Die Berufsmotivation angehender Physiotherapeuten

Ergebnisse einer qualitativen und quantitativen Studie


Diplomarbeit, 2005

106 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Berufsbild des Physiotherapeuten
2.1 Tätigkeitsmerkmale und Aufgabenbereich
2.2 Persönliche Merkmale und Qualifikationen
2.3 Die Ausbildung
2.4 Berufliche Situation

3. Die Berufswahl
3.1 Bedeutung der Berufswahl
3.2 Verlauf der Berufswahl
3.3 Theorien der Berufswahl
3.4 Die Berufswahltheorie von HOLLAND

4. Die Berufsmotivation
4.1 Begriffe und Motivationstheorien
4.2 Motive und Einflussfaktoren der Berufswahl
4.3 Der Einfluss der Familie
4.4 Bedeutung und Veränderung der Berufsmotivation

5. Ableitungen von Zielen und Fragestellungen für die eigene Untersuchung
5.1 Ermittlung des Verlaufs des Berufswahlprozesses
5.2 Ermittlung von Motiven der Berufswahl
5.3 Ermittlung typischer Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten
5.4 Ermittlung von Erfahrungen während der Ausbildung

6. Methodik
6.1 Beschreibung der Instrumente und Verfahren der Datenerhebung
6.2 Beschreibung der Vorgehensweise
6.3 Beschreibung der Stichprobe
6.4 Beschreibung der Datenauswertung

7. Ergebnisse
7.1 Darstellung der Ergebnisse anhand der Forschungsfragen
7.2 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
7.3 Methodenkritik

8. Zusammenfassung und Ausblick

9. Anhang (Fragebogen)

10. Literaturverzeichnis

Darstellungsverzeichnis

Darstellung 1: Stundenverteilung in der Physiotherapieausbildung

Darstellung 2: Determinanten der Berufswahl

Darstellung 3: Hexagonmodell nach HOLLAND

Darstellung 4: Soziografische Daten der Stichprobe

Darstellung 5: Altersverteilung pro Kurs

Darstellung 6: Berufliche Tätigkeit der Eltern

Darstellung 7: Zeitliche Verpflichtungen der Schüler

Darstellung 8: Mitwirkung an der Berufswahl

Darstellung 9: Anzahl der Bewerbungen

Darstellung 10: Alternativberufe

Darstellung 11: Eigene Interessen, Wünsche und Erfahrungen

Darstellung 12: Attraktivität des Berufs

Darstellung 13: Familie und soziales Umfeld

Darstellung 14: Status des Berufs

Darstellung 15: Andere Faktoren

Darstellung 16: Berufsmotivation

Darstellung 17: Auswertung der Persönlichkeitseigenschaften

Darstellung 18: Semantisches Differential der Persönlichkeitseigenschaften

Darstellung 19: Häufigkeiten der verschiedenen HOLLAND-Typen

Darstellung 20: Interessenprofil aller Befragten

Darstellung 21: Histogramm des Gesamt-Interessen-Profils

Darstellung 22: Zufriedenheit mit der Berufswahlentscheidung

Darstellung 23: Hilfreiche Schulfächer

Darstellung 24: Erwägungen über Abbruch der Ausbildung

Darstellung 25: Karrierewunsch

1. Einleitung

Die Berufswahl stellt eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Entscheidung im Leben junger Menschen dar. SEIFERT[1] spricht von der „zentralen lebens-geschichtlichen Bedeutung der Berufswahl“. Nach ERIKSON[2] ist die Entscheidung für einen bestimmten Berufsweg das wesentliche Kennzeichen der jugendlichen Identitätsbildung: „Die Berufswahl schließt Aufgaben ein, die für alle Aspekte der Identitätsbildung zentral sind: Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Interessen, Kenntnis realistischer Alternativen und die Fähigkeit, die „beste“ Entscheidung zu treffen und ihr zu folgen“. Verschiedene Langzeitstudien[3] zeigen, dass aus den beiden Bereichen „Familienleben“ und „Beruf“ die größte Lebenszufriedenheit gewonnen wird.

Besondere Bedeutung erhält die Berufswahl in einer Zeit, in der die Situation auf dem Arbeitsmarkt als sehr schwierig bezeichnet werden muss. Die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland, die als Folge gravierender Veränderungen wie z.B. der Globalisierung, der Wiedervereinigung, der Euro-Einführung usw. aufgetreten sind, führten zu rund fünf Millionen Arbeitslosen. So rückt im Rahmen des Berufswahlprozesses die Frage nach den zukünftigen Beschäftigungsaussichten immer mehr in den Vordergrund. Von Fachleuten wird in diesem Zusammenhang gerade der Gesundheitssektor als einer der wenigen Wachstumsmärkte der Zukunft angesehen[4].

Unter den verschiedenen Berufen im Gesundheitswesen scheint der des Physiotherapeuten[5] für viele junge Menschen besonders attraktiv und erstrebenswert zu sein. Als Gründe werden u.a. genannt: das selbstständige und abwechslungsreiche Tätigkeitsfeld im medizinischen Bereich, der Umgang mit Menschen, die Zukunftsaussichten – vor allem aber die Möglichkeit, kranken Menschen zu helfen und das Hobby Sport mit dem Beruf zu verbinden.[6] So ist es durchaus verständlich, dass unter vielen Jugendlichen der Beruf des Physiotherapeuten sogar als eine Art „Traumberuf“ gilt. Die Zahl der Bewerber übersteigt nach wie vor die vorhandenen Ausbildungskapazitäten. Daher müssen an den meisten Schulen besondere Aufnahmeverfahren absolviert werden, um einen Ausbildungsplatz zu erhalten.

