Rituelle Gewalt an Frauen - Genitalverstümmelung


Hausarbeit, 2002

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einführung in Geschichte und Hintergrund der weiblichen Beschneidung

2. Was bedeutet Genitalverstümmelung?
2.1 Daten und Fakten
2.2 Folgen der Operation

3. Warum gibt es genitale Verstümmelung heute noch?
3.1 Tradition und kulturelle Verwurzelung
3.2 Konvention und Unterdrückung
3.3 Verschiedene Maßnahmen gegen FGM

4. Einmischen ja oder nein? – Ein Fazit

5. Bibliographie

1. Einführung in Geschichte und Hintergrund der weiblichen Beschneidung

Die Geschichte der Beschneidung, der weiblichen sowie der männlichen, ist sehr alt. Schon in Ägypten der Pharaonenzeit kannte man dieses Ritual bereits. Das belegen Funde von weiblichen Mumien, die auf das 16. Jahrhundert vor Christi Geburt datiert sind (vgl. Hermann, 2000, S.16). Auch die Juden pflegten lange Zeit die Beschneidung beider Geschlechter. In bestimmten afrikanischen, asiatischen, australischen und südamerikanischen Ländern hatte bzw. hat die Beschneidung eine festverwurzelte Tradition. Man führte Beschneidungen in manchen islamischen aber auch christlichen Volksgruppen durch. Sogar in unseren Breiten, der aufgeklärten, zivilisierten 1. Welt, benutzte man die Genitalverstümmelung bis in die 40er 50er Jahre hinein, um die Frauen von Krankheiten wie Hysterie, Epilepsie und Depression zu heilen und um Homosexualität und Masturbation zu unterbinden (vgl. Toubia, 1995, S.225 und Hermann, 2000, S.28).

Daran sieht man, dass die Beschneidung der Geschlechtsteile nicht eine Ursprungskultur oder -religion hat. Vielmehr muss sich dieser Brauch unabhängig auf (fast) allen Erdteilen und parallel entwickelt haben. Hinter diesen Praktiken steht der Glaube, der Mensch durchlaufe verschiedene Entwicklungsphasen oder Stationen wie Geburt, Erwachsenenalter, Heirat, Alter und Tod, die mit entsprechenden Riten beendet bzw. eingeläutet werden müssen, damit der kosmische Zyklus von Werden und Vergehen in Gang gehalten wird. (Vgl. Schnüll, 1999, S.15)

Der Eintritt ins Erwachsenenalter ist ein wichtiges Ereignis für einen Menschen. Er wird von nun an von seinen Mitmenschen anders behandelt. Die Erwartungshaltung ihm gegenüber ändert sich, und zusätzlich zu seinen neu erworbenen Rechten hat er auch ganz bestimmte Pflichten. In der westlichen Welt wird dieser Übergang an einem bestimmten Alter markiert. Von diesem Zeitpunkt an darf der junge Erwachsene z.B. Alkohol trinken, Auto fahren, aber er ist vor dem Gesetz auch voll strafmündig. In jedem Fall stellt dieser Tag aber ein großes Ereignis dar, der entsprechend groß gefeiert wird. Das heißt die Idee des Initiationsritus, die ursprünglich hinter der Tradition des Beschneidens stand, ist uns gar nicht so fremd.

Im Falle der Beschneidung war das Mädchen erst dann eine Frau, wenn sie sich ihrer Geschlechtsteile entledigt hatte. Dahinter stand die Vorstellung, dass Leben und Tod eng miteinander verwoben sind und dass man etwas „sterben“ lassen muss, damit etwas Neues entstehen kann. Diese Riten sollten die Kinder auf die Qualen, Schmerzen und Entbehrungen des Lebens vorbereiten[1].

Auch war das Geschlecht der Frau bzw. des Mannes erst nach der Beschneidung endgültig festgelegt. Man glaubte, dass jeder Mensch sowohl männliche, als auch weibliche Anteile besitze, die entfernt werden müssten.

