Problemorientiertes Lernen in der Pflegeausbildung

Die Implementierung der niederländischen Form problemorientierten Lernens in die deutsche Pflegeausbildung


Diplomarbeit, 2005

79 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 was ist problemorientiertes lernen?
1.1 Definitionen
1.2 Merkmale
1.3 Ziele
1.4 Historische Entwicklung
1.5 Lerntheoretischer Hintergrund
1.6 Verschiedene Ansätze

2 wie sieht die niederländische Form Problemorientierten Lernens AUS?
2.1 Die niederländische Krankenpflegeausbildung
2.2 Merkmale der niederländischen problemorientierten Lernform
2.2.1 Aufgabentypen
2.2.2 Der Siebensprung
2.2.3 Rolle der Studenten
2.2.4 Rolle des Tutors
2.3 Merkmale des Skillslab-Unterrichts
2.4 Die Studienlandschaft

3 wie sehen die ausgangsbedingungen zur implementierung von pol in die deutschen Krankenpflegeschulen aus?
3.1 Rechtliche Ausgangsbedingungen
3.2 Curriculare Ausgangsbedingungen
3.3 Institutionelle Ausgangsbedingungen
3.4 Personelle Ausgangsbedingungen

4 wie lässt sich problemorientiertes Lernen in deutsche krankenpflegeschulen implementieren?
4.1 Implementierungsmodelle in Deutschland
4.2 Personelle Vorbereitungen
4.2.1 Lehrende
4.2.2 Lernende
4.3 Organisatorische Vorbereitungen
4.4 Planung von problemorientierten Unterrichtseinheiten
4.5 Durchführung der Unterrichtseinheiten
4.6 Auswertung der Unterrichtseinheiten

5 ZUsammenfassung und schlussbetrachtung

6 Literaturverzeichnis

Einleitung

Sieben Studenten sitzen in einem Kreis zusammen. Jeder hat offene Hefter und Bücher vor sich liegen. Sie befinden sich in einer lebhaften Diskussion. Mareike, eine der Studenten, meint: „Ich habe gelesen, dass die Beweglichkeit von Patienten mit Rheuma durch Schmerzen eingeschränkt ist.“ Sofort meldet sich Patrick zu Wort: „Nein, das kann nicht stimmen. Hier steht eindeutig, dass diese Patienten Verformungen und Kontrakturen der Gelenke haben und sich deshalb nicht bewegen können.“ Er greift nach einem Buch und blättert die Seite auf. „Ja, das stimmt, dass habe ich bei meinem letzten Einsatz in der Inneren gesehen, da hatte eine Patienten auch Rheuma und ihre Hände sahen so aus.“ Leen steht auf und verdreht ihre Hände. Alle Schüler fangen an zu lachen. Da greift eine Person in das Geschehen ein: „Was haben denn die anderen dazu herausgefunden?“ Die Diskussion geht in geregelter Form weiter.

Was machen Mareike, Patrick, Leen und die anderen da? Sie lernen Krankenpflege. Diese Situation konnte ich bei dem Besuch einer niederländischen Fachhochschule in Nijmegen beobachten. Hier findet der Unterricht nicht in traditioneller Form statt, wo der Lehrer das Wissen in Form eines Vortrages weitergibt, sondern hier erarbeiten sich die Studenten das komplette Wissen ihrer Ausbildung anhand von Problemaufgaben selbst. Diese Gestaltung des Unterrichts nennt sich problemorientiertes Lernen.

Mit dem Krankenpflegegesetz und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung von 2003 wurde die Krankenpflegeausbildung in Deutschland neu geregelt. Die Theoriestunden wurden erhöht, die Unterrichtsfächer zu Themenbereichen umgestaltet, das Ausbildungsziel an die Förderung fachlicher, methodischer, sozialer und personaler Kompetenzen ausgerichtet und eine stärkere Vernetzung von Theorie und Praxis gefordert. Darüber hinaus bekam der Beruf eine neue Bezeichnung.

Diese Veränderungen erfordern neben neuen inhaltlichen Aspekten auch andere Vermittlungsmethoden. Nicht die Lehre von reinem Faktenwissen, nach welcher Frontalunterricht meist ausgerichtet ist und was nach kognitionswissenschaftlichen Untersuchungen zu „trägem Wissen“ führt, wenn es nicht in einen sinngebenden Kontext eingebettet ist, sollte im Pflegeunterricht Anwendung finden, sondern Methoden, die neben fachlichem Wissen auch Aspekte wie beispielsweise Problemlösefähigkeit, Teamfähigkeit oder selbstständiges Lernen berücksichtigen. Diesen Anforderungen wird problemorientiertes Lernen gerecht.