In den vergangenen Jahren wurde wegen der noch guten Arbeitsmarktchancen die Ausbildung zum Physiotherapeuten durch die Arbeitsämter gefördert und entsprechende Umschulungsmaßnahmen finanziell unterstützt. Vor diesem Hintergrund ist auch die enorme Zunahme der Anzahl von Physiotherapieschulen zu sehen, die meist in privater Trägerschaft aufgebaut wurden. So gibt es heute 247 Physiotherapieschulen in Deutschland (75 mehr als noch vor 10 Jahren), die jedes Jahr mehr als 6000 Absolventen auf den Arbeitsmarkt entlassen. In Zeiten der Gesundheitsreform erscheint nun der Arbeitsmarkt in Deutschland mit 75 000 Physiotherapeuten[7] gesättigt zu sein. Es ist zu beobachten, dass längst nicht mehr alle Absolventen sofort einen Arbeitsplatz erhalten und erstmals auch die Arbeitslosenzahlen steigen. Die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt wird lediglich durch die Tatsache abgeschwächt, dass in diesem Beruf überwiegend Frauen (ca. 85%) tätig sind, was naturgemäß eine hohe Fluktuationsrate zur Folge hat.

Aber auch die Drop-out Rate scheint in der Physiotherapie anzusteigen. In Gesprächen mit frustrierten Kollegen oder Schulabbrechern wird erkennbar, dass sich die anfängliche Berufsmotivation in der Konfrontation mit der Realität des beruflichen Handelns oft als nicht ausreichend tragfähig erweist. Die Entwicklungen im benachbarten Pflegebereich müssen nachdenklich stimmen. Nach Untersuchungen von PRÖLL und STREICH (1984) sowie VOLKMANN (1991) beabsichtigte ca. 30% des befragten Pflegepersonals ganz aus dem Berufsbereich auszusteigen[8]. Die Gründe hierfür lagen großteils im Bereich des Arbeitsmarktes und der Arbeitsbelastung. Weiterhin war zu beobachten, dass sich bereits im Laufe der Ausbildung oder bei der Konfrontation mit der Berufsrealität das Bild vom „Traumberuf“ gewandelt hat.

POLLMANN[9] zieht in Zweifel, inwieweit der Begriff „Traumberuf“ heute noch bezüglich seiner Realisierung auf dem Arbeitsmarkt Gültigkeit besitzt und stellt die interessante Frage: „Was zeichnet einen Jugendlichen aus, der trotz aller Schwierigkeiten in dieser Berufswelt an seinem individuellen Traumberuf festhält und alles daransetzt, diesen auch zu erlernen?“

In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, die Gründe einer Berufswahlentscheidung für den Beruf „Physiotherapeut“ zu erforschen, Fakten zu sammeln, die Motive in Ihrer Bedeutung einzuschätzen und den Prozess der Berufswahl nachzuvollziehen.

MAILAHN[10] - der den Berufsentscheidungsprozess von Medizinstudenten untersuchte – geht in seinem Forschungsansatz davon aus, dass die Optimierung der Tragfähigkeit einer Studien- oder Berufsentscheidung eine zentrale Aufgabe des Berufsfindungsprozesses ist. Die Faktoren, die eher allgemein-psychologische als berufsspezifische Elemente enthalten, müssten identifiziert und eingehend erforscht werden.

Aus der Sicht desjenigen, der einen Beruf wählt, ist sicherlich die Optimierung der Berufsentscheidung von entscheidender Bedeutung. Dagegen muss es aus der Sicht derjenigen, die über die Vergabe von Ausbildungsplätzen entscheiden, eine zentrale Aufgabe sein, die Optimierung des Auswahlverfahrens zu erreichen. Das Erkennen, der am besten für den Beruf geeigneten Bewerber und die Entscheidung über die Vergabe eines Ausbildungsplatzes trägt mit dazu bei, die Ausbildungsqualität zu steigern. Als Folge der Selektion kann eine Steigerung der Therapiequalität und der Behandlungseffizienz erwartet werden, die auf der einen Seite hilft, Kosten zu senken und auf der anderen Seite die Patientenzufriedenheit verbessert.

Die Frage nach der Berufsmotivation spielt aber nicht nur bei der Wahl des Berufs und beim Auswahlverfahren eine zentrale Rolle, sondern auch während der Dauer der Ausbildung und besonders auch – über die Bindung an den Beruf – im späteren beruflichen Handeln.

Während der Ausbildungsphase bildet die Berufsmotivation die Grundlage für eine dauerhafte Lernmotivation des Schülers und ist damit von zentraler Bedeutung für den Schulerfolg. Nach dem Berufseintritt sollte sich die Gewissheit, die „richtige Person am richtigen Platz“ zu sein, in einer besseren Leistung und Zufriedenheit am Arbeitsplatz niederschlagen. Mit dieser Kongruenz zwischen der Persönlichkeit und der Umwelt in der der Mensch arbeitet, beschäftigt sich die Berufswahltheorie von HOLLAND[11]. In seiner Theorie postuliert er, dass Menschen dazu neigen, den Berufen zuzustreben, in denen die Persönlichkeitseigenschaften der Person mit den Charakteristika der Arbeitsumwelt kongruent sind. Für die Analyse des Berufsentscheidungsprozesses ist es also notwendig, Informationen darüber zu erhalten, welcher Persönlichkeitstyp als typisch für einen Physiotherapeuten angesehen wird.

Aus den oben genannten Gründen ist die Beantwortung folgender Frage besonders interessant: Warum wollen junge Menschen den Beruf des Physiotherapeuten erlernen?

Diese Fragestellung wird in folgenden Schritten beantwortet:

Im zweiten Kapitel soll zunächst das Berufsbild des Physiotherapeuten beleuchtet werden. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit dem Prozess der Berufswahl. Nach einem Überblick der verschiedenen Berufswahltheorien wird insbesondere die Theorie von HOLLAND vorgestellt.

Das Kapitel vier verdeutlicht die Rolle der Berufsmotivation in den verschiedenen Phasen der beruflichen Sozialisation. Nach der Definition einiger zentraler Begriffe folgt ein Überblick über wichtige Motivationstheorien. Anschließend sollen Motive und Einflussfaktoren auf die Berufswahl – insbesondere der Einfluss der Familie – dargestellt werden. Ableitungen daraus werden zu den vier Hauptfragestellungen führen, welche im fünften Kapitel erläutert werden.

