Diversity Management mit besonderem Fokus auf Homosexuelle


Seminararbeit, 2002

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Homosexuelle als mariginalisierte Gruppe
2.1 Das Definitionsproblem von „Homosexualität“
2.2 Homosexualität als soziales Konstrukt

3 Kategorisierungen von Lesben und Schwulen
3.1 Stereotypen und Vorurteile – eine Begriffsklärung
3.2 Stereotypisierungen von Schwulen und Lesben
3.3 Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Homosexuellen
3.4 Lesben und Schwule – ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede

4 Homosexuelle Personen in der Arbeitswelt
4.1 Objektive statistische Daten
4.2 Arbeitsbedingungen und Arbeitssituation

5 Geschichtlicher Überblick 15
5.1 Historische Hintergründe
5.2 Entstehung und Abschaffung des § 175 StGB

6 Aktuelle Richtlinien, Gesetze und Tendenzen
6.1 Begriffsbestimmung
6.2 Internationale Ebene
6.2.1 Die EU-Richtlinie 2000/43/EG des Rates
6.2.2 Die EU-Richtlinie 2000/78/EG des Rates
6.3 Nationale Ebene
6.3.1 Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)
6.3.2 Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
6.4 Landesebene
6.5 Betriebsebene
6.5.1 Die Betriebs- und die Dienstvereinbarung
6.5.2 Leitfäden

7 Managing Diversity im Allgemeinen
7.1 Begriffsbestimmungen
7.1.1 Definition Diversity
7.1.2 Definition Diversity Management
7.2 Argumente für Diversity Management
7.3 Implementierung von Diversity Management

8 Managing Diversity in bezug auf sexuelle Orientierung
8.1 Argumente für Diversity Management
8.1.1 Das Kosten-Argument
8.1.2 Das Personalmarketing-Argument
8.1.3 Das Marketing-Argument
8.1.4 Das Kreativitäts-Argument
8.1.5 Das Problemlösungs-Argument
8.1.6 Das Systemflexibilitäts-Argument
8.2 Implementierung von Diversity Management
8.3 Der Umgang mit der eigenen sexuellen Identität
8.3.1 Konsequenzen des Coming-Outs
8.3.2 Strategien des Coming-Outs

9 Schlussfolgerungen

Literatur

1 Einleitung

Im zunehmenden gesellschaftlichen Wandel scheint alles möglich zu sein: In der westlichen Zivilisation wachsen wir heutzutage damit auf, dass wir unser Leben nicht mehr nach strengen Regeln einrichten müssen. Wir haben die Wahl, welchen Beruf wir ergreifen wollen, ob wir allein oder in einer Partnerschaft leben möchten, ob wir Kinder in die Welt setzen und ob wir heiraten. Wir entscheiden, welche Prioritäten wir in unserer Arbeit, in unserem privaten und gesellschaftlichen Leben setzen. Bei allen Entscheidungsmöglichkeiten, die uns heute offen stehen, blieb allerdings eines konstant: Wir glauben, uns frei zu entscheiden und orientieren uns doch - meist unbewusst - an einer Wertekultur, die einige unserer Entscheidungen befürwortet, sie als „normal“ darstellt, andere dagegen als Abweichungen von der Norm bewertet. Das heißt, wir können zwar frei entscheiden, wie wir leben möchten, aber in diesem Entscheidungs-kontinuum existiert eine Hierarchie. Rommelspacher spricht von einer „Dominanzkultur“ (vgl. 1998), welche sich durch ein Netz unterschied-lichster Machtdimensionen auszeichnet. Die dominante Kultur in Deutschland vereinigt Attribute wie weiß, christlich sozialisiert, männlich, nicht-behindert, deutsche Staatsbürgerschaft, mittleres Alter und heterosexuell. Die Konzentration vieler dieser Attribute wird in unserer westlichen Kultur als Privileg gewertet, welches in der hierarchischen Dominanzstruktur Macht und Entscheidungsgewalt gewährt.

„Die Kohäsion, der Zusammenhalt der in diesem Netzwerk Privilegierten läßt sie möglichst alle Zugänge zu den Ressourcen für die Außenstehenden verschließen, was [...] durch Strukturen [geschieht], die eine stabile Asymmetrie in der Verteilung von sozialen Positionen, das heißt von politischem und kulturellem Einfluß gewährleisten“ (Rommelspacher 1998, S. 25).