Hier geben praxisnahe komplexe Probleme den Ausgangspunkt zum Wissenserwerb. Diese Problemstellungen werden in Kleingruppen analysiert und im anschließenden Selbststudium werden fehlende Informationen dazu erarbeitet.

Das eingangs beschriebene Erlebnis und die Neugier darauf, ob es möglich wäre, diese Lernform in die deutsche Krankenpflegeausbildung zu implementieren, ließ den Entschluss reifen, diese Thematik intensiver in Form einer Diplomarbeit zu bearbeiten.

Aufgrund der eigenen Erfahrungen und der Tatsache, dass problemorientiertes Lernen dort seit fast dreißig Jahren angewandt und weiterentwickelt wurde, soll hier das niederländische Modell als Vorlage dienen.

Vier Leitfragen wurden demnach der Aufarbeitung der Thematik zugrunde gelegt:

1. Was ist problemorientiertes Lernen, welche Ziele werden damit verfolgt und wie entstand dieser Ansatz?
2. Wie sieht das niederländische Modell des problemorientierten Lernens aus?
3. Wie sehen die Ausgangsbedingungen zur Implementierung in Deutschland aus, lässt sich problemorientiertes Lernen im Rahmen der Gesetzgebung überhaupt umsetzen und sind notwendige institutionelle Rahmenbedingungen vorhanden?
4. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden, um problemorientiertes Lernen in Deutschland umzusetzen, und wie lassen sich entsprechende Unterrichte planen?

Das sind nur einige Fragen, die in dieser Arbeit im Zusammenhang mit dem problemorientierten Lernen thematisiert werden sollen.

Um diese beantworten zu können, wird zunächst auf den ursprünglichen Ansatz des problemorientierten Lernens eingegangen, um den Kontext dieser Arbeit darzulegen.

Nach der begrifflichen Klärung, der Darstellung der Ziele, Merkmale, Formen sowie der historischen Einordnung dieses Ansatzes wird in Kapitel 2 das niederländische Modell des problemorientierten Lernens betrachtet, da es als Vorlage zur Implementierung in Deutschland benutzt werden soll.

In Kapitel 3 werden die Ausgangsbedingungen beleuchtet, die hinsichtlich einer Umsetzung des problemorientierten Ansatzes relevant sind. Dazu zählen neben rechtlichen auch curriculare, institutionelle sowie personelle Bedingungen.

Kapitel 4 zeigt, wie diese Lernform in den deutschen Krankenpflegeschulen umgesetzt werden kann und welche Vorbereitungen diesbezüglich getroffen werden müssen.

Im letzten Kapitel wird die Arbeit zusammengefasst und mit einer Schlussbetrachtung beendet.

Der ursprüngliche Ansatz des problemorientierten Lernens stammt aus dem Kanadischen und heißt „Problem-based Learning“. Im Rahmen dieser Diplomarbeit wird dafür die deutsche Übersetzung problemorientiertes Lernen benutzt.

1 was ist problemorientiertes lernen?

Der Schwerpunkt dieser Diplomarbeit liegt auf der Implementierung des problemorientierten Lernens in die deutsche Pflegeausbildung. Deshalb sollen zunächst in diesem Kapitel die Grundlagen dieser Lernform dargestellt werden, beginnend mit den allgemeinen Definitionen und Merkmalen. Anschließend werden die Ziele aufgezeigt, die anhand des problemorientierten Lernens erreicht werden können. Seine Wurzeln hat dieser Ansatz in der Medizinerausbildung der Mc Master University des kanadischen Hamilton. Wie sich das problemorientierte Lernen verbreitete und weiterentwickelte, ist ebenfalls Gegenstand dieses Kapitels. Darüber hinaus werden die lerntheoretischen Hintergründe dieser Lernform dargestellt.

Die folgenden Ausführungen sollen zunächst näher erläutern, was unter den Begriffen Problem, Problemorientierung und problemorientiertes Lernen verstanden wird.

