Kulturelle Spezifika privater Vorsorge im Familienverband im internationalen Vergleich


Seminararbeit, 2006

34 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Absicherung im Familienverband: Problemstellung und Gang der Untersuchung

2. Absicherung im Wirtschaftssystem der Wildbeuter

3. Altersversorgung in der Antike
3.1 Griechenland
3.2 Römisches Reich

4. Alterssicherung im Mittelalter
4.1 Altersicherung auf dem Land
4.2 Das Altern in der Stadt

5. Moderne Sicherheitspolitik als Folge der Industrialisierung
5.1 Alterssicherung während der Industrialisierungsphase
5.1.1 Der bürgerliche Haushalt
5.1.2 Der neue 4. Stand
5.1.3 Einführung der Phase des Ruhestands
5.1.4 Der Weg zur gesetzlichen Rentenversicherung
5.2 Absicherungsfunktion der Familie in der heutigen Zeit

6. Abschließende Diskussion

Quellenverzeichnis:

1. Absicherung im Familienverband: Problemstellung und Gang der Untersuchung

Eine Herausforderung für jede Gesellschaft ist es, die Versorgung der nicht mehr arbeitenden Bevölkerung sicher zu stellen und die mit der Versorgung entstehenden Lasten gerecht auf den arbeitenden Teil umzulegen.

Dies sind im Ablauf der Zeit stets neu zu lösende Aufgaben und es ist die Pflicht jeder Politik, den Generationswechsel wirtschaftlich zu gestalten.

Der Wunsch nach Versorgung und Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Kein Mensch jedoch kann dieses Bedürfnis völlig aus eigener Kraft befriedigen. Wenn er nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, braucht er Hilfe von außen. Von welcher Seite diese Hilfe kommt, sei es vom Familienverband oder von anderer Seite, ist eine Frage des Systems. Gibt es keine staatliche Vorsorge, kann nur die Familie bzw. die Gruppe, in welcher der Mensch lebt, diese Aufgabe übernehmen.

Der Familienverband sorgte lange Zeit aus wirtschaftlichen, moralischen und religiösen Gründen für die Sicherheit und die Deckung des Bedarfs im Alter. Er kann somit „als Urform aller wirtschaftlichen Organisation angesehen werden, die sich um die Deckung des Bedarfs ihrer Angehörigen kümmerte“.[1]

Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Fragestellungen:

Wie ist die Absicherung im Familienverband zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte ausgestaltet? Welche Rolle spielt in einer vorindustriellen Gesellschaft der Staat bei der Altersvorsorge?

Nach wie vor ist bei einigen Völkern der Erde der Familienverband die einzige Absicherung. Wodurch kam es in den heutigen Industriestaaten zu dem Wechsel und in welcher Form wirkte die Phase der Industrialisierung mit ihrer tief greifenden Umstrukturierung der bestehenden Systeme auf die herkömmliche Absicherung durch den Familienverband ein?

In der heutigen Zeit ist in den industrialisierten Ländern die Absicherung für verschiedenste Risiken des Lebens besonders ausgeprägt. Dies gilt vor allem für die so genannten Sozialstaaten. In diesen bestehen für Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter weitgehende staatliche Sicherungssysteme. Welche Funktion übernimmt dann noch im Rahmen privater Vorsorge der Familienverband?

Welche Grenzen dem Sozialstaat bezüglich der Absicherung im Alter durch den Familienverband gesetzt sind, ist ein aktuelles Thema der politischen und öffentlichen Diskussion. Wie viel kann der Familienverband zur Altersvorsorge beitragen?

Die Wissenschaft unterscheidet heute verschiedene Formen der Familie:

Zum einen gibt es die Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und den Kindern.[2] Zum anderen gibt es die Großfamilie, welche unterschiedliche Formen annehmen kann, wie z.B. die Dreigenerationenfamilie.[3] Eine weitere Form ist z.B. ein Familienhaushalt, in dem auch verheiratete Kinder mit ihrer Familie untergebracht sind.