Darüber hinaus hat diese Gruppe die Möglichkeit - durch die Macht-zuschreibung legitimiert – die Bewertungsstandards hinsichtlich norm-adäquaten Verhaltens zu setzen. Das heißt aber nicht, dass die Setzung von Standards auf jeden Fall und immer bewusst abläuft oder auf eine einzelne Person zurückzuführen ist. Die Dominanzkultur prägt unser aller Wahrnehmung und Handeln und ist gesellschaftlich fest verankert (a.a.O.). Es ist an diesem Punkt demnach wichtig festzuhalten, dass diese Machtmechanismen oft internalisiert sind, was sie deswegen aber nicht zwangsläufig legitimiert. Die Auseinandersetzung mit internalisierten Denkmustern hilft, die „Kategorien der Über- und Unterordnung“ (a.a.O., S. 22) aufzudecken.

Der Fokus dieser Arbeit soll auf die Arbeitswelt in Deutschland gerichtet sein, welche sich im Zuge stärkerer Individualisierung aber auch Globalisierung durch zunehmende Diversität auszeichnet. Auch in Unternehmen und Organisationen gibt es marginalisierte Gruppen, welche gegenüber der dominanten Kultur weniger privilegiert sind. Die Kenntnis über die Existenz und Wirkung dieser jeweiligen Dominanzkultur gewährleistet die bessere Integration der marginalisierten Gruppen. Das Konzept des noch zu diskutierenden Diversity Managements verfolgt dieses Ziel; in letztlicher Konsequenz bedeutet seine Implementierung, dass ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile erringt.

2 Homosexuelle als marginalisierte Gruppe

Eine der Gruppen, welche im allgemeinen nicht zur dominanten Kultur gerechnet werden, sind Homosexuelle. Um die Integration/Desintegration homosexueller Menschen innerhalb von Unternehmen und Organisationen beurteilen zu können, ist es zunächst erforderlich zu klären, was diese Gruppe von anderen unterscheidet.

2.1 Das Definitionsproblem von „Homosexualität“

Oberflächlich betrachtet scheint die Definitionsfrage leicht lösbar: mit Referenz auf die Sexualität sind homosexuelle Menschen solche, die gleichgeschlechtlich orientiert sind. Das Merkmal der Sexualität wird in dieser vereinfachten – im Alltagsverständnis sehr gebräuchlichen - Definition dazu benutzt, Homosexuelle von Heterosexuellen abzugrenzen; die Sexualität rückt hierbei in den Vordergrund des Blicks. Zu erkennen ist dies in der weitverbreiteten Meinung, dass die Sexualität einer Person doch wohl Privatsache und deshalb eine Diskussion über eine angebliche Diskriminierung redundant wäre. Die als solche interpretierte „Toleranz“ gegenüber Homosexuellen spiegelt sich in Einstellungen wider, welche letztlich doch nur wieder die eigene Abwehr dokumentieren[1]: Zum Beispiel wird behauptet, dass es einem persönlich egal ist, ob jemand homosexuell ist. Man möchte eben, so wird gesagt, bloß mit diesem Thema in Ruhe gelassen werden, einfach nichts davon mitbekommen, oder man ist insgeheim doch ziemlich erleichtert, dass die eigene Familie/ das eigene Kind nicht homosexuell ist. „Toleranz“ wird also nur dann gewährleistet, wenn die eigene (heterosexuelle) Welt mit ihren dazugehörigen Werten geschlechtsspezifischer Verhaltensnormen, von Ehe und traditioneller geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung nicht bedroht wird.

