Kulturlandschaft, Landwirtschaft, Mensch. Das Konzept der Sozialarbeit im Landschaftspflege- und Gärtnerhof Marbachstal Kassel


Diplomarbeit, 2001

102 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Der Landschaftspflege- und Gärtnerhof Marbachstal
1.1. Lage, Örtliche Bedingungen
1.2. Flächenbezogene Nutzungsziele
1.3. Biologisch-dynamische Erwerbslandwirtschaft

2. Schaffung eines Arbeits- und Beschäftigungsangebotes
2.1. Die Rolle der Arbeit im Leben des Menschen
2.2. Arbeit und Beschäftigung in verschiedenen Kontexten
2.2.1. Arbeit und Beschäftigung
2.2.2. Erwerbsarbeit
2.2.3. Arbeit im Kontext von Therapie und Erziehung
2.2.4. Freiwilligenarbeit
2.3. Arbeitslosigkeit
2.3.1. Ursachen und Auswirkungen
2.3.1. Ein historisches Programm gegen die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit
2.4. Untersuchung der Arbeitsfaktoren unter therapeutischen Gesichtspunkten
2.4.1. Die Wirkung menschlicher Arbeit
2.4.2. Arbeit und Beschäftigung im Bereich der Landwirtschaft.
2.4.3. Arbeit mit Tieren
2.4.4. Arbeit mit Erde und Pflanzen
2.4.5. Kreative und künstlerische Arbeit

3. Resümee

Quellenverzeichnis

Einleitung

Der ehemalige Standort der Hindenburgkaserne im Kasseler Westen ist seit dem Abzug der Bundeswehr Schauplatz einer umfangreichen Neu­gestaltung geworden. Auf dem Konversionsgelände zwischen den Stadt­teilen Helleböhn und Wilhelmshöhe wächst der neue Stadtteil Mar­bachshöhe, der seinen Namen aus dem im Tal gelegenen Marbach ablei­tet.

Das Bild des neuen Stadtteils wird geprägt durch zahlreiche zum Teil recht eigenwillige Neubauten, Energiesparhäuser sowie erhaltene Bau­ten der Kaserne. Bei der Straßenführung dominieren verkehrsberuhigte Zonen mit zahlreichen Bäumen, Hecken und Grünflächen.

Innerhalb kurzer Zeit siedelten sich zahlreiche neue Wirtschaftsbetriebe, z.B. das Technologie- und Gründerzentrum, verschiedene Handwerksbe­triebe, Künstler und Kulturinitiativen, wie z.B. der Kinder- und Jugend­zirkus Rambazotti in der Marbachshöhe an.

In einem ehemaligen Offizierswohnheim, das inzwischen baulich verän­dert wurde, entstand das Gesundheitszentrum Marbachshöhe, dem Zentrum und Ausgangspunkt der Initiative Landwirtschaft, Gesundheit, Neue Arbeit und Kultur. Diese Initiative hat sich zur Aufgabe gemacht, durch ein Netzwerk verschiedener Arbeits- und Lebensbereiche „dem Menschen und der Natur Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung und Entwick­lung zu geben".

Auf der Grundlage des anthroposophischen Menschen- und Naturver­ständnisses sollen Konzepte für eine umfassende Gesundheitsprophylaxe für Mensch und Natur umgesetzt werden. Einige Projekte sind bereits realisiert, andere befinden sich noch in der Planungsphase.

Eines der sich in Planung befindenden Projekte ist der Landschaftspflege- und Gä rtnerhof Marbachstal.

Der Hof, dessen Leitbild ein „gesundes Gleichgewicht zwischen Kultur­landschaft, Landwirtschaft und Mensch" ist, soll im Marbachstal entste­hen. Dort soll neben einer wirtschaftlich arbeitenden biologisch­dynamischen Landwirtschaft auch eine Erlebnislandwirtschaft entstehen und der Hof als gesunder sozialer Organismus zum Ort einer integrativen sozialen Arbeit werden.

Ein wichtiger Aspekt bei der Erweiterung des landwirtschaftlichen Hofes zu einem Ort sozialer Arbeit ist der hohe Arbeitsaufwand, der bei biolo­gisch-dynamischer Bewirtschaftung notwendig ist. Der hohe Bedarf an Arbeitskräften steht der steigenden Zahl von Arbeitslosen, (Früh-) Rent­nern oder aus anderen Gründen beschäftigungslosen Personen gegen­über. Ergänzend und in zunehmendem Maße an Bedeutung gewinnend muss auch die Zahl derer angeführt werden, die zwar eine Beschäftigung haben, aber von dieser nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgefüllt werden und nach einer ergänzenden Tätigkeit suchen. Daneben haben Arbeit und Beschäftigung eine wichtige Funktion in der Begleitung von Thera­pien und Heilungsprozessen.

Vor diesem Hintergrund und im Kontext der zugehörigen Projekte soll im Rahmen des geplanten Landschaftspflege- und Gärtnerhofes ein sinn­volles Arbeits- und Beschäftigungsangebot errichtet werden. Neben der Landwirtschaft soll die Kunst einen wichtigen Platz in diesem Angebot einnehmen, welches sowohl therapeutischen Nutzen haben als auch einer prophylaktischen Gesundheitspflege dienen soll. In dem Projekt sollen Elemente aus therapeutischen Bereichen in ein Arbeitsangebot einfließen, das sowohl Gesunde als auch Kranke anspricht, demnach kei­ner „künstlichen" therapeutischen Situation entspricht.

