Die Olympischen Spiele in München. Sicherheitskonzept und Attentat im Spiegel der Akten


Diplomarbeit, 2006

125 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Planungen und Vorbereitungen der XX. Olympischen Spielen in München
2.1 Lagebeurteilung der Organisations- und Sicherheitskräfte
a) aus den Erfahrungen der vorherigen Olympischen Spielen
b) eigene Lagebeurteilung der Sicherheitsbehörden
c) Entschluss
2.2 Der Ordnungsdienst des Organisationskomitees
a) Zusammensetzung
b) Aufgaben
c) Vorausbildung und Ausrüstung
2.3 Die Polizeikräfte
a) Zusammensetzung, Stärke und Ausrüstung
b) Aufgaben
c) Vorausbildung
2.4 Fehler und Versäumnisse bei den Sicherheitsvorbereitungen
a) zeitliche Vorbereitung
b) Gründung des Ordnungsdienstes als separate Sicherheitsbehörde
c) Zugangsberechtigung der Polizei im Olympischen Dorf
d) Sicherheitsvorkehrungen im Olympischen Dorf
e) Sicherheitsmaßnahmen für die israelische Mannschaft
f) Ausrüstung und Ausbildung der Polizei und des Ordnungsdienstes

3. Das Attentat oder die Ereignisse vom 05./06. September
3.1 Die Ereignisse im Olympischen Dorf
3.2 Das „Massaker“ von Fürstenfeldbruck
a) Einsatzplan .
b) Zusammenfassung der Geschehnisse

4. Fehler und Versäumnisse während der Geiselnahme
4.1 Politische Möglichkeiten
4.2 Koordinierung der „verantwortlichen Leiter“
4.3 Polizeitaktischen Maßnahmen
a) polizeitaktischen Erfahrungen im Fall Rammelmayr
b) Ausbildungsstand und Bewaffnung der Präzisionsschützen
c) Anzahl der Präzisionsschützen
d) Ausrüstung der eingesetzten Polizisten
e) Konzentration der Kräfte

5. Die missglückte „Befreiungsaktion“

6. Konsequenzen
a) personelle
b) polizeitaktische

7. Zusammenfassung, Schlussbemerkung

8. Quellen und Literatur
8.1 Archivalien
8.2 Quellen
8.3 Fachzeitschriften
8.4 Allgemeine Zeitschriften und Zeitungen
8.5 Literatur
8.6 Internet

9. Abkürzungsverzeichnis

10.Anhang

1. Einleitung

Am 26. Januar 2006 fand der offizielle Start des vom amerikanischen Starregisseurs Steven Spielberg gedrehten Kinofilms „München“ statt. In seinem Film erzählte Spielberg die Geschichte der Ereignisse nach der Olympia-Geiselnahme durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" von 1972.

Durch dessen Film inspiriert und aus der Notwendigkeit ein passendes Thema für meine Diplomarbeit zu finden entschied ich mich, über die Ereignisse des Olympiaattentates zu recherchieren.

Das Ergebnis der Literaturrecherche diesbezüglich war überraschend. Anstatt mit einer Anzahl von Büchern sprichwörtlich erschlagen zu werden, gab es lediglich drei Bücher, die sich tatsächlich mit der Thematik auseinandersetzten.

Das erste, welches bereits im Jahre 1973 in französischer und zwei Jahre später in englischer Sprache erschien, war das Buch von Groussard Serge „The blood of Israel“. Hierin wurden in romanhafter Erzählweise die Ereignisse wiedergegeben, so wie sie sich zugetragen haben könnten. Quellenangaben oder Originaldokumente standen dem Autor nicht zur Verfügung.

Bis 1999 gab es bezüglich des Attentats keine neuen Forschungsergebnisse, wie dies die promovierte Historikerin Angelika Fox bei ihren Recherchen zu einer OlympiaDokumentation feststellen musste.1 So tauchten bis dato immer neue Varianten und Berichte auf, in denen der Ablauf und die Geschehnisse falsch wiedergegeben wurden. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf den zum Teil oberflächlichen und plakativen Journalismus, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm.

Aber die Ereignisse ließen sich nur schwer rekonstruieren, solange die wichtigsten Polizeiakten weiterhin unter Verschluss lagen. Vereinzelte Zeitzeugenberichte beteiligter Personen, die sich nach Jahren zu den Vorkommnissen vor der Öffentlichkeit dazu äußerten, waren und sind problematisch, da diese immer nur einen subjektiven Teil der Geschehnisse wiedergeben konnten. Dies wird dadurch verstärkt, dass Augenzeugenberichte oft den Nachteil haben, besonders wenn das Erlebte vor längerer Zeit in extremen Situationen stattfand, die Sachverhalte unbewusst falsch dargestellt und wiedergegeben werden.

Was an offiziellen Berichten und Stellungnahmen zu Fürstenfeldbruck herausgegeben wurde, las und ließt sich lückenhaft und nebulös. Auf prekäre Fragen wurde nur ausweichend geantwortet, das Wesentliche wurde nur kurz angesprochen und auf wichtige und verständliche Details verzichtete man gänzlich. So wie die Aktion im „Dunkeln“ verlief, so wird auch der Leser im Dunkeln gelassen. Nichts sollte den Mythos zerstören, dass alles menschenmögliche zur Rettung der Geiseln unternommen wurde. Der bis dato schwärzeste Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde somit, trotz weltweiter Wahrnehmung, schon kurze Zeit später wieder vergessen. Das Drama erreichten den Status einer bedauerlichen Randnotiz, eines kurzen Eintrages in die Statistik, welcher in dem 1.178 Seiten umfassenden offiziellen Bericht zu den Olympischen Spielen auf ganzen drei Seiten Erwähnung fand.2

Doch nicht alle konnten sich mit den wenigen und ungenügenden Antworten zufrieden geben. Die Angehörigen der israelischen Opfer verlangten zurecht eine Aufklärung, die den wirklichen und genauen Tathergang beschrieb. Vor allem Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten André Spitzer, und Illana Romano, die Witwe von Yossef Romano versuchten verzweifelt an offizielle Dokumente, wie etwa den Autopsieberichten zu gelangen. Zwei Jahrzehnte lang wurden von deutscher Seite Versprechungen gemacht und wieder gebrochen. Niemand der verantwortlichen Politiker sah sich genötigt, den Frauen den Zugang zu den Archiven zu ermöglichen. Alle Petitionen, sogar persönliche Gespräche, unter anderem mit Hans Dietrich Genscher, brachten nicht den gewünschten Erfolg.3

Erst ein ZDF-Fernsehinterview in welchem sich Ankie Spitzer in einem emotionalen Appell an die Zuschauer wandte, schien die Mauer des Schweigens zum Einsturz zu bringen. Kurze Zeit später erhielt sie von einem unbekannten deutschen Regierungsvertreter geheime Originaldokumente zugesandt, darunter auch der Obduktionsbericht ihres getöteten Mannes. Mit diesen Dokumenten erzwang sie nach ebenfalls hartem Ringen endlich den Zugang zu den angeblich gar nicht existierenden Untersuchungsergebnissen. Am 29. August 1992 durfte sie erstmals zusammen mit einem Anwalt Einblick in die verschlossenen Unterlagen werfen.4

Das gesammelte Material ermöglichte es nun, den Angehörigen der Opfer im Jahre 1994 eine gemeinsame Klage auf Entschädigungszahlungen in Höhe von 40 Millionen Dollar gegen die Bundesregierung, die bayerische Staatsregierung und die Stadt München einzureichen.5 Die Klage wurde jedoch am 28. Januar 2000 wegen Verjährung vom Oberlandesgericht München abgewiesen. Aufgrund der Höhe des Streitwertes war eine Revision beim Bundesgerichtshof zulässig.6

Noch in dem selben Jahr veröffentlichte der englische Journalist und Schriftsteller Simon Reeve sein aufsehenerregendes Werk „One Day in September“, welches die Ereignisse der Tragödie und die Fehler der deutschen Behörden während der Geiselnahme schonungslos darstellte. Ermöglicht wurde dies, da ihm Ankie Spitzer die original Zeugenaussagen und Dokumente zuspielen konnte.7

Nachdem erneut Klage gegen die Verantwortlichen eingereicht wurde, stimmten die Angehörigen 2004 einem Vergleichsangebot der Deutschen in Höhe von drei Millionen Dollar zu.8

Damit war die Sache auf dem Rechtsweg zu einem Ende gekommen und somit geriet auch das Interesse und das Wissen der Öffentlichkeit über die wirklich stattgefundenen Ereignisse nicht in Vergessenheit, aber in Unwissenheit.

Erst das Jahr 2006 machte die Thematik weltweit und vor allem in Deutschland wieder kurzzeitig aktuell. Zum einem hauptsächlich verursacht durch Steven Spielbergs Kinofilm „München“ und zum anderen durch die Veröffentlichung des Buches „Die Rächer“ von Aaron Klein, indem erstmals auch die Ergebnisse des israelischen Kopelberichtes mitverwendet wurden.9

Der Punkt, der mich an der ganzen Berichterstattung der beiden Bücher von Reeve und Klein störte, war die Tatsache, dass diese die Geschehnisse zwar sehr detailliert wiedergeben, aber dies auf eine nicht wissenschaftliche Art, sondern in der spannenderen Form eines Politthrillers. Wissenschaftliche, vielleicht dem breiten Publikum „langweilig“ erscheinende Details werden nicht erwähnt.