Den Begriff „Homosexualität“ bzw. „Homosexuelle“ weiter zu fassen, ihn nicht nur im kausalen Zusammenhang mit Sexualität zu definieren, bietet dagegen die Möglichkeit, die gesamte Lebensweise gleichgeschlechtlich orientierter Menschen zu berücksichtigen. Beim Versuch, diesen Begriff zu erweitern, gilt es aber zu bedenken, dass schon allein durch die Definition die Dichotomie von „hetero-/ homosexuell“ verstärkt wird. Das bedeutet, dass der hegemoniale heterosexuelle Kontext beibehalten und sogar zementiert wird. Denn die Norm, hier die Heterosexualität, zu erklären bzw. zu definieren, erscheint trivial und unnötig. Wenn Heterosexualität als „normal“ konstruiert wird, besteht keine Notwendigkeit mehr, sie zu benennen, denn sie gilt ja als Norm. Betrachtet man die Sprache als Spiegel des gesellschaftlichen Bewusstseins, so wird auf eindrucksvolle Weise die Verortung der Homosexuellen in den Raum des „andersartig“ Sexuellen deutlich. Die Bezeichnung gleichgeschlechtlich orientierter Personen als „Homosexuelle“ weist hier auf die sprachliche Notwendigkeit des Bezeichnetwerdens hin. Gegengeschlechtlich orientierte Personen werden hingegen selten als „Heterosexuelle“ bezeichnet, denn die Norm benötigt keine separate Benennung. Erst die Verletzung dieser Norm benötigt einen sprachlichen Ausdruck, um eben diesen Normenbruch aufzuzeigen.[2]

Es soll hier aus eben genannten Gründen dennoch nicht versucht werden, eine allgemeingültige Definition über Homosexuelle zu finden. Statt dessen stellt die Auseinandersetzung mit der eigenen Interpretation eines Begriffes die Option dar, die Konnotation zu verschieben. Da aber nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Menschen sich der impliziten Bewertungen eines Terminus bewusst sind, ist eine andere Option die der Benennung Homosexueller als „lesbische Frauen“ und „schwule Männer“. Mit dieser Begriffswahl wird einerseits das Dilemma der einseitigen Rekurrierung auf die bloße Sexualität umgangen. Andererseits bietet sich diese Begriffswahl an, da sie den Vorteil hat, dass lesbische Frauen nicht mehr durch die stillschweigende Subsumierung unter „Homosexuelle“ „verschwinden“. Es gilt, durch die explizite Benennung ein Bewusstsein für die Existenz von Lesben zu schaffen bzw. zu fördern. Um die Lesbarkeit zu vereinfachen gilt die Anwendung des Begriffs „Homosexuelle“ im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausdrücklich als Synonym für Lesben und Schwule.

In diesem Zusammenhang ist des weiteren darauf hinzuweisen, dass die Bezeichnungen „Lesbe“ und „Schwuler“ im Rahmen dieser Arbeit nicht mit diskriminierender Konnotation belegt sind. Auch wenn sie bei meist heterosexuellen Personen ein Unbehagen auslösen, da sie als Schimpfwörter benutzt wurden und werden, symbolisieren sie doch mittlerweile das Selbstbewusstsein homosexueller Menschen.[3]

2.2 Homosexualität als soziales Konstrukt

„Das Bild vom Homosexuellen als einer ausschließlich von seiner Sexualität betrachteten ‚Spezies’ ist wie kein anderes Bild von sexuell ‚Abtrünnigen’ durch den wissenschaftlichen Diskurs geprägt“, betont Volker Koch-Burghardt (1997, S. 24). Er bezieht sich hier auf die ausführlichen philosophischen Überlegungen von Michel Foucault (vgl. 1992), welcher öffentliche Diskurse im Lichte von Machtverhältnissen analysiert hat. „Diskurse sind historisch-kulturspezifisch geregelte Formationen von Aussagen“ (Maas 1999, S. 23), d.h. sie sind keine objektiven Aussagen, sondern sie spiegeln die historisch geltenden Machtverhältnisse wider. In seinem Werk „Der Wille zum Wissen“ beschreibt Foucault die Anfänge des öffentlichen Diskurses über sexuelle Verhaltensweisen. In Bezug auf die Homosexualität begann die Diskursivierung mit der Verbreitung der Diskurse über den Sex, „wie sie seit dem 17. Jahrhundert im Innern der Gesellschaften herrscht“ (Foucault 1992, S. 21).

„Man muß vom Sex sprechen wie von einer Sache, die man nicht einfach zu verurteilen oder zu tolerieren, sondern vielmehr zu verwalten und in Nützlichkeitssysteme einzufügen hat, einer Sache, die man zum größtmöglichen Nutzen aller regeln und optimal funktionieren lassen muß“ (Foucault 1992, S. 36).

