Schwuler Pornofilm - Ein Versuch der kulturellen Verortung und der Differenzierung dieses Genres


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Einleitung

3. Rezeptionsstudie zum schwulen Pornofilm

4. Eigenheiten des schwulen Pornofilms

5. Ansätze zum schwulen Pornofilm
5.1. Ton im schwulen Pornofilm
5.2. Gründe für Transferprobleme

6. Versuch der kulturellen Verortung schwuler Pornografie
6.1. Aneignung von Pornografie nach Fiske
6.2. Gesellschaftliche Verortung und Pornografie

7. Schlußwort

8. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Dieser Ausarbeitung liegt eine eigens durchgeführte kleine Feldstudie zu Grunde, welche sich mit den Gewohnheiten der Rezipienten von schwuler1Pornographie, insbesondere pornografischer Filme, beschäftigt. Diese Studie erhebt nicht den Anspruch repräsentativ zu sein oder einen umfassenden Einblick in Rezeptionsverhalten von schwulen Männern im Hinblick auf Pornofilme zu geben. Dennoch werden Aussagen und Ergebnisse innerhalb dieser Ausarbeitung herangezogen, um Argumentationen und Thesen zu stützen oder auch in Frage zu stellen, bzw. einen kritischen Blickwinkel auf diese zu eröffnen.

2. Einleitung

Der schwule Pornofilm ist ein Subgenre innerhalb des Genres des pornographischen Films und seine Geschichte ist beinahe ebenso lang und ausgeprägt wie die des heterosexuellen Pornofilms. Auf den folgenden Seiten werde ich den schwulen Pornofilm etwas genauer betrachten. Zunächst wird die Studie, aus der die empirischen Daten und Ergebnisse gezogen werden, in kurzen Zügen erläutert und die Methode der Befragung beschrieben. Im Anschluß werden genrespezifische Eigenheiten des schwulen Pornofilms erörtert. Im theoretischen Teil wird versucht, die empirischen Ergebnisse in Zusammenhang mit anderen Texten und Analysen zu schwuler Pornografie zu bringen, um diese kritisch zu hinterfragen und so gut wie möglich theoretische und praktische Seiten zusammen zu führen. Im letzten Teil sollen Ansätze zur kulturellen Verortung schwuler Pornografie unter Zuhilfenahme theoretischer Grundlagen der Cultural Studies eröffnet werden.

3. Rezeptionsstudie zum schwulen Pornofilm

Die im Vorwort und der Einleitung erwähnte Feldstudie zur Rezeptionssituation bei schwuler Pornografie wird in diesem Kapitel kurz erläutert, um einen Einblick in die Methode und die Umstände der Befragung zu geben.

Zwischen Dezember 2001 und Februar 2002 wurden im Zuge dieser Ausarbeitung 11 Interviews mit 12 schwulen Männern im Alter zwischen 18 und 38 Jahren geführt, darunter ein Paar. Alle Befragten hatten sich im November des vorigen Jahres auf eine diesbezügliche Anfrage in einem Internetforum gemeldet. Die Interviews und Befragungen wurden in der Regel persönlich geführt, häufig in einem direkten Gespräch, teilweise aus organisatorischen Gründen per Telefon. In zwei Fällen fand aus terminlichen Gründen die Befragung per Email statt.

Die dem Gespräch zu Grunde liegenden Fragen lassen sich in verschiedene Kategorien unterteilen. Zunächst sollten erste Erfahrungen und die Entwicklung der eigenen Rezeption von schwuler Pornografie erläutert werden. Die folgenden Fragen beschäftigten sich mit Kriterien zur Selektion von Filmen und mit formalen Aspekten der Filme, wobei die Interviewten auch angehalten wurden, ihre Meinung darüber zu äußern, in welcher Hinsicht sich das Rezeptionsverhalten von Schwulen und Heterosexuellen unterscheiden könnte2.