Die sicherheitspolitischen Vorbereitung, die im Vorfeld der Spiele stattgefunden haben mussten, werden gänzlich ausgelassen oder nur kurz angesprochen. Das Hauptinteresse gilt vielmehr der Geiselnahme und der anschließenden Vergeltungsaktion der Israelis auf die palästinensischen Drahtzieher des Attentates.

Nachdem seit dem Attentat über 30 Jahre vergangen waren und durch die Annahme des Vergleichsangebot im Jahre 2004 eine außergerichtliche Einigung mit den Angehörigen erzielt werden konnte, bestand nun erstmals die Möglichkeit, für wissenschaftliche Forschungszwecke Einblick in die bis dato unter Verschluss gehaltenen Akten zu erlangen. Diese verteilen sich auf den im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eingelagerten Aktenbestand des bayerischen Ministerium des Inneren und auf den Aktenbestand der Staatsanwaltschaft München I., welcher im Staatsarchiv eingelagert ist.

Unter Einbezug dieser Quellen, deren Benutzung mir nach einem Antrag auf Schutzfristverkürzung gemäß Art. 10 Abs. 4 BayArchivG gestattet wurde, ist mein Ziel, die Geschehnisse des Olympiaattentates von 1972 wissenschaftlich darzustellen, um letztendlich zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser Tragödie in Fürstenfeldbruck kommen konnte.

Das Ergebnis des Desasters ist nämlich das Produkt von Ursache und Wirkung. Daher basiert meine Arbeit nicht auf einer minutiösen und chronologischen Darstellung der Vorgänge vom Beginn der Geiselnahme bis zu ihrem blutigen Ende, sondern mein Schwerpunkt gilt vielmehr der Analyse, worin die einzelnen Fehler und Versäumnisse lagen, die letztendlich zur „nicht erhofften Wirkung“ führten.

Dazu werden nachfolgend im Hauptteil zuerst die Planungen und Vorbereitungen untersucht und inwiefern daraus Fehler und Versäumnisse resultieren konnten, die es zu der Geiselnahme im Olympischen Dorf kommen ließen. Nach einer verkürzten Darstellung der Geschehnisse vom 05./06. September 1972 folgt eine weitere Analyse der Fehler und Versäumnisse, welche während der Geiselnahme seitens der Polizeikräfte und des Krisenstabes gemacht wurden, deren Ergebnis folglich die missglückte „Befreiungsaktion“ in Fürstenfeldbruck bildete.

Abschließend werden im letzten Punkt des Hauptteils die Konsequenzen beschrieben, die aus der Katastrophe auf personeller und polizeitaktischer Ebene gezogen wurden. Auf den israelisch-palästinensischen Konflikt und die politischen Folgen verbunden mit den israelischen Vergeltungsaktionen im Anschluss auf das Attentat verzichte ich gänzlich, da beide in der Betrachtung der Dinge irrelevant sind.

2. Die Planungen und Vorbereitungen der XX. Olympischen Spielen in München

2.1 Lagebeurteilung der Organisations- und Sicherheitskräfte

a) aus den Erfahrungen der vorherigen Olympischen Spiele

„Denn wohl erkenn ich, dass des Vielerfahrenen Ratschlüsse stets ein segensvolles Ende krönt.“ Sophokles, König Ödipus (Oberpriester)10

Am 03. Juli 1966 erfolgte die Gründung des Organisationskomitees unter der Präsidentschaft von Willi Daume, des Vizepräsidenten Bundesinnenminister Hans Dietrich Genscher, des Kultusministers a.D. Dr. Ludwig Huber und des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt München Dr. Hans Jochen Vogel. Der Vorstand bestand aus insgesamt elf Mitgliedern und wurde von 14 Ausschüssen mit Fachleuten und Experten von internationalem Rang beraten. Das höchste Beratungsgremium bildete hierbei der Beirat, dessen Vorsitz Bundeskanzler Willy Brandt innehatte. Die repräsentative Schirmherrschaft über die Olympischen Spiele von München übernahm Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann.11

Wie im oben angeführten Zitat, sollte man sich die Erkenntnisse sogenannter „Vielerfahrener“ zu Nutze machen, um aus deren „Weisheiten“ Lehren und Schlussfolgerungen für seine eigenes Handeln zu ziehen. Auch die verantwortlichen Leiter der XX. Olympischen Spiele in München wussten um die Notwendigkeit einer solch einfach zu erlangenden Informationsquelle. Daher wurden am 09. Dezember 1969 Einzelanfragen über die jeweiligen Botschaften an Rom, dem Ausrichter der Olympischen Spiele von 1960, an Tokyo, Ausrichter im Jahre 1964 und an den des vorherigen Jahres 1968 Mexiko City gerichtet.12 Von den Antworten erhoffte man sich vor allem Erkenntnisse und Ratschläge für den eigenen Aufbau des „Sicherheitsapparates“ zu gewinnen.

Als erste Botschaft übermittelte am 20. Januar 1970 Rom die von München gewünschten Ergebnisse, welche sich jedoch zunächst nur auf die vor Ort eigens gemachten subjektiven Beobachtungen der damaligen Botschaftsangehörigen beschränkten.

Mit dem Kontrolldienst im Olympischen Dorf wurden Offiziere und Unteroffiziere der italienischen Armee betraut. Zur Tarnung, damit sie als solche nicht erkennbar waren, trugen sie den Anzug der Mitglieder des Organisationskomitees. Der Aufgabenbereich der in Gruppen eingeteilten Männer umfasste die Bewachung der einzelnen Gebäude sowie die Ausgabe der Wohnungsschlüssel für die Unterkünfte im Olympischen Dorf. Im Dorf selber waren nur vier Carabinieri in Uniform postiert.13

Näheres, aber auch nur bedingt präziser, lieferte die nachgereichte Übersetzung der Quästur Roms, deren einziger sicherheitsrelevanter Punkt sich wie folgt liest:

„Besondere Überwachungsdienste waren im Olympischen Dorf eingesetzt, wo die Athleten aus allen Ländern, mit den dazugehörigen Mannschaften von Trainern, Begleitern usw., wohnten und weiter, im Dorf selbst, ein Polizeiposten, um zu gewährleisten, dass die Überwachung ununterbrochen war, sei es am Tag oder bei Nacht. (...). Die größte Überwachung wird selbstverständlich beim Olympischen Dorf ausgeführt werden müssen, wo, wie bekannt, Tausende von Athleten aus allen Nationen, (...) und im Vergleich mit allen anderen olympischen Objekten könnten sich in Anwesenheit der Athleten und Zuschauer leichter sittenlose Kundgebungen und Straftaten gegen die öffentliche Moral entwickeln.“14

Die wenigen aus Rom kommenden Informationen lassen sich also wie folgt kurz und bündig auf einfache, aber dennoch interessante Erkenntnisse zusammenfassen:

1. Italienische Armee verantwortlich für Sicherheit im Olympischen Dorf
2. Keine „Massenuniformierung“
3. Neuralgischer Schwerpunkt der Bewachung das Olympische Dorf
4. Im Olympischen Dorf nur ein Polizeiposten.

Mit dem Antwortschreiben aus der deutschen Botschaft in Mexiko City ließ man sich dort schon erheblich mehr Zeit. Dies lag daran, dass die mexikanischen Behörden nur ungern bereit waren, Auskunft über Sicherheitsfragen, vor allem über den Einsatz von Sicherheitskräften während der Olympischen Spiele, zu geben. Daher befasste sich eine Arbeitsgruppe der Bundeswehr unter Leitung des Oberst von Stülpnagel, welche sich zu Studienzwecke in Mexiko befand, mit der Berichterstattung über die dort veranstalteten Olympischen Spiele.15

Der Aufgabenbereich der Polizei war nur auf Verkehrsfragen eingeschränkt, die Verantwortlichkeit für die Garantie der Sicherheit oblag, ähnlich wie in Rom nur noch deutlich ausgeprägter, dem Militär. Im „gewohnten mexikanischen“ Verhalten waren die Soldaten mit Helm, Gewehren und Maschinenpistolen bewaffnet, Tag und Nacht mit dem Objektschutz beauftragt. Lediglich zur Eröffnungsfeier versuchten sie eine etwas dezentere Zurückhaltung auszuüben, indem sie sich, etwas verdeckt, hinter Laternen und Büschen positionierten. Auch mit aufrührerischen Studenten war nicht zu rechnen, da schon in Vorbereitung zu den Olympischen Spielen, bei vorher stattfindenden Demonstrationen, diese durch das harte Einschreiten der Militärgewalt deutlich „eingeschüchtert“ wurden.16 Ebenso wurden verdächtige Personen zur Vorsorge rechtzeitig in „Schutzhaft“ genommen. Des weiteren hätte eine mögliche Störung der Olympischen Spiele wohl unmittelbar das Einschreiten des so „enthusiastischen“ mexikanischen Volkes zur Folge gehabt, das etwaige Störer sicherlich gelyncht hätte. Insgesamt waren ca. 41.800 mexikanische Soldaten für die Sicherheit zuständig.

