Kopulativkomposita


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1: Begriffsbestimmung
1. Überblick
2. Kategorialer Status des Kopulativkompositums in der Fachliteratur
3. ´Klassische´ Definitionskriterien im Überblick
4. Diskussion
4.1 Morphosyntaktische Koordination und Wortakzent
4.1.1 Wortart
4.1.2 Anzahl der Konstituenten / Binarität
4.1.3 Fugenelemente
4.1.4 Graphie
4.1.5 Wortakzent
4.1.6 Zusammenfassung
4.2 Semantische Koordination
4.2.1 Zugehörigkeit der Konstituenten zum selben
lexikalischen Paradigma
4.2.2 Reihenfolge und Vertauschbarkeit der Konstituenten
4.2.3 Überprüfung der semantische Gewichtung der
Konstituenten
A) Empirie: Experimente und Kontext
B) Theorie: Syntagmatische Auflösung / Paraphrasen
4.2.4 Zusammenfassung

Teil 2: Bildungsregularitäten und Bildungsmuster
1. Kopulativ-verdächtige Komposita / Streitfälle
Typ (A): Hosenrock, Radiouhr, Schaf-Ziege
2. Kopulativkomposita
Typ (a): Nordost, Chlorwasserstoff
Typ (b): Dichter-Komponist
Typ (c): Baden-Württemberg
Typ (d): adjektivische Kopulativkomposita: süßsauer, spitzgelb
3. Zusammenfassung

Fazit
Quellenverzeichnis

Vorwort

Die vorliegende Arbeit über das Kopulativkompositum widmet sich einem Phänomen der Komposition, dessen Status - zumal gegenüber den Determinativkomposita - nicht gesichert ist. Als Kopulativkomposita werden solche Verbindungen bezeichnet, deren Konstituenten in einem parataktischen Verhältnis stehen.

Diese Problematik ist im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte hin und wieder erwähnt worden; aber erst seit der intensiveren Beschäftigung mit dem Altindischen, aus dem hierfür die Bezeichnung ´dvandva´ übernommen wurde, auch wieder stärker für die deutsche Sprache analysiert worden. Insgesamt gibt es verhältnismäßig wenige wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema. Diese sind zudem häufig sehr kontrovers.

Zu Beginn dieser Arbeit soll ein kurzer Überblick über den Diskussionsgegenstand gegeben sowie die Ansichten einiger Autoren zusammengefaßt werden.

Nachfolgend wird im ersten Teil versucht, das Phänomen ´Kopulativkompositum´ mittels der traditionellen und auch weiterer Kriterien zur Begriffsbestimmung auf seinen Status hin zu überprüfen. Dazu sollen sowohl formale als auch semantische Aspekte herangezogen werden. Schwerpunktmäßig wird die besonders strittige Gruppe der nominalen Kopulativkomposita und auch die Gruppe der Adjektivkopulativa diskutiert, marginal werden verbale Verbindungen berührt, da hier das kopulative Verhältnis äußerst fraglich ist.

Alle der in diesem Rahmen gesichteten wissenschaftlichen Abhandlungen zu den sog. Kopulativkomposita stützen ihre Untersuchungen auf die ´klassischen´ Bestimmungskriterien.

Dies hat jedoch bisher zu keiner Definition des Begriffs geführt, die im Kern allgemein akzeptiert ist. Im zweiten Teil dieser Arbeit soll deswegen versuchsweise ein alternativer Ansatz zur weiteren Klärung des Phänomens der Kopulativa vorgenommen werden, der nach Bildungsmustern und -regularitäten fragt und v.a. auch auf Annahmen der kognitiven Grammatik beruht.