Im folgenden Methodikteil (Kapitel 6), werden die Verfahren zur Datenerhebung und Datenauswertung, die Stichprobe und der Gang der Untersuchung beschrieben. Es handelt sich dabei um eine Fragebogenstudie, die in einer Vollerhebung an einer bayerischen Physiotherapieschule durchgeführt wurde. Sie baut auf einer Primärerhebung auf, bei der im Rahmen einer Hausarbeit die gleiche Fragestellung zu untersuchen war. In einer Interviewstudie wurden damals ausgewählte Schüler und Lehrer zum Thema Berufsmotivation befragt.

In Kapitel sieben werden die Ergebnisse der Fragebogenerhebung dargestellt, interpretiert und diskutiert. Im letzten und achten Kapitel erfolgen eine Zusammenfassung des Gesamtergebnisses und ein Ausblick.[12]

2. Das Berufsbild des Physiotherapeuten

Dieses Kapitel stellt das Berufsbild des Physiotherapeuten dar. Dabei sollen zunächst die berufsspezifischen Tätigkeitsmerkmale und Aufgaben in Verbindung mit einem kurzen geschichtlichen Rückblick aufgezeigt werden. Im nächsten Abschnitt steht die Frage im Mittelpunkt, welche persönlichen Merkmalen und Qualifikationen für diesen Beruf erwartet werden. Ein Überblick über die Ausbildung zum Physiotherapeuten schließt sich an. Am Ende des Kapitels werden die berufliche Situation sowie die aktuellen Entwicklungen in der Physiotherapie beleuchtet.

2.1 Tätigkeitsmerkmale und Aufgabenbereich

Betrachtet man die Tätigkeit eines Physiotherapeuten unter dem Aspekt der geschichtlichen Entwicklung, so wird deutlich, dass die wesentlichen Merkmale des beruflichen Handelns in ihren Wurzeln bis in die Antike zurückzuverfolgen sind.

Der griechische Begriff „Physio“ bedeutet „natürlich“ und weist auf den Einsatz sowie die Verwendung von natürlichen Behandlungsmethoden hin. So werden beispielsweise mit gezielten aktiven Bewegungsübungen Muskeln gekräftigt, Gelenke mobilisiert, Körperfehlhaltungen korrigiert oder versucht das Bewegungszusammenspiel zu verbessern. Spezielle manuelle Techniken werden dabei zur Unterstützung der Behandlung eingesetzt. Eine abwechslungsreiche Gestaltung der Übungen wird über den Einsatz von Geräten wie Bällen, Stäben, Keulen oder Ringen erreicht. Zusätzlich können mit der Anwendung von thermischen und elektrischen Reizen die Durchblutung angeregt, Schmerzen gelindert bzw. Muskeln zur Kontraktion stimuliert werden. Diese mechanischen, thermischen und elektrotherapeutischen Verfahren werden zusammen mit den hydrotherapeutischen Anwendungen unter dem Begriff „Physikalische Therapie“ zusammengefasst.

Die Verwendung dieser natürlichen Behandlungsmethoden zu therapeutischen Zwecken wurde schon vor vielen Hundert Jahren praktiziert. War im antiken Griechenland unter dem Gott Äskulap die Heilkunst noch fest in den Händen der Priester, so verabreichten später ausschließlich Ärzte die „Heilgymnastik oder Heilmassage“. Mit zunehmendem Wissen und der Spezialisierung der Medizin wurde die Einführung so genannter „ärztlicher Heilhilfsberufe“ notwendig. Auf diese Weise entstanden zu Beginn des letzten Jahrhunderts neue Berufsbilder, wie der des Krankengymnasten oder des Masseurs und medizinischen Bademeisters. Aus den medizinisch angelernten und meist weiblichen „Helferinnen des Arztes“ wurden im Laufe der Zeit kompetente Partner, die zuweilen sogar als Konkurrenz betrachtet wurden.[13] Heute gehört es ganz selbstverständlich zu den Aufgaben eines Physiotherapeuten (die Berufsbezeichnung „Krankengymnast“ wurde mit der Novellierung des Berufgesetzes 1994 durch die international übliche Bezeichnung „Physiotherapeut“ ersetzt), dass er für seinen Patienten eigenverantwortlich einen Behandlungsplan erstellt und umsetzt. Die Verordnung und Überwachung der Therapie ist jedoch immer noch ausschließlich dem Arzt vorbehalten.

Die Physiotherapie wird in fast allen Bereichen der Medizin eingesetzt. Sie beeinflusst mit der Behandlung „die Funktionen des Bewegungssystems und der inneren Organe, die Bewegungsentwicklung und Bewegungskontrolle sowie das Verhalten und Erleben des Patienten. Die Physiotherapie soll Funktionsstörungen abbauen oder kompensieren und Sekundärschäden vorbeugen. Ziel ist die vollständige Genesung oder eine weitestgehend selbstbestimmte Lebensführung des kranken oder behinderten Menschen. Können Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nicht erreicht werden, berät der Physiotherapeut den Patienten, die Angehörigen oder andere Bezugspersonen und schult sie für die notwendigen Hilfestellungen.“[14]

Der ständige Fortschritt der Medizin führte zu einer kontinuierlichen Verbesserung und Verfeinerung der Behandlungsmethoden, die sich bis heute weiterentwickeln. So gehört es nach der Berufsordnung zu den Pflichten eines Physiotherapeuten, dass er durch regelmäßige Fortbildung seine fachliche und therapeutisch-kommunikative Kompetenz aktualisiert und erweitert. Diese gestiegenen Anforderungen an Theorie und Praxis physiotherapeutischen Handelns erfordern auf der einen Seite eine fortwährende Verbesserung der Qualifizierung – bis hin zur Akademisierung. Auf der anderen Seite eröffnen sich gerade dadurch neue und interessante Tätigkeitsfelder.

