist, taucht schon in der Bibel auf. Dort wurde in neueren Übersetzungen das „adverbiale ´schön` durch ´groß` ersetzt, um dem Herrschaftsgestus Gottes zu betonen“.[18] Hier wird schon deutlich, dass der Begriff des Schönen nichts Äußerliches beschreibt, wie es nach unserem heutigen Verständnis aufgefasst würde, sondern auf Kunst, geistiges Vermögen und Charaktereigenschaften angewandt wird. Diese Fragestellungen gehen mit der Ästhetik einher, so sei wie Baumgarten im Lexikon der ästhetischen Grundbegriffe zitiert wird, „das Ziel der Ästhetik die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher. Damit ist aber die Schönheit gemeint“.[19] Trotzdem ist der Begriff schwer zu fassen, eine klare Definition scheint kaum möglich. Ein Lexikoneintrag umgeht eine konkrete Definition und beschreibt die „Schönheit“ allgemein:

Schönheit ist weder objektive Dingeigenschaft noch subjektiver Empfindungsinhalt, sondern gelungene Erkenntnis im Bereich des Sensitiven und gelungene Kreativität, auf die Welt oder die Kunst gerichtet.[20]

Einmal mehr wird die Kunst angesprochen – auch bei Schiller werden Schönheits- und Kunstbegriff miteinander verwoben. So fügen sich beide Thematiken in „Nänie“ zusammen. Schiller betrauert in „Nänie“ den Tod der Schönheit und findet am Ende der Elegie (unter anderem) Trost durch die Tatsache, dass die Schönheit in der Kunst weiter existieren kann. Schönheit und Kunst sind für Schiller demnach untrennbar miteinander verbunden.

2.2 Schillers Schönheitsbegriff in seinen theoretischen Schriften

Schillers philosophische Schaffensphase erstreckt sich über die Jahre 1782 bis 1793 und beginnt mit seiner intensiven Beschäftigung mit Kants Schriften, die seine Arbeiten im Folgenden enorm prägen sollen.[21] Zum Kant-Studium wurde ihm unter anderem von Körner geraten[22], denn zuvor hatte Schiller Kant gemieden, da ihm seine Ansichten teilweise zu abwegig schienen. Mit Körner tauscht sich Schiller auch über den Verlauf seiner Studien in Briefen aus und so haben wir noch heute Zeugnis über Schillers Denkprozesse und das Fortschreiten seiner ästhetischen Arbeiten. So schreibt Schiller an Körner am 21. Dezember 1792:

Den objectiven Begriff des Schönen, der sich eo ipso auch zu einem objectiven Grundsatz des Geschmacks qualifiziert, und an welchem Kant verzweifelt, glaube ich gefunden zu haben[23]

Unter der Absicht Kant zu widerlegen entstehen die Kallias-Briefe, eine Sammlung von Briefen an Körner, in denen sich Schiller mit der objektiven Bestimmung des Schönen beschäftigt, „die transzendentalphilosophisch entwickelt, zugleich aber durch empirische Grundsätze aus dem Bannkreis des Subjektivismus befreit[…]“.[24]

In den Kallias-Briefen versucht Schiller das Schöne zu definieren und aus verschiedenen Perspektiven herzuleiten, auch wenn er konstatiert, dass das Schöne nicht unbedingt begrifflich festgehalten werden muss:

Nun hat Kant darinn offenbar recht, daß er sagt, das Schöne gefalle ohne Begriff; ich kann ein schönes Objekt lange vorher schön gefunden haben, ehe ich nur entfernt imstande bin, die Einheit seines Mannichfaltigen anzugeben und zu bestimmen, was die herrschende Kraft an demselben ist.[25]

Doch trotzdem versucht Schiller das Schöne zu verbalisieren und nähert sich seinem Ziel, einen objektiven Begriff für den Geschmack zu finden, in den Kallias-Briefen zunächst von einem subjektiven Standpunkt aus („[…] daß mein Prinzip der Schönheit bis jetzt freilich nur subjektiv ist, weil ich bisher ja nur aus der Vernunft selbst herausargumentierte und mich auf die Objekte noch gar nicht einließ“).[26] Als Leitfaden dient Schiller die Frage danach, welche Qualität ein Objekt haben müsse, damit es als frei und somit als schön gelten könne. Die Quintessenz seiner Betrachtungen der Schönheit in einer Reihe von Briefen an Körner ist, dass „der Grund der Schönheit überall Freiheit in der Erscheinung ist. Der Grund unsrer Vorstellung von Schönheit ist Technik in der Freiheit.“[27] Freiheit bedeutet hierbei für Schiller, dass der Mensch die Möglichkeit wahrnehmen kann, von außen unbeeinflusst und uneingeschränkt zu handeln und zu leben.