Das Konzept des Arbeitsangebotes, das für den Hof im Marbachstal entwickelt wurde, bezieht entscheidende Elemente und Erfahrungen aus dem Beschäftigungsprojekt mit ein, das im Umfeld des Gesundheitszent­rums Marbachshöhe stattfindet. Das Gesundheitszentrum ist umgeben von einem großen Blumen- und Heilpflanzengarten. Schon seit Bestehen des Gesundheitszentrums halfen regelmäßig einige Patienten unter An­leitung der Gärtnerin bei der Gartenpflege. Im Rahmen eines sozialpä­dagogischen Praktikums, das ich im Mai 2000 dort begann, sollte diese Arbeit auf Patienten und Menschen mit stärkeren psychischen oder sozi­alen Problemen ausgeweitet werden. Hintergrund war die Feststellung, dass viele dieser Menschen oft keine sinnvolle Aufgabe hatten, ihre Frei­zeit nicht befriedigend gestalten konnten und sich ihnen ohne Unter­stützung wahrscheinlich kein Ausweg aus ihrer Situation bieten könnte. Die regelmäßige Einbindung in die Arbeit im Gartenbereich des Gesund­heitszentrums sollte diese Situation verändern. Dabei lag ein Schwer­punkt in der Ausübung sinnvoller Tätigkeiten, deren Nutzen unmittelbar erfahrbar ist. Die Menschen sollten erleben, dass ihre Arbeit von existen­ziellem Nutzen für die Kreisläufe im Garten sind, sie gebraucht werden und selbst etwas bewegen können. Als Ergänzung zu der Arbeit im Gar­ten wurden einige Tiere angeschafft, die in die Arbeit mit einbezogen wurden. Zum einen mussten die Tiere versorgt werden, zum anderen mussten Ställe und Gehege gebaut werden. Diese Ergänzung erwies sich als sehr sinnvoll, da einige Personen keine Freunde der Gartenarbeit wa­ren und sich lieber handwerklich betätigten.

Einige der Teilnehmer wurden zusätzlich im Gesundheitszentrum ärztlich betreut, andere bekamen unterstützend Massagen oder Bäder, die meis­ten aber nahmen an der Kunsttherapie und freien künstlerischen Kursen, die ebenfalls vom Kunsttherapeuten angeboten wurden, teil.

Bedingt dadurch, dass das Programm neu war und es sich um eine Prak­tikumssituation handelte, traten einige Schwierigkeiten auf, die aber durch zunehmende Erfahrung bearbeitet werden konnten.

Nach Ablauf des Praktikums konnte ein positives Resümee gezogen werden. Viele Teilnehmer wurden motivierter, ihre Situation zu verän­dern und machten in ihrer Entwicklung große Fortschritte. Zudem erwei­terte sich bei vielen der Interessensbereich und auch die Fähigkeit, Kon­takte aufzunehmen. Der Bedarf für ein solches Projekt, das Therapien im Alltag begeleitet und Menschen eine sinnvolle Aufgabe stellen kann, ihre Fähigkeiten fordert und honoriert, wurde im Lauf der Zeit sehr deutlich. Die Erfahrungen aus diesem Projekt sollen auf die soziale Arbeit im Landschaftspflege- und Gärtnerhof Marbachstal übertragen werden. Das Grundkonzept, ein allgemein zugängliches, sinnvolles Angebot an ver­ständlichen Tätigkeitsbereichen soll erhalten, aber um die Kunst als all­gemeines Angebot erweitert werden.

Meine eigenen positiven Erfahrungen motivierten mich dazu, das neue Konzept und dessen Hintergründe für den Landschaftspflege- und Gärt­nerhof näher zu beleuchten.

Zu Beginn soll der Hof, seine Lage im Marbachstal und seine Aufgaben im Bereich der Landwirtschaft beschrieben werden. Im Anschluss soll das Konzept des Arbeitsangebotes und seine Einbindung in die landwirt­schaftliche Arbeit geschildert werden.

Um die Wichtigkeit der Schaffung eines Arbeitsangebotes zu begründen, werden die folgenden Kapitel die Rolle und die Bedeutung der Arbeit im Leben des Menschen, das modernen Arbeitsverständnis und die Bedeu­tung der Arbeit in der Therapie und das Phänomen der Freiwilligenarbeit untersuchen.

Anschließend werden die Folgen von Arbeitslosigkeit geschildert und über ein Arbeitsprogramm aus den 30er Jahren, das diese Folgen auf­griff, berichtet.

Die therapeutische Wirkung der Arbeit und ihrer Bedeutung für Ge­sundheit und Wohlbefinden soll detailliert im folgenden Teil des Textes behandelt werden. Dabei werden die einzelnen Faktoren des Arbeitsan­gebotes im Marbachstal (Arbeit mit Erde und Pflanzen, Arbeit mit Tieren und kreative Tätigkeit) gesondert behandelt.

Eine abschließende Bewertung des Projekts findet sich im Resümee.

1. Der Landschaftspflege-und Gärtnerhof Marbachstal

Der Hof wurde gemeinsam mit anderen Projekten geplant und soll Teil des Netzwerkes der Initiative Landwirtschaft Gesundheit Neue Arbeit und Kultur werden.

Folgende Bereiche sind bzw. werden Bestandteil der o.g. Initiative:

- Das Gesundheitszentrum ist eine Therapiegemeinschaft, die im Sinne der anthroposophisch impulsierten, erweiterten Heilkunst tätig ist. Derzeit werden dort ärztliche Versorgung, Kunsttherapie, Massage, me­dizinische Bäder, Heileurythmie, Krankengymnastik sowie Ernährungsbe­ratung angeboten. Außerdem wird auf dem Gelände ein sozialpädago­gisch betreutes Beschäftigungsprogramm durchgeführt.
- Das Persephoneia-Insitut, ebenfalls im Gebäude des Gesundheits­zentrums untergebracht, ist u.a. forschend im Bereich des biologisch­dynamischen Landbaus und der Lebensmittelqualität (auch unter ge­sundheitlichen Aspekten) tätig. Ferner werden von dem Institut der Öko­logische Wochenmarkt und der biologische Mittagstisch angeboten.
- Das integrative lakchos-Kinder- und Jugendhaus, derzeit noch als Kindergarten und -hört in angemieteten Räumen nahe des Gesund­heitszentrums untergebracht, will Kindern und Jugendlichen bis 14 Jah­ren eine kreative und umfassende Entwicklung ermöglichen. Dazu wer­den z.B. die Bereiche Kunst, Eurythmie und Landwirtschaft in die Arbeit mit den Kindern einbezogen.
- Der Ökopark Marbachshöhe ist geplant als ökologisch orientier­tes Einkaufs-, Dienstleistungs- und Kulturzentrum, das auch Senioren­wohnen mit einschließt. Derzeit entsteht auf dem Gelände ein Einkaufs­markt, die anderen Bereiche befinden sich noch in Planung.