Für vorliegende Untersuchung muss der Begriff der „Familie“ aber weiter ausgelegt werden. So zählten lange Zeit weitere, auch nicht verwandte Personen zur häuslichen Gemeinschaft, wodurch die Altersversorgung erst ermöglicht wurde. Aus diesem Grund wird an mancher Stelle anstatt „Familie“ das Wort „Haushalt“ verwendet. Inwiefern dies jeweils eine Erweiterung des Familienbegriffs darstellt, wird im Verlauf der Untersuchung noch genauer dargelegt.

Der Begriff „Familie“ bezieht sich erst seit dem 18. Jh. auf die uns bekannte Gemeinschaft von Vater, Mutter und Kind.[4]

Zudem beschreibt der Begriff der „Kernfamilie“ meistens nur einen bestimmten Zeitraum innerhalb des Familienzyklus, so z.B. die Phase, in der die Kinder mit den Eltern zusammenleben.

Das Grundelement jeglicher Altersvorsorge in einer vorindustriellen Gesellschaft bildete der Familienverband. Erst im Laufe der Industrialisierung bildete sich ein staatlich organisiertes Sicherungssystem heraus. In jeder Gesellschaft, vor allem aber in der westlichen, latein-christlichen Welt, wird der alte, nicht mehr arbeitende Teil der Bevölkerung in irgendeiner Form versorgt.

Wie diese Versorgung ökonomisch gerechtfertigt und garantiert werden kann, stellt zu jeder Zeit unterschiedliche Herausforderungen an den Rest der Allgemeinheit bzw. an den Rest der Gruppe. Die Erscheinungsform dieser Gruppe, ob als Klein- oder Großfamilie, als Sippe oder Dorfgemeinschaft, variiert im Laufe der Zeit.

2. Absicherung im Wirtschaftssystem der Wildbeuter

Die Form der sozialen Absicherung hängt immer von dem jeweiligen Wirtschaftssystem ab.

Selbst in der Gesellschaftsform der „Jäger und Sammler“ (Wildbeuter) galten ökonomische Grundprinzipien:

Die Überlebensfähigkeit der Menschen war von der Größe der Gruppe abhängig. Zum einen bot eine große Gruppe mehr Schutz vor natürlichen Feinden und erhöhte zudem den Jagderfolg. Zum anderen aber erschwerte eine große Anzahl an Personen die Versorgungsfähigkeit der Gruppe, da entweder der Standort häufiger gewechselt werden musste oder eine Erweiterung des Jagdradius nötig war. Denn ein Standort war schnell ausgebeutet. Die Mittel, welche den Männern für die Jagd zur Verfügung standen, waren von bescheidener Natur (Speere, Steine). So war pflanzliche Nahrung meist das einzige, was zur Ernährung diente.

Es wurde festgestellt, dass diese Gruppen im Durchschnitt aus 20-30 Personen bestanden.[5] Diese Gruppengröße stellte einen Kompromiss verschiedener Faktoren dar. Zum einen gab unter anderem die technische Ausstattung (Waffen, einfaches Werkzeug), deren Kosten mit größerer Anzahl wuchsen, eine Grenze vor. Zum anderen wurde aber durch den Kontakt und Austausch mit anderen Personen die psychologische Zufriedenheit gesteigert, was die Gruppengröße anschwellen ließ.

Kinder stellten in einem Wildbeutersystem eher eine Belastung dar, da sie kaum einem anderen gruppenerhaltenden Zweck dienten als der Sicherung des Bestandes. Anders als in einem landwirtschaftlichen System, in dem auch Kinder durch Arbeit einen Teil zum Erhalt der Gruppe beitragen konnten (Tiere füttern, Ernte), mussten sie bei den Wildbeutern lange Zeit vom Rest der Gruppe mitversorgt werden. Kindernahrung gab es nur in Form von Muttermilch, was den Takt der Fortpflanzung verlangsamte, da immer nur ein Kind von der Mutter ernährt werden konnte.