[...]


[1] Schiller: Nänie. Zitiert nach: Oellers, Norbert (Hrsg.), Schillers Werke. Nationalausgabe. Zweiter Band, Teil 1, Gedichte, Weimar 1983, S. 326. Im Folgenden werden Zitate aus dem Gedicht durch die Angabe des Verses in Klammern im Fließtext kenntlich gemacht.

[2] Vgl. Schiller: An Körner 21. Dezember 1792. In: Schillers Werke. Briefe 1790-1794. Nationalausgabe. 26.Band. Hrsg. von Norbert Oellers und Siegfried Seidel. Weimar 1992. S.170

[3] Vgl. Seiler, Bernd: Fehlgebende Theorie und gelingende Praxis. Über den Wandel in Schillers Kunstanschauungen. In: Heinz Rölleke (Hrsg.): Wirkendes Wort. Trier. 51/2001. S.332.

[4] Vgl. Osterkamp, Ernst: Das Schöne in Mnemosynes Schoß. In: Oellers, Norbert: Gedichte von Friedrich Schiller. Interpretationen. Stuttgart. S.283.

[5] Vgl. Ebd.

[6] Vgl. Alt, Peter- Andre: Schiller. Leben- Werk- Zeit. Zweiter Band. München: Beck Verlag, 2000. S.100.

[7] Hofmann, Michael: Schiller. Epoche-Werke-Wirkung. München 2003. S.33.

[8] Peter Prachtl und Franz-Peter Burkard (Hrsg.): Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart 1999. S.525.

[9] Vgl. Ebd.

[10] Vgl. Ebd.

[11] Ebd. S.525.

[12] Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Philosophische Bibliothek. Band 507. Hamburg 2001. S.163

[13] Vgl. Schweikle, Günther und Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart 1990. S. 239-240.

[14] Vgl. Wirsich-Irwin, Gabriele (Hrsg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung. Band 7. Klassik. Stuttgart 1998. S.9.

[15] Vgl. Ebd. S. 11.

[16] Winckelmann, Johann Joachim: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Zitiert nach: Hoffmann, Rösch (Hrsg): Grundlagen, Stile, Gestalten der deutschen Literatur. Eine geschichtliche Darstellung. Berlin 1996. S. 187.

[17] Ebd.

[18] Reschke, Renate: Schön/Schönheit. In: Karlheinz Barcke (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Band 5. Stuttgart. S.393.

[19] Reschke, S.396.

[20] Ebd. S.398.

[21] Vgl. Hofmann, Michael: Schiller. Epoche-Werke-Wirkung. München 2003. S.92.

[22] Hinderer, Walter: Von der Idee des Menschen. Über Friedrich Schiller. Würzburg 1998. S.14.

[23] Schiller: An Körner 21. Dezember 1792. In: Nationalausgabe S.170.

[24] Alt, S.100.

[25] Schiller: An Körner 8. Februar 1793. In: Nationalausgabe, S.178.

[26] Schiller: An Körner 18. Februar 1793. In: Nationalausgabe, S.190.

[27] Schiller: An Körner 23. Februar 1793. In: Nationalsausgabe, S.202.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
"Auch das Schöne muss sterben!" - Schillers Schönheitsbegriff untersucht am Beispiel der Elegie "Nänie"
Hochschule
Universität Münster  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar: Was ist Klassik?
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
26
Katalognummer
V67344
ISBN (eBook)
9783638603331
ISBN (Buch)
9783656781455
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auch, Schöne, Schillers, Schönheitsbegriff, Beispiel, Elegie, Nänie, Hauptseminar, Klassik
Arbeit zitieren
Hannah Suppa (Autor:in), 2006, "Auch das Schöne muss sterben!" - Schillers Schönheitsbegriff untersucht am Beispiel der Elegie "Nänie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67344

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