2.2 Persönliche Merkmale und Qualifikationen

Die anspruchsvollen Tätigkeiten und Aufgaben eines Physiotherapeuten verdeutlichen, welche besonderen Anforderungen an eine Fachkraft im Gesundheitswesen gestellt werden. Auf die besondere Problematik der helfenden Berufe, soll hier nicht näher eingegangen werden. Als berufstypisch gilt beispielsweise das „Burnout-Syndrom“, das in Folge chronischer und lang anhaltender emotionaler Erschöpfungszustände auftreten kann.[15] Besonders in den Pflegeberufen können eine Reihe von Faktoren, wie arbeitsbedingte Stresszustände oder die Konfrontation mit Krankheit, Leid und Tod zu besonderen zwischenmenschlichen und emotionalen Belastungen führen. Auch ein Physiotherapeut kann – je nach Arbeitsgebiet – solchen Belastungen ausgesetzt sein.

Um den fachspezifischen Anforderungen zu genügen, sollte sich jeder, der im medizinischen Bereich tätig ist, zunächst praktisches Können in seinem Beruf aneignen. Daneben „ist meist ein umfangreiches theoretisches Wissen zu erwerben und aktuell zu halten. Lernfähigkeit, ein gutes Gedächtnis und Interesse für medizinische und naturwissenschaftliche Fragen müssen deshalb vorhanden sein. An erster Stelle sollte jedoch der Wille stehen, Menschen zu helfen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen.“[16]

Eine Arbeitsgruppe im Auftrag der Schulleiterkonferenz der Schweizerischen Schulen für Physiotherapie untersuchte speziell die Anforderungen für den Beruf des Physiotherapeuten und ermittelte fünf wesentliche Schlüsselqualifikationen[17]:

1. Interaktionsfähigkeit
2. Lernfähigkeit
3. Problemlösefähigkeit
4. Selbstständigkeit im professionellen Handeln
5. Ressourcenmanagement

Aus jeder dieser Schlüsselqualifikationen lassen sich wichtige Eigenschaften und Fähigkeiten für den späteren Beruf ableiten. Die Berufsqualifikationen wurden folgendermaßen zugeordnet:

1. Fähigkeit zum Wechseln der sozialen Rollen, Wahrnehmungs-, Durchsetzungs-, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit
2. Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, Flexibilität, Transfer- und Reflexionsfähigkeit, Fähigkeit zum Erschließen von Informationsquellen
3. Fähigkeit zum analytischen Denken, Urteils-, Entscheidungs-, Reflexionsfähigkeit
4. Fähigkeit zum Qualitätsmanagement, zum ökonomischen Handeln, zur sozialen Sensibilität und die Fähigkeit zum Wahrnehmen der therapeutischen Rolle
5. Fähigkeit zur Ausdauer bei Über- oder Unterforderung, Belastungs-, Leistungs-, Wahrnehmungsfähigkeit, Flexibilität, Kreativität.

Das übergeordnete Ausbildungsziel liegt dabei im Erreichen einer Handlungs-kompetenz in allen Berufsfeldern: sowohl im eigentlichen therapeutischen Handeln, als auch im therapeutischen, medizinischen und gesellschaftlichen Umfeld.

Dieser komplexe Anspruch – der an einen Physiotherapeuten während der Ausbildung und im Berufsfeld gestellt wird – erfordert eine moderne Berufsausbildung, die ziel- und inhaltsorientiert an diesen Schlüsselqualifikationen ausgerichtet sein sollte.

Auch von anderer Seite werden an den zukünftigen Physiotherapeuten besondere Anforderungen gestellt. Vom Gesetzgeber[18] wird neben der Vollendung des 17. Lebens-jahres sowie der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des Berufs mindestens ein mittlerer Bildungsabschluss vorausgesetzt.

Tatsächlich haben aber, nach einer Berufsstandanalyse des Zentralverbandes der Krankengymnasten ZVK aus dem Jahre 1996, mehr als die Hälfte der staatlich anerkannten Physiotherapeuten Abitur und sehen in ihrer Ausbildung eine Alternative zu einem Hochschulstudium.[19]

Neben diesen kognitiven Voraussetzungen, die sicherlich ein gewisses Niveau erreichen sollten, erfordert die berufliche Tätigkeit auch eine besondere körperliche Eignung. Für den Gesetzgeber ist der Antrag auf Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut“ nur dann zu verweigern, wenn der Antragsteller „wegen eines körperlichen Gebrechens, wegen Schwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen Sucht zur Ausübung des Berufs unfähig oder ungeeignet ist.“[20] Die Auswahlkriterien der Berufsfachschulen stellen dagegen viel höhere Anforderungen. Bei der Vielzahl der Bewerber haben diejenigen höhere Chancen einen Ausbildungsplatz zu erhalten, die den körperlichen (und auch seelischen) Belastungen des Berufs am besten gewachsen erscheinen. So werden unter anderem die Kraft, Ausdauer, Koordination, Körper-haltung, Beweglichkeit und Belastbarkeit der Bewerber kritisch beurteilt.

Keine Vorgabe zur Berufseignung wird vom Gesetzgeber hinsichtlich der persönlichen Eigenschaften gemacht. Der Antragsteller sollte sich lediglich keines Verhaltens schuldig machen, aus dem sich „die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt“. So versuchen sich die Schulen bei der Auswahl selbst ein Bild davon zu machen, ob der Bewerber wichtige Grundvoraussetzungen, wie zum Beispiel Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme, Teamfähigkeit oder Kreativität mitbringt. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach der Berufsmotivation eine wichtige Rolle spielen.