Während die anderen Projekte bereits bestehen oder sich zumindest im Bau befinden, sind für den Hof lediglich die Flächen gepachtet und be- weidet. Entwürfe für die Architektur und die landwirtschaftliche Bebau­ung liegen vor, sind aber noch flexibel. Wann der Baubeginn sein wird, steht momentan noch nicht fest.

Der Hof im Marbachstal soll zwei Ziele verfolgen:

- zum einen soll die biologisch-dynamische Landwirtschaft dort ausgeübt und erforscht werden
- zum anderen soll der Hof das Umfeld bilden für ein sozialpäda­gogisch betreutes Arbeitsfeld, das die in den vorigen Kapiteln be­schriebenen Missstände und Lösungsvorschläge aufgreift.

Zunächst sollen der Hof, seine Lage und seine landwirtschaftlichen Grundlagen beschrieben werden.

1.1. Lage, Örtliche Bedingungen

Das Landschaftsschutzgebiet Marbachstal erhielt seinen Namen durch den Marbach, einem Rinnsal, der das Tal in West-Ost-Richtung durch­zieht aber nur an wenigen Stellen in Erscheinung tritt. Das Tal ist ge­prägt durch eine kleinflächig gegliederte Kulturlandschaft, die an die frühere Nutzung erinnert. Entlang des Bachbettes zeigen sich ökologisch wertvolle Weidengehölze und imposante Einzelbäume.

Im steileren Nordteil des Tals findet man ausgedehnte stark verbuschen­de Grünlandbrachen, der etwas flachere Südteil gliedert sich in Acker- und Grünflächen, welche zum Teil brach liegen, teilweise konventionell landwirtschaftlich genutzt werden und im westlichen Teil von Pferden beweidet werden.

Der Boden südlich des Grabens ist von starker Erosion gezeichnet; bei stärkeren Regenfällen wird regelmäßig ein großer Teil des Bodens abge­schwemmt und verschlammt den unteren Grabenbereich.

In den Jahren 1998 bis 2000 wurden das Biotopinventar des Tals kartiert und pflanzensoziologische Aufnahmen auf Grünland- und Ackerflächen durchgeführt.

Die zukünftige Nutzung sieht für das gesamte Tal eine biologisch­dynamische Bewirtschaftungsweise vor, die auf den Einsatz chemisch­synthetischer Pflanzenbehandlungsmittel und leichtlöslichen Handels­dünger verzichtet. Neben der Umstellung der bisher konventionell ge­nutzten Flächen sollen weitere Teile der Kulturlandschaft in den Hofzu­sammenhang übernommen werden, die in der vergangenen Nutzung nicht berücksichtigt wurden, deren Arteninventar aber auf eine extensi­ve Bewirtschaftung angewiesen ist. Bereiche, die landwirtschaftlich nicht genutzt werden, sollen als Naturentwicklungsflächen in den Gesamtzu­sammenhang integriert werden. Flächen dieser Art sind naturschutzfach­lich wichtig und sind beispielhaft für eine offene und vielgliedrige Kultur­landschaft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Möglicher Standort des Hofes

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Abb. 2: Tiere auf dem Hofgelände

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Abb. 3: Alter Baumbestand nahe d. Baches

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Abb. 4: Die derzeitigen Weideflächen

1.2. Flä chenbezogene Nutzungsziele

Für das Marbachstal liegt eine Bebauungsplan-Karte vor, die außer einer Planung befestigter Wege im Gebiet auch Nutzungen und Pflegemaß­nahmen für Flächen beschreibt. Die meisten vorgeschlagenen Pflege­maßnahmen lassen sich gut mit den Nutzungsplänen des Landschafts­pflege- und Gärtnerhofes vereinen.

Der Bebauungsplan ist auf der folgenden Seite abgebildet.

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Abb. 5: Bebauungsplan des Marbachstals

Der Standort des Hofgebäudes wird derzeit noch diskutiert. Favorisiert wird der zentral im Süden gelegene Geländezipfel (im Bereich Am Ha­senstock/ Helleböhnweg). Möglich wäre aber auch die Ansiedlung auf dem ehemaligen Sportplatz am Ostrand des Geländes, was zudem eine bessere Verkehrsanbindung verspräche. Die den Hof umgebenen relativ ebenen Flächen sollen zum Anbau von Feingemüse dienen.

Im Osten schließt das Gelände an eine Kleingartenanlage an, die eventu­ell erweitert werden soll. Als Alternative wird über ein vom Gärtnerhof betreutes biologisch-dynamisches Gemüse-Selbsternte-Projekt nachge­dacht, wie es beispielsweise von der Staatsdomäne Frankenhausen seit 1998 durchgeführt wird: eine erste Bodenbearbeitung und Aussaat eines vielfältigen Gemüsesortiments erfolgt durch den Hof. Die besäten Flä­chen werden an Interessenten verpachtet, die die Beetpflege überneh­men und anschließend selbst ernten.

Die bisher konventionell genutzten Äcker sollen auf biologisch­dynamische Bewirtschaftung umgestellt werden, wobei erosionshem­mende Maßnahmen zum Tragen kommen sollen. In Teilen des relativ ebenen und bisher artenarmen Südhanges sollen Heilkräuter angebaut werden, im östlich angrenzenden Bereich sollen diese kleinflächig zwi­schen bestehenden Gehölzstrukturen angepflanzt werden. Der Erhalt der Artenvielfalt steht bei der Grünlandbewirtschaftung im Vordergrund. Gehölzgruppen und Verbuschungsinseln sollen erhalten, aber in ihrer unkontrollierten Ausbreitung durch extensive Beweidung gehindert werden.

Unterhalb der Jean-Paul-Schule ist die Anlage einer Obstbaumreihe vor­gesehen.

In der Tierhaltung werden voraussichtlich „übliche" landwirtschaftliche Arten wie Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner in Betracht gezogen, in der Erlebnislandwirtschaft werden wohl zusätzlich einige Kleintiere (Hasen, Kaninchen, ...) gehalten werden.

1.3. Biologisch-dynamische Erwerbslandwirtschaft

Die Erwerbslandwirtschaft soll, wie erwähnt, auf Grundlage der biolo­gisch-dynamischen Wirtschaftsweise durchgeführt werden.