Durch den Prozess der Diskursivierung erscheint Macht entpersonalisiert; Definitionen sozialer Tatbestände werden als gegebene Wahrheit, nicht als soziale Konstrukte wahrgenommen. Die Wirkung dieser Macht zeigt sich deutlich im Alltagsverständnis homosexueller Lebenswelt. Zu fragen ist demnach nach dem Bild von Homosexuellen in der Gesellschaft.

3 Kategorisierungen von Lesben und Schwulen

Im Alltagsverständnis verbinden sich mit dem Begriff „Homosexualität“ oft vorurteils- und klischeebehaftete Vorstellungen. Soziale Bewertungen schlagen sich nieder in sogenannten Stereotypen.

3.1 Stereotype und Vorurteile - eine Begriffsklärung

Der Terminus „Stereotyp“ wird in den Wissenschaften breit diskutiert und vielfältig verwendet. In der Kommunikationstheorie beschreibt er das Auftreten unendlich wiederholter Aussagen, welche soziale Gruppen bestimmen. (Dyer 2000, S. 842). Der Begriff wird verwendet als „Bezeichnung für stark vereinfachende, ja verzerrende Schematisierung sozialer Formationen“ (Klein 1998, S. 27). Die komplexe Welt wird in ihnen vereinfacht dargestellt; Stereotype erleichtern somit die Verständigung über andere Objekte oder Sachverhalte erheblich (Dyer 2000, S. 842). Die kognitiven Anstrengungen werden reduziert. Ständiges kritisches Hinterfragen der Bedeutungsinhalte von Aussagen ist nicht mehr notwendig, da Stereotype zum Allgemeingut der Alltagssprache gehören.

Stereotype an sich sind weder wahr noch falsch; sie sind eben Vereinfachungen der Realität. Sie werden aber auch nicht neutral verwendet, sondern sind in Wertsysteme eingebettet (Schäfer 1988, S. 12). In der Alltagskommunikation wird das Lexem „Stereotyp“ oft mit negativem Unterton verwendet: es „wird dann nicht nur eine Differenz zwischen dem Gehalt des Stereotyps und der ‚wahren Realität’ behauptet, sondern diese Differenz wird gleichzeitig als Mangel, und damit als Negativum, bewertet“ (Klein 1998, S. 26). Der Terminus „schließt Interpretations- und Urteilsweisen ein, die durch Begriffe wie Vorurteil, Image und Einstellung bezeichnet werden“ (Schäfer 1988, S. 11).

3.2 Stereotypisierungen von Schwulen und Lesben

Stereotype werden zuallererst an charakterlichen Eigenschaften festgemacht. Das Bild der „Tunte“ oder des „weibischen“ Mannes verbindet sich klischeehaft mit der Vorstellung, dass Schwule als Krankenpfleger, Friseur, Sekretär arbeiten oder sie in ähnlichen eher stereotyp „weiblichen“ Berufsfeldern zu finden sind. Das Klischeebild der Lesben als verhärteten, vermännlichten und hart zupacken könnenden Frau spiegelt sich hingegen in der Klischeevorstellung, dass diese vermehrt in handwerklichen Berufen als einer typisch männlichen Domäne arbeiten. Homosexuelle Menschen werden hier nach der Konformität mit ihrem sozialen Geschlecht (gender) beurteilt. Sie verweigern per se eine Identifikation mit geltenden heterosexuellen Rollenmustern. Abwertende Zuschreibungen wie „Verweichlichung“ oder „übertriebene Männlichkeit“ sollen bei schwulen Männern als jeweilige Extrempunkte des Gender-Kontinuums ausdrücken, dass sie nicht in die ihnen zugedachte männliche Gender-Rolle hineinpassen (vgl. Dyer 2000, S. 842). Ähnliches gilt für lesbische Frauen: Ihre Weigerung, sich den gesellschaftlich von ihnen erwarteten (Frauen)-Rollen zu fügen, resultiert in abwertenden Bezeichnungen, welche wiederum die herrschende Geschlechter-hierarchie belegen. Lesben werden als „Mannweiber“ oder als Frauen, die keinen Mann abbekommen haben oder schlechte Erfahrungen mit Männern hatten abgestempelt.