2.3 Die Ausbildung

Die Ausbildung zum Physiotherapeuten ist bundesweit einheitlich geregelt. Sie dauert drei Jahre und findet in schulischer Ausbildung an Berufsfachschulen statt. Das Berufsgesetz und die entsprechende Ausbildungs- und Prüfungsverordnung wurden zuletzt im Jahre 1994 geändert und novelliert. Der theoretische und praktische Unterricht umfasst demnach mindestens 2900 Stunden und eine praktische Ausbildung von 1600 Stunden, so dass sich eine Gesamtstundenzahl von 4500 ergibt. Den Lehrplänen liegt folgende Stundentafel[21] zugrunde: (Tabelle 1)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Stundenverteilung in der Physiotherapieausbildung

Die Praktische Ausbildung mit insgesamt 1600 Stunden wird in Krankenhäusern oder anderen geeigneten medizinischen Einrichtungen abgeleistet. Die Verteilung der Stundenzahlen auf die Schuljahre und die Fachgebiete Chirurgie, Innere Medizin, Orthopädie, Neurologie, Pädiatrie, Psychiatrie sowie Gynäkologie liegt in der Verantwortung der Schule. Die praktische Ausbildung erfolgt erst ab dem zweiten Halbjahr des ersten Schuljahres.

Die unterrichtenden Lehrkräfte setzen sich aus einer Anzahl nebenamtlicher Dozenten (z.B. Ärzte, Psychologen, Sozialpädagogen) und einigen hauptamtlichen Fachlehr-kräften zusammen. Hierbei handelt es sich in der Regel um erfahrene Physiotherapeuten, die berufsbegleitend eine pädagogische Zusatzqualifizierung erworben haben. Eine einheitliche Lehrerausbildung für die Physiotherapie gibt es bislang nicht. Die Genehmigung zur Erlaubnis der Unterrichtstätigkeit liegt in der Verantwortung der zuständigen Schulaufsichtsbehörden.

Das Ausbildungsziel wird im § 8 des Berufsgesetz wie folgt definiert:

„Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu befähigen, durch Anwendung geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen.“[22]

Wie eingangs erwähnt gibt es zurzeit 247 Physiotherapieschulen in Deutschland[23], von denen die Mehrzahl in privater Trägerschaft betrieben werden. Diese Privatschulen verlangen in der Regel ein monatliches Schulgeld, das von 40 bis 500 Euro variieren kann. Hierbei ist ein deutliches West-Ost-Gefälle zu beobachten, da in den neuen Bundesländern das monatliche Schulgeld deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von etwa 300 Euro liegt. Als Konsequenz daraus ist der Andrang vor allem an den ca. 40 schulgeldfreien Schulen entsprechend groß, was meist über bestimmte schuleigene Aufnahmekriterien, Wartezeiten oder die Durchführung von Auswahlverfahren geregelt wird.

2.4 Berufliche Situation

Wenn man die Zahlen des Statistischen Bundesamtes[24] vom Jahr 2003 zugrunde legt, arbeiteten in Deutschland 75000 Physiotherapeuten. In ambulanten Einrichtungen wurden 33000 Physiotherapeuten gezählt, davon 29000 in Praxen. Etwa 34000 Kollegen waren in stationären oder teilstationären Einrichtungen tätig. In Krankenhäusern wurden 16446 Physiotherapeuten beschäftigt, darunter 5995 in Teilzeit. Bei Vorsorge- oder Rehaeinrichtungen standen 8751 Physiotherapeuten unter Vertrag, von denen 2235 teilzeitbeschäftigt waren. Im zweiten Halbjahr 2003 hatten sich 3323 Krankengymnasten arbeitslos gemeldet. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind vielfältig. Neben den oben genannten Einrichtungen bieten auch Einrichtungen für behinderte Menschen und der Altenpflege, Sportvereine, betriebsärztliche Abteilungen größerer Firmen, die Fitness- und Wellnessbranche usw. Arbeitsmöglichkeiten an.

Die Verdienstmöglichkeiten im öffentlichen Dienst werden nach dem Bundes-angestelltentarif BAT geregelt. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach der Berufserfahrung, den Altersstufen und den ausgeübten Tätigkeitsmerkmalen. So erhält beispielsweise ein Berufsanfänger die Vergütungsgruppe VII, eine Leitende Lehrkraft dagegen wird nach BAT IVa bezahlt. Bei tariflich nicht gebundenen Arbeitgebern ist die Höhe der Vergütung frei verhandelbar und richtet sich auch nach den fachlichen Qualifikationen des Arbeitnehmers.

Neben den Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf gibt es gerade im Bereich der Physiotherapie unzählige Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Einige davon berechtigen nach bestandener Prüfung dazu, gegenüber den Krankenkassen für bestimmte Leistungen eine höhere Vergütung abzurechnen. Zu diesen anerkannten Weiterbildungen, die meist relativ teuer und langdauernd sind, gehören z.B.: Krankengymnastik nach Bobath, Vojta, PNF, Manuelle Therapie, Manuelle Lymphdrainage und Gerätegestützte Krankengymnastik.

Die Beschäftigungsaussichten haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Die Physiotherapie gehört jedoch nach wie vor zu den Arbeitsgebieten, die nur eine relativ geringe Arbeitslosenquote aufweisen. Bei entsprechender Flexibilität des Arbeitssuchenden finden sich bundesweit noch genügend Stellen. Allerdings sind die Auswirkungen des Gesetzes zur Modernisierung im Gesundheitssystem (GMG) noch nicht absehbar und vor allem die selbstständigen Kollegen klagen über deutliche Umsatzeinbußen. Der harte Sparkurs der Krankenhäuser führt zu Streichungen von Planstellen, Out-sourcing von Physikalischen Abteilungen und Privatisierungen ganzer Kliniken.

Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn und dem internationalen Ausland ging Deutschland mit seiner Berufsfachschulausbildung bislang einen Sonderweg. Während fast überall der Beruf des Physiotherapeuten auf Fachhochschul- oder Hochschulniveau angesiedelt ist, gibt es hierfür in Deutschland nicht-akademische Berufsfachschulen. Die Erkenntnis, dass hier Anschluss gefunden werden muss, um die gestiegenen Qualifikationsanforderungen in der Physiotherapie zu erfüllen, führte besonders in den letzten Jahren zu einem dynamisch voranschreitenden Prozess der Akademisierung. Zurzeit gibt es in Deutschland 14 Studiengänge für Physiotherapeuten.[25]

Diese Entwicklungen und Professionalisierungstendenzen werden zu weitreichenden Veränderungen im Berufsfeld der Physiotherapie führen. Wie der Arbeitsmarkt auf das Angebot akademisch ausgebildeter Physiotherapeuten reagieren wird, bleibt abzuwarten.