In seiner weiteren Ausarbeitung ging der Oberst auch noch auf den möglichen bevorstehenden Aufgabenbereich der Bundeswehr für die Olympischen Spiele in München ein:

Absperrposten, Streckenposten, sanitätsdienstliche Unterstützung, Bereitstellung von Unterkünften und Trainingsstätten, Transporthilfe mit Omnibussen, Hubschraubereinsatz für sanitätsdienstliche Unterstützung, pioniertechnische Hilfe, Organisation des Segelwettbewerbes, usw.

Zusammenfassend ergab das für die Beurteilung folgende Punkte:

1. Starke Militärpräsenz
2. Hartes und gewaltbereites Vorgehen der Sicherheitskräfte
3. Gefährdung durch „enthusiastische“ Zuschauermassen
4. Vorschlag für die Einbeziehung der Bundeswehr in organisatorische und unterstützende Angelegenheiten

Mit der Antwort aus Tokyo verlief es von allen Schreiben insgesamt am problematischsten. Ebd., Schreiben aus der Botschaft in Mexico vom 15.04.1970. Anm.: Bei vorherigen Demonstrationen kamen ca. 140 Menschen ums Leben. Das erste Antwortschreiben der deutschen Botschaft in Tokyo wird auf den 09. Februar 1970 datiert und beinhaltete die Aussage, dass der Ausschuss für die Organisation der Olympischen Spiele in Tokyo von 1964 den Sicherheits- und Ordnungsdienst für das Olympische Dorf mit Hilfe der japanischen Armee selbständig durchgeführt habe. Die Polizei habe lediglich die Eingänge und die nähere Umgebung bewacht. Des weiteren wurde vom japanischen Polizeipräsidium ein dicker Band in japanischer Sprache übersandt, welcher auf den Seiten 193 bis 208 eine Übersicht über die Organisation des Sicherheits- und Ordnungsdienstes während der Olympischen Spiele enthielt. Die Erfahrungen, welche die Polizei damals gesammelt hatte, waren auf den Seiten 515 bis 524 wiedergegeben. Eine Übersetzung würde Kosten in Höhe von ca. 1.000 bis 2.000 DM verursachen.17

Obwohl das Antwortschreiben der deutschen Botschaft vermuten ließ, dass es sich zum ersten Mal bei den bisher angefragten „Erfahrungen“ der ausländischen Olympiaveranstalter um einen wirklich ausführlichen und detaillierten Bericht handeln könnte, überraschte das Antwortschreiben des Polizeivizepräsidenten von München Dr. Wolf am 03. März 1970:

„Das Polizeipräsidium legt keinen Wert auf die Übersetzung der Seiten von 193 bis 208 und 515 bis 524 des Erfahrungsberichts. Sollte jedoch das bayerische Staatsministerium des Inneren eine Übersetzung beschaffen, darf um gelegentliche kurzfristige Überlassung gebeten werden.“18

Jedoch wurde diese Haltung nicht von allen geteilt und so hatte das Organisationskomitee, wie dies aus einem Schreiben des Polizeipräsidenten Dr. Manfred Schreiber vom 07. August 1970 hervorgeht, sich bereit erklärt, die „gigantische Unsumme“ der Finanzierung, dieser im Nachhinein so bedeutenden Seiten, zu übernehmen. Der Auftrag zur Übersetzung wurde am 28. April 1970 erteilt, nachdem man sich vorher über die billigsten Übersetzungsdienste informiert hatte.19

Nach über sieben Monaten, seit zum erstenmal der Auftrag zur Einholung der Informationen und Erfahrungen erteilt wurde, lag die Übersetzungsschrift des japanischen Erfahrungsberichtes am 20. Juli 1970 vor.20

Die darin gemachten handschriftlichen Randnotizen wurden höchstwahrscheinlich von Ministerialrat Dr. Heinrich Martin hinzugefügt, welcher seit dem 01. Juli 1970 das neu geschaffene Amt des Sicherheitsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung inne hatte. Ihm oblag die Aufgabe, die an der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele innerhalb des Landes Bayern beteiligten staatlichen und kommunalen Polizeidienststellen zu beraten, zu informieren und zu unterstützen, insbesondere die Anforderung, Verteilung und Bereitstellung von Polizeikräften zusammenfassend zu bearbeiten.21

Der Bericht der japanischen Behörden war sehr detailliert und lieferte für den späteren Aufbau des deutschen Sicherheitsapparates die meisten Erkenntnisse. Die erste „Überraschung“, welche mit einer Randnotiz vermerkt wurde, war die Tatsache, dass die Japaner bereits im März 1960 (Randnotiz: 1960! 4 Jahre vorher) einen Vorbereitungsauschuss des Polizeipräsidiums, dessen Vorsitz der Polizeipräsident übernahm - mit der Absicht überhaupt ein Organisationssystem aufzustellen - gegründet hatten. Dies hatte wesentlich dazu beigetragen, dass sich unter allen Bediensteten der Behörde ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte und nach außen hin Entschlossenheit demonstrierte wurde.

Im August 1963 wurde dann unter Vorsitz des Abteilungschefs für Polizeiangelegenheiten ein Fachausschuss errichtet. Hierin wurden die Belange aus allen Gesichtspunkten einheitlich beraten und es wurde somit ermöglicht, besonders bei Verhandlungen mit anderen Behörden und Partnern, dass das Präsidium mit seiner einheitlich vertretenen Meinung vorgehen konnte. Als wichtige Lehre stellten die japanischen Verantwortlichen fest, dass eine frühere Einrichtung und Aufstellung dieser Behörde noch effektiver gewesen wäre.

Des weiteren ließ man bei allen Ämtern und Abteilungen Vorbereitungs- oder Verbindungsbüros einrichten, welche auf horizontaler Ebene Kontakt hielten. Auch wurden, um praktische Erfahrungen direkt vor Ort zu sammeln, einige Beamten des japanischen Polizeipräsidiums zur Besichtigung der Olympischen Spiele nach Rom entsandt.

Mit der Beurteilung der bis dato gewonnenen Erkenntnisse der polizeilichen Schutzmaßnahmen begann man im Jahre 1961.

Insgesamt betrachtet war diese frühzeitige Verhandlungsstärke notwendig, da dies eine gewisse Ausdauer ermöglichte, welche wiederum von Relevanz war, um die polizeiliche Verantwortung gegenüber dem Olympischen Organisationskomitee durchzusetzen. Mit diesem fanden ab Juli 1963 regelmäßige Konsultationen zwischen den führenden Persönlichkeiten des IOC, der Zentralstaatspolizeibehörden und des Polizeipräsidiums statt.

Das japanische Führungssystem wurde in dem Bericht ebenfalls sehr genau und detailliert wiedergeben, was auch später zum Teil in der „deutschen Variante“ Umsetzung fand. Als zentrale Einsatzleitung wurde am 15. September 1964 das „Bewachungshauptquartier“ unter Vorsitz des Polizeipräsidenten errichtet, welches man zusätzlich mit Verbindungsmännern aus allen Abteilungen besetzte. Dadurch wurde ein einheitlicher Überblick über alle polizeilichen Aktivitäten gewährleistet. Die personelle Besetzung wurde in drei Schichten eingeteilt, was sich nach Meinung der Japaner bewährt hatte. Das vom 15. September bis 05. November 1964 bestehende „Bewachungshauptquartier“ unter Verantwortlichkeit des Polizeipräsident gliederte sich wie folgt:

1. Durchführungsstab (Bewachung)
2. Verkehrsstab
3. Stab für öffentliche Sicherheit
4. Fahndungsstab
5. Stab für Nachschub und publizistische Aufklärungstätigkeit
6. Personalstab

Die Einteilung der Beamten erfolgte in drei Perioden, welche vom 15. September bis 06. Oktober, vom 07. Oktober bis 24. Oktober und vom 25. Oktober bis zum 05. November 1968 andauerten. Insgesamt waren 4.924 Beamte an 52 Tagen im Hauptquartier eingesetzt, dies entsprach in etwa 95 Beamten täglich, die sich wiederum auf drei Schichten, zu je ungefähr 32 Mann im Hauptquartier verteilten.

An Polizeikräften standen dem Hauptquartier tagsüber zwei Einheiten mit insgesamt 500 Mann als zentrale Reserve zur Verfügung. Nachts wurden diese durch zwei motorisierte Kompanien und 200 Polizeischülern ersetzt. Des weiteren waren acht motorisierte Kompanien als dezentrale Reserve im Einsatz. Dies ergab, wenn man als Vergleichsgröße die Stärke einer deutschen Polizeihundertschaft mit ca. 120 Mann angibt, eine Reserve von 14 Bereitschaftpolizeihundertschaften. Als Einsatzgrundsatz galt aber, dass die Hilfstruppen von den anderen Einheiten der Polizei getrennt wurden und nur selbständig, d.h. geschlossen, eingesetzt wurden.