Teil 1: Begriffsbestimmung

1. Überblick

Für das Phänomen ´Kopulativkompositum´ existiert in der Literatur eine Vielzahl von Bezeichnungen. So belegen Namen wie

appositive, appositionelle Komposita, Dvandva, koordinierte, koordinative, Koordinativkomposita, konjunktive Komposita, attributive Komposita, Additiva, additive, appositionelle Komposita, Anreih-Komposita, Reihenwörter, Zwillingsformen, Verbindungszusammensetzungen, kopulativ-verdächtige Komposita,

daß die Ansichten verschiedener Autoren darüber stark variieren, was / was nicht als Kopulativkompositum gilt, bzw. welche Kriterien zu dessen Bestimmung angesetzt werden können. Die Benennungsvielfalt impliziert aber auch, daß es sich hierbei um eine heterogene und z.T. schwer greifbare Gruppe von Komposita handelt, was besonders in bezug auf die Semantik sichtbar wird.

Im Gegensatz zu den Determinativkomposita gelten als Kopulativkomposita solche Zusammensetzungen, deren Konstituenten in einem parataktischen Verhältnis stehen (Strumpfhose, Dichter-Sänger, taubstumm, deutsch-polnische (Begegnung)...) und also addiert erscheinen. Eine determinative Relation ist somit ausgeschlossen.

Geschuldet der Prämisse der Parataxe zwischen den Konstituenten, handelt es sich um eine eingeschränkte, relativ überschaubare Menge an Komposita dieses Verbindungstyps. Die verhältnismäßig geringe Häufigkeit - zumal bei den kopulativen Substantiv- und Verbkomposita - hat auch die Frage immer wieder neu belebt, ob den sog. Kopulativkomposita ein eigenes Bildungsmuster zugrunde liegt oder ob sie in die Nähe der Determinativkomposita gestellt bzw. diesen sogar angeschlossen werden sollten. Zu recht verweist NEUSS in diesem Zusammenhang darauf, daß „[d]as Kriterium der Vorkommenshäufigkeit [...] aber für die Ebene des Sprachsystems nicht relevant sein“[1] kann.

Im folgenden sollen kurz die Auffassungen einiger Autoren über die Existenz des Kompositionsmodells ´Kopulativkompositum´ zusammengefaßt werden.

2. Kategorialer Status des Kopulativkompositums in der Fachliteratur

Für einen eigenständigen Typ „Kopulativkompositum“ argumentiert beispielsweise SIMMLER: bei der Bildung von Kopulativkomposita handle es sich um eine „systematische Möglichkeit [...], mehr als zwei Konstituenten zu einer neuen Worteinheit“[2] zu verbinden und somit nicht um eine Subklasse. Ähnlicher Ansicht ist ERBEN; allerdings schließt er die Nomina propria (Baden-Württemberg, Österreich-Ungarn etc.) aus, die er lediglich als „logische Summe“[3] betrachtet.

Eine Abgrenzung zu den Determinativkomposita nimmt auch NEUSS vor, jedoch dahin gehend, daß „eine regelhafte Einschränkung einer allgemeineren Regel“[4] vorläge und Kopulativa als „neutralisierte Determinativa“[5] zu beschreiben seien.

Daß sich der öfter postulierte Dualismus ´Determinativkompositum vs. Kopulativkompositum´ insbesondere bei den Substantivkomposita als durchaus problematisch erweist, deutet sich bei FLEISCHER / BARZ mit ihrem ´Übergangsbereich´[6] zwischen den beiden Kategorien an (Bruderland, Herstellerfirma, Gastdozent, Ministerfreund, , Flugzeugfackel, Hochhaushotel, Blitzlicht ...), wird aber von ORTNER noch deutlicher angesprochen: „Die Grenze zwischen Determinativ- und Kopulativkomposita ist dann unscharf, wenn sich der Informationsschwerpunkt zu Gunsten einer Konstituente verschiebt; es besteht ein breites Übergangsfeld“[7]. Hier zeichnet sich außerdem ab, daß der Unterschied primär auf der Ebene der Semantik zu suchen ist.