Der biologisch-dynamische Landbau geht zurück auf Anregungen von Dr. Rudolf Steiner (1861 - 1925). Im Herbst 1922 gab er dem landwirt­schaftlichen Labor im Goetheanum, dem Zentrum der anthroposophi­schen Gesellschaft, Hinweise zur Herstellung von Präparaten aus derTier- und Pflanzenwelt, die dazu dienen sollten, die Böden und den Dünger zu verbessern.

Umfangreiche Beachtung fand der „Landwirtschaftliche Kurs", den Stei­ner im Juni 1924 auf dem Schlossgut Koberwitz bei Breslau vor etwa 60 Teilnehmern, hauptsächlich Landwirten und Gärtnern, hielt. Dort wur­den die Grundlagen der biologisch dynamischen Landwirtschaft erläu­tert. Seit 1927 werden die Produkte unter dem Markennamen Demeter (griech. Göttin der Fruchtbarkeit) vermarktet.

Man verzichtet auf industrielle Mineraldüngung und auf die Behandlung von Pflanzen, Früchten und Unkräutern mit Chemikalien. Stattdessen werden auf dem Hof erzeugte Dünger, nämlich Kompost und tierischer Mist verwendet.1

Zur Aktivierung des Bodens und des Düngers hat Steiner die Herstellung bestimmter Präparate z.B. aus Hornkiesel oder Horndung angeregt, die in homöopathischen Mengen auf dem Boden oder den Pflanzen verbrei­tet werden. Sie werden ähnlich wie homöopathische Medizin beim Men­schen im Naturbereich verwendet. Die komplizierte Herstellung dieser Präparate bezieht kosmische und biorhythmische Konstellationen ein2und soll neben der Düngung dem Pflanzenschutz sowie dem Reifungs­prozess zugute kommen. In dem Handbuch „Zur Anwendung der biolo­gisch-dynamischen Wirtschaftsweise" findet man den Anspruch folgen­dermaßen, sicherlich ungewöhnlich emotional, umschrieben:

Düngen heißt: 'Fruchtbares Leben entfachen! ' Der heutige Anbau der Kartoffeln, der Getreide, des Obstes und auch des Gemüses erfordert die Erneuerung der Fruchtbarkeit! Diese Hegt in erhöhtem Leben mit Überschussleistung, ohne dass Pflanze und Tier dadurch degeneriert werden müssen, sondern indem durch Stärkung der Konstitution die Leistung erreicht wird. Also nicht durch radikale Ausnützung der noch vorhandenen Reserven an alten Krä ften sucht die 'biologisch­dynamische Wirtschaftsweise ' ihre Erfolge, sondern dadurch, dass sie Aufbau-Maßnahmen ergreift. Und diese hauptsächlichen Maßnahmen liegen in der 'Wiedererneuerung ' der bereits überall schwindenden Le- benskrä fte.3

Neben der Nutzung der Präparate ist die Erzeugung eines gesunden Hoforganismus ein weiterer Schwerpunkt der biologisch-dynamischen Wirtschaft. Der gesamte Betrieb soll als ein Organismus angesehen wer­den, der nur funktioniert, wenn alle seine Organe, also die einzelnen Bereiche der Landwirtschaft, Boden, Pflanze, Tier und Mensch selbst und in ihrem Zusammenspiel gesund sind. Zu diesem Organismus gehört, dass er sich weitgehend selbst nähren kann, also ein geschlossener Kreis­lauf gebildet wird:

Nun, eine Landwirtschaň erfüllt eigentlich ihr Wesen im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst werden kann ais eine Art Individualità t für sich, eine wirklich in sich geschlossene Individualità t... Das heißt, es sollte die Möglichkeit herbeigeführt werden, alles dasjenige, was man braucht zur Hervorbringung, innerhalb der Landwirtschaft selbst zu ha­ben, wobei zur Landwirtschaft der entsprechende Viehbestand se/bst- verstä ndiich hinzugerechnet werden muss, im Grunde müsste eigentlich dasjenige, was in die Landwirtschaft hereingebracht wird an Düngemit­teln undähniichem von auswä rts, das müsste in einer ideai gestalteten Landwirtschaft angesehen werden ais ein Heilmittel für eine erkrankte Landwirtschaft.4

Der geforderte Artenreichtum verbietet eine Wirtschaft mit wenigen Monokulturen, die zur Kosteneinsparung bereits von vielen ökologisch bewirtschafteten Betrieben praktiziert wird. Die natürlichen Kreisläufe sollen durch „eine vielfältige, ausgewogene, standortgerechte Fruchtfol­ge, regional angepasste Pflanzensorten, harmonische organische Dün­gung und artgerechte Tierhaltung und -pflege mit hofeigener Fütte­rung"5intensiviert werden. Die Richtlinien erlauben generell keine gene­tischen Manipulationen.

Die Qualität der geschaffenen Lebensmittel wird seit 1930 mit sog. bild­schaffenden Methoden, wie der von Lili Kolisko und Ehrenfried Pfeiffer entwickelten Kupferchlorid-Kristallisation oder der Erstellung von Steig­bildern untersucht.

Diese Methoden untersuchen nicht, wie in der naturwissenschaftlichen Forschung üblich, den Stoffgehalt (Vitamine, Mineralien etc) der Le- bensmittel, sondern stellen deren „Gestaltungskräfte" (auch: „Vitalkräf­te") dar, „die den stofflichen Prozessen übergeordnet sind."6

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Abb. 6: Qualità tsuntersuchung durch bildschaffende Methoden nach Wala7

Später begann man mit der naturwissenschaftlichen Erforschung der Arbeitsweise. Die seit 1952 betriebene Kooperation mit mehreren Uni­versitäten hat wesentliche Annahmen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft bestätigt.