Die Gesamteinsatzstärke der Polizisten betrug ca. 283.678 Mann. Fälschlicherweise wurde diese Angabe in den Randnotizen durch die Gesamtzahl der Einsatztage 52 dividiert, was somit einen täglichen Bedarf von ca. 5.455 Beamten ergeben hätte. In Wirklichkeit war aber die täglich eingesetzten durchschnittliche Anzahl der Beamten den drei Perioden unterschiedlich zugeordnet.

Die erste Periode, als sogenannte Vorbereitungsphase, veranschlagte täglich etwa 2.585 Mann. In der zweiten Periode, in dem die eigentlichen Spiele stattfanden22, wurde die Anzahl der Polizisten auf etwa 11.200 erhöht. In der dritten Periode, nachdem die Spiele vorüber waren, wurde die durchschnittliche tägliche Einsatzstärke wieder auf 2.099 Männern heruntergefahren.

Ein Schwerpunkt der Bewachung bildete unter anderem das Olympische Dorf, dessen Schutz die japanische Armee übernahm. Die Polizei war nur für die Angelegenheiten außerhalb des Dorfes zuständig, durfte aber nach vorheriger Ankündigung bei der Dorfverwaltung dieses betreten. Jedoch kamen bei den Japanern im Nachhinein ernsthafte Zweifel auf, ob dies in der Praxis eine sinnvolle und praktikable Regelung war. Als Tätigkeitsrichtlinien galten für die japanischen Polizisten allgemeine Aufgaben wie Verkehrskontrolle, Auskunft für Besucher, Straftatenvorbeugung oder Aufklärung. Erwähnt wurde aber ebenfalls noch explizit in Punkt sieben des Berichtes, dass „für (die) Sicherheit von ausländischen Mannschaften, leitenden Persönlichkeiten der Veranstaltung, ausländischen Gästen und Personen, die besondere Bewachung oder besonderen Schutz benötigen, die Polizei umsichtig zu sorgen (hat).“23 Zusätzlich verlangte man auch von den Polizeikräften, genügend Reserveeinheiten bereitzustellen.

Kritisierend wurde festgestellt, dass auf die Vorbereitung und Vorausbildung wegen der knappen Zeitdauer zu wenig geachtet wurde. Wie im einzelnen genau die Vorbereitungskurse der eingesetzten Polizisten verliefen, wurde in dem Bericht, zu mindestens in dem übersetzten Teil, nicht erwähnt.

Zusammenfassend ergeben die zuerst nicht gewollten Erkenntnisse des japanischen Berichtes:

1. Frühzeitiger Beginn mit der Planung (vier Jahre im voraus)
2. Aufstellung einer verantwortlichen Behörde unter Vorsitz des Polizeipräsidenten 15 Monate vor Beginn der Spiele.
3. Bildung eines Fachausschusses für Polizeiangelegenheiten im August 1963
4. Aufbau von Verbindungsbüros auf horizontaler Ebene, um mit allen Ämtern und Behörden in Kontakt zu bleiben.
5. Verhandlungsstärke gegenüber dem Olympischen Organisationskomitee notwendig
6. Zentrale Einsatzleitung unter Führung des Polizeipräsidenten mit Verbindungsmännern aller Abteilungen
7. Dreiteiliger Schichtdienst
8. Bildung von zentralen Reserveeinheiten
9. Bessere Vorausbildung für Polizisten notwendig
10.Polizei übernimmt allgemeine Aufgaben.
11.Schutz des Olympischen Dorfes durch die Armee

Welche Konsequenzen und Auswirkungen, die aus denen von der Botschaft übermittelten Ergebnisse brachten und inwiefern diese umgesetzt wurden, wurde durch die anschließende Lagebeurteilung der einzelnen Sicherheitsbehörden Deutschlands, vor allem aber derjenigen des Landes Bayern, geprägt.

b) eigene Lagebeurteilung der Sicherheitsbehörden

Für diesen Zweck standen dem Polizeipräsidium München mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einem, am naheliegendsten, die vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Informationen des Verfassungsschutzes über die letzten Jahre. Zum anderen wurden vom Polizeipräsidium München Arbeitsgruppen gebildet, die mögliche denkbare und realistische „Störsituationen“ erörtern sollten. Hinzu kamen noch die sicherheitsrelevanten Informationen und Einschätzungen der landeseigenen Behörden des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) und des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BLfV).

Bezüglich der nun zitierten Berichte des Verfassungschutzes, handelte es sich nur um die Spitze des Eisberges, was an Informationen dieser Behörde vorlagen, aber dennoch lieferten sie Erkenntnisse, die einen Überblick über die innenpolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland erlaubten.

Der Verfassungsschutzbericht der Jahre 1969/70 für die Bundesrepublik Deutschland stellte einen alarmierenden Ausblick für jede Behörde da, die mit der Sicherheitsplanung eines bevorstehenden globalen Mega-Events beauftragt wurde.

Die Zahl der auf politische Motive zurückgehende Sprengstoff- und Brandanschläge der „neuen Linken“, vornehmlich gegen Justiz- und Polizeibehörden, gegen ausländische Konsulate und amerikanische Einrichtungen sowie gegen Banken, war von 48 Fällen im Jahre 1969 auf über 117 Fälle im nächsten Jahr gestiegen. Das bedeutete einen Anstieg von 148%.24

Besonders der Bericht über die sicherheitsgefährdenden Bestrebungen von Ausländern müsste Beachtung gefunden haben:

„In den Jahren 1969 und 1970 wurden zahlreiche Staaten der Welt von Terrorakten politischer Extremisten betroffen. (...). Politische Untergrundgruppen entführten Geiseln, um ihre Forderungen durchzusetzen. Mehrere der Entführten wurden ermordet. Diese Ausschreitungen haben sich nicht auf die Brennpunkte politischer und sozialer Spannungen beschränkt. Zahlreiche, zumeist kleine Widerstandsgruppen trugen den Terror vielmehr auch in unbeteiligte, von den Krisenherden z.T. weit entfernte Staaten.“25 Alleine im Bundesgebiet nahmen die Gewalttätigkeiten politisch radikaler Ausländer zu. Ein Anstieg auf insgesamt 182 Fälle im Jahre 1970, bei vormals 65 Fällen im Vorjahr war zu verzeichnen (180%).

Besonders hervorgehoben wurden die von palästinensischen Terroristen verübten Anschläge, welche sich unmittelbar auf die Bundesrepublik Deutschland auswirkten:26

- Der gescheiterte Versuch, eine EL AL Maschine am 10. Februar 1970 am Münchner Flughafen Riem zu entführen, bei dem ein Passagier und elf weitere Personen zum Teil schwer verletzt wurden.
- Sprengstoffanschlag vom 21. Februar 1970 auf ein Flugzeug der Austrian Airlines, welches sich auf dem Flug von Frankfurt nach Israel befand.
- Entführung einer Boeing 707 der amerikanischen Fluglinie TWA mit 145 Passagieren und zehn Besatzungsmitgliedern auf den Flughafen Zarka/Jordanien am 06. September 1970. Die Täter waren in Frankfurt/Main zugestiegen.

Ebenso wurde die Problematik der 3.000 Palästinenser Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Deutschland Stützpunkte ihrer Widerstandsorganisationen errichtet hatten, angesprochen. Von insgesamt 1.000 Ausländervereinigungen waren mindestens 100 aufgrund ihrer Ziele oder dem Verhalten ihrer Anhänger als radikal einzustufen. „Konkrete Anhaltspunkte sprachen dafür, dass von ihnen Gefahren für die innere Sicherheit oder für wichtige außenpolitische Belange der Bundesrepublik ausgingen. Ihre Gesamtstärke betrug 50.000 Mitglieder.“27

Mit am stärksten war der Zulauf der politisch radikalen Ausländer unter anderem an den Hochschulen. Hierbei hatten die politisch radikalen Studentengruppen des Nahen und Mittleren Ostens den stärksten Andrang zu verzeichnen.

„Die Studenten palästinensischer Herkunft bekannten sich in der Bundesrepublik nahezu ausnahmslos zu den Zielen ihrer nationalen Widerstandsorganisationen.“28 Die Statistik der Ausschreitungen politisch radikaler Ausländer im Jahre 1970 führte die Gruppe der Araber mit insgesamt 49 Fällen, also über 37% der Gesamtfälle, deutlich an29, und das, obwohl sie mit 20.000 Gastarbeitern den geringsten Prozentsatz der über 2 Millionen ausländischen Gastarbeiter einnahmen.30

Da dies von einer solchen Brisanz war, wurde es auf den Seiten 56-58 des Berichtes nochmals explizit erwähnt, indem speziell auf die palästinensischen Widerstandsorganisationen als einer von einzelnen Trägern sicherheitsgefährdender Bestrebungen eingegangen wurde. Die zunehmende Expansion und das starke Anwachsen der größten Organisationen des palästinensischen „Widerstandes“ auf dem Gebiet der Bundesrepublik blieb nicht unbemerkt. Große Unterstützung und tatkräftige Mithilfe bekamen diese vom Großteil der arabischen Schichten sowie von linksradikalen Gruppen. Anwerbungen fanden mit Hilfe eigens aus den Heimatgebieten beauftragten Propagandisten statt, die geeignete Personen anwarben und diese wiederum zur Ausbildung in Untergrund- und Sabotagetätikeiten, kurz zum allgemeinen Guerillakampf, in palästinensische Lager schickten. Nach Absolvieren eines mehrwöchigen Lehrganges kehrten diese wieder, „combat ready“ sozusagen, nach Deutschland zurück.