Eine restriktivere Meinung vertritt DONALIES, die eine Berechtigung des Bildungsmusters lediglich einigen Adjektivkomposita einräumt (deutsch-französische Beziehungen, schwarz-rot-gold...). Alle additiven Nomen- und Verbkomposita, sowie viele der Adjektiv-Zusammensetzungen hätten auch eine determinative Lesart und sollten folglich als Determinativkomposita analysiert werden. Hier drängt sich allerdings die Frage auf, inwieweit es überhaupt gerechtfertigt ist, ein Kompositum mit kopulativer und determinativer Lesart automatisch den Determinativkomposita zuzuordnen.

Auch BREINDL / THURMAIR räumen ein, daß es „durchaus der Fall sein [mag], daß für die Wortbildung [von Adjektiv-, Abverb- und Eigennamenkomposita] ein kopulatives Kompositionsmuster existiert“[8]. Für nominale Kopulativa gäbe es jedoch „keine nachweisbaren Kriterien [...], die die Existenz zweier eindeutig distinktiver Kategorien ´Kopulativkompositum´ und ´Determinativkompositum` [...] rechtfertigen“[9], weswegen sie sich „problemlos unter die (ohnehin weite und heterogene) Klasse der Kopulativkomposita subsummieren“[10] ließen. Gestützt durch ihre empirischen Untersuchungen, kommen sie außerdem zu dem Schluß, daß sich die Kategorie ´nominale Kopulativkomposita´ „in der Sprachkompetenz von Sprechern des Deutschen nicht nachweisen“[11] ließe. Infolge dessen sprechen die Autoren nicht mehr von Kopulativkomposita, sondern von ´kopulativ-verdächtigen Komposita´.

Gänzlich gegen ein eigenständiges Erklärungsmodell spricht sich EISENBERG aus, für den die kopulativen Bildungen einen „Grenzfall des Determinativkompositums [darstellen] und diesem nicht als eigener Kompositionstyp gegenübergestellt werden“[12] müssen.

3. ´Klassische´ Definitionskriterien im Überblick

Kurz im Überblick sollen hier die ´klassischen´ Definitionskriterien für Kopulativkomposita angeführt werden, also jene, die in den meisten Abhandlungen zur Eingrenzung des Begriffs herangezogen werden. Darauffolgend werden sie in einer ausführlicheren Behandlung neben anderen Aspekten wieder aufgegriffen und diskutiert.

Mit der Gleichordnung der Konstituenten in einem Kompositum gehen Restriktionsregeln für das Zusammensetzen von Morphemen einher. Diese können unter ´kategorialer Zugehörigkeit´ zusammengefaßt werden und betreffen auf formaler Seite die Zugehörigkeit der Konstituenten zur gleichen Wortart (Adj.-Adj.: dummdreist, fünfzehn etc.; N-N: Uhrenradio, Flugzeugfackel etc.; V-V: spritzgießen, lobtadeln etc.), auf semantischer Seite zum selben lexikalischen Feld (Kleidung: Hemdbluse, Himmelsrichtung: Süd-West etc.).

Des weiteren wird häufig auf das Kriterium der Konstituentenanzahl verwiesen, welche - bedingt durch die parataktische Relation - ≥2 sein müßte. In engem Zusammenhang steht die Frage nach der Gültigkeit der für die Determinativa charakteristischen binären Struktur der Komposita. Die Nebenordnung aus semantischer Perspektive zieht die Diskussion um die Vertauschbarkeit der Konstituenten nach sich und wird versucht, mittels Paraphrasen, wobei die ´und-Paraphrase´ (AB ist A und B) als die prototypische gilt, greifbar zu machen.

4. Diskussion

4.1 Morphosyntaktische Koordination und Wortakzent

4.1.1 Wortart

Eine Grundvoraussetzung für eine koordinative Beziehung ist, daß die Konstituenten eines Kompositums derselben Wortart angehören. Dies ist prinzipiell auch bei Determinativkomposita möglich (Fensterbrett, schwerkrank etc.), jedoch können bei kopulativen Verbindungen Paraphrasen zur Verdeutlichung der grammatischen Gleichrangigkeit der Kompositionsglieder eingesetzt werden:

Kompositum : die Sauce hat einen süßsauren Geschmack à Syntagma : die Sauce hat einen süßen und (und auch / und gleichzeitig) sauren Geschmack.