Jede Kategorie ist durch offen gestellte Fragentypen geprägt, um den Befragten einen möglichst großen Beantwortungsrahmen zu eröffnen. Da die Studie keine statistische Auswertung nach sich ziehen wird, erschien diese Art des Interviews für die Inhalte der Arbeit der sinnvollste Weg zu sein. Die Gespräche konnten so Dynamik entwickeln und auch Ergebnisse erbringen, welche in dieser Form durch die Fragen nicht intendiert und erwartet worden waren. Die Befragungen per Email konnten diese Dynamik auf Grund der Eigenschaft des Mediums natürlich nicht entwickeln. Dennoch konnten die Ergebnisse dieser Befragungen in ihrer Form weitere interessante

Aspekte aufwerfen, welche, hätte man sie außer Acht gelassen, doch einen großen Verlust darstellen würden.

Die Bedingungen der Befragung waren also nicht in jedem Fall gleich, konnten sich aber gerade dadurch gegenseitig sehr gut ergänzen. In der nun folgenden theoretischen Diskussion schwuler Pornografie werden die Ergebnisse der Studie einigen Aufschluß über bestimmte kulturelle Vorgänge geben können.

4. Eigenheiten des schwulen Pornofilms

Die Aussage, man habe, wenn man einen Pornofilm gesehen hat, eigentlich alle gesehen, läßt sich schon durch Betrachtung der besonderen Eigenheiten des schwulen Pornofilms widerlegen. Dieses Subgenre hat im Laufe seiner weitestgehend eigenständigen Entwicklung einige formale und inhaltliche Differenzen zu seinem Pendant, dem heterosexuellen Pornofilm, entwickelt. Eine sehr prägnante, aber sicherlich nicht auf den ersten Blick auffallende Eigenheit ist die Rollenverteilung der Darsteller. Zu Beginn eines sexuellen Akts ist in keinem Fall ersichtlich, welcher der Darsteller dabei aktiv und welcher passiv3sein wird. Im Mainstream des Heteropornos wird sich eine solche Frage wohl nur selten stellen, da alleine anatomisch nicht derart viele Möglichkeiten gegeben sind4. Es scheint generell im schwulen Porno kaum eine Rollenverhandlung auf dieser Ebene zu geben. Allerdings können bei einigen Filmen innerhalb der narrativen Struktur im Vorfeld sexuelle Positionen zugewiesen werden, aus denen sich eine soziale Rolle ableiten ließe. Hinzu kommt, daß während des Sexakts die Partner ihre jeweilige Rolle

wechseln können, was häufig auch filmisch umgesetzt wird, so daß es dort auch innerhalb der sexuellen Handlung keinerlei Ungleichheit gibt. Dementsprechend läßt sich Alice Schwarzers Ansatz nicht aufrechterhalten, in dem sie behauptet, es gäbe sogar im schwulen Pornofilm eine Entwürdigung bestimmter Männer.

„Es geht in der Pornographie ganz zentral um die Schaffung eines entwürdigenden Frauenbildes. Natürlich gibt es auch betroffene Männer, zum Beispiel in der Homosexuellenpornografie, wo die schwächeren Männer sozusagen zu ‘Frauen’ degradiert werden.”5

Diese Behauptung ist so nicht richtig. Rollen werden in einer gewissen Hinsicht auf narrativer Ebene vergeben. Beispielsweise handelt der Pornofilm BILLY’S TALE (USA 1993, Steven Scarborough, Falcon Studios) von einem jungen Mann, der von seinen Stiefbrüdern zu sexuellen Handlungen gezwungen und später durch einen mitfühlenden Mann aus dieser Situation befreit wird. Dabei nimmt er vornehmlich in den Sexszenen beim Analverkehr die Rolle des Passiven ein, zunächst in Bezug auf seine Brüder, später in Hinsicht auf seinen ‘Befreier’. Dennoch wäre es zu einfach zu behaupten, die sexuellen Positionen in diesem Film seien lediglich dadurch determiniert. In beiden Fällen hat die passive Position eine Funktion auf narrativer Ebene. Zunächst zeigt sich so seine Unterlegenheit gegenüber den Stiefbrüdern und zum Ende des Films drückt die Passivität Wohlbefinden und Vertrauen gegenüber dem ‘Befreier’ aus. Ein weiterer Indikator für die Pauschalisierung in Alice Schwarzers Aussage zeigt sich in einer anderen Szene des Films, in der einer der dominanten Stiefbrüder, also ein ‘starker Mann’, auch die sexuell passive Rolle einnimmt. Dies zeigt, daß eine Figur selbst durch ihre narrative Funktion nicht auf eine sexuelle Position festgelegt ist, aber für eine narrative Funktion eine bestimmte Rolle ausfüllen kann. Deshalb sollte nicht davon gesprochen werden, daß grundsätzlich schwächere Männer von stärkeren degradiert oder dominiert werden.

