Die Bedeutung der Konsequenztheorie für die Konstruktion der Wirklichkeit durch Medien


Hausarbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Glauben und Wissen, Wahrheit und Lüge

2.0 Wirklichkeit als Wahrheit
2.1 Theorien und Hintergründe
2.1.1 Die Konsequenztheorie
2.1.2 Der skeptische Rationalismus und Skeptizismus
2.1.3 Wahrnehmung
2.2 Die Ontologie sozialer Tatsachen
2.2.1 Objektive Tatsachen
2.2.2 Soziale Tatsachen
2.2.3 Realismus?

3.0 Die Massenmedien
3.1 Jede Selektion ist gleichzeitig Konstruktion
3.2 Desinformation
3.3 Motivation zur falschen Berichterstattung

4.0 Ausweg aus dem Circulus vitiosus?

Literaturverzeichnis

1.0 Glauben und Wissen, Wahrheit und Lüge

„Ich glaube nur, was ich sehe!“ – Diesen Satz hört man recht oft, wenn eine Diskussion um die Glaubhaftigkeit vermeintlicher Fakten entbrennt, wenn verschiedene Meinungen aufeinander treffen und ein Disput entsteht – doch ist aus diesem Moment der mögliche Kehrschluss richtig, dass wir alles, was wir sehen, auch glauben können? Ist die reine Sichtbarkeit bereits Beweis genug für Wirklichkeit, für Existenz? Ist der Ansatz, zu glauben, was man sieht, ausreichend, um sich eine Meinung zu bilden, die gegenüber anderen vertreten werden kann? Ist diese Meinung dann auch die eigene, oder nicht lediglich nur eine Reproduktion des wahrgenommenen, vermittelten und eventuell konstruierten „Faktums“, ja eventuell sogar „Artefakts“? Sehen wir vielleicht nur, was wir glauben wollen?

Wo treffen wir auf Wahrheit, auf Wirklichkeit? Gehen wir einmal davon aus, dass wir beide Begriffe synonym verwenden, wie dies im Folgenden auch getan werden wird, und nehmen das als Wahrheit, was der Wirklichkeit entspricht. Ein jeder Mensch lügt. Oft und immer, jeden Tag. Mehrfach. Und interessanterweise nimmt niemand Anstoß daran, dass wir dies tun. Wir lügen den lieben langen Tag Dinge in die Welt, sei es, dass die Sonne aufgehe, obgleich wir genau wissen, dass sie nicht aufgeht, sondern die Erde sich dreht, oder dass der Himmel blau sei, oder dass der Mond abnehme, sei es dass man unheimlich gern Stachelbeer-Bananenkuchen äße, nur um die Gastgeberin nicht zu verärgern, sei es dass man Weihnachtsmänner aus Schokolade kaufe – eine sogar manifestierte Lüge – und dennoch kann man den Sonnenaufgang ebenso sehen, wie der Weihnachtsmann „wirklich“ zum Weihnachtsfest gehört und man den Kuchen wirklich gern gegessen hat, um nicht unhöflich zu wirken.

Die Lüge ist also bereits Element der Gesellschaft, sie gehört dazu. Ist denn Wahrheit überhaupt möglich? Was ist Wahrheit oder Wirklichkeit denn? Was lässt etwas wahr erscheinen und vor allem wann und für wen? Die größte Kritik an der Hermeneutik lag bereits immer an ihrer Gebundenheit an Subjekten und deren Interpretationen, festgemacht an einer bestimmten Sprachsemantik – gilt nicht dies für unser gesamtes Leben im Sinne von Erfahrungen sammeln ebenso ? Viele Fragen, die unter dem Schwerpunktaspekt der Konsequenztheorie im Rahmen dieser Arbeit angerissen werden sollen, um Denkanstöße zu liefern ohne dass auf diese ewigwährenden Fragen eine endgültige Antwort gegeben werden kann.