Der Drahtzieher und Leiter dieser Aktionen war Al Fatah, auf deutschem Boden vertreten durch die international tätigen Hilfsorganisationen der „Generalunion Palästinensischer Studenten“ (GUPS) und der „Generalunion Palästinensischer Arbeiter“ (GUPA). „Die GUPS, die im Bundesgebiet 27 Zweiggruppen besitzt, wird nahezu vollkommen von Al Fatah beherrscht. Die führenden Funktionäre von GUPS und Al Fatah sind großenteils identisch. (...). Sie betrachtet die Bundesregierung als Feind des palästinensischen Volkes, da sie Israel militärisch und wirtschaftlich unterstütze.“31 Die GUPA umfasste Ende 1970 24 Zweiggruppen auf deutschem Boden.

Auftraggeber und Organisator, der bis dato von palästinensischen Attentätern verübten Aktionen, waren hauptsächlich Al Fatah sowie diverse andere palästinensische Splitterorganisationen, die sich, bei all ihren Divergenzen bei einem Punkt einig waren, den Staat Israel zu vernichten.32

Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 1971 verzeichnete auf dem Gebiet der Ausländerkriminalität erstmals einen Rückgang der politisch motivierten Straftaten von 182 Fällen im Jahre 1970 auf 168 Fälle des Jahres 1971. Wichtig war der Rückgang der Terrorakte von vormals 22 auf nun insgesamt acht einschlägige Vorkommnisse. Aber nach bisher gemachten Erfahrungen durfte man daraus keine falschen Rückschlüsse für die zukünftigen Beurteilungen und Schlussfolgerungen ziehen:

„Die radikalsten palästinensischen Widerstandsgruppen versuchen nach wie vor, sich durch Terroranschläge außerhalb des nahöstlichen Krisengebietes neue Publizität zu verschaffen und ihren zum Teil verlorengegangenen Einfluß bei den Palästinensern wieder zurückzugewinnen.“33

So weigerten sich die Gruppen der GUPS und GUPA den zuständigen Behörden in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, Auskünfte über ihre Mitglieder und Finanzen zu geben, wozu sie nach § 19 und 20 der Verordnung zur Durchführung des Vereinsgesetzes verpflichtet waren.34

Auch wurde in einem speziellen Ausblick für das Jahr 1972, aufgrund der stattfindenden Olympischen Spiele, mit einem Anstieg spektakulärer Aktionen seitens der Rechtsextremen, welche sich das mediale Spektakel zu nutzen machen könnten, gerechnet.35 Warum dies nur für rechtsextreme Kriminelle gelten sollte, bleibt unerklärt. Die zusammenfassende Beurteilung des palästinensischen „Widerstandes“ liest sich auf Seite 99 des Berichtes wie folgt:

„Die Aktivität des palästinensischen Widerstandes auf deutschen Boden hat im Jahre 1971 nachgelassen. Das scharfe Vorgehen der jordanischen Regierung gegen die Guerillagruppen, das zum Verlust ihrer Operationsbasen in Jordanien führte, sowie ihre stärkere Überwachung im Ausland haben ihre hiesigen Gefolgsleute verunsichert. Die Anziehungskraft der FATAH auf die im Bundesgebiet lebenden Palästinenser sank.“36

Die Lagebeurteilung des „kleineren Bruders“ des Verfassungsschutzes des Bundesinnenministeriums, die des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz sah ebenfalls auch bei normalen politischen Verhältnissen, die potentielle Gefahr von Gewaltakten bei anarchistischen oder politisch radikalen Gruppen auf offizielle Vertreter totalitärer Staaten durch in Deutschland lebende Emigranten. Konkretes über mögliche palästinensische Terrorgruppen wurde aber nicht erwähnt. Ansonsten rechnete das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in seiner Lagebeurteilung hauptsächlich mit politischen Propagandaaktionen als negative Auswirkungen für die Olympischen Spiele.37 Die Ergebnisse des BLKA und ihrer daraus resultierenden Lagebeurteilung wurden zum erstenmal in einem Vortrag über die Erkenntnisse der Kriminalpolizei vom 01. März 1972 schriftlich erläutert. Konsequenterweise rechnete die Behörde mit einem Anstieg der Kriminaldelikte aufgrund des hohen Besucherzustroms, dem eine Menge Diebe, Hehler, Dealer, Gammler, Dirnen etc. folgen würde.

Zur politisch motivierten Kriminalität wurde berichtet:

„Während der Olympischen Spiele bietet sich für politische extreme Gruppen eine einmalige Gelegenheit, die Weltöffentlichkeit auf ihre Forderungen, Ziele und Ideen aufmerksam zu machen. Es sind deshalb (...), möglicherweise auch terroristische Aktionen zu befürchten.“38

Es gab sogar sechs konkrete Hinweise auf mögliche Angriffe, welche sich gegen die Olympischen Spiele richten sollten, so z.B. der interessanteste Hinweis auf die Pläne einer Anarchistengruppe in Berlin, die bereit war, gezielte Schüsse auf die Zuschauermenge bei der offiziellen Flaggenhissung abzugeben und dann im Anschluss das Olympische Dorf zu stürmen, sowie gleichzeitig durch Terroranschläge in der Stadt selbst für Chaos zu sorgen. „Welche Aktionen und Störungen auf politischem Hintergrund bei den Spielen tatsächlich zu erwarten sind, lässt sich nur schwer voraussagen. Es können zu dieser Zeit durch veränderte politische Weltlage, durch internationale Spannungen irgendwelcher Art, ganz neue Aspekte gegeben sein, die heute nicht voraussehbar sind.“39

In der Einsatzanweisung Nr. 1 für das BLKA vom 03. August 1972 wurden die

Schwerpunkte bei folgenden Deliktsgruppen festgelegt:40

1. Demonstrationsdelikte
2. Rauschmitteldelikte
3. Falschgelddelikte
4. Sprengstoffdelikte
5. Politisch motivierte Anschläge auf VIP und deren Angehörige, sowie auf Luftfahrzeuge
6. Entführungen aus den gleichen Motiven wie in Nr. 5

Hauptverdächtigte Gruppen bildeten:

1. „allgemeine Kriminelle“
2. Störer mit politischen oder politisch motivierten Absichten bis hin zum Anarchisten
3. Hippies, Rauschmittelabhängige und Vagabunden

Das Polizeipräsidium München ließ über eine Kommission eine kriminalpolizeiliche Beurteilung der Sicherheitslage anfertigen. In einem Schreiben der Kriminaldirektion des Polizeipräsidiums vom 25. Mai 1971 hieß es dazu unter anderem:

„(...) besteht Gefahr (...) Anschlägen extremer politischer Gruppen, da hierzu wegen der dadurch zu erweckenden weltweiten Aufmerksamkeit ein besonderer Anreiz besteht. Bei einer evtl. Verschärfung der politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse vor und während der Spiele ist mit Sicherheit mit derartigen politischen Straftaten zu rechnen, (...).“41

Eine ebenfalls vom Polizeipräsidium beauftragte Arbeitsgruppe erarbeitete in einem Bericht vom 18. Oktober 1971 dazu auf insgesamt sechs Seiten alle nur denkbaren möglichen Zwischenfälle und Störaktionen, die während den Olympischen Spielen stattfinden könnten. Als Beispiele seien hier Plakat- und Schmieraktionen, Abschießen von Flugblattraketen, Verbringung von Öl oder Schmierstoffen auf die Radrennstrecke, von Sportlern begangene Diebstähle, vorgetäuschte Entführungen, Hochheben der Faust während der Siegerehrung usw. zu nennen.42