Eine in gewisser Hinsicht auf Degradierung beruhende Zuweisung von Rollenverhältnissen findet im Bereich der S/M-Pornofilme statt. Nahezu alle Praktiken in diesem Bereich spielen mit dem Verhältnis eines ‘Meisters’ zu seinem ‘Sklaven’ und beruhen so gezielt auf einem gewissen Degradierungsverhältnis. Trotzdem läßt sich auch hier mindestens ein Einwand formulieren: Die Degradierung des Sklaven durch seinen Meister läßt nicht auf eine sexuelle Position schließen, denn auch der Meister könnte seinen Sklaven dazu anhalten, ihn anal zu befriedigen. So läßt sich festhalten, daß bei Analverkehrszenen, also den Akten, in denen auch beim Verkehr zwischen Männern eine Penetration stattfindet, keine vorherige Positionierung vorgenommen wird und die letztlich sexuelle Position nicht an vorgegebenen Rollenmustern festzumachen ist.

Der schwule Pornofilm ist darüber hinaus in übermäßig vielen Fällen fetischisiert. In einer auffallenden Vielfalt werden gerade im Mainstream des schwulen Pornofilms sowohl Leder als auch bestimmte Kleidungstypen in den Ablauf des Films integriert. Die neben Leder wohl am häufigsten auftretenden Fetische beziehen sich dabei auf Uniformen. Die Bandbreite der daraus entstehenden Figurentypen erstreckt sich über Soldat, Polizist, Cowboy und Handwerker bis hin zu Sportler oder auch Biker6. Auffällig im Gegensatz zum Heteroporno ist, daß die Art der Kleidung keine Rückschlüsse auf sexuelle Praktiken oder Positionen zuläßt. Während im Heteroporno Leder in fast allen Fällen nur in S/M-Produktionen auftaucht und Uniformen (Krankenschwester-Outfit o.ä.) ein bestimmtes Szenario für den darauf folgenden Sexakt offerieren, läßt sich im schwulen Pornofilm nicht feststellen, daß beispielsweise Polizei- oder Armeeuniformen eine besonders ‘harte’ Sexszene folgen lassen.

Eine weitere stark auffallende Besonderheit des schwulen Pornofilms ist der Umgang mit Safer Sex. Im Mainstream des schwulen Pornos gibt es seit Ende der 80er Jahre kaum noch einen Film, der Analverkehr ohne Kondom zeigt. Damit einher geht der Verlust einiger spezieller Spielarten, die in den Filmen der sogenannten ‘Prä-Kondom-Ära’ noch zu sehen waren. Beispiele dafür wären der Face-Cumshot oder auch das Auflecken und Schlucken von Sperma7. Ungewöhnlich am Umgang mit Safer Sex ist aber, daß das Überrollen des Kondoms in nahezu keinem Film sichtbar gemacht oder gar in das Sexspiel einbezogen wird. Safer Sex zeichnet sich im schwulen Porno also dadurch aus, daß das Sperma nicht in den Körper eines Darstellers gelangt und dadurch, daß beim Analverkehr das Kondom am Ende des Penisschafts zu sehen ist. Ein als aufklärerisch zu bezeichnender Anwendungshinweis von Kondomen oder ähnlichem läßt sich in den Filmen nicht finden.