Obwohl im allgemeinen Stereotype negativ besetzt sind, gibt es auch positive. Aber auch solche, das gilt zu beachten, reduzieren die komplexen Dimensionen der Individualität einer Person. Beispiele hierfür sind: Homosexuelle Frauen und Männer sollen aufgrund ihrer Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dem Coming-Out eine höhere soziale Kompetenz haben, sind deswegen für Dienstleistungsberufe geradezu prädestiniert. Von Lesben wird behauptet, sie hätten einen Mutterkomplex, den sie in sozialen Berufen kompensieren wollen. Ein anderes Klischee ist das der intellektuell vermännlichten Lesbe, welche sie für Führungspositionen geeignet erscheinen lässt. Schwulen hingegen wird z.B. nachgesagt, sie wären sehr kreativ, was sie für dementsprechende Aufgaben tauglich machen soll. Auch würden sie besonders zuvorkommend mit Frauen umgehen, was die Arbeitsmotivation in gemischtgeschlechtlichen Teams erhöhen könnte.

Stereotypen stellen wie gesagt eine Reduzierung der Persönlichkeit eines Individuums dar. Und doch zeigt sich in der schwul-lesbischen Subkultur eine Anpassung an dieses stereotype Aussehen und entsprechende Verhaltensweisen, denn sie verspricht nicht nur das Erkennen untereinander, sondern garantiert darüber hinaus ihre Sichtbarkeit in Kunst und Medien.

“If gays were to abandon all kinds of typical representations of themselves, then „they“ as a recognizable category would no longer exist” (Dyer 2000, S. 843).

3.3 Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Homosexuellen

Oft geht mit der Bezeichnung des von der „Normalität“ abweichenden „Anderen“ auch eine Stigmatisierung einher: Lesben und Schwule werden als Exoten, als Außenseiter wahrgenommen. Jürgen Mey (1990, S. 24) zufolge reproduzieren viele Menschen „ob ihres großen Informationsdefizits immer noch die kirchlichen Vorstellungen von Homosexuellen als gefühlsgestörte, unreife, triebbesessene, zur Verführung fähige, isolierte, sittenlose, ungehemmte Personen, die man am besten zu meiden hätte oder welche man zumindest verachten müsse.“ Derartige herabsetzende Zuschreibungen lassen sich unter den Terminus „Homophobie“ zusammenfassen. Mit Blick auf die Dominanzkultur lässt sich konstatieren: „Homophobie hat dieselbe psychologische Struktur und Dynamik wie Rassismus, Antisemitismus und andere Vorurteile gegenüber stigmatisierten Gruppen“ (Maas 1999, S. 33). Diese Stigmatisierung trifft schwule und lesbische Menschen gleichermaßen, und doch sind in den Kategorisierungen Unterschiede zwischen Lesben und Schwulen zu konstatieren.

Eine weitere Form stereotyper gesellschaftlicher Bewertung zeigt sich darin, dass schwule Männer durch andere soziale Gruppen eher wahrgenommen werden als lesbische Frauen. Ihre höhere Sichtbarkeit spiegelt sich z.B. in den Medien wider.

Die unterschiedliche Wahrnehmung von Lesben und Schwulen ist auf die unterschiedliche Sozialisation der Geschlechter und die dominanten kulturellen Standards zurückzuführen. In unserem Kulturkreis ist es für Frauen leichter, anderen Frauen körperlich nah zu sein. Für Männer gilt die Akzeptanz zarter körperlicher Berührungen anderer Männer nicht so ohne weiteres; schon kleine Jungen werden von Gleichaltrigen als „Schwule“ zurückgewiesen. Mädchen werden dagegen nicht so schnell stigmatisiert und ausgegrenzt. Diese Sozialisation kann als ein Grund für die größere Sichtbarkeit schwuler Männer gegenüber lesbischen Frauen interpretiert werden. Darüber hinaus werden Lesben deshalb weniger wahrgenommen, da sie im öffentlichen Diskurs so gut wie gar nicht vorkommen, frei nach der Devise: „nicht sein kann, was nicht sein darf“[4]. Für Judith Butler „funktioniert Unterdrückung durch die Produktion eines Gebietes der Undenkbarkeit und der Unaussprechlichkeit“ (Butler 1996, S. 24f.). Auch die härtere strafrechtliche Verfolgung schwuler Männer - in Deutschland bis 1994(!) durch den § 175 StGB präsentiert - kann als Indiz für die Auslöschung von Lesben aus dem Diskurs interpretiert werden. Butler kommentiert: „Lesbianismus wird zum Teil deshalb nicht ausdrücklich verboten, weil er nicht einmal in das Denkbare, Vorstellbare vorgestoßen ist, in jenes Netzwerk kultureller Verständlichkeit, die das Reale und das Aussprechbare reguliert“ (Butler 1996, S. 25).