2.0 Wirklichkeit als Wahrheit

Bevor dem Thema der Wirklichkeitskonstruktion in und durch Medien aus verschiedenen Blickwinkeln begegnet werden kann, möchte ich einige Dinge vorab näher erklären, die helfen sollen, den weiteren Gedankengängen zu folgen, und vor allem einige, bereits bekannte Theorien als mögliche Basis für die Konstruktion von Wirklichkeit mit einbringen, die für uns als die Wahrheit gilt.

2.1 Theorien und Hintergründe

2.1.1 Die Konsequenztheorie

Nach Heinz von Foerster[1] ist der Begriff der Wahrheit unabdingbar an Lüge gebunden, er ist ein „Chamäleon der Philosophiegeschichte“[2] und trennt Menschen in „jene die recht haben und jene […] die im Unrecht sind.“[3] Wahrheit sei die „Erfindung eines Lügners“[4] – diese zentrale Aussage habe ich bewusst als Anlass und Titel für diese Arbeit genommen. Wenn es eine Lüge erfordert, um sich von der Wahrheit abzugrenzen, wenn es also ohne eine Lüge gar keine Wahrheit geben kann und die Wahrheit an sich die Lüge erzeugt, dann ergibt sich hier bereits die zentrale Bedeutung eben dieses Gedankens für Pressearbeit – letztlich wissen wir nie, welche Meldung der Tatsache am nächsten kommt, aber die vielen „Lügen“ lassen uns wenigstens eben diese von einander Abgrenzen und auf eine gewisse Art und Weise anhand des gemeinsamen Nenners eine vermeintlich objektive Wahrheit recherchieren. Ich werde allerdings diesen zentralen Punkt nicht permanent innerhalb dieser Arbeit wiederholen, sondern bitte, diesen im Hinterkopf zu behalten.

Spricht eine Person von Wahrheit, also von ihrem eigenen Weltbild als einem Correctum universale, so stünde automatisch jeder andere als Lügner dar. Aus dem Wahrheitsanspruch heraus sei jede Form von Disput logische Konsequenz und zudem menschliches Denken eingeengt, so Foerster. In seinem Sinne gibt es eigentlich keine Wahrheit, sondern nur Blickwinkel. Die Wirklichkeit / Wahrheit[5] ist ein bedarfsabhängiges Konstrukt und wird nur durch den interpersonellen Konsens dann auch Wirklichkeit eben der Masse dieser Personen und erzeugt hier gleichsam Disput zwischen denen, die dies als wirklich akzeptieren, und denen, die zweifeln.

Genau dieser Disput ist es, der nach Popper[6] im Sinne des skeptischen Rationalismus Entwicklung und Forschung, damit ein Fortkommen überhaupt erst möglich macht.

2.1.2 Der skeptische Rationalismus und der Skeptizismus

Nach Karl Popper gilt eine jede Behauptung erst einmal als richtig, solange man sie nicht widerlegen kann[7] ; der Skeptiker, bzw. der Skeptizismus, geht noch ein Stück weiter und spricht dem Menschen die Fähigkeit ab, überhaupt etwas wissen bzw. erkennen zu können. Gemäß Platon, der der „wirklichen Welt“ wie wir sie erfahren skeptisch gegenüberstand, „nimmt der Mensch für wahr, was er wahrnimmt“[8] und muss damit die Tatsache akzeptieren, nie wirklich erkennen zu können was ist, sondern nur erkennen zu können, was er selbst wahrzunehmen in der Lage ist. Ich möchte den Bereich des Skeptizismus hier nicht weiter vertiefen, nur weiter anmerken, dass die Menschheit sich zwar auf einen Rahmen von Realität geeinigt hat, dieser aber an sich keinen Anspruch auf Existenz haben kann – weshalb der Begriff Wirklichkeit per se ein bereits gefährlicher Begriff ist.