Unter der Rubrik „Handlungen einzelner Täter“ wurde aber auch auf Terroranschläge auf olympische Einrichtungen durch Molotowcocktails, Brandbomben, Rohrbomben etc. hingewiesen, wie auch von einzelnen Personen noch mit Anschlägen auf Personen schwerer Art u.a. mit Schuss- oder Explosionswaffen zu vermuten gewesen sei. In der Rubrik „Handlungen einer Menschenmenge oder aus einer Menschenmenge“ wurde u.a. ein gewaltsames Eindringen in das Pressezentrum, in das Deutsche Olympiazentrum (DOZ) oder in das Olympische Dorf befürchtet.43 Die generelle Schutzwürdigkeit der anwesenden ausländischen Sportler im Olympischen Dorf wurde aber nirgends explizit erwähnt. Lediglich der Personenschutz sogenannter VIP-Gäste war von so nennenswerter elementarer Bedeutung, dass dazu extra am 30. September und 1. Oktober 1971 im Polizeipräsidium München eine Besprechung über die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen im erweiterten Staatsschutzbereich während der Olympischen Spiele stattfand. In dem daraus resultierenden 16-seitigen Bericht wurde u.a. beschlossen, dass bei Sicherheitsstufe I. grundsätzlich zwei, bei Sicherheitsstufe II. grundsätzlich ein Beamter einzusetzen sei. Bei äußerst gefährdeten Personen wie dem amerikanischen Präsidenten Richard Nixon oder dem Schah von Persien konnte diese Anzahl jedoch auf sechs bis zehn Beamten erhöht werden. Denn auch hier galt wiederum die Gefahr der politisch extremen Gruppen für die sich durch die Olympischen Spiele eine „einmalige Gelegenheit vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit auf ihre Forderungen, Ziele und Ideen aufmerksam zu machen“ ergab.44

In einer zweiten Fassung der Lagebeurteilung für das Polizeipräsidium vom 01. Februar 1972 hatte man das Aussparen der Sportler in den Sicherheitsüberlegungen allerdings scheinbar bemerkt, so dass ergänzend hinzugefügt wurde:

„In Frage kommen vor allem Störungen von Veranstaltungen durch demonstrativer Akte aller Art, (...) bzw. Terroranschläge[n]. In besonderen Maße ist mit Aktionen und Anschlägen sowohl gegen Sportler als auch gegen prominente ausländische Besucher zu rechnen, die auch der Gefahr von Entführungen und Attentaten ausgesetzt sind.“45 Ebenso wurde in dieser Lagebeurteilung, die im übrigen mit der letzten Beurteilung vom 01. Juli 1972 identisch war, noch einmal auf die 101 in München ansässigen Emigrantenorganisationen hingewiesen, wobei sich darunter allerdings keine spezielle Palästinenserorganisation befand.

c) Entschluss

Nachdem man sich nun über die Erfahrungen im Ausland informiert hatte und sich aus der eigenen Lagebeurteilung durch die Sicherheitsbehörden einen Überblick über die möglichen bevorstehenden Ereignisse machen konnte, war folglich ein Entschluss notwendig, der die gesammelten Informationen adäquat und am besten für den Aufbau der weiteren Sicherheitsorganisationen und deren Strukturierung, Ausrüstung und Ausbildung umsetzte.

Wie schon angesprochen, existierte mit Beschluss des Ministerrates vom 23. März 1970 ab dem 01. Juli 1970 im Bayerischen Staatsministerium des Inneren - Abteilung Öffentliche Sicherheit und Ordnung - das Sachgebiet I C OL „Sicherheitsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die XX. Olympischen Spiele 1972 in München“. Mit der Leitung wurde Herr Ministerialrat Dr. Heinrich Martin beauftragt, dem die Koordinierung der Arbeit aller bei der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele beteiligten Polizeidienststellen und Sicherheitskräfte oblag.46

Am selben Tag als die Aufstellung des Büros des Sicherheitsbeauftragten erfolgte, hatte der Vorstand des Organisationskomitees für die XX. Olympischen Spiele in seiner 20. Sitzung beschlossen, einen Ordnungsdienst zu schaffen, welcher den Präsidenten und das Generalsekretariat des Organisationskomitees bei der Ausübung des Hausrechts und der Wahrung von Sicherheit und Ordnung auf dem olympischen Gelände unterstützen sollte.47 Diese „relativ“ früh getroffenen Entscheidung sollte sich später im Verlauf der Spiele als „fataler“ Irrtum erweisen, da der Sicherheitsbereich des Olympischen Dorfes nun nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fiel, sondern im Verantwortungsressort des Organisationskomitees lag. Näheres über die Konzeption, Aufstellung und Aufgabe des Ordnungsdienstes folgt im nächsten Kapitel.

Mit dem vorbereitenden Aufbau des Polizeiführungsstabes (PFSt), welcher in seiner Funktions- und Organisationsweise mit dem japanischem Modell identisch war, wurde am 04. April 1972 durch die Aufstellung des Polizeiplanungsstabes (PPSt) begonnen. In ihm waren 24 Beamte beschäftigt, welche die zukünftigen weiteren Planungen und Absprachen zwischen den Sicherheitsbehörden und dem Organisationskomitee aufeinander abstimmen sollte und die Gliederung des Polizeiführungsstabes erarbeiteten.48

Dieser nahm am 27. Juli 1972 seine Arbeit auf. Seine primäre Aufgabe war es zunächst einmal, die noch ausstehenden Vorbereitungen zum raschen Abschluss zu bringen und den Beginn des Schichtdienstes am 21. August 1972 mit dem Einsetzen der Führungsgruppe, der Verkehrszentrale und der Kriminalpolizeilichen Einsatzzentrale des gemeinsamen Einsatzes abschließend vorzubereiten und die Führung des bereits anlaufenden Einsatzgeschehens endgültig zu übernehmen.49

Der Polizeiführungsstab war also dreigeteilt in:

Führungsgruppe, Kriminalpolizeiliche Einsatzzentrale (KEZ) und Verkehrszentrale (VZ). Die allgemeine Hauptaufgabe des Führungsstabes war es, den Leiter des Gemeinsamen Einsatzes Polizeipräsident Dr. Manfred Schreiber in seinen Entscheidungen zu beraten und zu unterstützen. Dazu wirkte die Kriminalpolizeiliche Einsatzzentrale bei der Lagebeurteilung, bei der Entschlussfassung und der Befehlsgebung mit. Ebenso wurden durch die Kriminalpolizeiliche Einsatzzentrale alle kriminalpolizeilichen Maßnahmen koordiniert, sowie Kräfte und Mittel zur Durchführung bereitgestellt. Des weiteren wurde der Führungsstab durch Lageunterrichtungen auf dem kriminalpolizeilichen Sektor versorgt.50

Um eine Verbindung zwischen der Kriminalpolizeilichen Einsatzzentrale und dem Bayerischen Landeskriminalamt herzustellen bzw. anschließend aufrechtzuerhalten, stellte das BLKA Verbindungsbeamte in die Kriminalpolizeilichen Einsatzzentrale ab, damit deren Interessen gegenüber der Kriminalpolizeiliche Einsatzzentrale und des Polizeiführungsstabes wahrgenommen werden konnten.51

In der Verkehrszentrale wurden alle verkehrspolizeilichen Maßnahmen getroffen.

Wie es im japanischen Modell ebenfalls praktiziert wurde, übernahm man von diesen den dreigeteilten Schichtdienst.

Begonnen wurde mit Schicht I unter Leitung des Polizeipräsidenten Dr. Schreiber am 21. August 1972 um 07.00 Uhr und endete nach zwölf Stunden um 19.00 Uhr. Als nächstes übernahm Schicht II. unter Führung des Polizeivizepräsidenten Dr. Wolf bis 07.00 Uhr des nächsten Tages abgelöst durch Schicht III. unter Oberpolizeidirektor (OPD) Dr. Keller. Jede Schicht dauerte also zwölf Stunden, der im Anschluss 24 Stunden Freizeit folgten. Um jedoch einen reibungslosen Schichtdienst zu garantieren, wechselte man die letzten Hälften einer jeden Schichtbesetzung erst um 08.00 Uhr, bzw. 20.00 Uhr aus.52

Die letzte Schicht endete am 13. September 1972 um 07.00 Uhr.53 Der Polizeiführungsstab war befugt Weisungen zu erteilen:54

1. Dem Polizeipräsidium Münchens im Bereich der Landeshauptstadt für alle polizeilichen Aufgaben
2. Der Landespolizeidirektion Oberbayern in deren Bereich bei Delikten, die aus Anlass oder mit Auswirkungen auf die Spiele begangen werden
3. Dem BLKA im Gemeinsamen Einsatzraum sowie der Landespolizeidirektion Oberbayerns
4. Geschlossenen Verbänden der ihm unterstellten Bayerischen Bereitschaftspolizei und des Bundesgrenzschutzes.