Das in der Literatur häufig erwähnte Kriterium der Paraphrasierbarkeit des Kompositums impliziert jedoch oftmals eine Parallelität zwischen syntaktischem und semantischem Wert des ´und´. So ist beispielsweise für ERBEN „[w]irkliche Nebenordnung [...] nur zwischen grammatisch gleichrangigen Einheiten möglich, die durch und verbindbar“[13] sind. Von einer solchen Parallelität darf allerdings keinesfalls ausgegangen werden; das ´und´ in formaler Hinsicht signalisiert lediglich, daß eine Verbindung auf gleicher syntaktischer Stufe stattfindet.

Es ist wichtig, die Richtung der kausalen Folgerung von der Paraphrase auf die syntaktische Nebenordnung der Konstituenten zu beachten, denn ob eine syntagmatische Auflösung zulässig ist, ist in erster Linie ein semantisches Problem.

Dies sei am Bsp. von ´ die Sauce hat einen süßsauren Geschmack ´ expliziert:

Weil eine Paraphrase ´ die Sauce hat einen süßen und (und auch / und gleichzeitig) sauren Geschmack´ möglich ist , sind die Konstituenten auch grammatisch gleichrangig, d.h., sie müssen beide Adjektive sein. Eine umgekehrte Begründung, also: weil die Konstituenten des Kompositums ´ süßsauer´ im Bsp. ´ die Sauce hat einen süßsauren Geschmack´ beide Adjektive und damit gleichrangig sind, muß eine Paraphrase ´ die Sauce hat einen süßen und (und auch / und gleichzeitig) sauren Geschmack´ möglich sein , kann nicht statthaft sein, denn Semantik kann nicht grammatisch motiviert sein.

Die Diskrepanz zwischen syntaktischer Figur und semantischer Funktion des ´und´ der Paraphrase läßt sich auch gut an Determinativkomposita demonstrieren, deren Konstituenten der gleichen Wortart angehören. So provoziert bei der Überführung des Satzes ´ Er stellte die Pflanzen auf das Fensterbrett´. in die Paraphrase ´Er stellte die Pflanzen auf das Fenster und (und auch / und gleichzeitig) das Brett.´ das ´und´ keinen Verstoß aus grammatischer Perspektive; die Unzulässigkeit ist semantisch bedingt. Von daher sollten - bezogen auf die formale Seite - ´und-Paraphrasen´ nicht zur Unterscheidung Kopulativkompositum vs. Determinativkompositum herangezogen werden.

Daß sich die grammatische Gleichrangigkeit der Konstituenten im Kompositum allenfalls auf das Kriterium derselben Wortart beziehen kann und nicht auf das flexivische Verhalten, soll anhand der einzelnen, für Kopulativkomposita nachgewiesenen Wortarten gezeigt werden.

N-N

Unter allen nominalen Komposita stellen die Kopulativa einen relativ geringen Teil, den ORTNER et al. für ihr Korpus mit ca. 0,4% beziffern.[14] Dennoch

ist dieser Typ, der vorrangig in Sach- und literarischer Prosa zu finden ist, produktiv, insbesondere in bezug auf Modeartikel (Kleiderschürze, Rockhose), Berufe (Reporter-Ingenieur, Arzt-Kosmonaut) und technische Geräte (Radiowecker, Uhrenradio).