2. Schaffung eines Arbeits- und Beschäftigungsangebotes

In der Gesellschaft definieren sich die Individuen über ihren Arbeitsplatz - ein großer Teil der Bevölkerung hat aber keine Möglichkeit, Arbeit zu bekommen, ein weiterer Teil verrichtet Arbeit, die den menschlichen Bedürfnissen entgegensteht und den Menschen als Arbeitskraft miss­braucht. Die Folgen der Arbeitslosigkeit können von staatlicher Seite weder finanziell befriedigend gelöst werden, noch können die psychi­schen und sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit aufgefangen werden. Freiwillige Arbeit ist daher für viele Menschen eine Möglichkeit, Bedürf­nissen nachzukommen, die bisher unbefriedigt geblieben sind. Wünsche nach sinnvoller Tätigkeit, einem sozial förderlichen Klima und der Mög­lichkeit, Verantwortung zu übernehmen oder kreativ tätig zu sein kön­nen wird oft im Alltag nicht entsprochen. Hinzu kommt die schwierige Situation der Menschen, die vom normalen Erwerbsleben ausgeschlossen sind, die sich in Rehabilitationsmaßnahmen befinden, den körperlichen Anforderungen nicht genügen oder durch eine schwierige Sozialisation aus diesem Kreis ausgeschlossen sind. Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei Menschen, die als therapeutische Begleitung ein Angebot der Arbeits- oder Beschäftigungstherapie oder zur Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit benötigen, denen Bastelarbeiten für ei­nen Weihnachtsbasar oder industrielle Arbeitstätigkeiten aber keinen ausreichenden Sinngehalt und Motivation liefern.

Auf diese Situation wird mit der Schaffung eines Arbeits- und Beschäfti­gungsangebotes reagiert. Der biologisch-dynamische Landschaftspflege und Gärtnerhof Marbachstal soll neben der Landschafts- und Naturpfle­ge und einer ertragreichen Nahrungsmittelproduktion das Umfeld für soziale Arbeit in Form eines Arbeits- und Erlebnisfeldes bilden.

Die Arbeit am Hof wird im Kontext der umfassenden Initiative Landwirt­schaft Gesundheit Neue Arbeit und Kultur verstanden und soll heilend, therapeutisch und auch gesundheitsprophylaktisch wirken. Hierbei wer­den positive Zielsetzungen verschiedener Therapien (Arbeits- Beschäfti- gungs- und Kunsttherapie) in die Konzeption für das Handlungsfeld ü­bernommen. Zunächst soll sich die gemeinsame Tätigkeit positiv auf die körperliche, geistige und soziale Gesundheit und das Wohlbefinden aus­wirken. Das Angebot richtet sich dementsprechend sowohl an Kranke als auch an Gesunde, die Gesundheit und Wohlbefinden steigern möchten. Dieses Konzept wurde schon in griechischen „Gesundheitszentren" ver­folgt, die ihr heilsames Programm nicht nur bei Krankheit anwendeten.

Hippokrates formulierte, es sei „wohlgetan, die Gesunden zu führen" und forderte, „die Heilkunst in die Lebenskunst ein(zu)führen". Galenus formuliert die Zielvorstellung der Therapeutik:

Die Therapeutik hat zwei prinzipielle und besondere Teilgebiete. Zum einen ist dies die Gesundheitspflege, zum anderen ist es die Heilkunst.8

Eine umfassende, da nicht nur auf den körperlichen Zustand beschränk­te, Definition von Gesundheit gibt die Weltgesundheitsorganisation WHO:

Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.9

Gesundheit ist demnach auch von persönlichem Wohlbefinden abhängig. Zur Erhaltung von Wohlbefinden und Lebensqualität bedarf es nach Bergler10folgender Faktoren: Der Erhaltung der Gesundheit, der Fähig­keit zur Stressbewältigung, der Führung eines aktiven Lebensstils, eines geregelten Tagesablaufes und der Pflege sozialer Kontakte und Freund­schaften mit der Erfahrung von Zuneigung und Körperkontakt. Rosen- koetter11nennt sechs Verhaltensfelder innerhalb des häuslichen Lebens, die für die Selbsteinschätzung der individuellen Gesundheit wichtig sind: Rollenverhalten, Beziehungsverhalten, Selbstbewusstsein, Zeiteinteilung, soziales Unterstützungsgeflecht und Lebensplanung. Die Gesundheit von Körper und Seele des Menschen im Zusammenklang mit aktiv gelebten, positiven Sozialkontakten sind also Grundvoraussetzungen für eine hohe Lebensqualität des Menschen.

In unserer Gesellschaft hat sich eine immer weiter fortschreitenden Spe­zialisierung und damit Trennung vieler Bereiche entwickelt, so auch im sozialen: Kinder, Jugendliche, Alte, Behinderte und Kranke sind in ihren jeweiligen Betreuungs-oder Erziehungsangeboten voneinander getrennt und kommen nur mit Vertretern ihrer Alters- Kultur- oder Problemgrup­pierung und den jeweiligen Betreuern in Kontakt. Diese Trennungen bewirken, dass viele Menschen von einer natürlichen Umgebung ausge­schlossen werden und in künstlich geschaffenen Gesellschaftssystemen leben. Dadurch entstehen gesellschaftliche „Monokulturen", die das Ent­stehen neuer befruchtender Begegnungen (wobei es sich durchaus auch um Konflikte handeln kann) aus unterschiedlichen Bereichen geradezu verhindern, und nicht ermöglichen, dass neue Ideen, Ansichten und Temperamente durch völlig verschiedene Persönlichkeiten neue Impulse setzen bzw. als Vorbild zum Nachahmen dienen.

Ziel der Arbeitsorganisation soll es sein, möglichst gemischte Gruppen herzustellen, in denen nicht, wie oft üblich, ausschließlich Menschen mit den ähnlichen Problemen, Defiziten oder Biographien Zusammenkom­men. Nach Möglichkeit soll die gesellschaftliche Trennung aufgehoben und dadurch ein natürlicher gesellschaftsähnlicher Zustand erreicht wer­den. So kann dem einzelnen Patienten durch die Umgebung und die Haltung von all jenen, die ihm gegenübertreten, ein Erwartungsbild vor­gehalten werden, das den gesunden Teil der Psyche anspricht. Und dies in einer Weise, „die es gestattet, in Wechselwirkung auf die Umgebung und die Haltung anderer zu reagieren, wodurch der Patient zur Selbster­kenntnis gelangen kann"12Bestimmte Verhaltensweisen, die durch iso­lierte Lebensweise entstanden sind oder durch die Zugehörigkeit zu be­stimmten Gruppen übernommen worden sind, können durch den Weg­fall dieser Vorbilder in einem gesunderen Umfeld abgelegt werden. Dazu kann auch das Kennenlernen neuer Werte und Formen des Umgangs dienlich sein.