Die vom Polizeiführungsstab gefassten Entschlüsse bezogen sich auf Angelegenheiten, die diesen in seinen Ressorts betrafen, z.B. die Bewachung des Flughafenbereiches, der besondere Personenschutz der VIPs durch Beamte des BLKA, die Beobachtung des Zuschauerbereiches, die Luftüberwachung zur optimalen Verkehrskontrolle usw. Die Verantwortlichkeit für die Sicherheit des Olympischen Dorfes fand keinerlei Beachtung bei der Führung des Polizeiführungsstabes, da diese ja dem Organisationskomitee zugeteilt wurde.55

Dessen Hauptaugenmerk galt vor allem der Sicherung des Olympischen Geländes durch die Errichtung von Bannkreisen als Prävention gegenüber Aufmärschen und Demonstrationen politischer Art. Dazu beriet sich am 08./09. Januar 1971 der Vorstand des Organisationskomitees, inwiefern es durch Erlass eines Bundesgesetzes möglich sei, solche unerwünschten Versammlungen und Aufzüge innerhalb des Geländes zu verbieten.56

Das vom Organisationskomitee geforderte Gesetz wurde durch den Bundestag und Bundesrat erlassen und erlangte Gültigkeit am 31. Mai 1972 durch die Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt. Somit war es nun den mit dem Ablauf der Spiele im Zusammenhang stehenden Ländern erlaubt, durch Rechtsverordnungen öffentliche Versammlungen und Aufzüge generell zu verbieten und bestimmte Bannkreise festzulegen.57

Über den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Olympischen Spiele wurden bereits Anmerkungen des Oberst von Stülpnagel in seinem Bericht vom 15. April 1970 über die Olympischen Spiele in Mexiko gemacht. Eine Einbindung der Streitkräfte in innerpolitischen Sicherheitsmaßnahmen stand zur damaligen Zeit nicht einmal zur Diskussion an und wurde auch von keinem deutschen oder bayerischen Politiker gefordert. Eine Arbeitsgruppe Kurzzeitpersonal fasste in einem Bericht am 11. Mai 1971 die Einsatzmöglichkeiten von Bundeswehrsoldaten zusammen:58

1. Das Gesetz über die Anwendung des unmittelbaren Zwanges ist ein hoheitliches Selbsthilferecht der Bundeswehr gegen Störungen dienstlicher Belange, welches ausschließlich im Militärischem Sicherheitsbereich angewandt werden darf. Folglich für Olympisches Dorf obsolet, da dies keinen Militärischen Sicherheitsbereich darstellt.
2. Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) ist nur für Polizisten im Sinne diese Gesetzes gültig.
3. Nach Art. 35 GG kann die Bundeswehr nur im Sinne der Amtshilfe Unterstützung leisten, aber dies nur unbewaffnet und ohne polizeiliche Befugnisse.
4. Die Bundeswehrangehörigen sind als Ordner kenntlich zu machen und dürfen die Zuschauer nur durch Belehrung und Mahnung am Zutritt hindern. Zusätzlich bleiben die allgemeinen Rechte wie § 32 StGB Notwehr und der sogenannte „Jedermannsparagraph“ § 127 StPO (vorläufige Festnahme) erhalten.

Im Sicherheitsapparat der Olympischen Spiele spielte die Bundeswehr also de facto keine Rolle. Terminologisch wurde dies sogar durch ein Schreiben des Ordnungsbeauftragten und Polizeipräsidenten Schreibers am 30. Juli 1971 extra festgelegt. So hatte sich der Begriff „Ordner“ zukünftig nur noch auf die Angehörigen des Ordnungsdienstes des Organisationskomitees zu beschränken. Die Begriffe „Helfer“, „Streckendienst“ und „Streckenposten“ waren ausschließlich für Bundeswehrangehörige zu verwenden.59 Im organisatorischen Bereich wäre aber ohne die tatkräftige logistische Unterstützung der Armee und mit ihr verbunden der Einsatz von Hunderten Soldaten als Köche, Chauffeure, Streckenposten, Sanitätern usw. keine Olympischen Spiele möglich gewesen. Die „allgemeinen“ Einsatzgrundsätze beschrieb im Auftrag des Niedersächsischen Ministerium des Innern Herr Wehrmann in seinem Erfahrungsbericht vom 13. Dezember 1972 wie folgt:60

1. Ein Optimum an Sicherheit bei einem Minimum an Einschränkungen
2. Wenig uniformierte Polizeibeamte zeigen, um gegenüber der Weltöffentlichkeit nicht den Eindruck eines „Polizeisportfestes“ zu erwecken.
3. Keine Massendemonstration der Ordnungskräfte
4. Möglichst wenig reglementieren.

Zusammenfassend wurden die Kenntnisse aus den Erfahrungen der drei vorherigen Olympiaveranstalter in den eigenen Entschluss folgendermaßen umgesetzt:

1. Von den Italienern das Konzept der „Nicht-Massenuniformierung“ sowie die Aufstellung nur eines Polizeiposten im Olympischen Dorf
2. Aus den mexikanischen Erkenntnissen die mögliche Gefährdung durch unkontrollierbare Zuschauermassen sowie der vom Oberst gemachten Vorschlag der Miteinbezugsnahme der Bundeswehr in organisatorische und unterstützende Aufgaben.
3. Von den Japanern übernommene Zentrale Einsatzleitung unter Führung des Polizeipräsidenten mit Verbindungsmännern aller Abteilungen sowie dessen dreiteiliger Schichtdienst.

Das „Problem“ der Sicherung des Olympischen Dorfes wurde weder der Bundeswehr noch der Polizei übertragen, sondern sollte durch eine neugeschaffene Sicherheitsbehörde des Organisationskomitees adäquat und vor allem im Sinne dieser gelöst werden. Denn schließlich musste auch aus politischen Gründen der äußere Anschein vermieden werden, „als seien in unserem Staat Sicherheit und Ordnung ausschließlich durch zahlreiches polizeiliches Auftreten und massives Einschreiten zu erreichen“.61

2.2 Der Ordnungsdienst des Organisationskomitees

a) Zusammensetzung

Der endgültige Beschluss zur Aufstellung eines Ordnungsdienstes wurde, wie bereits erwähnt, auf einer Sitzung des Vorstandes des Organisationskomitees am 01. Juli 1970 beschlossen. Die Zusammensetzung und Konzeption einer solchen Organisation hatte man bereits am 12. Juni 1970 erstmals schriftlich erörtert. Laut den ersten Überlegungen zur Personalzusammensetzung sollten sich die Ordner aus der Bereitschaftspolizei der Länder und des Bundesgrenzschutzes, aus vorzeitig entlassenen Wehrpflichtigen, aus Bundeswehrreservisten, aus Sportlern und Mitgliedern von Sportverbänden und aus Kräften vom freien Arbeitsmarkt rekrutieren.62

Nachdem man aber schon nach einiger Zeit, auf Druck des bayrischen Innenministers Dr. Bruno Merk, von der Zusammenstellung eines solch „bunten Haufens“ Abstand nahm, vor allem aber auch, weil dies etwa bei den vorzeitig zu entlassenen Wehrpflichtigen von militärischer Seite aus als nicht durchführbar erschien, einigte man sich darauf, den Ordnungsdienst nur aus Polizeibeamten des Bundes und der Länder zusammenzusetzen.63 Dazu mussten aber die Beamten der Polizei von ihren jeweiligen Diensstellen beurlaubt werden, um dann anschließend unter Fortbezahlung ihrer Bezüge dem Organisationskomitee unterstellt zu werden.64

Bei der anschließenden Auswahl der Beamten wurde auch darauf geachtet, dass diese, wenn möglich, selbst begeisterte Freizeitsportler waren. In einigen Fällen befanden sich unter den Ordnungsdienstlern sogar namhafte und bekannte Sportler wie z.B. Jutta von Hasse, Erwin Blask und Manfred Kirner.65

Sportpolitische Gründe übten also den entscheiden Einfluss bei der Zusammensetzung des Ordnungsdienstes aus, schließlich war man im Organisationskomitee davon überzeugt, dass ein „sportlicher“ Beamter am besten wusste, was Profisportler aus aller Welt wünschten, wieviel Unruhe als erträglich und Ruhe als erforderlich zu betrachten war.66 Die Leitung des Ordnungsdienstes übernahm am 01. Januar 1971 Polizeirat (PR) Wöhrle. Sein Vorgesetzter war im Nebenamt der Ordnungsbeauftragte und gleichzeitige Polizeipräsident von München, Dr. Schreiber, welcher bei Abwesenheit durch Kriminaldirektor Rupprecht vertreten wurde. Er war gegenüber dem Präsidenten und dem Generalsekretär des Organisationskomitees unmittelbar verantwortlich.67 Die Hierarchie der Einsatzleitung des Ordnungsdienstes (O EL) gliederte sich in:68

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei meiner weiteren Betrachtung des Ordnungsdienstes und dessen Personalstärke bleiben die Austragungsorte der Segelwettkämpfe in Kiel und der Kanutenwettkämpfe in Augsburg unberücksichtigt.