Für alle morphologischen Verbindungstypen (substantivische Grundmorpheme verschiedener Komplexitätsgrade: Strumpfhose, Schauspieler-Autor bzw. Fügungen von Nomina propria: Elsaß-Lothringen, Annamaria...) gilt im Normalfall, daß die grammatische Kategorie (ausschließlich) durch das letzte Glied bestimmt bzw. an diesem markiert wird. BREINDL / THURMAIR (S. 38) verweisen in diesem Zusammenhang auf Numerus (*die Kinoscafé / *die Kinoscafés), Genus (*der Pulloverweste), Diminuitiv (*Strümpfchenhose / *Strümpfchenhöschen). Etwas uneindeutiger ist dagegen die Kategorisierung Kasus (*des Dichters-Komponist / *des Dichters-Komponists), für die FLEISCHER / BARZ sogar festhalten: „Die Gleichstellung beider UK [=unmittelbarer Konstituenten] geht soweit, daß - zumindest bei okkasionellen WBK [=Wortbildungskonstruktionen] - bei Flexion des Zweitgliedes auch das Erstglied flektiert wird: dem Journalisten-Wissenschaftler[15]. Ein ebenfalls weniger gesichertes Kriterium ist das der Genus/Sexusmarkierung. So argumentieren BREINDL / THURMAIR zwar, daß „Komposita wie Produzentin-Regisseurin, Dichterin-Komponistin, Dichterin-Sängerin [...] nirgends belegt“[16] sind, führen aber an anderer Stelle das Kompositum Kaiserin-Königin aus ihrem Korpus auf. Auch ist die Begründung für die Fragwürdigkeit von Bildungen wie Amateurin-Photographin oder Laiin-Forscherin nicht prinzipiell in der angeblich generellen flexivischen Markierung am Zweitglied zu suchen, sondern - zumal bei diesen Beispielen - vielmehr in der Lexikalisierung von Amateurphotograph bzw. Laienforscher.

Die genannten Streitfälle können jedoch als marginale Erscheinungen betrachtet werden. Es kann daher festgehalten werden, daß sich nominale Kopulativkomposita bzgl. der Komposition aus morphosyntaktischer Sicht i.d.R. wie Determinativkomposita verhalten.

Verschiedene Formen der Ausdruckskürzung können ebenfalls zu den N-N-Komposita gezählt werden: Kohlenwasserstoff (=Kohlenstoff-Wasserstoff ), Bullterrier (=Bulldogge-Terrier) , Kiba (Kirschsaft-Bananensaft) und Kontaminationen wie Tomoffel (=Tomate x Kartoffel) und Liger (=Löwe x Tiger).

Adj.-Adj.

Adjektivische kopulative Verbindungen kommen verhältnismäßig häufig vor; im Korpus von PÜMPEL-MADER sind sie beispielsweise mit ca. 25% der Adjektivkomposita vertreten.[17]

Der relativ große Anteil von ad-hoc- bzw. nicht-usuellen Bildungen beweist die Produktivität dieser Klasse.

Als Konstituenten können Simplizia, Ableitungen und Komposita auftreten (taubblind, stumm-bedeutungsvoll, lachsfarben-schwefelgelb, meerblau-grasgrün[18] etc.), wobei

„sich die deutlichsten Kopulativkomposita bei primären, nichtabgeleiteten Adjektiven“[19] ergeben (rot-weiß, naßkalt, nahfern etc.). Was BREINDL / THURMAIR zusammenfassend für substantivische Kopulativkomposita formuliert haben, läßt sich auch hier verallgemeinern: Hinsichtlich ihrer flexivischen Merkmale sind Adjektiv-Kopulativkomposita „syntaktisch genauso endozentrisch wie Determinativkomposita, d.h. die syntaktische Distribution des Kompositums ist identisch mit der des Zweitglieds, der Kompositionsprozeß ist nicht kategorienverändernd“[20]. Das heißt aber nicht, daß alle potentiellen Kategorisierungen in Belegen auch tatsächlich nachgewiesen sind. So ist es z.B. fraglich, wie mit dem Kriterium der Komparation umgegangen werden sollte: Phrasen wie das dummfrechste Mädchen sind zwar theoretisch möglich, wirken jedoch ungewöhnlich (und sind bestenfalls textsortenspezifisch) bzw. konstruiert. Beispiele wie „hinsichtlich des sprachlichen-stilistischen Charakters“ oder „unbekanntes-wohlbekanntes Mädchen[21] zeigen sowohl, daß es auch hier Ausnahmen von der allgemeinen Regel gibt, als auch daß sich die Grenzziehung zwischen Kopulativkompositum und freier syntaktischer Gruppe bei den adjektivischen Kopulativa noch schwieriger gestaltet als bei den nominalen.