1.1 Definitionen

Die wesentliche und somit auch namensgebende Komponente im problemorientierten Ansatz ist das Problem.

Ein Problem liegt nach Clauß dann vor, wenn ein Individuum ein gefordertes oder gewünschtes Ziel anstrebt, dies jedoch mit den verfügbaren Mitteln nicht erreichen kann (vgl. Clauß 1995, S. 359).

Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es immer nur im Zusammenhang mit einem Subjekt existiert, und wird somit als intrasubjektives Phänomen bezeichnet (vgl. Bönsch 1999, S. 80).

Dörner grenzt Probleme von Aufgaben ab. Typisch für Aufgaben ist, dass den Personen dafür ein Lösungsweg bekannt ist, was bei Problemen nicht der Fall ist. Ob es sich für den einzelnen Menschen um ein Problem oder eine Aufgabe handelt, hängt von seinem Vorwissen ab (vgl. Dörner 1976, S. 10).

Mietzel unterscheidet klar und unklar definierte Probleme. Klar definierte Probleme zeichnen sich dadurch aus, dass ein klares Ziel benannt wird und die zur Lösung notwendigen Informationen vorliegen. Darüber hinaus gibt es nur eine richtige Antwort und eindeutige Kriterien darüber, wann diese gefunden ist. Bei den unklar definierten Problemen ist das zu erreichende Ziel sehr unbestimmt, insofern ist der Lösungsweg nicht bekannt, zudem gibt es keine Kriterien, nach denen die Angemessenheit der Lösung zu beurteilen ist (vgl. Mietzel 2003, S. 274).

Werning und Kriwet führen in Anlehnung an Schuhmacher ebenfalls eine Problemdifferenzierung durch. Sie unterscheiden zwischen prinzipiell lösbaren (konvergierenden) Problemen und prinzipiell unlösbaren (divergierenden) Problemen. Während konvergierende Probleme eine Lösung haben, charakterisieren sich divergierende Probleme durch mehrere Ergebnisse. Außerdem sind sie dadurch gekennzeichnet, dass sich umso mehr unterschiedliche und gegensätzliche Antworten ergeben, je mehr man über sie nachdenkt und je genauer sie von Personen mit Erfahrungen und Kenntnissen untersucht werden (vgl. Werning/Kriwet 1999, S. 7).

Von Problemorientierung spricht man laut Pätzold, wenn Lehrende authentische, relevante, aktuelle und neugierig machende Probleme in den Mittelpunkt ihres Unterrichtes stellen (vgl. Pätzold 2002, S. 36).

Ähnlich äußert sich Kohler (vgl. Kohler 1998, S. 23). Außerdem stellt sie die Problemorientierung als Gegensatz zur Strukturorientierung dar. Demnach erscheinen Strukturorientierte Lernumgebungen dann sinnvoll, wenn der Lernende bereits über umfangreiche Erfahrungen oder Vorwissen verfügt und große Stoffmengen bewältigen muss oder wenn sich Lernende ohne Vorerfahrungen einen ersten Überblick verschaffen wollen. Problemorientierte Lernumgebungen eignen sich laut Kohler, mehr für ein exemplarisches, forschendes, selbsttätiges, tiefgründigeres und anwendungsorientiertes Lernen (vgl. ebd. S. 25f.).

Das problemorientierte Lernen lässt sich auf Howard Barrows zurückführen. Er definiert es als:

„…einen sich wiederholenden oder in sich geschlossenen Prozess, bei dem man zuerst mit dem Problem konfrontiert wird, dann mit Hilfe einer klinisch fundierten Argumentation das Problem löst und den erforderlichen Lernbedarf bestimmt. Nach dem Selbststudium wendet man das neu erlangte Wissen auf das Problem an und fasst anschließend zusammen, was man auf diese Weise gelernt hat“ (Barrows 1986, zit. nach Wilkie 2001, S. 37).

Während sich Barrows mit seiner Definition auf die Medizinerausbildung bezieht, drückt sich Wilkie allgemeiner aus. Nach ihr ist problemorientiertes Lernen „eine Unterrichtsmethode, bei der die Studenten in Kleingruppen arbeiten, um Wissen und Problemlösungsfähigkeit zu erwerben“ (Wilkie 2001, S. 37).

Welche wesentlichen Merkmale diese Lernform ausmachen, wird im folgenden Abschnitt beschrieben.