3. Die Berufswahl

Im folgenden Kapitel wird der Prozess der Berufswahl dargestellt. Zunächst sollen einige zentrale Begriffe geklärt und die lebensgeschichtliche Bedeutung dieser Entscheidung hervorgehoben werden. Anschließend wird der Verlauf des Berufswahlprozesses untersucht und mögliche Einflussfaktoren aufgezeigt. Ein Überblick über die verschiedenen Theorien der Berufswahl schließt sich an. Besondere Beachtung erfährt hierbei die Berufswahltheorie von HOLLAND[26], auf dessen Modell ein Großteil dieser Untersuchung basiert.

3.1 Bedeutung der Berufswahl

In der Berufswahlforschung gibt es sehr unterschiedliche Theorieansätze und Analysen. Einigkeit besteht jedoch über die Bedeutung der Berufswahlentscheidung. Die folgende Aussage von WEINERT[27] verdeutlicht die Auswirkungen einer gelungenen Berufswahl für die Zufriedenheit im Leben eines Menschen:

„Vielmehr ist die Ausübung eines Berufs für die meisten von uns ein ganz zentraler Aspekt des persönlichen Lebens, er ist Ausdruck des Selbstkonzepts, er ist Quelle des persönlichen Selbstwertgefühls und der Selbstwertschätzung. Die beobachtbare Wirkung längerer Arbeitslosigkeit belegt diesen Aspekt.“

Hier wird deutlich, dass die berufliche Tätigkeit weit mehr bedeuten kann, als nur „das Zusammenwirken von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten um sich dadurch in die Volkswirtschaft einzugliedern.“[28] Auch SEIFERT spricht von der Arbeit als „zentralen Lebenswert“, der die gesamte übrige Lebensaktivität mehr oder weniger strukturiert.[29]

Das Bild des Jugendlichen von einem bestimmten Beruf bezieht sich dagegen in viel Fällen nur auf die auszuübende Tätigkeit, also – die eigentliche Arbeit. Der Begriff „Berufsbild“ beinhaltet aber weitaus mehr: Die „Darstellung aller wichtigen Merkmale eines bestimmten Berufs sowie aller ihn betroffenen wissenswerten Tatsachen, wie Eignungsanforderungen, Ausbildungsgang, Aufstiegsmöglichkeiten, Lage am Arbeits-markt, rechtliche Stellung, Geschichte, u.a.m.“[30] Die Wahl eines Berufes ist vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für die spätere Lebenszufriedenheit eine schwierige und weitreichende Entscheidung für den Jugendlichen, die vor allem Informiertheit und Reife voraussetzt.

Als Kriterien dieser so genannten „Berufswahlreife“ eines jungen Menschen gelten das Vorhandensein von: einer positiven, längerfristigen Zeitperspektive, planvoller Ziel-strebigkeit, Ichstärke, Eigenverantwortung, Informiertheit, von ausgeprägten Interessen, selbstständigem und ausgeprägtem Arbeitsverhalten, Bewusstsein der eigenen funktionalen Stärken und einem entwickeltem Selbstkonzept, d.h. einem bestimmten Bild, das jeder von sich selber hat.[31]

Eine Steigerung des Niveaus der Berufswahlreife hat für POLLMANN[32] weitreichende Konsequenzen: „Je höher das Niveau der Berufswahlreife, desto stabiler ist einerseits die Laufbahnplanung (...) und umso stärker ist andererseits die persönliche Bindung an den gewählten Beruf. Damit im direkten Zusammenhang steht auch eine höhere Berufszufriedenheit und in weiterer Folge auch ein gesteigerter Berufserfolg.“

Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die Berufswahl und die dafür nötige Berufswahlreife zwar das entscheidende Kennzeichen der jugendlichen Identitätsbildung, kommt aber andererseits häufig zu früh. Wenn man davon ausgeht, dass eine rationale Berufswahl von einem Individuum erst dann getroffen werden kann, wenn dieses eine „Ich–Identität“ aufgebaut hat, ist der Zeitpunkt der Berufswahl mit ca. 16 Jahren verfrüht. In diesem Alter besitzt ein Jugendlicher erst die so genannte „Rollenidentität“ (Rolle eines Familienmitglieds). Gerade die Adoleszenz ist gekennzeichnet von den Bemühungen, die Rollenidentität durch die Ich-Identität abzulösen, was erst später erreicht wird. Wenn statt milieukonformer Entscheidungen die Berufswahl als ein Akt freier Selbstbestimmung des Wählenden verstanden werden soll, kommt sie gemessen am Selbstkonzept zu früh.[33]

Sicherlich können in diesem Alter die Entscheidungen bezüglich der Berufswahl die künftigen Wahlmöglichkeiten im Leben entscheidend beeinflussen. Jedoch sollte man die berufliche Identität – wie alle Aspekte der Identität – im Kontext des gesamten Lebenszyklus betrachten. Die Berufswahl ist keine Entscheidung, die einmal getroffen wurde und weiterhin gilt. „Eher handelt es sich um einen vorsichtigen ersten Schritt zu einem lebenslangen Prozess der mehrere Arbeitsplatzwechsel, Phasen der Arbeitslosigkeit oder Umschulung oder gar Berufswechsel beinhalten kann.“[34]

3.2 Verlauf der Berufswahl

Die Wahl des Berufes ist also eine wichtige, aber nicht unveränderbare Entscheidung. Sie hat weitreichende – oft nicht bewusste Folgen – für das zukünftige Leben und muss in einem Alter getroffen werden, in dem häufig die nötige Entscheidungsfähigkeit fehlt.

Dies ist sicherlich eine schwierige Aufgabe, die für den Jugendlichen allein eine Überforderung bedeuten kann und in der Regel die Unterstützung durch das soziale Umfeld oder durch Fachkräfte erfordert.