Bei den Adj.-Adj-Kopulativa sind Ausdruckskürzungen möglich und nachgewiesen bei komponierten Konstituenten (air-mittelblau (=airblau-mittelblau)), aber selten vertreten.

V-V

Bildungen dieses Typs sind selten und von einer ausgeprägten Textsortenspezifik gekennzeichnet. Ihre Produktivität läßt sich in (technischen) Fachsprachen nachweisen: spritzgießen, fließpressen etc. Sie treten jedoch meist in nominalisierter Form auf.

Beispiele aus der expressiven Dichtung wirken häufig ungewöhnlich und sind überwiegend Okkasionalismen: lachweinen, fluchbeten, grinskeuchen[22].

Hier liegt vielmehr eine Lesart vor, bei der die erste Konstituente intuitiv eher als Spezifikation der zweiten aufgefaßt wird, was besonders deutlich die textuelle Einbettung des folgenden Beispiels zeigt: „Bevor der Berliner aber tadelt oder lobtadelt[23]. Da eine kopulative Interpretation höchst fraglich ist, soll in dieser Abhandlung auf die „kopulativen“ Verb-Komposita nicht näher eingegangen werden.

Andere Wortarten

Außer den flektierbaren nominalen, adjektivischen und verbalen Kopulativkomposita werden in der Literatur keinerlei kopulative Verbindungen aus Lexemen anderer Wortarten diskutiert. Lediglich ERBEN (S. 39) erwähnt kurz das Beispiel neben-bei. Einer möglichen Gruppe ´P-P-Kopulativkomposita´ könnten nun z.B. auch anbei und zwischendurch ? zugefügt werden; es sollen hierzu allerdings keine näheren Betrachtungen durchgeführt werden. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den kopulativen Nomen- und Adjektivverbindungen.

4.1.2 Anzahl der Konstituenten / Binarität

Wenn ein kopulatives Kompositionsmuster existiert, d.h. wenn die Konstituenten gleichwertig sind, dann ist davon auszugehen, daß auch Zusammensetzungen aus mehr als zwei Gliedern möglich sind und daß die Gliedrigkeit der Anzahl der Konstituenten entspricht. Die für Determinativkomposita typische binäre Struktur wäre dann also für Kopulativa möglich, aber nicht generell anzunehmen.

Ähnliche Auffassungen vertreten DONALIES, SIMMLER, FLEISCHER / BARZ und PÜMPEL-MADER. Tatsächlich sind in den in der Literatur zusammengestellten Korpora jedoch selten Beispiele zu finden, die aus mehr als zwei Konstituenten bestehen. Dies gilt besonders für kopulative nominale Verbindungen (Autor-Regisseur-Verleger, Autor-Regisseur-Schauspieler)[24]. BREINDL / THURMAIR konnten in ihrem Korpus nur einen einzigen derartigen Beleg nachweisen, nämlich „einer der erfolgreichsten Produzenten-Schreiber-Regisseure der amerikanischen Kinos“[25], den die Autoren aber dahingehend deuten, daß er - wie ihrer Meinung nach alle Kopulativkomposita - auch determinativ gelesen und damit binär strukturiert werden kann: „ein Regisseur, der (auch) Produzent und Schreiber ist“[26]. Gegen diese relativische Paraphrase ist prinzipiell nichts einzuwenden, es erscheint aber diskutabel, ob sie zwangsläufig mit einer determinativen Interpretation einhergeht. Daß BREINDL / THURMAIR jedoch genau dies annehmen, ist der Tatsache geschuldet, daß sie sämtliche Untersuchungen und Deutungen der Beispiele ihrer Eingangsthese: Kopulativkomposita als Subklasse der Determinativkomposita anzupassen versuchen. Eine solche deduktive Herangehensweise ist fraglich.