Somit ist es unter Beachtung einer geringen durchschnittlichen Lebenserwartung von 20 Jahren und einer hohen Kindersterblichkeit verständlich, dass die Bevölkerungszahl begrenzt war und über lange Zeit nicht anstieg.[6] Erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft wurde der Weg für einen Anstieg der Bevölkerung geebnet, da nun die Versorgung der Menschen verbessert wurde.

In einem Kulturkreis von Jägern und Sammlern kann die Versorgung der Alten nur innerhalb der Gruppe stattgefunden haben. Somit waren es keine Kernfamilien, sondern eher ein Familienverband, der die Vorsorgefunktion übernommen hat. Allerdings lässt sich jedoch nicht genau sagen, wie diese Versorgung vor sich ging. Aufgrund der niedrigen Lebenserwartung, dem kargen Leben und der nicht vorhandenen medizinischen Versorgung kann aber vermutet werden, dass der Zeitraum, in welchem die Versorgung vom Rest der Gruppe übernommen werden musste, nicht sehr lang gewesen ist.

3. Altersversorgung in der Antike

Durch den Beginn der Geschichtsschreibung im antiken Griechenland und im Römischen Reich ist es der Nachwelt möglich, sich ein besseres Bild über den damaligen Zustand zu machen. Allerdings geben literarische Werke hauptsächlich Auskunft über die Oberschicht der Bevölkerung.[7] Eine Differenzierung zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten ist daher kaum möglich. Hinzu kommt, dass die meisten Werke des antiken Griechenlands sich auf das klassische Athen beziehen.[8] Zudem wiesen beide Reiche bedingt durch ihre Größe auch regionale Unterschiede auf.

3.1 Griechenland

Den Begriff der „Familie“ im heutigen Verständnis gab es im antiken Griechenland nicht. Vielmehr stand an dessen Stelle der „ o i c o V “ (oikos, Hausgemeinschaft).

Der Begriff „ o i c o V “ variierte in seiner Bedeutung im Laufe der Zeit. Durch die Lehre des Aristoteles (384-322 v. Chr.) und einem so verursachten denkerischen Umbruch fand er zu der Bedeutung des Wohnraums bzw. der in diesem lebenden Gruppe.[9] So setzte sich für Aristoteles der Staat auch nicht aus einzelnen Menschen zusammen, sondern aus der Gemeinschaft der einzelnen Haushalte, der „ o i c o V “.[10]

Das Wort „Kernfamilie“ kannte das klassische Griechenland somit nicht. Kulturgebundene Gegebenheiten sorgten für verschiedene Haushaltsformen.[11] So spiegelten beispielsweise der Verbleib des Sohnes im väterlichen Haushalt oder der Verbleib der verwitweten Mutter beim ältesten Sohn die Tendenz zum Dreigenerationenhaushalt wider. In manchen Fällen konnten auch Verwandte in einen Haushalt aufgenommen werden, falls diese sich in einer Notsituation befanden. Ebenso war die gemeinsame Führung eines Haushalts von Geschwistern für eine gewisse Zeit denkbar. Die Form und Größe der Familie variierte somit im Laufe der Zeit.[12]

Aufgrund demographischer Gegebenheiten war die Kernfamilie dennoch die am häufigsten verbreitete Familienform.[13]

So betrug die Wahrscheinlichkeit für einen 10- bzw. 15-jährigen Jungen, einen Großvater väterlicherseits zu haben, nur 5 bzw. 2%.[14] Die Bildung eines Dreigenerationenhaushalts war somit nur äußerst selten möglich.

Staatliche Altersversorgung im heutigen Sinne gab es in der Antike nicht. Die einzige Vorsorgungsmöglichkeit bot daher der Familienverband. Da die Möglichkeit zur Bildung finanzieller Rücklagen nur Wenigen der Oberschicht gegeben war, waren es die Kinder, welche für das Wohlergehen der älteren Generation verantwortlich waren. Somit war der Kinderwunsch besonders von einem Selbsterhaltungstrieb geprägt, um den Bestand des „o i c o V “ zu sichern. Diese sachliche Bindung, geprägt vom Selbsterhaltungstrieb und dem Wunsch nach Absicherung zwischen Eltern und ihren Kindern, wurde wegen der hohen Kindersterblichkeit (25-30%) weiter verstärkt. Emotionale Bindungen zwischen Eltern und ihren Kindern wurden erst viel später aufgebaut.[15]