GERHARD[35] konnte in einer Studie nachweisen, dass bessere Entscheidungen getroffen werden, wenn die Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen durch entsprechende Beratung erhöht wurde. Für BEINKE[36] ist die soziale Herkunft bei der Berufswahl entscheidend. Er sieht in der Unterstützung durch die Familie den wichtigsten Faktor im Prozess der beruflichen und vorberuflichen Sozialisation. Dieser Aspekt wird in Kapitel vier eingehender dargestellt. Aber auch andere Bezugsgruppen, wie z.B. die der gleichaltrigen „Peer Groups“, beeinflussen den Jugendlichen in seiner Entscheidung.

So finden sich demnach eine Vielzahl von Einflussfaktoren und Determinanten, die eine Rolle bei der Berufswahl spielen können. Neben den sozioökonomischen Faktoren kommt auch den persönlichen Determinanten eine besondere Bedeutung zu. Auf der einen Seite sind bestimmte kognitive Voraussetzungen wie Intelligenz, Fähigkeiten usw. erforderlich. Auf der anderen Seite stehen die affektiven Determinanten: Welche Bedürfnisse, Interessen, Einstellungen oder Werthaltungen hat der jugendliche Berufswähler überhaupt?

Diese Frage untersuchten SATERDAG und STEGMANN[37], als sie 1980 ca. 46000 Jugendliche am Ende der 9. Klasse allgemein bildender Schulen nach ihren beruflichen Wertorientierungen befragten.

Bei der Auswertung – hinsichtlich der Einstufungen der einzelnen Merkmale als „sehr wichtig“ – ergab sich folgende Rangfolge:

1. einen sicheren Arbeitsplatz haben (87% bzw. 85%)
2. gut mit Vorgesetzten und Kollegen auskommen (75% bzw. 81%)
3. durch Leistung und Weiterbildung vorankommen können (57% / 51%)
4. außerhalb des Berufs ein angenehmes Leben führen können (51% / 44%)
5. nicht immer dasselbe tun müssen (40% / 41%)
6. beruflich mit Mensch zu tun haben (24% / 43%)
7. anderen Menschen helfen (25% / 41%)
8. selbstständig entscheiden, wie die Arbeit gemacht wird (26% / 20%)
9. recht viel Geld verdienen (28% / 16%)
10. durch den Beruf ein hohes Ansehen bei Freunden und Bekannten haben (9% /5%)
11. sich bei der Arbeit nicht schmutzig machen (2% / 3%)

Die Reihung der Merkmale lässt erkennen, dass für die Neuntklässler die Arbeitsplatzsicherheit und das soziale Klima am Arbeitsplatz mit Abstand die wichtigsten beruflichen Werte sind.

HEUBLEIN und SOMMER[38] befragten im Wintersemester 1998/1999 etwa 9000 Studienanfänger zu ihren Lebensorientierungen und Studienmotiven. Sie kamen dabei zu folgendem Resümee:

„Kennzeichnend für die Wertehierarchie der heutigen Studienanfänger ist ihr Streben nach einem unabhängigen, selbstständigen Leben in fester Partnerschaft. Viele haben vor, eine Familie zu gründen. Die Studierenden sind leistungsbereit, sie wollen etwas aus ihrem Leben machen, Erfolg haben und kreativ sein. Für viele heißt das auch, zu einem anerkannten Fachmann im Beruf zu werden. Die Mehrzahl von ihnen ist dabei bereit, Hilfsbedürftige zu unterstützen, auch unaufgefordert. Allerdings soll der Lebensgenuss nicht zu kurz kommen. Die Studienanfänger wollen die Freuden des Lebens voll genießen. Weitere hedonistische Orientierungen wie auch das Erreichen hoher materieller Ziele gehören zu den Zukunftsvorstellungen einer größeren, aber dennoch schon begrenzten Zahl von Studienanfängern. Nur eine Minderheit von ihnen ist zu einem weitergehenden sozialen oder gesellschaftlichen Engagement bereit.“

Wie zu erkennen ist, sind in beiden Gruppen – welche sich durch Alter und Bildungsstand unterscheiden – jeweils andere oder gleiche, aber anders gewichtete Wert- oder Lebensorientierungen von Bedeutung. Diese unterschiedlichen affektiven aber auch kognitiven Determinanten werden sich auf das berufliche Selbstkonzept auswirken und damit die Berufswahlentscheidung maßgeblich beeinflussen.

Die Komplexität der Phänomene und Prozesse der Berufswahl sowie der beruflichen Entwicklung versuchte SEIFERT in einem allgemeinen Rahmenmodell zu veranschaulichen:[39] (Abbildung 1)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Determinanten der Berufswahl (SEIFERT 1992, S. 189)

In ähnlicher, aber verkürzter Form lässt sich der „richtige“ Verlauf einer Berufswahl nach EGLOFF in folgende fünf Schritte gliedern:[40]

[...]


[1] Seifert, K.H.: Berufswahl und Laufbahnentwicklung in: Angewandte Psychologie: ein Lehrbuch / hrsg. v. Frey D., Weinheim: Psychologie Verlag, 1992, S. 188

[2] Vgl. Zimbardo, P.: Psychologie, 5.Aufl., Berlin / Heidelberg: Springer Verlag, 1992, S. 92

[3] Vgl. Zimbardo, P.: a.a.O., S. 96

[4] Vgl. Pracht, A.: Betriebswirtschaftslehre für das Sozialwesen, Weinheim und München: Juventa Verlag, 2002, S. 26-29

[5] Im folgenden Text werden bei Personenbezeichnungen wegen der besseren Lesbarkeit grundsätzlich nur die männlichen Personen genannt; sie werden als Gattungsbegriffe verstanden, die stets auch die entsprechenden weiblichen Personen einschließen.