Gerade im Bereich der Arbeit findet eine starke Trennung statt. Men­schen mit Arbeit, Einkommen und durch das Arbeitsverhältnis entstan­denem Sozialgeflecht stehen einer wachsenden Zahl von Arbeitslosen gegenüber.

Die Vielfalt des Angebotes und die sozialpädagogische Betreuung hat das Ziel, dass ein möglichst breites Spektrum an Personen daran teil­nehmen kann. Schon heute sind die Tiere auf dem Hofgelände in das Tagesprogramm der Kinder des Kindergartens und -hortes integriert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Kinder des iakchos-Kinder- und Jugendhauses mit Aufsicht und Ziege

Für ältere Kinder und Jugendliche bietet sich der Hof als Lernfeld an, ein Konzept das in zahlreichen Schulbauernhöfen bereits erfolgreich umge­setzt wird. Daneben kann der Hof Arbeits- und Tätigkeitsfeld sein für Freiwillige, durch die Betreuung auch für psychisch Kranke, körperlich- und geistig Behinderte, Menschen, die eine Ergänzung zur Lohnarbeit suchen, Arbeitslose, Rentner etc. Im Grunde soll sich ein natürlicher Ge­sellschaftsschnitt bei der gemeinsamen Tätigkeit zusammenfinden, der nicht künstlich auseinandergerissen ist.

Eine andere Form der Trennung findet man im Bereich der Produktion als Folge der Industrialisierung und Technisierung13. Insbesondere in städtischen Wohngebieten finden sich drastisch reduzierte Erfahrungs­und Handlungsmöglichkeiten. Die Produkte, mit denen es der Stadt­mensch zu tun hat, sind größtenteils „fertig" und lassen kaum etwas außer Bedienungen oder einfachen Hantierungen zu. (Dies wird beson­ders deutlich bei der Betrachtung modernen Kinderspielzeugs oder technischen Geräten des Alltags) Der Mensch kann sich immer seltener als sinnvoll und wirksam Handelnder erfahren. Die Entstehungszusam­menhänge werden immer häufiger unsichtbar, egal ob es sich um techni­sche Geräte, Kommunikations- oder Nahrungsmittel handelt. Die Herstel­lungsprozesse werden ebenso wenig verstanden wie die Fertigkeiten der Menschen, die an der Produktion beteiligt sind. Die Dinge der Umge­bung sind käufliche Produkte, die verbraucht werden, ohne wirklich ver­standen zu werden. Der Verlust an sinnvollen Handlungserfahrungen kann zur „erlernten Hilflosigkeit" führen, wenn kein Zusammenhang mehr zwischen eigenen Handlungen und deren Ergebnissen hergestellt werden kann14.

Im Folgenden soll der Schwerpunkt im Bereich der Landwirtschaft liegen. Nahrung und Ernährung sind grundlegende Aspekte des menschlichen Lebens. Der Käufer weiß aber oft nicht einmal, wie das Gemüse, das er im Supermarkt kauft, erzeugt oder wie das Tier, dessen Fleisch man fer­tig verpackt aus der Kühltheke bekommt, gehalten wurde.

Das zeigte sich in der Vergangenheit regelmäßig bei verschiedenen Seu­chen oder Ernährungsskandalen. Eine solche Entwicklung macht den Menschen als Verbraucher unmündig und lässt ihm durch seine Unwis­senheit keine Entscheidungsfreiheit.

Im biologisch-dynamischen Landschaftspflege- und Gärtnerhof Mar­bachstal sollen diese Zusammenhänge erlebbar gemacht werden. Ange­fangen vom spielerischen Umgang mit Pflanzen und Tieren über die lehr- und erfahrungsreiche Arbeit in der Erlebnislandwirtschaft, bei der der wirtschaftliche Aspekt im Hintergrund steht, bis zur marktwirtschaftlich kalkulierten biologisch-dynamischen Erwerbslandwirtschaft, der anschlie­ßenden Verarbeitung und dem Verkauf der Produkte.

Durch die angestrebten Erfahrungen, Zusammenhänge erlebbar zu ma­chen und somit Personen, Fähigkeiten oder Produkte besser zu verste­hen, kann ein neues Wertesystem entstehen, das auf Erfahrung und Wis­sen beruht.

Die Einteilung in verschiedene Stufen vom spielerischen Umgang mit Pflanzen und Tieren bis zur Mitarbeit in der unter ökonomischen Ge­sichtspunkten wirtschaftenden Landwirtschaft soll es jedem ermöglichen, auf dem Stand seiner Fähigkeiten zu beginnen; die Tätigkeit soll den Bedürfnissen des Einzelnen unterstellt sein.

Die Tätigkeit soll dem Einzelnen ermöglichen, Selbständigkeit und Hand­lungsfähigkeit und im Zuge dessen Selbstbewusstsein aufzubauen. Der Mensch soll in seinen sozialen, praktischen und kognitiven Fähigkeiten gefördert werden und gleichzeitig zu einer guten körperlichen und seeli­schen Verfassung gelangen.

Als Erweiterung des Programms werden kreative Arbeiten und Wahr­nehmungsübungen integriert. Sie sollen zu einem erweiterten Verständ­nis der Naturphänomene beitragen, handwerkliches und künstlerisches Geschick erwerben lassen und Vertrauen in eigene kreative Fähigkeiten schaffen, wobei Kreativität auf alle Lebensbereiche übertragen werden soll.

Fällt der Bereich der Erwerbslandwirtschaft in den Begriffszusammen­hang der Arbeit, so sollen Erlebnislandwirtschaft und kreatives Arbeiten als Beschäftigungsangebot mit Lern- und Genusscharakter aufgefasst werden.