Gesellschaftlich war es eine Pflicht, für seine Eltern zu sorgen. Dies war durch Gesetze soweit geregelt, dass bei Nicht-Beachtung der Angeklagte der „atimia“ (Ehrlosigkeit) ausgesetzt war.[16]

3.2 Römisches Reich

Bedingt durch die Größe des Römischen Reiches kam es zwingend zu regionalen Unterschieden. Allerdings fehlen, wie bereits eingangs erwähnt, hierzu Quellen, um diese ausreichend darstellen zu können. Eine Ausnahme bildet dabei die römische Provinz Ägypten mit ihren „papyri“. Diese enthalten auch über die breite Bevölkerungsschicht Informationen. Die römische Literatur bezieht sich hingegen hauptsächlich auf die Oberschicht.[17]

Auch im Römischen Reich gab es den Begriff der Familie im heutigen Sinne ebenso wenig wie im antiken Griechenland.

Das lateinische Wort „familia“ hat mehrere Bedeutungen, u.a. agnatische Verwandtschaft oder Sklavengesinde. Keine entspricht aber dem heutigen Sinn der Kernfamilie.[18]

Jedoch gibt es eine Analogie zum griechischen Ausdruck „ o i c o V “, nämlich das Wort „domus“, die römische Bezeichnung für den Haushalt. Es steht u.a. für das Gebäude, sowie für das Vermögen des Hausvaters oder auch für die Personengruppe „consortium“, die zusammen ein Haus bewohnen.[19] Der Ausdruck wurde folglich vor allem für den personellen häuslichen Rahmen verwendet, in welchem die Altersvorsorge stattfand.

Seine Bedeutung variiert mit der Bevölkerungsschicht. So waren beispielsweise Sklaven bei der aristokratischen Bevölkerung Bestandteil des alltäglichen Lebens und somit auch des „domus“. Bei den ärmeren Schichten, welche sich Sklaven nicht leisten konnten, entspricht der Ausdruck eher unserem heutigen Bild der Kernfamilie.[20]

[...]


[1] Deimling, Gerhard: „Alter(n) und Sozialstruktur“, 1998, S.29.

[2] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 38.

[3] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 38.

[4] Dinzelbacher, Peter: „Europäische Mentalitätsgeschichte“, 1993, S. 39.

[5] Peukert, Helge: „Abschnitt – Wildbeuter“. In: Schefold Bertram (Hrsg.): „Wirtschaftssysteme im historischen Vergleich“, 2004, S. 117.

[6] Peukert, Helge: „Abschnitt – Wildbeuter“. In: Schefold Bertram (Hrsg.): „Wirtschaftssysteme im historischen Vergleich“, 2004, S. 98.

[7] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 22.

[8] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 22.

[9] Meyer Ulrich, „Soziales Handeln im Zeichen des ‚Hauses’“, 2003, S. 48.

[10] Dinzelbacher, Peter: „Europäische Mentalitätsgeschichte“, 1993, S. 10.

[11] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 39.

[12] Dinzelbacher, Peter: „Europäische Mentalitätsgeschichte“, 1993, S. 10.

[13] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 39.

[14] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 28.

[15] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 72.

[16] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 83.

[17] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 22.

[18] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 95.

[19] Meyer Ulrich, „Soziales Handeln im Zeichen des ‚Hauses’“, 1998, S. 59.

[20] Gestrich, Andreas et al.: „Geschichte der Familie“, 2003, S. 96.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Kulturelle Spezifika privater Vorsorge im Familienverband im internationalen Vergleich
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V66838
ISBN (eBook)
9783638592277
ISBN (Buch)
9783656068143
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kulturelle, Spezifika, Vorsorge, Familienverband, Vergleich
Arbeit zitieren
Christoph Wolf (Autor:in), 2006, Kulturelle Spezifika privater Vorsorge im Familienverband im internationalen Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66838

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