[6] Vgl. Seidel, D.: Interviewstudie als Instrument der Primärerhebung zur Untersuchung der Berufsmotivation angehender Physio-therapeuten durchgeführt mit ausgewählten Schülern und Lehrern, Leipzig: Fachhochschule Nordhessen, 2005 (Hausarbeit)

[7] protokoll://www.zvk.org.de/ Berufsbild_Zahlen, Daten, Fakten vom 08.06.05

[8] Albert, M.: Krankenpflege auf dem Weg zur Professionalisierung, Freiburg: Pädagogische Hochschule, 1998 (Diss.) , S. 19

[9] Pollmann, T.: Beruf oder Berufung?: Zum Berufswahlverhalten von Pflichtschulabgängern, in: Europäische Hochschulschriften: Reihe 6, Psychologie, Bd. 415, Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang GmbH, 1993, S. 10-11

[10] Maillahn, J.: Die Bedeutung medizin-unspezifischer Faktoren innerhalb des Berufsentscheidungsprozesses von Medizinstudenten, Bonn: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, 1987 (Diss. Univ. Bonn), S. 272

[11] Holland, J.L.: Making vocational choices: A theory of working personalities and work environments, Odessa: Psychological Assessment Resources, Inc., 1997

[12] In dieser Arbeit wird bewusst auf das übliche Verfahren verzichtet, die Tabellen und Grafiken in den Anhang zu stellen. Die direkte Zuordnung der entsprechenden Darstellungen im Text erleichtert das Verständnis und verbessert die Lesbarkeit. Folglich ergibt sich bei der Bearbeitung des Themas ein umfangreicherer Textteil.

[13] Vgl. Hüter-Becker, A.: Heilgymnastin: Ein Frauenberuf- feministisch betrachtet, in: Krankengymnastik, 2/2001, S. 276

[14] protokoll:// www.zvk.org.de/ Berufsbild_Berufsordnung vom 18.06.05

[15] Vgl. Humburg, S.: Mitarbeitermotivation im Krankenhaus, in: Schriftenreihe zur angewandten Sozialpsychologie, hrsg.v.

Bergler, R., Köln, Deutscher Instituts-Verlag, 2001, S. 90-95

[16] Beruf aktuell: hrsg. v. Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Ausgabe 2004/2005, S. 548

[17] Köhler, B.: Berufsqualifikationen Physiotherapie, in: Krankengymnastik, 9/2001, S. 17-21

[18] Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie vom 26. Mai 1994, § 10

[19] Berufstandanalyse-ein Resümee, in: Krankengymnasten / Physiotherapeuten: Mitteilungen des Landesverbandes Bayern, Nr. 3., 9/1998, S. 25

[20] Berufsgesetz: a.a.O., § 2.1

[21] Lehrpläne für die Berufsfachschule für Physiotherapie, hrsg. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, München, 1997, S. 3

[22] Berufsgesetz: a.a.O., § 8

[23] Mitteilungen des Zentralverbandes der Krankengymnasten: Schulen für Physiotherapie (Stand 1/2005)

[24] protokoll:// www.zvk.org.de/ Berufsbild_Zahlen, Daten, Fakten vom 08.06.05

[25] protokoll://www.zvk.org.de/ Berufsbild_Studium_Studiengänge für Physiotherapie vom 19.06.05 (Stand: 10.05.2005)

[26] Vgl. Holland, J. L.: a.a.O.

[27] Weinert, A.: Die Rolle der Persönlichkeit in Berufswahl und Spezialisierung, aufgezeigt am Beispiel des Krankenpflegeberufs, in: Die Schwester / Der Pfleger, 4/1984, S. 289

[28] Vgl. Pollmann, T: a.a.O., S. 13

[29] Vgl. Seifert, K.H.: a.a.O., S. 188

[30] Dorsch, F.: Psychologisches Wörterbuch, 10. neubearbeitete Auflage, Bern, H. Huber Verlag, 1982, S. 91

[31] Vgl. Allehoff, W.: Berufswahl und berufliche Interessen, Göttingen / Toronto / Zürich: Verlag für Psychologie,1985, S. 40

[32] Pollmann, T.: a.a.O., S. 19

[33] Vgl. Allehoff, W.: a.a.O., S. 39

[34] Zimbardo, P.: a.a.O., S. 92

[35] Vgl. Gerhard, P.: Entscheidungshilfen im Studien- und Berufswahlprozess, Frankfurt am Main, Verlag P. Lang GmbH, 1984

[36] Beinke, L.: Elterneinfluß auf die Berufswahl, Bad Honnef: Bock Verlag, 2000, S. 124-133

[37] Seifert, K.H.: Die Bedeutung der Beschäftigungsaussichten im Rahmen des Berufswahlprozesses, in: Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Band: Beitr. AB 67, Nürnberg: Graphische Betriebe F. Willmy, 1982, S. 6-7

[38] Heublein, U. / Sommer D.: Lebensorientierungen und Studienmotivation von Studienanfängern, in: Hochschul-Informations-System, A5 /2000, Hannover, 2000, S. 34

[39] Seifert, K.H.: 1992, a.a.O., S.189

[40] Vgl. Pollmann, T: a.a.O, S. 38

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Die Berufsmotivation angehender Physiotherapeuten
Untertitel
Ergebnisse einer qualitativen und quantitativen Studie
Hochschule
DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen; Abt. Leipzig
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
106
Katalognummer
V67149
ISBN (eBook)
9783638585323
ISBN (Buch)
9783656807018
Dateigröße
1144 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese qualitative und quantitative Studie untersucht die Berufsmotivation angehender Physiotherapeuten. Die Schwerpunkte des theoretischen Teils der Arbeit sind: Das Berufsbild des Physiotherapeuten - Die Berufswahl (Berufswahltheorie von HOLLAND)- Die Berufsmotivation. Folgende Untersuchungsziele werden abgeleitet: Ermittlung des Verlaufs des Berufswahl- prozesses, von Motiven der Berufswahl, typischer Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten sowie von Erfahrungen während der Ausbildung(n=86)
Schlagworte
Berufsmotivation, Physiotherapeuten, Ergebnisse, Studie
Arbeit zitieren
Dipl.-PT (FH) Detlef Seidel (Autor:in), 2005, Die Berufsmotivation angehender Physiotherapeuten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67149

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