2.1.3 Wahrnehmung

Betrachtet man den Prozess der Wahrnehmung aus psychologischer Sicht, unter Schwerpunktsetzung auf kognitive Aspekte, dann bekommen wir erst ein Bild davon, wie beschränkt unsere Fähigkeit ist, Dinge so wahrzunehmen, wie sie vielleicht sein könnten. Rein visuell sind wir nur in der Lage, einen begrenzten Teil des Lichtspektrums überhaupt zu erfassen. Zudem sehen wir Dinge nicht wirklich, genau genommen „sehen“ wir gar nichts. Wir interpretieren kognitiv die neuronal-elektrischen Impulse die unser Hirn aus den Impulsen erhält, welche die Rezeptoren in unseren Augen aus den Reflexionen des, von uns wahrnehmbaren, Lichtspektrums errechnen. Diese, dank zweier Augen stereoskopisch versetzten, Reflexionen stammen wiederum von bestimmten „Dingen“ die nicht 100% lichtdurchlässig sind und in unserer Wahrnehmung nun zu Apfelsinen, Stühlen und dergleichen „errechnet“ werden – ob diese neuronale Verarbeitung und das im Bewusstsein entstandene „Bild“ nun aber der externen Objektbeschaffenheit entspricht oder ob dies gar durch andere Menschen genauso wahrgenommen wird, entzieht sich demnach unserer Kenntnis. Ob das, was ich persönlich als blau sehe, wobei ich den Begriff blau für diesen Farbton erlernt habe, auch für mein Gegenüber so aussieht, oder ob nicht vielleicht mein Blau sich ihm optisch wie „mein Grün“ darstellt, er es aber aufgrund seiner Sozialisation eben auch blau nennt, weil der Farbton der so bezeichneten Blaubeeren eben blau ist, wissen wir nicht.[9] Die verzerrte Wahrnehmung von Patienten mit Hemineglect[10], einer Diagnose die im Bereich von Schlaganfallsymptomen wie auch nach Hemisectomie[11] zur Behandlung von Epilepsien öfter gestellt wurde, führt für diese Personen zu einer gänzlich anderen Realität, die für sie selbst aber real und damit für sie wahr ist.

2.2 Die Ontologie sozialer Tatsachen

Genau zu diesem Themenbereich mit eben diesem Untertitel hat John R. Searle ein Werk mit dem Titel „Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ geschrieben.[12]. Mit diesen drei Gedanken im Hinterkopf nähern wir uns nun der „Konstruktion“ der Wirklichkeit. Lassen wir einmal unberücksichtigt, dass eventuell unsere gesamte Existenz nicht existent sei und gehen davon aus, dass wir existieren und dass die Wahrnehmungspotentiale, die die Mehrheit der Menschen in sich vereinigen, an sich richtig seien und die Norm darstellten. Es fällt hier bereits auf, dass vieles einzuschränken ist, wenn wir von Wahrheit oder Wirklichkeit sprechen wollen – wobei der Begriff der Wahrheit ja an sich einen universalen Gültigkeitsanspruch erhebt. Wo beginnt also nun unsere Wirklichkeit? Wir haben klargestellt, dass alles, was wir als Einzelperson wahrnehmen und als real sehen, prinzipiell nicht unbedingt existent sein muss. Aber es gibt doch Tatsachen?! Es gibt doch direkt Beobachtbares?

2.2.1 Objektive Tatsachen

Die gesellschaftliche Wirklichkeit erscheint uns, da sie von uns geschaffen wurde, einfach, plausibel und logisch. „Autos sind zum Fahren da; Geld zum Verdienen, Ausgeben und Sparen, Badewannen um ein Bad zu nehmen“[13]. Ein Problem entsteht für uns nach Searle erst dann, wenn uns der Zweck einer Sache nicht geläufig ist. Aus kognitionspsychologischer Sicht ist der Mensch aufgrund von Logik und Kombinatorik, die sich immer an erlernten Heuristiken[14] orientiert[15], anhand gemachter Erfahrungen und erlerntem Wissen, in der Lage, Probleme zu lösen. Begegnen wir aber im sozialen Alltag unvergleichlich neuem, tritt das aus der Psychologie bekannte Phänomen[16] auch im sozialen Umfeld auf: Es entsteht die Frage nach dem „Wozu ist es da?“[17]. Kann diese Frage einmal nicht beantwortet werden, wird unser Wirklichkeitsempfinden auf die Probe gestellt, denn wie beschreibt man Geld, wenn man nicht weiß, wozu es da ist. Ferner müssen wir wieder die Begriffe der Objektivität und der Subjektivität aufgreifen, auf denen unsere Weltsicht mit Masse beruht[18], die aber auch durch uns geprägt wurden.[19] Searle unterscheidet zwischen dem epistemischen Sinn und dem ontologischen Sinn[20]. „Wir sprechen oft von Urteilen als ‚subjektiv’, wenn wir meinen, dass ihre Wahrheit oder Falschheit nicht ‚objektiv’ entschieden werden kann, weil Wahrheit oder Falschheit nicht einfach eine Tatsachenfrage ist, sondern von bestimmten Einstellungen, Gefühlen und Gesichtspunkten der Urteilenden und der Hörer des Urteils abhängt“[21] so Searle. Hier wird zusammengefasst, dass auch das, was wir als Tatsache ansehen, interindividuell interpretativ ist. Nach Searle lassen sich beide Begriffe, epistemisch und ontologisch, jeweils noch in objektiv und subjektiv unterteilen. Zusammengefasst ergibt sich in etwa auf der nächsten folgende Beispieltabelle[22]