Es war notwendig, die Organisation des Ordnungsdienstes auf die gegebenen räumlichen Bedingungen der Spiele abzustellen. Deshalb mussten vier Einsatzabschnitte und 29 Unterabschnitte gebildet werden. (siehe Anhang Nr. 1, Seite 118)

Die Einsatzabschnitte Olympiapark Nord, Mitte, Süd und Wettkampfstätten außerhalb des Olympiaparks boten sich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten an. Sie waren - trotz der unterschiedlichen Zahl von Unterabschnitten - in Anbetracht ihrer Aufgabenzuweisung von etwa gleicher Bedeutung. Die Einsatzabschnitte unterstanden der Einsatzleitung des Ordnungsdienstes. Das Olympische Dorf bildete einen Unterabschnitt im Einsatzbereich des Olympiapark Nord .69

Die Unterabschnitte, soweit sie mit den Wettkampfstätten identisch waren, unterstanden fachlich den jeweiligen Sportstättendirektoren. Eingriffe der Einsatzleitung und der Einsatzabschnittsleiter waren aber nur im Einvernehmen mit dem verantwortlichen Sportstättendirektor oder auf direkte Weisung der Exekutivgruppe des Organisationskomitees möglich. Wenn sich also z.B. der Direktor der Volleyballhalle mit einer Anordnung des Ordnungsbeauftragten Schreibers nicht einverstanden erklärte, so hatte er diese nicht zu befolgen, außer sie kam direkt von der Exekutivgruppe.70

Als Personalstärke des Ordnungsdienstes kalkulierte man von Anfang an mit etwa 2.000 Mann, wie dies handschriftlich hinzugefügt in der Übersetzungsschrift des japanischen Berichtes vom 20. Juli 1970 bereits zu finden ist.71

Die genaue Anzahl der männlichen Beamten im Ordnungsdienst betrug 1.972 Mann, während die Frauen, welche vor allem zur Bewachung des Olympischen Frauendorfes eingesetzt wurden, nur mit 30 Personen vertreten waren.72

Davon alleine wurde vom Bundesgrenzschutz zehn Hundertschaften á 109 Grenzschutzbeamte nach München abgestellt. Im einzelnen waren dies:73

[...]


1 Czeguhn, Jutta: Die Wahrheit bleibt unter Verschluss, in: Fürstenfeldbrucker Neueste Nachrichten. Lokalteil der Süddeutschen Zeitung für den Landkreis vom 14.09.1999, Sonderdruck: Einweihung des Mahnmals zum Olympia-Attentat von 1972, S. 2.

2 Mandell, Richard D.: The Olympics of 1972. A Munich Diary, The University of North Carolina Press, Chapel Hill and London 1991, p. 182f.

3 Reeve, Simon: One Day in September. The story of the 1972 Munich Olympics Massacre, London 2000, p. 180ff.

4 Klein, Aaron J.: Die Rächer. Wie der israelische Geheimdienst die Olympia-Mörder von München jagte, München 2006, S. 102ff.

5 Czeguhn, Jutta: Die Wahrheit bleibt unter Verschluss, S. 2.

6 http://www.rp-online.de/public/article/nachrichten/politik/245589 vom 06.03.2006.

7 Der dazu erschienene Dokumentationsfilm gewann einen Oscar. Aber trotzdem dauerte es über sechs Jahre, bis für den deutschen Markt eine Buchübersetzung vorlag.

8 Klein, Aaron J.: Die Rächer, S. 105.

9 Der nur 15-seitige umfassende Bericht beschäftigte sich hauptsächlich damit, den Fehler Yossef Harmelin, dem israelischen Geheimdienstchef des Shin Bet, in die Schuhe schieben zu wollen. Siehe ebd., S. 275f.

10 http://www.sprichwort.ch/ vom 19.04.2006.

11 Fox, Angelika: Olympia-Attentat 1972. Begleitheft zur Errichtung der Gedenkstätte für die ermordeten israelischen Sportler und den deutschen Polizeibeamten am 5. September 1999 in Fürstenfeldbruck, Landkreis Fürstenfeldbruck 1999, S. 4.

12 BayHStA, MInn 88537 Erfahrungsberichte über frühere Olympische Spiele im Ausland 1960-1970.

13 Ebd., Botschaftsschreiben aus Rom vom 20.01.1970.

14 Ebd., Übersetzung der Quästur Rom.

15 Ebd., Schreiben aus der Botschaft in Mexico vom 15.04.1970.

16 Anm.: Bei vorherigen Demonstrationen kamen ca. 140 Menschen ums Leben.

17 Ebd., Botschaftsschreiben aus Tokyo vom 09.02.1970.

18 Ebd., Antwortschreiben vom 03.03.1970 des PVP Dr. Wolf.

19 Ebd., Schreiben Schreibers vom 07.08.1970.

20 Ebd., Übersetzungsschrift der Botschaft vom 20.07.1970.

21 BayHStA, MInn 88552 Presseberichte und Informationen anlässlich der XX. Olympischen Spiele in München.

22 Genauer Zeitraum der XVIII. Olympischen Spiele vom 10.10 bis zum 24.10.1964.

23 BayHStA, MInn 88537, Übersetzungsschrift der Botschaft vom 20.07.1970.

24 Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 1969/70, Bonn, S. 31.

25 Ebd., S. 53.

26 Ebd., S. 53.

27 Ebd., S. 54.

28 Ebd., S. 55.

29 Ebd., S. 55.

30 Ebd., S. 62.

31 Ebd., S. 57.

32 Ebd., S. 56ff.

33 Bundesministerium des Innern : Verfassungsschutzbericht 1971, Bonn, S. 92f.

34 Ebd., S. 89.

35 Ebd., S. 33.

36 Ebd., S. 99.

37 BayHStA, MInn 88571 Beurteilung der kriminalpolizeilichen Lage durch die Lagekommission, Lagebeurteilung des BfV und des BLfV eingereicht am 02.06.1971.

38 BayHStA, MInn 88564 Ausbildungsfragen der Polizeikräfte.

39 Ebd.

40 BayHStA, MInn 88582 Erfahrungsberichte über den polizeilichen Einsatz bei den Olympischen Spielen.

41 BayHStA, MInn 88571.

42 Das Hochheben der Faust galt als eine Solidaritätskundgebung für die „Black Panther Party“.

43 BayHStA, MInn 88571.

44 Ebd., Schreiben der Kriminalpolizei vom 22.10.71.

45 Ebd.

46 BayHStA, MInn 88571.

47 BayHStA, MInn 88564.

48 BayHStA, MInn 88584 Erfahrungsberichte über den polizeilichen Einsatz bei den Olympischen Spielen, Erfahrungsbericht des Polizeipräsidiums Münchens vom 25.01.1973.

49 Ebd.

50 BayHStA, MInn 88608 Vorbereitung der Olympischen Spiele in München, enthält u.a. polizeilicher Einsatz, Presseberichte.

51 BayHStA, MInn 88582, Einsatzanweisung Nr.1 für das BLKA vom 03.08.1972.

52 BayHStA, MInn 88608.

53 BayHStA, MInn 88582.

54 Ebd.

55 BayHStA, MInn 88584, Erfahrungsbericht des Polizeipräsidiums Münchens vom 25.01.1973.

56 BayHStA, MInn 88607 Tagebuch des Sicherheitsbeauftragten für die Olympischen Spiele 1971-72.

57 BayHStA, MInn 88592 Einrichtung von Bannkreisen.

58 BayHStA, MInn 88552.

59 Ebd.

60 BayHStA, MInn 88580 Erfahrungsberichte über den polizeilichen Einsatz bei den Olympischen Spielen.

61 BayHStA, MInn 88559 Aufstellung des Ordnungsdienstes des Organisationskomitees, Konzeption für den Ordnungsdienst vom 12.06.1970.

62 BayHStA, MInn 88559.

63 Merk, Bruno: Klarstellungen, hrsg. vom Historischen Verein Günzburg e.V., Heimatkundliche Schriftenreihe für den Landkreis Günzburg Bd. 18, Günzburg/Donau 1996, S. 23f.

64 BayHStA, MInn 88559; 88607.

65 BayHStA, MInn 88552.

66 Ebd., Pressemitteilung vom 18.08.1972 über die Grundsätze und grundlegende Aufgaben des Polizei- und Ordnungsdienstes während der Olympischen Spiele.

67 BayHStA, MInn 88607; 88564.

68 BayHStA, MInn 88564.

69 BayHStA, MInn 88620 Vorbereitung, Aus- und Fortbildung der Polizeikräfte für den Einsatz bei den Olympischen Spielen.

70 BayHStA, MInn 88564.

71 BayHStA, MInn 88537.

72 BayHStA, MInn 88584.

73 BayHStA, MInn 88543 Einsatz von Polizei- und Ordnungskräften anlässlich der XX. Olympischen Spiele, Einsatz des Ordnungsdienstes während der XX. Olympiade in München vom 18.05.1972.

Ende der Leseprobe aus 125 Seiten

Details

Titel
Die Olympischen Spiele in München. Sicherheitskonzept und Attentat im Spiegel der Akten
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
125
Katalognummer
V67330
ISBN (eBook)
9783638585644
Dateigröße
3250 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Olympischen, Spiele, München, Sicherheitskonzept, Attentat, Spiegel, Akten, Sicherheitsbeauftragten, Bayerischen, Staatsministerium, Innern, Staatsanwaltschaft, München, 1972, Olympia, Sommerspiele, Israel
Arbeit zitieren
Bernhard Fischer (Autor:in), 2006, Die Olympischen Spiele in München. Sicherheitskonzept und Attentat im Spiegel der Akten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67330

Kommentare

  • Gast am 4.11.2016

    Bestimmt sehr lesenswert und hilfreich, aber der Preis war mir doch zu hoch :)

Blick ins Buch
Titel: Die Olympischen Spiele in München. Sicherheitskonzept und Attentat im Spiegel der Akten



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