Nach Ansicht von ERBEN bestehen substantivische Bildungen aus paarig verbundenen Gliedern, bei Adjektiven sind dagegen Verbindungen aus mehr als zwei Konstituenten möglich. Verglichen mit den nominalen treten die adjektivischen Kopulativa häufiger auf. Komposita aus drei Konstituenten sind im von PÜMPEL-MADER untersuchten Korpus mit einer Häufigkeit von 5% belegt[27], darunter überwiegend Farbbezeichnungen: rot-blau-grüne Acht-Cent-Briefmarke, gelb-schwarz-weiße Thomson-Gazellen, jiddisch-hebräisch-aramäisches Wort etc.; vier Kompositionsglieder sind dagegen Ausnahmen und haben generell ad-hoc-Charakter: karolingisch-ottonisch-salisch-staufisches Deutschland, bürokratisch-verknöchert-moskauhörig-unverbesserlich[28] .

Kaum nachvollziehbar ist die von NEUSS postulierte binäre Konstituentenstruktur - aufgrund welcher er Bildungen wie schwarzrotgold ausschließt - da er für ein Kompositionsmuster ´Kopulativkompositum´ argumentiert und auch von einer Gleichwertigkeit der Konstituenten ausgeht.

4.1.3 Fugenelemente

Der Aspekt der Fuge beschränkt sich auf nominale Kopulativkomposita. Der überwiegende Teil der Belege ist - wie auch bei Determinativkomposita - fugenlos (Dichter-Sänger, Fürstbischof); es sind darüber hinaus aber weniger verschiedene Ausprägungen belegt: /n/ (Hosenrock, Birnenapfel), /ən/ (Uhrenradio, Rebellenbischof), /ər/ (Kleiderschürze, Kinderpilot). Die /s/-Fuge (Zwillingsbruder, Anwaltskollege) ist unter Vorbehalt zu berücksichtigen, da hier nur Beispiele zu existieren scheinen, bei denen die kopulative Relation sehr ungesichert ist.

BREINDL / THURMAIR argumentieren, daß „wenn Kopulativkomposita durch eine echt koordinative Beziehung strukturiert sind [...], dann dürften sie keine Fugenelemente enthalten“[29]. Zumindest gelte dies für ältere Bildungen, bei denen Fugenausprägungen als Flexionselemente fungieren. „Wenn aber kopulativverdächtige Komposita heute ebenfalls Fugenelemente aufweisen, dann ist dies ein weiteres Zeichen dafür, daß es (morphosyntaktisch) bei N-N-Komposita eben nur ein einziges Kompositionsmuster gibt“[30]. Dieser Annahme kann nicht gefolgt werden, weil Fugenelemente nicht zwangsläufig grammatische Funktion besitzen; wegen der Addition der Konstituenten dürften sie lediglich keinen Morphemstatus besitzen. Schließlich ist es durchaus denkbar, daß hier einmal mehr der von NEUSS öfter erwähnte Analogiedruck des determinativen Bildungsmusters wirkt.

4.1.4 Graphie

Signifikant ist der Gebrauch des Bindestrichs zur Kennzeichnung kopulativer Verbindungen. Um eine Vorstellung von der Häufigkeit zu erlangen, soll das von PÜMPEL-MADER beschriebene Korpus als Beispiel dienen: 36% (Gesamtkorpus: 6%)[31] der nominalen (Baden-Württemberg, Autor-Regisseur) und 80% (Gesamtkorpus: 45%)[32] der adjektivischen Kopulativkomposita (deutsch-englisch, blutig-schleimig) sind mittels Bindestrich verknüpft. Selten werden Schrägstrichvarianten verwendet (Teilnehmer/Beobachter, politisch/gesellschaftlicher Teil). Hin und wieder sind auch Doppelformen belegt (Radiouhr - Radio-Uhr, süßsauer - süß-sauer).

