Radix malorum est cupiditas - Zu Chaucers "Pardoner's Tale" - Quellen und Hintergründe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung

II Strukturelle Analyse

III Stoff und Quellen

IV Chaucers Bearbeitung
IV.1 Tod dem Tod – Die Queste der drei Gefährten
IV.2 Der alte Mann

V Erzählung vs. Predigt
V.1 Elemente der Predigt
V.2 Predigende Erzählung – Erzählende Predigt

VI Schlussbemerkung

VII Bibliographie

I Einleitung

„Habgier ist die Wurzel allen Übels.“ Unter diese Motto stellt der Pardoner seine tale und führt mit seiner Geschichte über die drei riotoures auch gleich ein Exemplum dafür vor. Obwohl als bekannte Volkssage weit verbreitet, ist diese Geschichte in Chaucers Version auch einzigartig, und verdient damit unsere Aufmerksamkeit.

Ich möchte mich in dieser Arbeit mit dem Stoff eben dieser Geschichte und ihren Quellen auseinandersetzen, untersuchen, was Chaucers Version so einzigartig macht, und seinem Experiment mit der Gattung der Predigt, von dem die Pardoner’s Tale einen Teil darstellt, nachspüren.

II Strukturelle Analyse

Die Erzählung über die drei Trunkenbolde, die ausziehen, um den Tod zu finden, stellt zwar den längsten und bedeutensten, aber eben nur einen Teil der Geschichte des Ablasspredigers dar. Ich halte es deshalb für angebracht, in Form einer strukturellen Analyse einen kurzen Überblick über die Geschichte zu geben; im Wesentlichen folge ich dabei der von Sabine Volk-Birke vorgeschlagenen Gliederung[1].

Die Pardoner’s Tale beginnt mit der Nennung des Ortes, Flandern, und der Beschreibung der dort lebenden – vornehmlich jungen – Menschen, die sich allen möglichen Lastern hingeben. Diese Laster werden im Folgenden einzeln aufgeführt, so dass die Einleitung fast zwanzig Verse umfasst (Fragment VI Group C 463-482)[2].

Der Einleitung folgt eine Abhandlung über verschiedenen Sünden, zunächst werden Maßlosigkeit und Trunkenheit (C 483-589), dann Glücksspiel (C 590-628) und schließlich das Schwören (C 629-659) verhandelt. Diese Diskussion wird mit den Worten „But, sires, now wol I telle forth my tale“ (C 660) zugunsten der nun folgenden eigentlichen Erzählung ad acta gelegt. Diese lässt sich ihrerseits in fünf Teile zerlegen:

a) Entwicklung des Plans, den Tod zu töten, die Begegnung mit dem alten Mann und das Finden des Schatzes (C 660-775),
b) Entwicklung des Plans, den Schatz bei Nacht davon zu schaffen und dessen Vorbereitung (C 776-805),
c) Verschwörung der Beiden, die den Schatz bewachen, gegen ihren abwesenden Kameraden (C 806-836),
d) Beschluss des in die Stadt Gegangenen, seine Kameraden zu töten, und dessen Vorbereitung (C 837-878),
e) Tod aller drei durch die verschiedenen Mordpläne (C 879-894).

Die Geschichte endet hier, aber der Ablassprediger ist noch nicht fertig. Er wettert noch einmal gegen die Sünden (C 895-905), lässt diesem Ausbruch ein Gebet zugunsten seiner Gemeinde folgen (C 906-915), bevor er sich dann wieder mit den Worten „[...] – and lo, sires, thus I preche.“ (C 615) seinem eigentlichen Publikum, den Pilgern auf dem Weg nach Canterbury, zuwendet, und auch diesen seine Reliquien und Ablässe anbietet (C 915-945). Diesem Angebot folgt unmittelbar die empörte Reaktion des host.

Im Folgenden möchte ich mich nun mit den Stoffen und Quellen der Pardoner’s Tale auseinandersetzen, wobei ich zunächst die Erzählung von den drei Trunkenbolden ins Zentrum der Aufmerksamkeit stelle.