Innerhalb der Studienbefragung sagten einige der Männer zur Darstellung von Safer Sex im schwulen Pornofilm, daß sie die Übergänge zur Analverkehrszene nicht ansprechend gestaltet fänden, da plötzlich das Kondom über dem Penis des aktiven Darstellers zu sehen sei, ohne das es vorher in irgendeiner Form aufgetaucht ist. Dieser Schnitt erzeugt also eine narrative Kluft, die den Rezipienten durchaus gegenwärtig ist. Ebenso gaben die Befragten zu verstehen, daß sie die eine Einbindung des Überziehens lieber sehen würden, als einen solchen Szenenwechsel. Es gehöre schlicht zur Durchführung von Safer Sex, das Kondom überzustreifen und deshalb sollte es auch gezeigt werden.

5. Ansätze zum schwulen Pornofilm

Zum schwulen Pornofilm gibt es bei weitem nicht so viele wissenschaftliche Publikationen, wie zum heterosexuellen, was auf der einen Seite verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß beide Filmtypen im Prinzip zur gleichen Zeit entstanden sind. Erklären läßt sich diese Tatsache allerdings mit wenigen, sehr eingängigen Argumenten. Der schwule Pornofilm hatte in der heterosexuellen Gesellschaft schon immer einen eher anrüchigen Ruf, einen bei weitem anrüchigeren als heterosexuelle Pornografie.

[...]


1In dieser Arbeit wird durchgängig der Terminus ‘schwul’ verwendet, da sich gezeigt hat, daß dieser Ausdruck innerhalb schwuler Kultur stets auch selbstreferenziell genutzt wird und keinerlei negative Konnotation birgt, während der sicherlich eher wissenschaftlich klingende Begriff „homosexuell” sehr selten Verwendung findet.

2Die Ergebnisse werden im Verlauf der Ausarbeitung an den jeweiligen Stellen kurz erläutert.

3Aktiv und passiv beschreibt in schwuler Kultur die sexuelle Rolle eines Mannes. Dabei lassen sich die beiden Begriffe auf alle Sexualpraktiken anwenden. Hier bezieht sich der Unterschied auf den analen Verkehr. Der aktive Partner dringt mit seinem Penis dabei in den Anus des

passiven Darstellers ein. Passiv heißt also nicht, daß dieser Darsteller teilnahmslos ist. Es gibt sogar in vielen Filmen passive Darsteller, die während des Analverkehrs die eher ausführende Rolle einnehmen, indem sie sich beispielsweise auf den Penis des aktiven Partners setzen, aber ihrerseits die lustbringende Bewegung vollziehen.

4Ausnahmen bilden dabei sicherlich Filme in denen Frauen mit Hilfe von Dildos Männer anal befriedigen.

5Alice Schwarzer, „Ein Gesetz gegen die Pornografie?”, in: Dies. (Hg.): PorNo. Opfer & Täter. Gegenwehr & Backlash. Verantwortung & Gesetz. Köln 1994, S. 57.

6Biker ist ein Begriff für einen Motorradfahrer. Der Begriff steht dabei aber nicht nur für diese Art der Fortbewegung, sondern für einen bestimmten Mythos von Männlichkeit, der sehr stark in der schwulen Subkultur eingebettet ist.

7Das Auflecken von Sperma kommt auch in Safe Sex - Filmen vor, allerdings dann nur in der Form, daß ein Darsteller nach dem Cumshot sein eigenes Sperma vom Körper des Partners leckt o.ä. Der orale und anale Kontakt mit dem Sperma des Partner ist allerdings ausgeschlossen.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Schwuler Pornofilm - Ein Versuch der kulturellen Verortung und der Differenzierung dieses Genres
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Film- und Fersehwissenschaft)
Veranstaltung
Der pornogafische Film
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V6590
ISBN (eBook)
9783638141260
ISBN (Buch)
9783640746705
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schwuler, Pornofilm, Versuch, Verortung, Differenzierung, Genres, Film
Arbeit zitieren
Stefan Rein (Autor:in), 2002, Schwuler Pornofilm - Ein Versuch der kulturellen Verortung und der Differenzierung dieses Genres, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6590

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