Nicht nur von anderen sozialen Gruppen werden Schwule eher wahrgenommen als Lesben. Auch parteiliche wissenschaftliche Untersuchungen zu Diskriminierungen homosexueller Menschen reproduzieren klischeehaft die Meinung, dass die Zahl der Schwulen die der Lesben übersteigt. Nach Jürgen Mey (1990, S. 23) ist „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine relative Häufigkeit dieses Verhaltens [der Homosexualität, J.v.P.], mehr noch bei den Männern als bei den Frauen, vielleicht aus erzieherischen Gründen, unwiderlegbar zu beweisen“. Auch wenn man über die Einordnung der Homosexualität als „Verhalten“ großzügig hinwegsieht, steht die vom Autor nicht belegte und damit doch nicht „unwiderlegbare“ Behauptung des höheren Anteils von Männern an den Homosexuellen zur Diskussion. Sie ist ein Beleg für die machtvolle Wirkung des Diskurses: in dieser Aussage zeigt sich einerseits die größere gesellschaftliche Sichtbarkeit schwuler Männer und andererseits die doppelte Diskriminierung der Lesben als homosexuelle Frauen und als Frauen allgemein. Erklärt werden könnte dies durch die weit größere Stigmatisierung und die damit einhergehende größere Sichtbarkeit schwuler Männer gegenüber lesbischen Frauen. Ebenso kann die bis noch in die jüngst vergangene Zeit hineinreichende strafrechtliche Verfolgung schwuler Männer - wenn auch unbeabsichtigt – als ein Grund für ihre höhere gesellschaftliche Wahrnehmung interpretiert werden.

[...]


[1] Aussagen wie diese sind schwer zu belegen, da sie erstens in der Alltags kommunikation vorkommen und zweitens ein sensibilisiertes Bewusstsein für versteckte Diskriminierungen voraussetzen. Beispiele für Studien, die die soziale Diskriminierung homosexueller Menschen belegen: Ellermann (Hg.) 1985, Reinberg/ Roßbach 1985

[2] Ein eindrucksvolles Beispiel für die sprachliche als auch gesellschaftliche Hegemonie des Begriffs „Heterosexualität“ wird im Berliner Aufklärungsprojekt des Jugendnetzwerkes „Lambda“ gern gebracht: In den Diskussionen mit den SchülerInnen wird die Frage gestellt: Seit wann weißt du, dass du heterosexuell bist? Die Irritation über die doch eigentlich „falsch“ gestellte Frage verdeutlicht die festen, oft unbewussten und nicht hinterfragten Normalitätskonstruktionen in den Köpfen (der SchülerInnen). Vgl. Hempel/ Kleyböcker. In: Hartmann u.a. 1998, S. 210; auch Reinberg/ Roßbach 1985, S. XI-XIII.

[3] Beide Begriffe wurden im Zuge der Lesben- und Schwulenbewegung der 1970er Jahre als Kampfbegriffe gegen die Stigmatisierung für sich vereinnahmt und positiv umgedeutet.

[4] Auszug aus Christian Morgensterns Gedicht: Die unmögliche Tatsache.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Diversity Management mit besonderem Fokus auf Homosexuelle
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Lehrstuhl für Management)
Note
1,7
Autoren
Jahr
2002
Seiten
46
Katalognummer
V6630
ISBN (eBook)
9783638141642
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Diversity, Management, Fokus, Homosexuelle
Arbeit zitieren
Helen Schmidt (Autor:in)Lee Christina Böck (Autor:in)Jana von Puttkamer (Autor:in), 2002, Diversity Management mit besonderem Fokus auf Homosexuelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6630

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