1.2 Merkmale

Die zentralen Merkmale des problemorientierten Lernens sind nach Zumbach in Anlehnung an Barrows:

- das Problem
- die Kleingruppe
- der Tutor
- die Lernressourcen (vgl. Zumbach 2003, S. 20).

Erst aus der Kombination dieser Elemente erfolgt das problemorientierte Lernen. Die Modifikationen zwischen und in diesen Elementen sind sehr offen. Zunächst werden daher die einzelnen Grundbestandteile des ursprünglichen Konzepts von Barrows vorgestellt.

Der Ausgangspunkt für den Wissenserwerbsprozess ist eine Problemstellung. Diese kann der Realität nachempfunden oder direkt kopiert sein, aber auch statt in Form von Texten durch Bilder oder Filme präsentiert werden. Darüber hinaus können Falldarstellungen auch anhand von Simulationspatienten oder, vor allem in der Medizin weit verbreitet, anhand von Computersimulationen dargestellt werden (vgl. Zumbach 2003, S. 20).

Ein weiteres Merkmal der problemorientierten Lernform ist die Arbeit in Kleingruppen. Barrows ging in seinen ursprünglichen Überlegungen von einer Gruppengröße von vier bis maximal acht Lernenden aus, welche für ein Semester, gegebenenfalls für die gesamte Studienlänge zusammenbleiben.

In den Kleingruppen werden die Lernenden von einem Tutor unterstützt. Dieser stellt ein weiteres Element des problemorientierten Lernens dar. Welche Rolle der Tutor innerhalb der Gruppe einnimmt sowie seine Kompetenzen hinsichtlich der jeweiligen Themen spielen, sind ebenfalls Variablen des problemorientierten Modells. Im ursprünglichen Konzept nimmt er die Rolle des Gesprächsführers ein. Seine Aufgabe dabei ist die Diskussionsleitung, die Vertiefung der Inhalte durch gezieltes Nachfragen, die Organisation der Lernmaterialien sowie die Führung der Lernenden durch den Problemlösungsprozess (vgl. ebd. S. 21).

Die Lernressourcen sind die vierte zentrale Komponente des problemorientierten Lernens. Darunter versteht man die Ressourcen, aus denen die Lernenden ihre Informationen zur Bearbeitung des Problems erhalten. Dazu zählen neben begleitenden Seminaren und Vorlesungen beispielsweise spezifische Literatur und Literaturangaben. Anhand dieser Lernressourcen können fehlende Informationen zur Problemdiskussion beziehungsweise Problemlösung erarbeitet werden. Auch das Wissen der Dozenten oder anderer Experten sind wichtige Informationsressourcen (vgl. ebd. S. 22).

Die Kombination dieser vier Hauptmerkmale ergibt das problemorientierte Lernen. Der typische Ablauf dieses Lernansatzes wurde ursprünglich von Barrows für die Medizinerausbildung entwickelt und hat sich im Laufe der Zeit in vielen anderen Fachrichtungen in modifizierter Form etabliert. Der ursprüngliche Prozess erfolgt in bestimmten Schritten, die folgendermaßen zusammengefasst werden können:

Im ersten Schritt (1) klären die Studenten unklare Begriffe in der Fallbeschreibung. Anschließend (2) wird spezifiziert, welche medizinischen Inhalte im vorliegenden Fall angesprochen sind. Im dritten Schritt (3) sollen Hypothesen formuliert werden, welche pathophysiologischen Prozesse dem Fall zugrunde liegen. Darauf folgt (4) eine Problem- und Ursachenbeschreibung. Im Anschluss daran werden Themen festgelegt, die näher betrachtet werden sollen, woraufhin Lernziele formuliert werden. Im fünften Schritt (5) findet die Bearbeitung entsprechender Literatur beziehungsweise Lernmedien statt. (6) Die Ergebnisse werden anschließend in der Gruppe diskutiert und ausgetauscht. Die letzte Phase (7) beinhaltet eine Überprüfung der erreichten Lernziele sowie des tieferen Verständnisses des Lerninhalts (vgl. Gräsel 1997a, S. 19f.).

Welche Ziele anhand dieser Lernform erreicht werden sollen, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

1.3 Ziele

Durch die Verbreitung und Modifikation des problemorientierten Lernens werden verschiedene Ziele verfolgt.