Der Zusammenhang der einzelnen Bereiche soll in der Grafik auf der folgenden Seite verdeutlicht werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie in der Grafik dargestellt, sollen die drei Bereiche der Erwerbsland­wirtschaft, der Erlebnislandwirtschaft und der Kunst nebeneinander ste­hen. Angedacht ist eine Finanzierung der beiden freieren Bereiche Er­lebnislandwirtschaft und künstlerische Kurse durch die Mitarbeit in der Erwerbslandwirtschaft. Mitarbeit in der Erwerbslandwirtschaft erwirkt sozusagen einen Anspruch auf Teilnahme an subventionierten Tätig­keitsfeldern. Der Arbeitsanteil in der Erwerbslandwirtschaft wird sich an der Höhe möglicher Fördermittel für das Projekt orientieren müssen.

Die biologisch-dynamische Erwerbslandwirtschaft steht im Zentrum des Hofes, sie ist für die grundlegende wirtschaftliche Sicherung des Ge­samtprojektes zuständig. In diesem Bereich muss realistisch kalkuliert werden, die Preise und die Qualität der Produkte orientieren sich am

Marktangebot. Das Bio-Angebot in den Supermärkten ist mittlerweile recht umfangreich, und in diesem Umfeld gilt es wettbewerbsfähig zu sein.

Ähnlich wie in zahlreichen Bereichen der Arbeitstherapie wird auch hier die Arbeitsfähigkeit der Teilnehmer trainiert. Belastungsfähigkeit, Aus­dauer und Kenntnisse werden geschult und können Voraussetzung für eine spätere berufliche Tätigkeit in der Landwirtschaft sein.

Die Arbeit teilt sich in die Bereiche Pflanzen und Erde, Tierpflege und - nutzung und Vermarktung. Dabei gilt es, mit wirtschaftlicher, rationeller Arbeit gute Produkte zu erzielen und diese geschickt zu vermarkten.

Dies trifft für die eigenen Flächen ebenso zu wie für die Flächen der so­genannten Mitmachlandwirtschaft, den Ackerbereichen, die von An­wohnern für eine Saison gepachtet, aber von den Mitarbeitern des Ho­fes angelegt werden und wiederum von den Pächtern beerntet werden. Für die Vermarktung kann ein eigener Hofladen dienen oder die bereits bestehende Verkaufsmöglichkeit des Ökologischen Wochenmarktes ge­nutzt werden.

Der Bereich der Erwerbslandwirtschaft stellt hohe Forderungen an Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit.

Der Bereich der Erlebnislandwirtschaft wird sich auch der Tierhaltung und dem Pflanzenanbau widmen, allerdings steht dabei der wirtschaftli­che Aspekt im Hintergrund. Wichtig ist in diesem Feld der Erlebnis- und Lerncharakter. Noch deutlicher als in der wirtschaftlich betriebenen bio­logisch-dynamischen Landwirtschaft sollen Zusammenhänge und Kreis­läufe erlebbar und verständlich gemacht werden.

Bei der Bodenbearbeitung soll in diesem Bereich weitestgehend auf mo­derne Maschinen verzichtet werden. Es bietet sich beispielsweise an, den Boden auf althergebrachte Weise mit Hilfe eines Pferdes zu pflügen, um erstens den benötigten Kraftaufwand nachvollziehen zu können und zweitens den Boden dadurch noch intensiver zu pflegen, da man ihm keine schweren Maschinen zumutet, die den Boden unnötig verdichten. Bodenbewirtschaftung ohne modernen Maschineneinsatz ermöglicht unmittelbare Erlebnisse eigener Handlungen.

Einige Tiere, die der Erlebnislandwirtschaft zugeordnet werden, werden nur zum Selbstzweck, nach Art von Haustieren gehalten, andere kom­men zusätzlich als Nutztiere zum Einsatz, so kann z.B. die Arbeitskraft des Pferdes, die Milch der Kuh oder die Wolle des Schafes genutzt wer­den. Daneben dienen diese Tiere auch als „Pflegeobjekte", die die Auf­merksamkeit der Menschen erfordern. Die Tiere müssen gemistet, ge­striegelt, gefüttert werden, Ställe müssen gebaut und repariert werden - alles Tätigkeiten, die in jeder Landwirtschaft stattfinden müssten, denen aber aus rationellen Gründen oft zu wenig oder keine Aufmerksamkeit gewidmet wird. Diese Art des Umgangs mit Tieren ist (abgesehen von Hunden und Katzen) in der industriellen Gesellschaft ungewöhnlich; Tie­re gelten laut Gesetz als Sache und werden auch als solche behandelt. Kindern und Erwachsenen bietet sich in der Erlebnislandwirtschaft der seltene Einblick in die Lebensweisen, Gewohnheiten und Bedürfnisse der Tiere, zumindest soweit, wie sie in einem künstlichen Rahmen möglich sind. Das Beispiel der lila Kühe ist bereits bemüht worden, es lassen sich aber zahlreiche weitere Beispiele finden. Das lachende Comicschwein, das dem Konsumenten an der Fleischtheke begegnet, hat eine andere Wirkung auf den Menschen als eine lebendige Schweinepopulation, die gefüttert und gepflegt sein möchte und dem Menschen andere Qualitä­ten bieten kann als in Form eines Nahrungsmittels. Durch das Erleben artgerecht gehaltener Nutztiere kann die Diskrepanz der oftmals über­zogenen Tierliebe in Bezug auf Heimtiere und der gleichzeitigen Gleich­gültigkeit entgegen der Haltung von Nutzeren in der Landwirtschaft aufgezeigt werden.

Der Bereich der Erlebnislandwirtschaft wird ergänzt durch ein Lern-und Erfahrungsfeld Landwirtschaft, das an verschiedenen Stationen Vorgän­ge im Tier- und Pflanzenleben verdeutlicht und Wirkungsweisen der bio­logisch-dynamischen Landwirtschaftsweise verdeutlicht. Dabei können in Schaukästen z.B. die Kompostbildung, das Wurzelwachstum, lebendiges Bodenleben etc. gezeigt werden. Dabei soll der Vielfalt der sinnlichen Eindrücke Beachtung geschenkt werden. Dabei kann sich an ähnlichen Projekten wie der Ausstellung „Lebenskräfte erleben".15Diese Ergänzung verstärkt den praktischen Lehrcharakter des Bereiches und bietet sich zum Beispiel auch für Schulklassen an, die biologische Vorgänge nicht nur aus dem Schulbuch kennen lernen möchten.