Aus formaler Perspektive sind v.a. mophologisch komplexere Konstituenten durch Bindestrich verbunden, welcher gleichzeitig eine bessere Überschaubarkeit/ Erfassung des Kompositums sichert. Daneben signalisiert er eine weniger enge Verbindung der Kompositionsglieder und kann somit auch Hinweis auf eine mögliche Gleichwertigkeit der Konstituenten geben. Und nicht zuletzt lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Problematik der Abgrenzung von Kompositum zu freier syntaktischer Gruppe.

4.1.5 Wortakzent

Wenn zwischen den Konstituenten eines Kompositums eine kopulative Relation bestünde, dann müßte eine Mehrfachakzentuierung bzw. eine Betonung des Letztglieds möglich sein.

Daß die Mehrzahl der nominalen Kopulativkomposita jedoch anfangsbetont (Kindfrau, Rockhose, Dichter-Komponist...) wird, führt NEUSS wieder auf den Analogiedruck des determinativen Betonungsmusters zurück. Da BREINDL / THURMAIR für ihr Korpus keinen einzigen Beleg mit von Determinativkomposita abweichendem Akzentverhältnis festgestellt haben, kommen sie zu dem Schluß: Kopulativkomposita „unterscheiden sich in bezug auf [...] Akzent [...] nicht von Determinativkomposita“[33]. Diese These wirkt allerdings mutmaßend, hält man sich Beispiele wie Chlorwasserstoff, Nord-Ost und Garmisch-Partenkirchen (Eigennamen werden bei BREINDL / THURMAIR jedoch nicht betrachtet) vor Augen.

Bei adjektivischen kopulativen Komposita dagegen scheint der schwebende bzw. der Endakzent keine Seltenheit zu sein (rot-weiß, schwarz-rot-goldene Flagge, wissenschaftlich-technischer Assistent, amtlich-fachlich ...) und damit dieses Kriterium zur Abgrenzung von Kopulativ- zu Determinativkomposita zumindest teilweise zu erfüllen.

[...]


[1] Neuß, S. 46.

[2] Simmler, S. 382.

[3] Erben, S. 40.

[4] Neuß, S. 46.

[5] Ebd., S. 54.

[6] Vgl. Fleischer / Barz, S. 129/130.

[7] Ortner, S. 115.

[8] Breindl/ Thurmair, S. 33.

[9] Ebd., S. 32.

[10] Ebd., S. 60.

[11] Ebd.

[12] Eisenberg, S. 223.

[13] Erben, S. 39.

[14] Vgl. Pümpel-Mader, S. 115.

[15] Fleischer / Barz, S. 128.

[16] Breindl / Thurmair, S. 38.

[17] Vgl. Pümpel-Mader et al., S. 43.

[18] Ebd., S. 50.

[19] Neuß, S. 58.

[20] Breindl / Thurmair, S. 38.

[21] Pümpel-Mader et al., S. 51.

[22] Erben, S. 62.

[23] Ebd.

[24] Vgl. Simmler, S. 381.

[25] Vlg. Breindl / Thurmair, S. 36.

[26] Ebd.

[27] Vgl. Pümpel-Mader, S. 50.

[28] Pümpel-Mader, S. 51.

[29] Breindl / Thurmair, S. 39.

[30] Ebd.

[31] Vgl. Ortner et al., S. 152.

[32] Vgl. Pümpel-Mader et al., S. 51.

[33] Breindl / Thurmair, S. 60.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Kopulativkomposita
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V66587
ISBN (eBook)
9783638591478
ISBN (Buch)
9783638671538
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diskussion der traditionell verwendeten Merkmale zur Begriffsbestimmung des umstrittenen Phänomens 'Kopulativkompositum'. Darüber hinaus Einbeziehung von Ansätzen aus der Kognitiven Grammatik, wodurch eine weitere, genauere Definition des Begriffs gewonnen werden konnte.
Schlagworte
Kopulativkomposita
Arbeit zitieren
Dorothea Bräutigam (Autor:in), 2005, Kopulativkomposita, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66587

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Titel: Kopulativkomposita



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