Barrows formulierte 1986 als Ziele des ursprünglichen Ansatzes im Bereich der Medizin den Erwerb, Erhalt und die Anwendung brauchbaren Wissens, den Erwerb von klinischer Problemlösekompetenz und von Kompetenzen im Bereich des selbstgesteuerten Lernens sowie die Förderung der Lernmotivation (vgl. Zumbach 2003, S. 19).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht das problemorientierte Lernen, aufgrund der Nähe zur Berufspraxis, als wertvolle Unterrichtsmöglichkeit für Berufsgruppen der Gesundheitspflege an. Sie benennt diesbezüglich folgende drei Ziele:

1. der Erwerb eines einheitlichen Wissensfundus in Verbindung mit den üblicherweise auftretenden Gesundheitsproblemen
2. die Entwicklung oder Anwendung von Problemlösungsfertigkeiten
3. das Erlernen von Fertigkeiten des klinischen logischen Denkens, die insbesondere für die Ausbildung in der Gemeindepflege wertvoll sind (WHO zit. n. Wilkie 2001, S. 41f.).

Burns und Glen betonen neben dem Wissenserwerb den Erwerb von Kommunikationsfähigkeit, Selbstkritik, Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit sowie der Fähigkeit zur Teamarbeit. Darüber hinaus sind für die beiden Autoren die Förderung der Lernmotivation sowie die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen zentral (vgl. Burns/Glen 2001, S. 30f).

Blaha unterstreicht zusätzlich die Förderung des kreativen und kritischen Denkens sowie die Selbstverantwortung für das eigene Lernen (vgl. Blaha 2004, S. 133).

Darmann zielt mit ihrem Ansatz des problemorientierten Lernens auf den Erwerb von Deutungswissen und die Förderung hermeneutischen Fallverstehens ab (vgl. Darmann 2004a, S. 462).

Neben dem Erwerb von fachlichen Kompetenzen sehen Bögemann-Großheim et al. den Erwerb von personalen und sozialen Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Flexibilität, Teamarbeit, Problemlösungsstrategien und Kommunikationstechniken als Ziel des problemorientierten Lernens an (vgl. Bögemann-Großheim et al. 1999, S. 9).

Es lässt sich an dieser Stelle zusammenfassend feststellen, dass die hier von den verschiedenen Autoren aufgeführten Ziele des problemorientierten Lernens den Erwerb von Schlüsselqualifikationen anstreben. Diese bezeichnen „die allgemeine Fähigkeit, konkrete Handlungen (als Tun, Sprechen, Denken) jeweils situationsgerecht zu generieren (erzeugen) bzw. zu aktualisieren“ (Reetz 1990, zit. n. Schewior-Popp 1998, S. 17).

Das Konzept der Schlüsselqualifikationen wird seit 1974 diskutiert und geht davon aus, dass Berufstätige unabhängig von ihrem Beruf auch über Qualifikationen verfügen müssen, mit denen sie sich auf die beruflichen Anforderungen und sich verändernden Situationen einstellen können (vgl. Falk 2003, S. 9).

Die Schlüsselqualifikationen wurden 1998 von Uta Oelke in den Zusammenhang pflegerischen Handelns gebracht und diesen vier Kategorien zugeordnet: fachliche Kompetenz, methodische Kompetenz, sozial-kommunikative Kompetenz und personale Kompetenz (vgl. Oelke 1998, S. 43).

Die von den Autoren aufgeführten Ziele des problemorientierten Lernens lassen sich allen vier Kompetenzbereichen zuordnen. Im Vordergrund des problemorientierten Lernens steht beispielsweise der Wissenserwerb, dieser zählt zu den fachlichen Kompetenzen. Der Erwerb von Kommunikationsfähigkeit, welche durch die Arbeit in den Kleingruppen gefördert wird, kann den sozial-kommunikativen Fähigkeiten zugerechnet werden. Die von Burns und Glen aufgeführten Aspekte Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein lassen sich den personalen Kompetenzen zuordnen. Zu den methodischen Kompetenzen gehören neben der Problemlösungsfähigkeit. auch die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, welches ebenfalls als zentrales Ziel des problemorientierten Lernens angesehen wird.