Die Shipibo-Conibo [Indianer im peruanischen Regenwald] waren ursprünglich davon [m/w Anteile] überzeugt, und semitische Völker und ethnische Gruppen in den Randgebieten der Sahara kannten den Mythos vom doppelten Geschlecht. Man glaubte, dass eine weibliche Seele in der Vorhaut des Penis sitze und eine männliche in der Klitoris. (Hermann, 2000, S.19)

Nach der Beschneidung konnten die Mädchen dann mit einem Mann verheiratet werden. Damals wie heute mussten sich alle Mädchen dieser qualvollen Prozedur unterziehen, wenn sie und ihre Familien nicht geächtet werden wollten. Die Männer des Stammes bekamen von dem Ritual meist nichts mit, da es Sache der Frauen war und die Männer sich wahrscheinlich keine Vorstellung über die Schmerzen machen konnten. Bei der Entfernung der Penisvorhaut wird ja kein Fleisch mit abgeschnitten, und über Dinge, die die Sexualität anbelangen offen zu sprechen war und ist ein Tabu.

Jedoch gab es auch sehr qualvolle Eingriffe bei Jungen. Bei einigen südafrikanische Stämmen war es Brauch, den Jungen einen Hoden abzuschneiden, und bei einer Reihe von Stämmen der australischen Ureinwohner wurde die Harnröhre auf der Unterseite des Penis aufgeschnitten und offengehalten (vgl. Hermann, 2000, S.20).

2. Was bedeutet Genitalverstümmelung?

Genitalverstümmelung oder Female Genital Mutilation (FGM), wie es in der Fachliteratur genannt wird, bezeichnet eine Reihe von Eingriffen, die an den weiblichen Genitalien vorgenommen werden. Über die Verbreitung des Rituals können keine genauen Angaben gemacht werden, jedoch hat es in vielen afrikanischen und in wenigen asiatischen Länder bis heute Tradition[2]. Fast alle Operationen haben zur Folge, dass die Frau niemals sexuelle Lust empfinden kann. Mit der männlichen Beschneidung ist FGM aufgrund des angerichteten Schadens nicht gleichzusetzen, wenn es sich nicht um oben beschriebene an Männern vollzogene Praktiken handelt, die im Verhältnis jedoch äußerst selten bis nicht mehr existent sind.

Die Beschneidung wird oft im Rahmen eines großen Festes vollzogen und von einer traditionellen Beschneiderin, die für ihre Arbeit viel Geld bekommt, durchgeführt. Ist das Beschneidungsritual mit einem Fest verbunden, sind die Mädchen der Mittelpunkt des Geschehens. Sie bekommen neue Kleider, Schmuck und andere Geschenke (Schmidt-Häuer, 2000, S.199). Es wird getanzt, gesungen und getrommelt. Bei manchen Stämmen werden sie mit Henna oder Ocker bemalt und man schert ihre Köpfe. Im Sudan nennt man die Mädchen Arusa, was Braut bedeutet (vgl. Hermann, 2000, S.91).

Ellen Ismail (in: Hermann, 2000, S.92) schreibt dazu: „Die psychischen Wirkungen, die Feste und Riten, erschaffen ein Feld der Kommunikation, das ohne Zweifel von großer Wichtigkeit für die Mädchen ist und ihr soziales Zugehörigkeitsgefühl untermauert“.

Noch heute wird den Mädchen das empfindsame Fleische oft ohne Betäubung weggeschnitten. Manche Leute sind aber dazu übergegangen, die Mädchen von einem Arzt oder einer Krankenschwester unter Betäubung „behandeln“ zu lassen.

Normalerweise werden sie an Armen und Beinen festgehalten, manchmal bedeckt man ihre Augen und hält ihnen den Mund zu, um ihre Schreie zu ersticken. (vgl. Greer, 2000, S.132). Das Wegschneiden der weiblichen Genitalien wird als Reinigung betrachtet, da sie als schmutzig und unästhetisch empfunden werden, und untermauert den Status des Mädchens als „ganze“ Frau.

Wie alle jüngeren Geschwister war ich neidisch und eifersüchtig, dass sie [Schwester] in die Welt der Erwachsenen aufgenommen werden sollte...In Somalia ist man davon überzeugt, dass das, was sich zwischen den Beinen der Mädchen befindet, schlecht ist, dass wir mit diesen Teilen unseres Körpers zwar geboren werden, daß sie aber etwas Unreines darstellen. (Dirie, 1998, S.62)

Das Alter der Kinder variiert. Die Regel war, die Mädchen zu beschneiden sobald sie fruchtbar wurden und somit das heiratsfähige Alter erreichten. Doch mit der Zeit wurden die beschnittenen Mädchen immer jünger „zum Teil auch deshalb, weil sie selbst darauf drängten, ihren besonderen Augenblick herbeisehnten“ (Dirie, 1998, S.63) oder mehrere Kinder einer Familie „in einem Abwasch“ beschnitten wurden.