[...]


[1] Vgl. Heinz von Foerster, „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“, 29f

[2] ebd.

[3] ebd.

[4] ebd.

[5] Zwischen diesen Begriffen werde ich im Folgenden nicht mehr dezidiert trennen

[6] Vgl Popper, Karl, „Logik der Forschung“ – versch. Herausgeber, Erstausgabe 1934.

[7] ebd.

[8] Vgl. Treml, Pädagogische Ideengeschichte, S57ff

[9] Vgl. Seminarschriften Dr. Mark May „Wahrnehmen und Handeln“ IFCOQ Hamburg

[10] Hemineglectpatienten haben eine halbseitige Wahrnehmungsstörung, bewegen beispielsweise bei der Aufforderung, in die Hände zu klatschen, nur einen Arm, nehmen aber dennoch ihr eigenes Klatschgeräusch wahr, oder essen auf die Aufforderung, einen Teller leer zu essen, exakt den halben Teller leer und nehmen diesen dann auch als leer wahr.

[11] Bei der Hemisectomie wird der Hirnstamm chirurgisch getrennt, um Epilepsien entgegenzuwirken

[12] John R. Searle, „Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit“, 1995

[13] ebd. 14

[14] Heuristiken sind erlernte Wege / Methoden zur Problemlösefindung, die, im Gegensatz zu einem Algorithmus, erst angesichts des Problems eine Art „Trial & Error – Programm“ ablaufen lassen.

[15] vgl. Funke, Problemlösendes Denken, 21ff

[16] Wenn zur Problemlösung die Operatoren fehlen, dann beginnt die Versuchsperson scheinbar ziellos Zusammenhänge zu finden um sich Operatoren zu schaffen, einen Bezug zu Interessen und Zielen herzustellen. Vgl. Funke, Problemlösendes Denken.

[17] Vgl. Searle, 14.

[18] Ebd. S. 17

[19] Auch hier wird bereits die Subjektivität des Objektivitätsbegriffes deutlich

[20] Vgl. Searle, S. 18

[21] ebd.

[22] Vgl. Searle, S.17-20

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung der Konsequenztheorie für die Konstruktion der Wirklichkeit durch Medien
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Veranstaltung
Die Konstruktion der Wirklichkeit durch Medien'
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V67212
ISBN (eBook)
9783638601900
ISBN (Buch)
9783656362418
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
'Ich glaube nur, was ich sehe!' - Diesen Satz hört man recht oft, wenn eine Diskussion um die Glaubhaftigkeit vermeintlicher Fakten entbrennt, wenn verschiedene Meinungen aufeinander treffen und ein Disput entsteht - doch ist aus diesem Moment der mögliche Kehrschluss richtig, dass wir alles, was wir sehen, auch glauben können?
Schlagworte
Wahrheit, Erfindung, Lügners, Konstruktion, Wirklichkeit, Medien“
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Sven Hosang (Autor:in), 2005, Die Bedeutung der Konsequenztheorie für die Konstruktion der Wirklichkeit durch Medien , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67212

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