Wo die Ursprünge dieses Ansatzes liegen und wie er sich weiter entwickelte, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

1.4 Historische Entwicklung

Die Ursprünge des problemorientierten Lernens gehen bis ins Mittelalter zurück, wo es in Form des Tutoriensystem an der Oxford University angewandt wurde (vgl. Wilkie 2001, S. 39f.).

Im 20. Jahrhundert lagen die frühen Anfänge dieser Lernform in den sechziger Jahren, als an der kanadischen Mc Master University erstmals eine neue Form der Ausbildung unter dem Namen Problem-Based Learning eingeführt wurde. Der Begründer dieser Methode, Barrows, wollte damit das Medizinstudium optimieren. Dieses gestaltete sich bis zu diesem Wechsel ausschließlich in Form von Vorlesungen. Aus den Überlegungen heraus, in der Medizinerausbildung anwendbares und transferförderliches Wissen zu vermitteln, entwickelte sich dieser Ansatz. Die Vorlesungen wurden auf ein Minimum reduziert und es wurde eine besondere Form des Kleingruppenunterrichts eingeführt (vgl. Zumbach 2003, S. 19).

Laut Klauser hat sich zu Beginn der siebziger Jahre diese Methode weltweit verbreitet und wurde zu einer Curriculum- und Lehr-Lern-Konzeption umgewandelt. Neben medizinischen Fakultäten haben auch andere Bereiche der Hochschulbildung diesen Ansatz praktiziert, wie beispielsweise die Ingenieurswissenschaften, die Wirtschaftswissenschaften, die Architektur, die Rechtswissenschaften sowie die Informatik. Nicht zuletzt wird dieser Ansatz auch im Unterricht der Sekundarstufe eins und zwei erfolgreich eingesetzt, wie beispielsweise in den USA (vgl. Klauser 1998, S. 274f.).

Im Jahr 1971 fand das problemorientierte Lernen erstmals seinen Weg nach Europa, an die Medizinische Fakultät der Universität Limburg in Maastricht. Hier wurde das problemorientierte Programm zunächst in das Medizinstudium aufgenommen, breitete sich dann aber in den anderen Fachrichtungen aus. Sie entwickelten den Bearbeitungsprozess von Barrows weiter und entwarfen eine siebenteilige Struktur (Siebensprung) zur Bearbeitung der Problemfälle. Diese wurde in Europa allgemein anerkannt und verbreitete sich (vgl. Wilkie 2001, S. 40f.).

Auch einige deutsche Hochschulen orientierten sich zu Beginn der neunziger Jahre im Rahmen der Medizinstudiengänge an dem problemorientierten Lernen, wie beispielsweise Witten-Herdecke, Hamburg, Bochum und Berlin (vgl. Fischer 2004, S. 26).

Bis zum heutigen Tag hat sich das problemorientierte Lernen auf viele weitere medizinische Fakultäten ausgebreitet, doch auch andere Studiengänge wie beispielsweise das Fach Chemie an der Universität Bochum (vgl. Universität-Bochum 2005) machten sich in den letzten Jahren diesen Ansatz zunutze.

Bezüglich der Pflegestudiengänge an deutschen Hochschulen lässt sich ebenfalls eine Implementierung des problemorientierten Lernens erkennen, so beinhaltet beispielsweise der Diplomstudiengang Medizinpädagogik/Pflegepädagogik der Humboldt-Universität in Berlin neben Vorlesungen und Selbststudium auch problemorientierte Seminare (vgl. Charitè 2005).

1.5 Lerntheoretischer Hintergrund

Das problemorientierte Lernen wird von vielen Autoren vor dem Hintergrund gemäßigt konstruktivistischer Annahmen verstanden (vgl. Kohler 1998, S. 32; Weber 2001, S. 243; Pätzold 2002, S. 37; Schwarz-Govaers 2003, S. 40; Zumbach 2003, S. 35).

Laut Kohler finden sich aber bereits zahlreiche Überlegungen in diese Richtung im nordamerikanischen Pragmatismus, in der europäischen Reformpädagogik sowie in der Kognitionspsychologie der 20er und 30er Jahre wieder (vgl. Kohler 1998, S. 27).

Die Grundannahme der Konstruktivisten ist, dass Wissen von den Lernenden selbst konstruiert wird. Das bedeutet, dass Informationen aus der Umwelt aktiv aufgenommen und so neue Wissensstrukturen erlangt werden in Abhängigkeit von bisherigen Erfahrungen, Vorkenntnissen, Bedeutungszuschreibungen und vorhandenen Einstellungen (vgl. Pätzold 2002, S. 17).