Die Mehrzahl ist heute im Alter zwischen vier und acht Jahren (Ullrich, S.3), es werden aber auch schon zwei Wochen alte Säuglinge beschnitten. Dies hat dann natürlich nichts mehr mit dem ursprünglichen Initiationsritus zu tun. (Vgl. Hermann, 2000, S.69)

Folgende Arten der Verstümmelung werden praktiziert:

- Ritualistische Beschneidung: Dabei wird die Klitorisvorhaut eingeritzt oder eingestochen. Sie ist mehr oder weniger ein Überbleibsel des vollständigen Rituals.
- Sunna: Ein Eingriff bei dem die Beschneiderin die Vorhaut der Klitoris und/oder die Spitze der Klitoris abtrennt.
- Klitoridektomie/Exzision: Die Klitoris wir teilweise oder ganz entfernt und ein Teil oder die gesamten inneren Schamlippen werden abgeschnitten. Das entstehende Narbengewebe bedeckt dann meist die Scheidenöffnung.
- Pharaonische Beschneidung/Infibulation: Dieser Eingriff umfasst den gesamten Schambereich. Die Klitoris wird vollständig herausgetrennt, die inneren und äußeren Schamlippen werden abgeschnitten und danach zusammengenäht oder mit Dornen aneinandergeheftet. Über der Vagina bildet sich eine Narbe, ähnlich einem Reißverschluss. Nur ein kleines Loch, das durch das Einführen eines Holz- oder Strohstückchens offengehalten wird, bleibt übrig, um den Austritt von Urin und Menstruationsblut zu ermöglichen. Nach der Operation werden dem Mädchen die Beine zusammengebunden, damit die Wunde nicht wieder aufreißt, und es wird bis zu einen Monat ruhiggestellt. Nach der Heirat muss die Frau oft aufgeschnitten (defibuliert) werden, um den Koitus zu ermöglichen; gleiches gilt für die Entbindung. Nach jeder Entbindung werden die Hautteile wieder zusammengenäht (Refibulation).
- Inzision: Mit einem scharfen Gegenstand werden Haut und Gewebe aus der Scheide und dem Geburtskanal entfernt, mit der Folge, dass dieser vernarbt und unelastisch wird. Die Inzision wird im Zusammenhang mit einer der obengenannten Beschneidungen durchgeführt. (Vgl. Schmidt-Häuer, 2000, S.197; Toubia, 1995, S.226; Hermann, 2000, S.20/21)

Mit dieser Auflistung an Verstümmelungsarten sind mit Sicherheit nicht alle Praktiken den weiblichen Genitalien Schaden zu zufügen aufgeführt. Zum Beispiel gibt es ethnische Gruppen, die die Klitoris ausbrennen und die Nervenenden mit ätzenden Nesselsäften zerstören (Hermann, 2000, S.21). Dennoch umfasst die Aufzählung alle bekannten, traditionellen Arten.

[...]


[1] Molly Melching in Hermannn, 2000, S.80: „Ich habe viel darüber nachgedacht, dass beim Initiationsritus das Leiden nicht als etwas Negatives gesehen wird, sondern [...] als etwas Positives. Denn einer der Gründe, warum die Mädchen verstümmelt werden ist, sie auf das Leben vorzubereiten. Und ihr Leben ist voll von Leiden und Schmerz.“

[2] exaktere Angaben im Teil 2.1 Daten und Fakten

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Rituelle Gewalt an Frauen - Genitalverstümmelung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Sozialwissenschaft)
Veranstaltung
Menschenrechte als universales Prinzip - feministische Kritik und Anknüpfungsmöglichkeiten
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V6616
ISBN (eBook)
9783638141529
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rituelle, Gewalt, Frauen, Genitalverstümmelung, Menschenrechte, Prinzip, Kritik, Anknüpfungsmöglichkeiten
Arbeit zitieren
Tonia Fondermann (Autor:in), 2002, Rituelle Gewalt an Frauen - Genitalverstümmelung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6616

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