III Stoff und Quellen

Die Geschichte der drei Übeltäter, die sich gegenseitig aus Habgier ermorden, ist eine weit verbreitete Volkssage, die auch schon lange vor Chaucer tradiert wurde. Ihre vielfältigen Versionen finden sich „from Chaucer’s England to the Far East and sub-Saharan Africa“[3].

Ihren Ursprung haben diese Versionen aller Wahrscheinlichkeit nach in einer Geschichte aus einer buddhistischen Sammlung, dem Vedabbha Jataka, entstanden zwischen 400 und 250 vor Christus. Diese „ultimate source“[4] erzählt Folgendes: Vedabbha, ein Geistlicher, der die Fähigkeit hat, Reichtum vom Himmel zu rufen, ist mit seinem Schüler Bodhisattva – dem späteren Buddha – unterwegs, als beide von hundert Dieben gefangengenommen werden. Bodhisattva wird mit der Lösegeldforderung fortgeschickt, warnt aber zuvor noch seinen Lehrer, seine besondere Fähigkeit nicht einzusetzen. Dieser ruft aber dennoch den Reichtum vom Himmel herab, woraufhin er und die einhundert Diebe von einer Gruppe von fünfhundert Dieben überfallen und getötet werden. Unter diesen kommt es wiederum zum Streit, sie töten sich solange gegenseitig, bis nur noch zwei übrigbleiben. Einer von diesen geht ins Dorf, kauft Reis und vergiftet ihn, als er zurückkehrt, wird er von dem anderen erschlagen, der daraufhin den Reis isst und stirbt. Bodhisattva kehrt zurück, findet die Toten und beschließt die Geschichte mit der moralischen Lehre.[5]

Schon hier zeigen sich deutliche Ähnlichkeiten zu späteren Versionen – wie auch der Pardoner’s Tale –, diese kommen allerdings mit weniger Dieben aus und beschränken sich auf zwei oder drei Übeltäter. Die Anzahl der Übeltäter (Y) ist auch eines der beiden Kriterien, nach denen Mary Hamel und Charles Merrill[6] die große Menge an späteren Versionen in fünf Gruppen oder types einordnen – das zweite Kriterium ist die An- oder Abwesenheit einer moralisierenden Figur (X). Ich möchte diese types nach Hamel und Merrill kurz vorstellen:

a) type 1: Die Geschichte dieser Version ist eingerahmt durch das Auftauchen einer moralisierenden Figur. Meist ist diese Jesus, der seine Schüler warnt, das durch Zufall gefundene Gold liegen zu lassen. Kurz darauf wird dieses von zwei Gefährten gefunden, die sich in der schon bekannten Weise aufteilen und am Ende gegenseitig erschlagen bzw. vergiften. Jesus kehrt danach mit seinen Schülern zurück und zeigt ihnen die Auswirkungen des Goldes an Hand der beiden Toten.

Kurz gesagt: Die Geschichten von Jesus und seinen Schülern sind aufgrund seines Auftauchens am Anfang und am Ende und der Anzahl der Gefährten, hier zwei, eine XYYX-Version.

b) type 2: Auch in dieser Version erscheint Jesus am Anfang und am Ende. Zunächst verwandelt er Erde oder Sand in Gold, um einen üblen Reise-gefährten zum Diebstahl zu verführen. Dann überlässt er dem Dieb das Gold; dieser und zwei zufällig Vorbeigekommene töten sich gegenseitig aus Habgier in der üblichen Weise: Einer geht, um Essen zu holen, und wird bei seiner Rückkehr erstochen, die beiden anderen sterben an dem von ihm vergifteten Essen. Jesus kehrt daraufhin zurück, findet die drei Leichen und verwandelt das Gold zurück in Erde, um weitere Gefahr auszuschließen.

Die Geschichten nach der Art „Jesus verwandelt Erde zu Gold“ sind eine XYYYX-Version.

c) type 3: Die Rolle der moralisierenden Figur (X) wird hier von einem Eremiten übernommen, der einen Schatz findet und diesen sofort als „Tod“ bezeichnet. Drei Gefährten, denen er zufällig begegnet, wollen wissen, was oder wo der Tod sei, und bringen den Eremiten dazu, ihnen den Weg zu zeigen. Sie finden das Gold und töten sich gegenseitig durch Erstechen und Vergiften. Der Eremit kehrt in der Regel nicht zurück, um die Moral am Ende zu verkünden, dies wird von einem Engel oder dem Erzähler übernommen.