Im Laufe der Zeit haben sich zwei verschiedene Richtungen im Rahmen des Konstruktivismus herausgebildet, eine radikale und eine gemäßigte Form.

Der radikale Konstruktivismus ist laut Schwarz-Govaers in Anlehnung an Kreuzer „eine Sammelbezeichnung für eine biologische Richtung der Kognitionswissenschaft, die sich mit den Vorgängen bei der Entstehung von Erkenntnis und Bewusstsein beschäftigt“ (Schwarz-Govaers 2003, S. 38).

Er vollzieht die Trennung zwischen interner Wirklichkeit und äußerer Realität und besteht darauf, dass das rationelle Wissen sich immer und ausschließlich auf die vom Individuum konstruierte Wirklichkeit bezieht (vgl. Glasersfeld 1995 zit. nach Kohler 1998, S. 34).

Die Vertreter des gemäßigten Konstruktivismus distanzieren sich von den oben genannten Überzeugungen. Sie gehen nach Kohler, in Anlehnung an Lowyk und Elen, davon aus, dass Lernen als ein Prozess betrachtet wird, der sowohl von innen als auch von außen angeregt werden kann (vgl. Kohler 1998, S. 35).

Die Grundgedanken eines gemäßigt konstruktivistischen Lernverständnisses wurden von Gerstenmaier und Mandl wie folgt zusammengefasst (vgl. Weber 2001, S. 244).

Lernende konstruieren ihr Wissen durch die Interpretation von wahrnehmungsbedingten Erfahrungen. Dieses erfolgt in Abhängigkeit von ihrem Vorwissen sowie den vorhandenen mentalen Strukturen und Ansichten. Das Wissen wird von den Individuen selbst erzeugt und stammt somit nicht aus einer externen Quelle. Dazu werden neue Informationen mit dem Vorwissen verknüpft, damit eine differenzierte Wissensstruktur aufgebaut werden kann. Ein zentraler Aspekt für den Wissenserwerb ist das soziale Aushandeln von Bedeutungen, welches auf der Grundlage gemeinsamer Prozesse zwischen den Lehrenden und Lernenden entstehen kann. Informationen sind für Lernende dann kaum von Bedeutung, wenn ihnen der Bezug zu einem relevanten Kontext fehlt. Gerstenmaier und Mandl sehen außerdem den Einsatz von metakognitiven Fertigkeiten zur Reflexion beziehungsweise Kontrolle des eigenen Lernhandelns als wichtig an.

Nachdem in diesem Abschnitt der lerntheoretische Hintergrund des problemorientierten Lernens dargestellt wurde, werden im Folgenden die verschiedenen Ansätze dieser Lernform aufgezeigt.

1.6 Verschiedene Ansätze

Mit der zunehmenden Verbreitung des problemorientierten Lernens hat sich im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Varianten dieser Lernform herausgebildet. Die verschiedenen Autoren unterscheiden die Ansätze nach verschiedenen Kriterien.

Darmann beispielsweise stellt in ihren Ausführungen eine Unterscheidung von problemorientiertem Lernen nach den angestrebten Zielen dar. Demnach gibt es Ansätze, die den Schwerpunkt auf die Problemlösung legen, andere zielen auf den Erwerb von kontextabhängigem Wissen ab, wie beispielsweise das niederländische Modell.

Darmann selbst stellt einen Ansatz des problemorientierten Lernens vor, der auf den Erwerb von Deutungswissen sowie die Förderung hermeneutischen Fallverstehens abzielt (vgl. Darmann 2004a, S. 461).

Dazu werden im Vergleich zum niederländischen Ansatz des problemorientierten Lernens die Fälle offener und komplexer gestaltet und die Bearbeitungsschritte als Schritte des situierten Fallverstehens angelegt (vgl. ebd. S. 467).

Fischer beschreibt verschiedene Ansätze, bei denen die ursprüngliche Form des problemorientierten Lernens den jeweiligen Rahmenbedingungen angepasst wurde. Dabei handelt es sich neben der niederländischen Variante (vgl. 2.2) um das Enquire-based-Learning (EBL) und das Issue-based-Learning (IBL) (vgl. Fischer 2004, S. 28).