Ein weiterer Aspekt der landwirtschaftlichen Arbeit auf dem Hof wird die Forschung im Bereich der Lebensmittelqualität und der gesundheits­fördernden Wirkung der Produkte sein. Auch in diesem Bereich kann im Rahmen des Projektes mitgearbeitet werden. Dies ist möglich, da es sich um lebensnahe Forschung handelt, die sich weniger im Labor denn „auf dem Feld" abspielt. Züchtungen, Versuchsaussaaten, Geschmacksproben und qualitätserprobende Steigbilder können in Zusammenarbeit mit dem Persephoneia-Institut gemeinsam mit den Teilnehmern vorgenom­men werden.

Das Projekt soll keinen Selbstversorgungscharakter haben, dennoch sol­len die Teilnehmer die erzeugten Lebensmittel bevorzugt und günstig erhalten können. Nach welcher Formel die Preise hierfür errechnet wer­den, wird sich in der Praxis erweisen müssen.

Ergänzt werden soll die landwirtschaftliche Arbeit durch Kreative Arbei­ten und künstlerische Kurse, die neben der Vermittlung von Kulturerfah­rung und künstlerischem Bewusstsein auch konkrete praktische Ziele verfolgen soll.

Die Teilnehmer sollen lernen, selbst schöpferisch aktiv zu werden und gestaltend in ihre Umwelt einzugreifen. Das Erlernen verschiedener Techniken und die Entdeckung eigener Fähigkeiten steht zu Beginn der Kurse, im Anschluss kann die Ausgestaltung der Umwelt folgen, sei es durch den Bau von Skulpturen, Brunnen oder Sitzgelegenheiten im Stadtgebiet. Durch die kunsttherapeutische Leitung der Kurse kann der therapeutische Aspekt der Arbeit nach Bedarf einen entsprechend er­höhten Stellenwert bekommen.

Dies korrespondiert mit der künstlerischen und gleichzeitig funktionalen Gestaltung des Hofkomplexes, die die Eigenheiten der Gebäudenutzung künstlerisch umsetzen soll. Selbst die Ställe, die heute eher funktionell und in riesigen Ausmaßen möglichst billig errichtet werden, sollen so geformt werden, dass sie dem Wesen der Tiere entsprechen und ihnen auf diese Weise eine entsprechende Wertschätzung entgegenbringen. Dadurch soll sich ein ästhetisches Bewusstsein bilden, welches nicht nur auf Objektkunst ausgerichtet ist, sondern sich auch auf die Ausbildung einer sozialen Kultur und eines kulturellen Bewusstseins auswirkt, das erweiterte Zusammenhänge zu erfassen fähig ist.

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1Baumann, Adolf, ABC der Anthroposophie - Ein Wörterbuch für Jedermann/ Freiburg, Oratio Verlag, 1998

2Brockhaus - Die Enzyklopädie: in 24 Bänden. - 20, überarbeitete und aktualisierte Aufla­ge/Leipzig, Mannheim: Brockhaus, 1997, Bd. 16, S.183

3Kabisch, Harald: Kurze praktische Anleitung zur Anwendung der biologisch-dynamischen Präparate / Coburg, Selbstverlag H. Kabisch, o.J.

4Steiner, Rudolf: Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft - Land­wirtschaftlicher Kurs Koberwitz bei Breslau 1924 / Dörnach (Schweiz), Rudolf Steiner Nachlassver­waltung, 1984, S. 42

5Informationsblatt „Demeter - Für Mensch und Erde" Herausgegeben von der Demeter Bundesge­schäftsstelle Darmstadt

6Lebenskräfte erleben - der Ausstellungskatalog; Forschungsring für biologisch-dynamische Wirt­schaftsweise e.V. (Hrsg.). Darmstadt: Verlag Lebendige Erde, 2001

7von links nach rechts: Steigbild konventioneller, ökologischer und biologisch-dynamisch Möhren. Pflanzensäfte werden unter Zugabe einer Reagenz an Filterpapier steigen gelassen. Farbigkeit und Differenziertheit des Bildes geben Aufschluss über die Vitalkraft der Lebensmittel

8Peri Diaites Hygeines, c.9 zit. nach Petzold, S. 523

9Auf der Homepage der Weltgesundheitsorganisation ist das Originalzitat (von 1948) zu finden: http://www.who.int

10Bergler, R: Die Psychologie der Beziehungen von Heimtieren, Heimtierhaltern und Tierärzten, 1988

11Rosenkoetter, M.: Health promotion: The influence of pets on life patterns in the home. Zit. Nach Claus, Armin: Tierbesuch und Tierhaltung im Krankenhaus / München, 2000

12Aernout, J.R.: Arbeitstherapie: eine praxisorientierte Einführung./ Weinheim, Basel: Beltz, 1981, S. 84

13siehe Kapitel 2.1. über die Arbeit des Menschen

14Vgl. Seligmann, M.E.P.: Erlernte Hilflosigkeit/ München, 1979

15ln dem Darmstädter Projekt werden z.B. die Entstehung eines Wasserstrudels, verschiedene Ap­feldüfte, Honigsäulen und Modelle zur Darstellung verschiedener Rhythmen gezeigt. Diese de­monstrieren unter Ansprache verschiedener Sinne umfangreiche Prinzipien der biologisch­dynamischen Landwirtschaft, http://www.lebenskraefte.de

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Kulturlandschaft, Landwirtschaft, Mensch. Das Konzept der Sozialarbeit im Landschaftspflege- und Gärtnerhof Marbachstal Kassel
Hochschule
Universität Kassel  (Sozialpädagogik)
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
102
Katalognummer
V6695
ISBN (eBook)
9783638142083
Dateigröße
4381 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit, Arbeitslosigkeit, Modellprojekt, Landwirtschaft, Kunst, Therapie, Freiwillig, Tiere in der Therapie, Kreativ, Gesundheit, Bürgergesellschaft
Arbeit zitieren
Martin Schiffter (Autor:in), 2001, Kulturlandschaft, Landwirtschaft, Mensch. Das Konzept der Sozialarbeit im Landschaftspflege- und Gärtnerhof Marbachstal Kassel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6695

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