Diese Version, zu der auch die Pardoner’s Tale zählt, ist eine XYYY-Version, auch oft als „Eremiten“-Version bezeichnet.

d) type 4: In dieser Version gibt es keinen warnenden Charakter, dafür die üblichen drei Gefährten, die sich gegenseitig töten. Allerdings taucht nach vollbrachter Tat Jesus oder eine andere Figur auf, um eine Moral aus der Geschichte zu ziehen, die jedoch nicht der der anderen Versionen entspricht, z. B. kritisiert Jesus in einer Geschichte eher die Leichtgläubigkeit und fehlende Vorsicht der toten Räuber als ihre Habgier.

Geschichten dieser Art stellen eine YYYX-Version dar.

e) type 5: In dieser Version fehlt sowohl ein warnender Charakter am Anfang als auch der moralisierende Charakter am Ende, es gibt aber weiterhin zwei oder drei Übeltäter, die sich gegenseitig töten. In diese Gruppe fallen allerdings sehr verschiedenartige Geschichten.

Mary Hamel und Charles Merrill bezeichnen diese Gruppe von Geschichten als YY(Y)-Version.

Wie oben schon erwähnt, gehört die Pardoner’s Tale zu type 3, der XYYY-Version, deshalb werde ich, wenn es um die Betrachtung möglicher Quellen Chaucers geht, Geschichten dieses Typs bevorzugt behandeln.

Eine dieser möglichen Quellen ist ein lateinisches Exemplum aus einer Sammlung von Predigten, den Distincciones, die dem englischen Mönch Johannes Bromyard zugeschrieben werden[7]. Man kann nicht genau sagen, wann die Distincciones geschrieben wurden, es ist aber bekannt, dass Bromyard um 1350 verstarb. Somit wäre es zeitlich gesehen durchaus möglich, dass Chaucer mit seinem Text in Berührung gekommen ist.

[...]


[1] siehe hierzu: Sabine Volk-Birke, Chaucer and Medieval Preaching. Rhetoric for Listeners in Sermons and Poetry (Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1991) 251-259.

[2] Ich zitiere nach folgender mittelenglischer Ausgabe: Geoffrey Chaucer, „The Canterbury Tales“, The Riverside Chaucer. Based on The Works of Geoffrey Chaucer. Edited by Larry D. Benson and F. N. Robinson (Oxford: Oxford UP, 31988): 23-328. Im Folgenden zitiere ich unter Angabe von Fragmentgruppe und Verszahl.

[3] Mary Hamel, Charles Merrill, „The Analogues of the Pardoner’s tale and a new African Version”, The Chaucer Review 26/2 (1991): 175-183, 175.

[4] H. S. Canby, „Some Comments on the sources of Chaucer’s ‘Pardoner’s tale’, Modern Philology 1 (1904): 477, 477.

[5] Siehe hierzu: Canby 1904, 477.

[6] Hamel, Merrill 1991, 175-177.

[7] Siehe hierzu: Siegfried Wenzel, „Another Analogue to The Pardoner’s Tale“, Notes and Queries 241 (1996): 134-136, 134f. Wenzel liefert eine genaue Beschreibung der Distincciones und argumentiert für die Autorschaft Bromyards.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Radix malorum est cupiditas - Zu Chaucers "Pardoner's Tale" - Quellen und Hintergründe
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V66560
ISBN (eBook)
9783638591263
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Stoffgeschichtliche Analyse zu Chaucers "Pardoner's Tale" mit einer Betrachtung zu Chaucers Experiment mit der Gattung der mittelalterlichen Predigt.
Schlagworte
Radix, Chaucers, Pardoner, Tale, Quellen, Hintergründe
Arbeit zitieren
Ann-Kathrin Deininger (Autor:in), 2006, Radix malorum est cupiditas - Zu Chaucers "Pardoner's Tale" - Quellen und Hintergründe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66560

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