Laut Fischer geht es sowohl beim Enquire-based-Learning als auch beim Issue-Based-Learning um die Bewältigung typischer Probleme im Pflegealltag. Das Hauptaugenmerk liegt nicht auf der Bearbeitung des Lernmaterials, sondern auf der kritischen Reflexion des Lernprozesses sowie der Erfahrungen aus den praktischen Einsätzen. Insofern sind diese beiden Ansätze flexibler in ihren Aufgabenstellungen und der Personalaufwand ist geringer als bei der ursprünglichen Form des problemorientierten Lernens (vgl. ebd. S. 34).

Das Enquire-Based-Learning wird an der englischen Universität von Southampton durchgeführt, wofür das gesamte Curriculum im Bereich der Pflege umstrukturiert wurde. Übersetzen lässt sich dieser Ansatz als erkundigendes Lernen. Auch hier gibt es eine klar strukturierte Vorgehensweise zur Bearbeitung der Fälle in Gruppen, dies ähnelt dem niederländischen Siebensprung. Für die Bearbeitung der Aufgaben haben die Studenten vier bis sechs Wochen Zeit. Eine wichtige Rolle nimmt der Tutor ein, er dient nicht nur der Unterstützung der Lernprozesse, sondern auch der fachlichen Unterstützung. Fischer gibt an, dass die Studenten nicht ausschließlich im Selbststudium arbeiten, sondern auch begleitende Vorlesungen besuchen können.

Das Issue-Based-Learning bedeutet übersetzt situationsbezogenes, diskutierendes Lernen und wurde für den Studiengang Sozialarbeit an der australischen University of New South Wales modifiziert. Dort findet diese Lernform nur im ersten Semester statt, danach wird das Studium auf konventionelle Weise fortgeführt. Hier wird auch in Kleingruppen gearbeitet, jedoch gibt es keine vorgeschriebene Bearbeitungsstruktur der Fälle. Die Zeit zur Bearbeitung eines Falles beträgt hier sieben Wochen. Als Tutoren arbeiten keine Lehrkräfte, sondern ausgebildete Sozialarbeiter, die als Begleiter, Vorbilder, Experten und Organisatoren fungieren sollen. Ähnlich wie beim Enquire-Based-Learning können die Studenten nebenbei noch Vorlesungen besuchen (vgl. ebd. S. 34ff.).

Wilkie (2001) unterscheidet verschiedene Durchführungsansätze des problemorientierten Lernens. Demnach können Ausbildungsgänge durchgängig problemorientiert strukturiert sein, oder es kann als komplementäre Methode eingesetzt werden (vgl. Wilkie 2001, S. 45f.).

Weitere Möglichkeiten, problemorientiertes Lernen durchzuführen, sieht Wilkie darin, dass Einrichtungen es entweder „homogen“ einsetzen oder parallel ablaufen lassen. Während in den „homogen“ ablaufenden Kursen alle Studenten an den problemorientierten Kursen teilnehmen, gibt es Einrichtungen, die neben Kursen mit traditionellem Unterricht parallel ablaufende problemorientierte Kurse anbieten (vgl. ebd. S. 47).

In dem vorangehenden Kapitel dieser Arbeit sollte die Frage geklärt werden, was problemorientiertes Lernen ist. Dazu wurden die verschiedenen Grundlagen dieses Ansatzes zusammengeführt. Wie gezeigt gibt es verschiedene Versionen dieser Lernform. In dieser Diplomarbeit spielt die niederländische Form des problemorientierten Lernens eine zentrale Rolle, da es als Grundlage zur Implementierung dieses Lernansatzes in die deutsche Pflegeausbildung verwendet wird und ist aufgrund dessen, Gegenstand des zweiten Kapitels.

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Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Problemorientiertes Lernen in der Pflegeausbildung
Untertitel
Die Implementierung der niederländischen Form problemorientierten Lernens in die deutsche Pflegeausbildung
Hochschule
Hochschule Hannover
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
79
Katalognummer
V66371
ISBN (eBook)
9783638584661
ISBN (Buch)
9783640858804
Dateigröße
2681 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problemorientiertes, Lernen, Pflegeausbildung, Implementierung, Form, Lernens
Arbeit zitieren
Diplom Pflegepädagogin (FH) Anja Koch (Autor:in), 2005, Problemorientiertes Lernen in der Pflegeausbildung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66371

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